Kapitel 3
'67... 68...', zählte Kalvin mit lauter, unnachgiebiger Stimme und meine Muskeln brannten, während ich den nächsten Sit Up machte.
Seit den Ferien waren alle Unterrichtsfächer anstrengender geworden. Es schien, als wollten die Lehrer uns härter trainieren, damit wir auf den möglichen Krieg vorbereitet waren.
'69', verkündete Kalvin und ließ dabei seinen strengen Blick über die Schüler wandern, um zu überprüfen, ob niemand aufgab.
Ehrlich gesagt, tat mir das harte Training äußerst gut, es befreite mich, nahm mir eine Last von den Schultern und brachte mich auf andere Gedanken.
Seit ich mit Luis Schluss gemacht hatte, trainierten wir nicht mehr zusammen.
Ich trainierte also jeden Tag alleine, obgleich das etwas anderes war. Kalvins Training stand den einsamen, abendlichen Übungen in der Sporthalle kontrastreich gegenüber. '70', hörte ich wieder seine, nun zufriedene, Stimme und lächelte, weil einige erschöpfte Schüler sich dünn und flach wie ein Teppich auf den Boden legten.
Kalvin schüttelte nur den Kopf. 'Aufstehen ihr Faulpelze.
Ihr habt noch 50 Kniebeugen vor euch. Hop Hop!' Sein leicht spöttischer Unterton entging wohl Niemandem.
Sofort stand ich auf den Beinen und wartete geduldig auf sein Zählen. 'Und 1... 2... 3...', folgte Kalvins erneutes, monotones, in einer anderen Situation einschläfernd wirkendes Zählen. Nun erfüllte mich lediglich ein zufriedenes, ausgelassenes Freiheitsgefühl.
***
'Gut gemacht, das Aufwärmtraining ist beendet. Trinkt etwas und wir treffen uns am Eingang der Sporthalle. Heute kommt etwas ganz besonderes auf euch zu.', verkündete Kalvin und ignorierte erschöpfte Seufzer und leises Keuchen.
Interessiert blickte ich zu meinem Lehrer hinüber und fragte mich, was wir heute machen mussten.
Kalvin lächelte mir mit seinem kumpelhaftem Grinsen zu und verschwand dann geheimnisvoll aus der Halle.
Ich schnappte mir meine blaue Wasserflasche, nahm einen Schluck, richtete meinen hohen Zopf, aus dem einzelne, kürzere braune Strähnen in mein Gesicht gefallen waren, und folgte ihm.
Draußen angekommen stand nicht nur Kalvin vor mir.
Mrs. Smuttery war ebenfalls da und unterhielt sich leise mit ihm.
Bevor ich zu ihnen getreten war, hörte ich schon Kalvins laute Stimme über den Hof schallen.
'Nia und Frederico.
Ihr wart als erstes draußen und ich denke, dass es eine gute Idee ist, jedem von euch ein Team zuzuteilen. Ihr müsst euch gegen die gegnerische Gruppe durchsetzten.'
Gespannt hob ich die Augenbrauen und nahm die Herausforderung eines Kampfes gegen Frederico, der gerade mit einem frechen Grinsen auf mich zukam, an, während Kalvin die Schüler schon in zwei Gruppen einteilte.
Frederico hielt mir die Hand hin.
'Auf ein faires Spiel.'
Ich griff nach seiner Hand und lächelte provokant.
'Gegen mich wirst du doch wohl nicht verlieren?'
'Garantiert nicht. Das erste Mal war pures Anfängerglück und ist außerdem Schnee von Gestern.' 'Natürlich, aber der Schnee von Gestern liegt noch immer hier auf dem Boden.
Viel Glück beim Siegen, ihr werdet es brauchen.', verkündete ich und vernahm sein leises Lachen.
Vielleicht hatte der Auftrag zum Donnerkristal ja doch irgendwas gebracht.
Das ich und Frederico Freunde werden würden lag zwar noch in weiter Ferne, aber wir harmonierten zumindest besser als vorher.
Aufgeregt blickten wir alle zu Mrs. Infusio, die gerade aus dem Schulgebäude geeilt kam und zwei leuchtende Stäbe in den Händen hielt, wobei der auf meiner Seite eine feuerrote Farbe besaß, während der andere in einem kobaltblau glühte. Mrs. Smuttery sah sich alle Schüler nacheinander an, blieb aber mit ihrem strengen Blick an niemandem lange hängen.
'Heute gibt es eine Extraeinheit eures Sportunterrichtes.
Ihr werdet nämlich an einem Strategiespiel teilnehmen, dass nicht nur gutes Kämpfen und logisches Denken beinhaltet.
Vor allem müsst ihr eine gute Teamfähigkeit beweisen, die ihr für den Sieg unbedingt braucht. Ich möchte, dass ihr alle gut zuhört, solange ich das Spiel erkläre, damit keine unnötigen Fragen entstehen.' Tatsächlich hatte niemand etwas einzuwenden, was Mrs. Smuttery nur mit einem kurzen Nicken abtat.
