Kapitel 2

Laut lachend kamen wir ins Café und die Blicke der Anwesenden richteten sich sofort auf uns.
Eiskalte Augen schienen durch mich hindurchzustarren wie durch eine frisch geputzte Glasscheibe, in die nach und nach winzige Kerben gehauen wurden. Es war ein unglaublich unangenehmes und schutzloses Gefühl, was mich hörbar schlucken ließ.
Natürlich musste er sich gerade heute heimlich aus dem Internat schleichen und natürlich musste er sich gerade jetzt in dieses Café setzten.
Das Glück schien es ganz und gar nicht gut mit mir zu meinen.
Immerhin saß er anstatt mit einet bildhübschen, aufgetakelten Begleiterin mit seinen Freunden an einem Tisch, die dennoch alle nicht in die friedvolle Atmosphäre dieses gemütlichen, kleinen Lokals passten und die in ihren schwarzen Klamotten einen Kontrast zur lindgrünen Wand bildeten.

Ohne noch einen Blick auf die Jungs zu werfen, was mich zugegebenermaßen all meine Anstrengung kostete, setzte ich mich an einen kleinen Tisch am anderen Ende des Restaurants, achtete jedoch darauf mit dem Rücken zu Luis zu sitzen, um nicht mehr in seine Augen blicken zu müssen.
Marc folgte mir schnell, wobei ihm die teils feindseligen, teils neutralen Blicke der muskulösen Typen nicht entgangen waren.
'Kennst du die?', fragte er leise, warauf ich bedrückt nickte.
'Mehr oder weniger.'
'Aha.'
Marc wandte seinen störrischen, fragenden Blick nicht mehr von mir ab, sodass ich ihm nach einer Weile des Schweigens wohl oder übel antworten musste.
'Der mit den blauen Augen ganz vorne am Tisch ist mein... naja mein Ex.', sagte ich leise und ließ dann die angesammelte Luft aus mir heraus. Natürlich kniff Marc sofort suchend  die Augen zusammen und blickte ihn Luis Richtung.
'Schau nicht so auffällig.', flüsterte ich warnend, wobei ich mir sicher war, dass Luis seine Blicke bemerkt hatte.

'Ich hätte nicht gedacht, dass du auf diese Sorte von Typen stehst.', stellte er mit hochgezogenen Augenbrauen fest und klopfte unruhig mit den Fingern auf den dunklen Holztisch.
Ich schwieg, wusste nicht, was ich antworten sollte und Marc entschied sich schließlich für eine Ausweichmöglichkeit. 'Sollen wir lieber gehen?'
Schnell schüttelte ich den Kopf.
'Nein, mir kann es egal sein, ob die Typen da hinten sitzen oder nicht.' Marc unterdrückte nur schwer ein Lachen, was mich dezent verwirrte.
Dabei hatte er mich eigentlich nur durchschaut.
'Du willst nicht, dass sie denken, dass du wegen deinem Ex hier raus gehst, selbst wenn genau das der Fall wäre.', stellte er fest.
'Danke für diese Analyse.', sagte ich ironischerweise und verpasste ihm einen Klaps auf den Arm.

Marc grinste über beide Ohren wie ein fröhliches Honigkuchenpferd und erklärte der Kellnerin, die uns freundlich nach der Bestellung fragte, das wir zwei Kaffee haben wollten. Ich freute mich sehr auf das wärmende Getränk und zog schon mal meine warme Winterjacke aus, weil es hier gut geheizt war.
Dabei richtete ich meinen Blick starr von Luis weg.

'Und wie war diese schreckliche Party an Silvester, auf die du eigentlich gar nicht gehen wolltest?', fragte Marc, um die Stimmung zu lockern und ich nahm das Angebot, ihm mit einem Lächeln dankend, an.
'Die Halle war riesig und überall war glitzernde, goldene Deko aufgehängt. Das Buffett war auch nicht ohne und die Bowle war wirklich köstlich.', sprach ich die ersten Dinge auf, die mir in den Kopf schossen und zwinkerte Marc zu, sodass er lachte und pausierte dann, damit die Bedienung unsere Kaffees auf den Tisch stellen konnte.
'Die Musik war auch ganz gut, wobei das Tanzen für mich ja eher ausfiel.' Marc sah mich mitleidig, wenn auch nicht ohne sein liebevoll spöttisches Grinsen an.
'Kommt mir das nur so vor, oder hast du die ganze Zeit einsam in einer Ecke gestanden und Bowle getrunken?'
Ich schüttelte sofort den Kopf, aber unter Marcs strengem Blick gab ich schließlich zu, das es ein weniger glücklicher Nachmittag für mich gewesen war.
'Na gut, eine nette Begleitung hätte vielleicht noch gefehlt.'
'Du hättest mich doch fragen können.', erwiederte Marc wie selbstverständlich und ich trank einen Schluck des warmen Getränks, um über meine Antwort nachzudenken.
'Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee gewesen wäre. Die meisten Schüler am Internat sind ein bisschen eigen und außerdem war die Party nur für Gewä... nun ja Schüler des Internates halt.'
Ich räusperte mich unsicher, denn ihm von den Gewählten erzählen zu müssen, war nicht unbedingt mein Plan gewesen. Marc schien nichts zu bemerken.
'Vielleicht kann ich ja nächstes mal mitkommen.', schlug er voller Vorfreude vor. Ich zuckte nur mit den schultern, zumal ich mich nicht unbedingt festlegen wollte.

