Kapitel 29

Ihre Stimme kam von irgendwoher aus dem Feuer.
Sie war in Gefahr.
Ich musste ihr helfen, helfen, bevor es zu spät war
Bloß wo war sie? Wo versteckte das Feuer sie, hielt sie von mir fern?
Mein Blick irrte durch die leuchtenden roten Flammen, die vor mir aufflackerten und das Licht wirkte noch greller und gefährlicher als zuvor, was jedoch auch an den Horrorszenarien über Jens Tod liegen konnte, die sich zunehmend in meinem Kopf ausbreiteten.
Sie hatte das nicht verdient, mit keiner ihrer Taten.

Bei dem nächsten, fast erstickten Hilferuf erkannte ich die Richtung aus der Jens Stimme kam.
Sie war rechts von mir und ganz in meiner Nähe.
Ohne länger nachzudenken, rannte ich in eine kleine Lücke in den Flammen hinein.
'Nia! Was...', konnte ich noch Hamnets rufende Stimme hinter mir vernehmen, bevor ich in die Feuerbarriere eintauchte.
Nichts würde mich davon abhalten meiner besten Freundin zu helfen. Ich musste sie unbedingt hier rausholen.
Sie war jede Rettung Wert und ich war sicher, dass sie das Gleiche für mich tun würde.

Das Einziege, was ich jetzt noch hörte, war das berauschende Knistern des Feuers.
Das Einziege, was ich jetzt noch sah war rotes, warnendes Flackern.
Für einen winzigen Moment hätte es auch die Orientierunskosigkeit der Hölle sein können.
Hitze stieg in mir auf und ich schwankte nach rechts, wo ich nur knapp dem Feuer ausweichen konnte. An meiner Seite lief das Blut herunter und verfärbte meine Hose, überall Rot.
Ich sollte mich wirklich beeilen, wenn ich nicht umkippen wollte, denn durch meinen Blutverlust war ich wackelig auf den Beinen und das war in diesem Feuer alles andere als gut. Trotzdem suchte ich den Boden nach meiner Freundin ab.
Wenigstens den Versuch war ich ihr schuldig und sie musste hier irgendwo sein.
'JEN', schrie ich und es ertönte doch keine Antwort, kein Laut, nicht einmal ein Krächzen.

Ein paar Schritte bewegte ich mich schwankend neben den Flammen und der Schweiß lief mir bereits an der Stirn herunter, so heiß war es.
Ich atmete tief ein und aus, um etwas Ruhe in meinen zitternden Körper zu bringen.
Trotz der Hitze musste ich tatsächlich zittern und ich wusste nicht wieso.
Schwarzer, dunkler Qualm wehte mir ins Gesicht, sodass ich nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen konnte.
Ich hustete laut und mein Husten wurde zu einem erstickten Keuchen. Mit der Hand, die nicht bewaffnet war, zog ich den Saum meines Pulli ein Stück höher bis vor meinem Mund, doch das war nicht die klügste Entscheidung gewesen, denn ich zuckte schmerzerfüllt zusammen, als sich der Stoff von meiner Wunde losrieß und nur knapp unterdrückte ich einen Schrei.

'Jen, wo bist du?', erklang meine gedämpfte Stimme durch den Rauch, nachdem ich mich vom Schmerz erholt hatte.
Um mich herum schienen die Flammen immer engere Kreise zu ziehen, sodass ich mit geduckter Haltung zwischen ihnen wie durch ein gefährliches Labyrinth schleichen musste.
Dabei versuchte ich so wenig Qualm wie möglich einzuatmen, was sich als schwieriger erwies als geplant. Schließlich hörte ich endlich eine leise Stimme.
'Nia... Nia... Nia...'
Jen lag nur wenige Meter vor mir auf dem Boden und ich ließ mich zu ihr fallen um sie an mich zu drücken, hinderte mich im letzten Moment aber daran, denn im gleichen Moment bemerkte ich eine riesige, blutende Wunde, die direkt über ihrem Herzen prangte.