'Das Ziel dieses Spiels ist es, das gegnerische Team zu überwältigen und den Leuchtstab zu stehlen.
Wenn eine der Mannschaften den Leuchtstab der Gegner in den Händen hält, ist sie der Sieger und das Spiel somit beendet.
Jeder von euch bekommt gleich genau ein Schwert zum Kämpfen zugeteilt und die einziegen Regel dabei sind, dass ihr euren Gegnern, wie auch im Sportunterricht, keine Schwertwunden zufügen dürft und dass die Leuchtstäbe an dem versteckten Ort bleiben müssen, den ihr zuvor aussucht. Er darf von niemandem dauerhaft mitgenommen werden.'
Viele Schüler sahen Mrs. Smuttery verständnislos oder leicht verwirrt über den Sinn der letzten Regel an, doch sie hob beruhigend die Hände und erklärte lediglich weiter.
'Die Verstecke sind zwei zusammengeschobene Kästen, die sich jeweils an einem Ende des Campus befinden.
Der große Platz ist eure Front, an der ihr aufeinanderstoßt und gegeneinander kämpft.
Bevor ihr loslegt, haben die Anführer ein paar Minuten Zeit um ihre Strategie mit dem Team zu besprechen und gemeinsam auszubessern.'
Sie warf mir und Frederico, der sich augenblicklich neben mir anspannte, einen distanzierten Blick zu.
'Und wann haben wir Zeit diese Strategie zu entwerfen?', fragte er mit noch dunklerer Stimme als sonst.
'Nun ja, ich hoffe doch, dass ihr bereits einige Ideen besitzt.
Wenn nicht, muss eure Gruppe entscheiden, was gemacht wird.', meinte sie schlicht, als wäre diese Frage völlig irrelevant, und fragte dann noch einmal in die Menge an Schülern.
'Habt ihr sonst alles verstanden?'
Ein Welle des Nickens wog über die Köpfe, doch mein Kopf arbeitete bereits auf Hochturen.
Jeder Teilnehmer musste gut platziert werden und ich durfte mir keine Fehler erlauben, wenn wir gewinnen wollten, ich wollte gewinnen.
Nachdem Mrs. Smuttery mir den roten Leuchtstab in die Hand gedrückt hatte, drehte ich mich um und ging langsam auf meine Gruppe zu, die sich etwas abseits von den gegnerischen Kriegern platziert hatte. Jetzt blieben nurnoch wenige Sekunden, um die Grundindee anzufertigen.
Man hätte eigentlich hören müssen, wie sich in meinem Kopf alles in Bewegung setzte, wie alle Zahnräder sich ineinanderdrückten, um dann kontinuirlich ratternd zu arbeiten.
Ich sollte beim Entwerfen einer guten Strategie vor allem auf Frederico achtgeben.
In den letzten Monaten hatte ich ihn mehrmals kämpfen sehen und sein Kampfstil war auf jeden Fall offensiv. Er war ein starker Angreifer und wusste das auch.
Demnach würde er wahrscheinlich bei dieser spontanen Strategie alles auf eine Karte setzten, seiner Front würde es an nichts mangeln.
Wir mussten also einen Hintereingang zu ihrem Versteck suchen.
Die Schüler meiner Gruppe sahen mich fragend an und so manch einer von ihnen schaute äußerst mistrauisch und sogar leicht eingeschüchtert, doch das ignorierte ich geflissentlich.
Womit anfangen?, stellte sich mir die Frage und ich drehte behutsam den Leuchtstab in meiner Hand hin und her, bevor ich zu der größtenteils unbekannten Gruppe sprach.
'Okay.', fing ich unsicher und möglichst leise an, damit niemand vom gegnerischen Team von unserem Plan erfuhr, 'Erstmal muss ich wissen, ob jemand von euch Heiler ist.'
Zwei unauffällige Jungen, die dem Anschein nach Zwillinge waren, meldeten sich vorsichtig, sodass ich ihnen aufmunternd zunickte.
So weit, so gut.
'Ihr Beiden werdet als Team arbeiten und die ganze Zeit beim Kämpfen zusammenbleiben.
Wenn jemand aus unserem Team erschöpft ist oder Hilfe braucht, schickt einer von euch dem Mitglied neue Kraft.', erklärte ich.
Die Jungen stimmten zufrieden mit ihrer Aufgabe zu und mir wurde bewusst, wie sehr ich inzwischen über alle Kräfte bescheid wusste.
Die vielen Stunden, die ich in der Bibliothek verbracht hatte, zahlten sich auf jeden Fall aus, selbst wenn das nur bei einem Strategiespiel der Fall war.
Der nächste Schritt war unsere Front. Unter den angespannten, aber sehr aufmerksamen Blicken meiner Gruppenmitglieder stellte ich langsam meine Vermutungen vor. 'Fredericos Front wird es an nichts fehlen und wir müssen uns unbedingt gegen diese Stärke zu Wehr setzten. Lenkt die Kämpfer so gut wie möglich ab und versucht so lange wie möglich Stellung zu halten.
