Kapitel 22
Es war ein kalter Wintertag und die blassgelben Sonnenstrahlen schaffte es nur vereinzelt sich einen Weg durch die dicke, dunkle Wolkendecke zu bahnen.
Mein Atem verursachte eine kleine weiße Dampfwolke in der Luft und ich schob meine Hände in meine Jackentaschen, um der klirrenden Kälte so weit wie möglich zu entfliehen.
Die kahlen, großen Bäume ragten vor mir auf und begleiteten mich wie jeden Tag zu beiden Seiten des Weges. Es war ziemlich still für einen Nachmittag auf unserem Campusgelände, denn die meisten Schüler, mal abgesehen von mir, verbrachten so wenig Zeit wie möglich in dieser Kälte, die meiner Meinung nach eigentlich langsam verschwinden und den Frühling einleiten müsste, und flüchteten in die Wohnheime, das Cafe oder eines der anderen Gebäude.
Darüber hinaus dämpfte die niedriege Schneedecke auf dem Boden die übriggebliebenen Geräusche.
Mein Blick glitt über die Häuser unterschiedlichster Größen, in denen unterschiedlichste Gewählte hausten. Nach ein paar Schritten blieb ich kurz stehen, damit ich mir mit den Händen über die Schläfen reiben konnte, denn meine Kopfschmerzen wollten einfach nicht weniger werden.
Leider half diese Bewegung auch nichts, lenkte meine Aufmerksamkeit nur mehr auf den Schmerz.
Genervt starrte ich in den blaugrauen Himmel.
Gestern war ich nicht mehr zum Unterricht gegangen. Mr. Owen musste mich sehr vermisst haben. Auch meiner Tante hatte ich für den Kraftunterricht mit der Ausrede, das es mir nicht so gut ging, abgesagt. Naja, eine Ausrede war es eigentlich nicht, denn besonders blendend ging es mir wirklich nicht, doch schon bald waren zumindest mein Schwächeanfalle überwunden und den Schmerz hatte ich mir bloß selbst zugefügt.
Auf Schule hatte ich dann keine Lust mehr gehabt, war den ganzen restlichen Tag in meinem Zimmer geblieben.
Zuerst wollte ich mich einfach auf meinem Bett entspannen, nichts tun und vielleicht ein bisschen schlafen. Nachdem meine Gedanken aber ganz in die falsche Richtung abgedriftet waren, hatte ich mir vorgenommen einfach etwas Nützliches zu tun, das mich ablenkte.
Also hatte ich mich vor einen großen Berg an Lernstoff gesetzt und schon mal für die kommende Klausurenphase gelernt.
Am Ende war ich sehr erschöpft, aber stolz auf meine Selbstdiziplin und meine Leistung, in mein Bett gefallen. Diese Stimmung hielt an, bis der nächste Albtraum nach mir schnappte und heute war der Schultag um so härter geworden. Die Lehrer hatten sich scheinbar alle abgesprochen, mich mit nervenaufreibendem Frontalunterricht und unverständlichen, langweiligen Themen zu quälen.
Irgendwie wurde mir das alles einfach zu viel.
Das wiederum hang wahrscheinlich mit den Tatsachen zusammen, dass ich seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen hatte und dass ich bei dem hilflosen Versuch, meine Kraft in ein Gefängnis zu sperren, zusätzlich ziemlich viel Energie sinnlos verloren hatte.
Wahrscheinlich hätte ich es ohne Elysias Worte sogar noch weiter versucht. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie das weitergegangen wäre, wenn ich nach so kurzer Zeit schon so geschwächt war.
Ein weiteres Mal von meinem misslungenen Versuch enttäuscht, setzte ich meinen kleinen Spaziergang über den Campus fort. Natürlich hätte ich meine Kraft einfach mit der Traumfängerbrosche aufladen können, jedoch sorgte ich mich langsam darum, ob ich nicht von der Brosche abhängig wurde.
Sie zog mich stark an und ich konnte doch nicht jedes mal meine Kraft an ihr aufladen, wenn mir danach beliebte.
Außerdem war meine Kraft ja dieses Mal auch nicht selbst geschwächt, nur ich, nur meine Energiereserve, war reichlich erschöpft.
Diesmal müsste mein Körper sich einfach selbständig von meinem kraftverzerenden Fehler erholen.
Ich atmete tief die kühle Luft ein. Immerhin war der lange, anstrengende Schultag jetzt vorbei. Nurnoch den Kraftunterricht mit meiner Tante musste ich hinter mich bringen.