Dann hörte ich, wie die Jungsgruppe hinter mir laut aufstand  und sich ihre Jacken anzog.
'Und dein Schulanfang. Ist irgendwas spannendes passiert?', fragte ich rasch, um nicht in die Versuchung zu kommen, Luis ansehen zu müssen, während er hinaus ging.
Marc blickte aus dem Augenwinkel kurz auf die großen Typen, die sich uns beim Hinausgehen näherten und sprach dann möglichst unbekümmert weiter.
'Ich hätte mich ziemlich gefreut, wenn wir auch eine Party zum Schulanfang gemacht hätten.
Als meine Partnerin hättest du natürlich herhalten müssen. '
Ich lächelte ihm angestrengt zu, wollte eigentlich nicht mehr über die Party reden, während sich die Tür des Cafés leise quitschend öffnete.
Ein unzerstörbar kalter Blick aus wunderschönen blauen Augen glitt flüchtig über mich, ließ mir einen Schauder über den Rücken fallen, doch ich sah erst direkt zur Tür hin, als nur noch sein Rücken zu sehen war.

Sobald jemand nicht gerade sanft die Tür zuschlug, wurde Druck von meinen Schultern genommen, obgleich irgendwas in meinem Inneren wollte das er wieder zurückkam.
'... das ist eben so, aber wie kommst du mit deinen Kräften zurecht?', fragte mich Marc, hatte mir zuvor etwas erzählt, das ich, so abgelenkt wie ich war, nicht mitbekommen hatte.
'Ich bin noch immer ziemlich schlecht. Wenn ich nur wüsste, wie ich sie besser steuern kann.', sagte ich leise und auf jedes Wort bedacht.
Marc sah mich bedauernd an und kratzte sich nachdenklich am Kinn.
'Gibt es denn wirklich niemanden der dir helfen kann?'
'Keine Ahnung. Ich wäre echt besser dran, wenn ich etwas ganz normales könnte. Aber nein, ich muss ja unbedingt Illusionen erschaffen können. '; murmelte ich seufzend, doch Marc lachte leise.
'Also ich finde das echt cool. Du bist halt was Besonderes.'
Bei seinen Worten verzog ich verletzt das Gesicht, weil ich an Elysias Worte zurückdachte.
Sie hatte mir genau das Gleiche gesagt, als ich traurig war, aber hatte überhaupt mal jemand darüber nachgedacht, ob ich überhaupt was Besonderes sein wollte, ein ganz normaler Mensch mit alltäglichen Problemen hätte mir voll und ganz gereicht.

***

Es war schon dunkel draußen, ich hockte eingewickelt in meine flauschige, braune Decke auf meinem Bett und knabberte an einer Brezel, denn Marc und ich hatten uns am Ende unseres Ausfluges noch etwas beim Bäcker zu Essen geholt, weil wir zu spät für das Essen in der Mensa beim Internat ankamen.
Irgendwie machte es mich traurig wieder alleine zu sein, aber morgen war schließlich Schule und ich war schon viel zu müde gewesen, um noch mit Marc zu Abend zu essen, also hatten wir uns getrennt.
Sauer und achtlos warf ich die lehre Tüte von meinem Bett und kaute angestrengt zuende.
Ich wusste wirklich nicht, wieso ich sauer und warum ich mich manchmal verhielt wie ein pubertierendes Mädchen mit himmelhohen und endlos tiefen Stimmungsschwankungen, das auf einer Achterbahn voller Kurven und Lopings saß, aber wahrscheinlich lag das vor allem an Luis.
Eigentlich war er für keines meiner Gefühle direkt verantwortlich, aber die Sehnsucht nach ihm schien mich zu zerreißen.
Nie hätte ich gedacht, dass unsere Verbindung so stark wäre und das ich so schlecht von ihm loskäme.
Stattdessen hatte ich mich mit der Illusion umgeben, dass ich glücklich wäre, wenn er es war und das seine Freude das wichtigste war.
Doch ich war niemand dieser aufopferungsvollen, knallharten Protagonisten in Liebesfilmen, wobei denen auch meistens ein Happy End bevorstand.