'Oh nein, was ist passiert. Du...'
Meine Stimme klang hohl vor Schmerz, Schock und Trauer.
Das konnte doch nicht wahr sein.
Jens Atmen war zu heftig, als sie mir antwortete.
'Da war... ein Ausgeschlossener, der mir ... sein Schwert ins Herz gerammt hat... Er meinte, dass ich sterben muss mit... ich soll sagen mit bestem Gruß von Gabe... Hanwen... und dann hat er neben mir ein Feuer gelegt... Ich werde sterben... Nia ich...'
Schnell legte ich ihr eine Hand auf den Mund, weil ich merkte wie sehr ihr das Sprechen wehtat und wie hoffnungslos sie war.
'Schhh, nein du stirbst nicht. Ich hol dich hier raus.', versuchte ich ihr Mut zu machen, während mich eiskalte Erkenntnis mitten ins Herz traf.
Gabe Hanwen hatte einen seiner Leute extra auf Jen angesetzt.
Sie sollte leiden und sterben, nur weil es mir weh tat.
Ohne mich wäre das niemals passiert.

Ich sah mir die Wunde genauer an und stellte fest, dass wirklich nichts mehr zu machen war.
Jemand hatte ihr einen gezielten Todesstoß versetzt, der ihr jedoch als sadistisches Abschiedsgeschenk noch eine Weile Schmerzen bereiten würde.
Wie lange sie wohl schon hier lag und litt?
Mit jedem meiner erschöpften Atemzüge stieg meine Wut, nein, mein abgrundtiefer Hass auf Gabe Hanwen bis ins Unermessliche.
Er war ein schreckliches Monster und hatte jede Art des Todes verdient.

'Doch...', keuchte Jen, die sich anscheinend schon mit ihrer zerstörten Zukunft abgefunden hatte, selbst wenn ich es noch nicht wahrhaben wollte.
Sie versuchte sich aufzusetzten, was aber nicht gelang.
'Ich danke dir für die schöne Zeit. Du warst eine tolle Freundin... für mich... danke, dass du gekommen bist...'
Sie versuchte es mit einem Lächeln, was ihr zum ersten Mal seit ich sie kannte, nicht gelang.
Hilflos öffnete ich den Mund und schloss ihn dann wieder, sodass mir nur ein kleiner Schluchzer entkam.
Sie konnte jetzt nicht aufgeben, nicht sterben und mich nicht alleine lassen.
Es musste doch noch irgendeinen Weg geben, sie zu retten.
Fassungslos und ratlos starrte ich auf ihre Wunde.

Jen neigte den Kopf mit größter Mühe und legte ihre Hand in meine, so als wäre sie diejenige, die mich trösten musste, obgleich sie doch sterben würde und obgleich sie allen Grund zur Hysterie, zum Weinen und zum Schreien hatte.
Ich spürte zwar ihr frühlingshaftes, lebendiges und in diesem Moment unpassendes Grün, aber ließ es geschehen und zuckte nicht zurück. Selbst meine Kraft schien die Situation zu erspüren und zu verstehen, denn sie merkte, dass Jen nurnoch wenig und schwaches Leben in sich hatte und dass es keinen Sinn hatte, sie ihr zu rauben. Noch viel leichter als bei Menschen vernahm ich sie.

'Und sag Justin, dass... ich ihn Liebe... Und meinen Eltern auch, ja?', erklärte sie zwischen zwei erschöpften Seufzern.
Ihre Kraft schien sie immer mehr achtlos zu verlassen.
Dann meinte ich im schwarzen Rauch, so etwas wie eine Träne auf ihrer Wange zu erkennen.
'Geh jetzt und rette dich... aus dem Feuer.', sagte sie entschlossen und wollte meine Hand loslassen, doch ich hielt sie eisern fest.
'So leicht wirst du mich nicht los. Ich bleibe hier. Ich warte mit dir. Wir gehen gemeinsam bis zum Ende.'
Ich warte mit dir auf deinen Tod, dein Ende, das hatte ich sagen wollen, aber es kam mir zu grausam vor, um die Worte auszusprechen.
Sie wirkte sogar ein wenig erleichtert, auch wenn sie das nicht einmal jetzt zugeben würde.