Vielleicht würde das ja sogar ganz lustig werden. Immerhin war es praktischer Unterricht, denn den mochte ich lieber, und meine Kraft sehnte sich auch danach, endlich noch einmal auszubrechen.
***
Mit einem guten Vorsatz und etwas beruhigter trat ich wieder in das Schulgebäude.
Es waren nicht mehr viele Schüler anwesend, da der Schultag für die meisten beendet war und es üblich war danach sofort ins Cafe, den Aufenthaltsraum oder das eigene Wohnheim zu gehen.
Niemand wollte länger als nötig in diesem Gebäude sein, obwohl ich persönlich es ziemlich schön fand.
Die alten, dunklen Holzmöbel bildeten einen starken Kontrast zu dem frühlingshaften Lindgrün der Wände und den modernen Details, die aus dezenten Dekorationen und gemütlich aussehenden, grün gestreiften Sitzkissen auf braunen Sitzmöbeln bestanden.
Die groben Stufen der Steintreppen stellten ein beständiges Fundament da, zumal sie vor allem im Atrium nicht zu übersehen waren und, weil man sie so oft hinaufsteigen musste, wenn man zum Unterricht wollte. Darüber hinaus bewunderte ich den großen, gold glitzernden Kronleuchter an der Decke schon lange. Er war gigantisch groß und verteilte einen nahezu magischen Schein im ganzen Gebäude.
Wenn man dann noch die ganzen Bilder mit den früheren und heutigen Schulleiter besah, die die ganze linke Wand entlang aufgehangen waren, denn die Schule hatte eine lange Geschichte, war das Gebäude doch alles andere als ungemütlich.
Die meisten Schüler in der normalen Welt konnten von so einem Schulgebäude nur träumen und es war nicht zu übersehen, dass die meisten Schüler hier aus gutem Elternhaus stammten, wobei ich das eigentlich ja auch tat. Wenn man von meiner Familie absah, von der ich ursprünglich gedacht hatte, zu ihr zu gehören, musste ich sogar sehr viel Geld geerbt haben. Wo dieses ganze Geld geblieben war, war die andere Frage, die ich jedoch nicht laut stellen konnte, zumal niemand wusste, dass von ihm abstammte und das sein Erbe mir zustand. Und so wichtig waren mir der Reichtum, der Ruhm und das Geld dann auch nicht.
Ich war bereits an den letzten Stufen der Treppe angekommen, als ich Jana Smuttery lachend aus dem Zimmer meiner Tante treten sah.
Ich war mir zwar bewusst, dass die beiden gute Freundinnen waren, aber sonst wirkte Mrs. Smuttery immer ziemlich ernst und unnahbar.
Nur zu gerne hätte ich gewusst, warum sie nun lachte.
Das würde sich mir jedoch nie erklären, denn sobald die blonde Frau sich meines Blickes bewusst wurde, legte sie abrupt ihre grimmigste Miene auf und funkelte mich fast schon wütend an, wobei ich immer noch nicht verstand, was der Grund für ihre Abneigung gegen mich war.
Eilig und, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, verschwand sie an mir vorbei die Treppe hinunter.
Nebenbei könnte mir ja dann auch noch erklärt werden, ob ich irgendeine böse Aura hatte oder wieso neben Mr. Smuttery auch Mr. Owen und Sally die gleiche Abneigung gegen mich hatten. Irgendwie schienen nur die wenigsten Menschen sich auf Anhieb gut mit mir zu verstehen. Jen war da eine Ausnahme.
Ich atmete tief ein und aus und verwarf dieses Thema, denn ich sollte mich eher darauf konzentrieren, zu lernen, wie ich besser mit meiner Kraft umgehen konnte.
Entschlossen klopfte ich an die Tür und öffnete sie achtsam.
Meine Tante stand ausnahmsweise mal vor ihrem Tisch und nutzte ihn nicht für irgendwelche Notizen oder als Ablage. Stattdessen war die Fläche ordentlich und ich vermisste fast schon die Bücherstapel, die sich sonst immer aufeinander türmten.
Mrs. Infusion schien ihn Gedanken irgendwo anders gewesen zu sein, denn sie zuckte zusammen, sobald sie mich bemerkte.
'Hallo, Nia. Geht es dir etwas besser?', fragte sie mich fürsorglich.
'Jaja alles wieder okay. Danke.
Und wie geht's dir?', antwortete ich rasch, um die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.
Mrs. Infusion lächelte zufrieden.