Das Wichtigste ist aber, dass kein einziger der Gegner an euch vorbei kommt.'
Ich machte eine kurze Pause bis mein Blick an einem großgewachsenen, blonden Mädchen mit sehr heller Haut hängen blieb und war mir aus einem mir unerklärlichen Grund fast sicher, dass sie eine Fühlerin war.
Um sicher zu gehen, fragte ich noch einmal nach.
Sie bejahte die Frage mit klarer Stimme.
'Gut, dann streckst du deine Sinne über die Front aus und überprüfst, das niemand sie durchdringt.
Falls das der Fall ist, setzte alles daran, ihn oder sie aufzuhalten.
Du bist die Anführerin der Gruppe an der Front.', bestimmte ich und das Mädchen schien einverstanden zu sein, sodass ich noch mehr Mut fasste.
'Das Fehlen von zwei oder drei Personen wird hoffentlich niemandem auffallen, dafür ist die Gruppe groß genug.'
Glasklare Verwirrung über meine Worte breitete sich auf den Gesichtern der Anderen aus, sodass ich nochmal begann den nächsten Schritt verständlicher zu erklären.
'Es ist riskant, aber ich glaube, dass wir die beste Chance haben, wenn sich zwei von uns in einem großen Umweg zum Versteck der Gegner schleichen, bei dem hoffentlich nur wenige Wachposten stehen, weil Frederico die meisten Krieger zur Front ordnen wird.'
'Wieso wird er das tun?',fragte ein großer Junge mit dunklem Haar mich und ich zuckte mit den Schultern. 'Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht zu hundert Prozent, aber es ist nicht zu übersehen, dass er ein offensiver Kämpfer ist und wir müssen einfach hoffen, dass er seinem Ruf gerecht wird. Wenn wir nichts wagen, können wir auch nichts gewinnen.'
Der Junge schien meinen Gedankengang zu verstehen.
'Gut, probieren wir's.'
Irgendwie schaffte es ein frlhliches Lächeln, sich auf mein Gesicht zu schleichen und zeigte mir somit, dass mir diese Aufgabe wirklich Spaß machte.
'Die zwei Ausgesuchten schlagen sich so schnell wie möglich, aber ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen zum gegnerischen Versteck durch und schnappen sich den Leuchtstab, bevor seine große Front unsere zerbrechen kann. In diesem Fall würde ich vorschlagen selber zu gehen und einen Tarner als Verstärkung mitzunehmen, da sich unsere Kräfte sehr für diesen unauffälligen Weg eignen... also wenn ihr zustimmt.' Nach einstimmiger Zustimmung, sprach ein blonder Junge zu mir.
'Ich bin Tarner und würde mich anbieten, mit dir zu kommen.'
Ich lächelte ihm dankbar zu und hielt den rot leuchtenden Stab, der meine Hände inzwischen gut aufgewärmt hatte, was mir in dieser Kälte nur allzu Recht kam, in die Mitte der Gruppe.
'Dann brauchen wir nurnoch jemanden, der unseren Leuchtstab selbst bewacht.'
'Macht mal schneller, wir sind schon bereit.', hallte Fredericos ungeduldige Stimme hinter uns über den Platz und mit meiner freien Hand gab ich Kalvin ein Zeichen, dass wir noch eine Minute brauchten, um mich dann wieder meiner Gruppe zuzuwenden.
Ein muskulöser Junge, dessen andere Hand in der eines kleinen Mädchens neben ihm lag, nahm sich behutsam dem Stab und ein kleiner Stich der Eifersucht bohrte sich in mich hinein, aber ich behielt meine Konzentration erfolgreich bei mir.
'Ich werde gut auf den Leuchtstab aufpassen und ihn bis zum Ende verteidigen.'
Ich sah noch ein letztes Mal in die Runde, nachdem er seinen Kampfgeist versichert hatte.
'Wir können das schaffen.
Die da drüben besiegen wir mit links, wenn wir zusammenhalten.'
Einige der Schüler grinsten und die Fühlerin, die sich gleich um unsere Front kümmern würde, legte ihre Hand in die Mitte.
'Viel Glück euch allen.'
Ich zögerte einen Moment, da ich nicht mit so viel Haut in Kontakt treten wollte, doch es folgten schon immer mehr Hände und ich wusste, dass ich mich dem als ihre Anführerin nicht entziehen konnte. Sobald alle ihre Hand in die Mitte gelegt hatten, gab ich nach und gesammelte Lebensenergie lud sich ohne mein zutun in mich hinein.
Ich biss angestrengt die Zähne aufeinander und stoppte größtenteils den Zufluss und hoffte, dass niemand die Kraftentnahme bemerkte.
Damach hoben wir die Finger zum zarten, weißen Himmel.
Wir waren bereit.
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