Ohne das Licht anzuschalten, stand ich auf, trat zum Fenster und öffnete den Riegel mit einem kräftigen Ruck, damit frische, kalte Luft in mein Zimmer fließen konnte.
Dann atmete ich tief ein und aus, um meine tristen Gedanken verschwinden zu lassen.
Der Campus der Schule lag verlassen unter mir und durch den Schnee, der überall herumlag, wirkte das Gelände viel friedlicher als sonst.
Von Sicherheit war dennoch nicht zu sprechen, denn die Ausgeschlossenen konnten jeden Moment angreifen. Gefasst auf alles, suchte ich in der nahen Umgebung nach Feinden. Niemand war da, wie jeden Tag.
Diese lange Pause der scheinbaren Leblosigkeit, in der die Ausgeschlossenen sich kein einzieges Mal blicken ließen, bereitete mir größere Sorgen, als ich nach außen hin zeigte.
Die meisten meiner bunten Gefühle versteckten sich aber sowieso hinter der undurchdringlichen Fassade, die wie unangenehm klebriger Kleister auf meiner Haut klebte, den ich leider zum Überleben brauchte.
Sie war durchsichtig und trotzdem an mir festgewachsen, denn jeder sollte denken, dass mit mir alles okay sei, während mein echtes Ich Tag für Tag mit seinen Gefühlen und Problemen kämpfte, ohne dabei gestört zu werden.
In der Hoffnung den ungewollten Schlaf, der hauptsächlich aus grauenvollen Albträumen bestand, noch ein wenig hinauszuzögern, blieb ich schweigend am Fenster stehen.
Der fröhlich mit den Ästen der Bäumen spielende Wind wehte mir die braunen Haare ins Gesicht und ich erschauderte aufgrund seiner Kälte, was mir aber nichts ausmachte.
Ob ich hier herumstand oder mich im Traum gegen Gabe Hanwen schlug machte auch keinen Unterschied, denn richtigen, ruhigen Schlaf würde ich sowieso nicht bekommen.

Nach einer Weile erklang ein metallisches Geräusch in meiner Nähe. Sofort war ich hellwach und für einen Kampf bereit.
Meine Hand war bereits zu dem im Mondlicht glänzenden Dolch gehuscht, der für alles bereit auf meinem Nachtisch lag, als ich bemerkte das sich keine Feinde näherten.
Ganz im Gegenteil, Luis und seine Freunde kamen von ihrer Nachtwanderung zurück, schunkelten,wahrscheinlich mit ein paar Promille zu viel, und machten sich keine Mühe, leise zu sein und unbemerkt zu bleiben.
Es war nicht zu übersehen, dass sie alle zu viel getrunken hatten, denn zwei von ihnen trugen sogar noch Bierflaschen und prosteten sich gerade lachend zu.
Ich schüttelte den Kopf und entschloss mich ihnen nicht weiter zuzusehen.
Ohne nachzudenken knallte ich das Fenster mit einem etwas zu heftigem Stoß auf den ein lauter Knall folgte zu und bevor ich meine violetten Vorhänge zuzog, konnte ich gerade noch erkennen, wie sich mir mehrere verwirrte Gesichter zuwendeten.

Ich seufzte laut in die Stille meines Zimmers, nur damit es ein Geräusch gab. Schon wieder war er mitten in meine Gedanken getauscht und der Kreislauf des Nachsinnens unseres scheinbar unlösbaren Problems drohte von neuem zu beginnen.
Vorsichtig zog ich die kleine Lederkette unter meinem dicken, schwarzen Pulli hervor.
Der kleine Stern lag kühl in meiner Hand.
Mir war äußerst bewusst, dass ich das Schmuckstück eigentlich hätte ausziehen müssen, nachdem wir uns getrennt hatten, aber ich konnte es einfach nicht.
Diese Kette war ein kleines Licht der Hoffnung und erinnerte mich immer daran, was ich und Luis alles erlebt hatten. Dieser kleine Stern würde so lange an meinem Hals hängen,wie ich etwas für Luis empfand.
Unentschlossen schob ich die Kette wieder unter meinen Pulli, versteckte sie dort vor der Welt. Es musste ja niemand mitbekommen, dass ich sie anbehielt.

Natürlich war kein Schmuckstück ewig, natürlich konnte die Kette irgendwann kaputt gehen, doch solange sie da war, half sie mir am die Schönen Dinge zu denken und half mir, nichts Wichtiges zu vergessen.
Zumindest meine Erinnerungen konnte mir niemand nehmen, denn sie waren ein Teil von mir.
Alle Erinnerungen.
Selbst wenn ich mir wünschte, dass Manche es nicht wären.

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