Mit einem kurzen Blick versicherte ich mich, dass die gefährlichen Flammen noch gut einen Meter von uns entfernt waren.
Anschließend bettete ich Jens Kopf vorsichtig auf meinen Schoss ohne ihre Hand dabei loszulassen.
Dabei spürte ich ihre Lebensenergie nur noch als einen leichten Windhauch oder einen süßen Duft, der sich bald verflüchtigen würde. Mein Schwert hatte ich bereits abgelegt.
Wahrscheinlich war der Kampf schon fast überstanden, aber selbst wenn wir ihn dort draußen gewonnen haben sollten, war es für mich ein verlorener Kampf.
Ohne Jen war mein Leben nicht vollständig. Sie gehörte fest zu meinem Tagesablauf, sie gab mir Freude und Hoffnung und sie war immer für mich da. Ich brauchte sie.
Jen war doch die Einzige, der ich noch wirklich vertraute, die letzte Bezugsperson, die ich noch hatte und sie starb nur wegen mir.

Natürlich hatte ich Gabe Hanwens Botschaft verstanden.
Er würde mir, ohne mit der Wimper zu zucken alles nehmen, was ich hatte. Jeder, den ich liebte, sollte sterben, damit Gabe Hanwen sich an meinem Leid weiden konnte.
Das war der einzige Sinn dieser Aktion gewesen.
Sie würde sterben genau wie mein Vater, meine Mutter und Yianschu...
Wer war als nächstes an der Reihe? Ich war mir sicher, dass meine Tante auch noch ganz oben auf der Liste stand und ich würde es nicht ertragen, dass jeder, den ich liebte,  starb.
Das Gefühl, das ich an den Morden schuld war, überkam mich jedesmal aufs Neue und ich konnte diese Schuld nicht jeden Tag mit mir herumtragen.
Es gab wirklich nur wenige Leute, denen ich mich anvertraute und die ich meine Liebsten nennen konnte. Wenn Gabe Hanwen sie umbrachte, nahm er mir alles und er wusste das nur zu gut.
Wahrscheinlich lachte er gerade über mich mit seiner eiskalten, grauenvollen Lache.

Ich wusste nicht, wie ich ihn aufhalten sollte.
Ich war bereits zweimal gescheitert und konnte nicht rund um die Uhr jeden, der mir etwas bedeutete bewachen.
Ich würde immer zu spät da sein.
Und dann würde ich den Schmerz und die Schuld jedes Mal aufs Neue spüren.
Mir fiel nur eine Sache ein, die ich tun konnte, um den Schaden möglichst gering zu halten und das war, keine Person zu nahe an mich heranzulassen und möglichst wenig für jemanden zu empfinden.
Leider klappte das weit weniger gut, als ich zu Beginn gedacht hatte. Bereits durch meine Kraft war ich gezwungen niemanden zu berühren und allein das hatte mich innerlich ein Stück zerstört.
Ich würde es nicht schaffen, ganz ohne irgendjemanden zu leben und doch wollte ich niemanden weiter  einer so großen Gefahr aussetzten.

Vielleicht war es ein Fluch als Königin geboren zu sein, selbst wenn man es geheim hielt.
Jen's Körper sackte langsam in sich zusammen und ich wusste, dass es bald soweit war. Trotzdem schüttelte ich wild den Kopf und krallte meine Hand fester in ihre.
'Bitte bleib bei mir, Jen.', murmelte ich dicht an ihr Ohr, versuchte sie wachzuhalten.
Jen sah mich mit leerem Blick an und zu meinem Entsetzten bemerkte ich wie die braunen Sprenkel in ihren Augen schon zum Teil verblasst waren.
Würde ihre Seele so ihren Körper verlassen?

'Ich würde ja gerne hierbleiben,', setzte sie an, wobei ihre Stimme unglaublich leise und schwach klang, 'aber man bekommt nicht immer alles, was man will.'
Bei diesen Worten füllten sich meine Augen mit Tränen und ich konnte nurnoch durch Schliere hindurch zu ihr hinuntersehen.
Vor ein paar Tagen noch, hätte ich niemals gedacht, so etwas aus ihrem Mund zu hören.
Jen hatte das Leben und das Schicksal immer als Geschenk betrachtet und in Allem und Jedem das Gute gesehen. Der Spaß am Leben war nie aus ihren Augen gewichen.
Nun war er weg.
Im nächsten Moment schloss Jen die zitternden Augenlieder mit den von Tränen verklebten Wimpern.
Sie atmete ein letztes Mal aus.
Ihr Herz hörte auf zu schlagen.

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