'Mir geht es auch ganz gut. Im Moment scheinen auch die Ausgeschlossenen nicht ganz so wild auf einen Kampf. Also sollten wir den Moment nutzten, findest du nicht?' Ihren Worten konnte ich nicht so ganz zustimmen, zumal Gabe Hanwen mir erst in meinem vorletzten Traum mit seinem nächsten Zug gedroht hatte und ich mich nun wirklich nicht in Sicherheit wiegen konnte, doch irgendwie hatte sie schon Recht.
'Ja, solange sie noch nicht bereit sind.', stimmte ich also zu.
Das In naher Zukunft nichts passieren würde, konnte ich nur hoffen.
Mal ganz abgesehen davon war ich nicht bereit. Ich war für gar nichts bereit. Egal was da kommen mochte. Wenn es mit Gabe Hanwen zu tun hatte, konnte es nicht gut sein.
'Ich habe ein paar spannende Übungen für dich.', fuhr Mrs. Infusion fort und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien sie sich noch mehr als ich über den Unterricht zu freuen. Immerhin Einer der heute gute Laune hatte.
'Zuerst möchte ich gerne etwas versuchen. Im Klassenraum unter uns befindet sich eine Birkenholzkiste. Sie steht auf dem Lehrerpult.
Ich würde dich also bitten nach unten zu laufen und die Kiste zu öffnen.
Mir ist egal wie du das anstellst, aber auf jeden Fall ohne diesen Schlüssel.', sie räusperte sich kurz und hielt einen winzigen Schlüssel in die Höhe, denn sie dann sofort wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ, 'Danach sagst du mir per Gedankenübertragung, was die Kiste enthält, und kommst wieder zu mir hoch für die nächste Übung.'
Ich fuhr mit der Zunge über meine Lippen und dachte kurz nach, um alle Handlungen abzuspeichern.
Nichts sollte wirklich kompliziert für mich sein, wobei diese Aufgabe mich irgendwie an die Übung eines geplanten Raubes erinnerte.
'Okay.', gab ich also ein Startzeichen, drehte mich um und ging hinaus.
Mit schnellem Schritt hechtete ich die Treppe hinunter und dabei fiel mir noch etwas ein.
Schnell scannte ich während des Gehens meine Umgebung.
Die wenigen Schüler ignorierte ich dabei und konzentrierte mich nur auf das Schulgebäude.
Nachdem ich dieses Gebiet eingegrenzt hatte, konnte ich mich näher auf die einzelnen Räume in der Schule konzentrieren.
Der besagte Raum sollte sich genau unter dem Zimmer meiner Tante befinden.
Neugierig drehte ich an der Treppe um und steuert die Tür zum Klassenzimmer an.
In Gedanken fand ich die Holzkiste auf dem Lehrerpult Nähe des Eingangs des Raumes, wo meine Tante sie platziert hatte.
Was in ihr drin war, war mit meiner Kraft schwer zu erkennen, da ich die Umgebung hauptsächlich auf Kräfte, Artefakte oder besondere Gegenstände untersuchen konnte. Trotzdem konnte ich mit viel Konzentration erahnen, dass sich ein Stift in der Kiste befand, denn der Gegenstand war klein, dünn und lief vorne etwas spitzer zu.
Lächelnd öffnete ich die Tür und kümmerte mich um meine richtige Aufgabe. Da musste meine Tante mir schon etwas Schwereres aufgeben, wenn sie wollte, dass ich mich anstrengte.
Ohne zu zögern, ging ich zum Pult und griff mit der Vorstellung einer dünnen, gummiartigen Schicht durch den Kasten. Da ich das schon einmal gemacht hatte, als ich mir die Einträge aus Hannibal Traumfängers Notizen ansehen wollte, fiel es mir nicht schwer.
Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, gab es durchaus Gründe, weshalb es besser war, dass ich meine Kraft nicht für immer einsperrte. In meiner Hand war nun ein Kulli zu sehen, der in einem braun rotem Ton glänzte und einen goldenen Kopf besaß.
Ich hatte meine Tante schon oft mit ihm schreiben sehen.
Es war anscheinend ihr Lieblingskulli.
Sobald ich meine Hand löste, verschwand das Bild und der Kasten stand immer noch verschlossen vor mir. 'Es ist der rot braune Kulli, den du immer zum Schreiben benutzt.', stellte ich per Gedankenübertragung fest und ließ diese Beobachtung meiner Tante zukommen.
Ich musste den Gedanken zwar länger verfolgen und es dauerte ein wenig bis er bei meiner Tante ankam, da sie soweit entfernt war, aber dort konnte ich ihre Barriere leicht zerstören, da sie bereits voller Vorfreude auf meine Antwort wartete.
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