Kapitel 19

Es war schon ziemlich dunkel draußen, die sternenlose, schwarze Nacht erstreckte sich über mir und der Himmel sah aus wie eine große schwarze Platte an der vereinzelt Wattebäusche befestigt waren, welche vom Mond in ein unheimliches Licht getaucht wurden. Ab und zu verdeckten sie ihn, sodass der Himmel vollständig schwarz aussah und das stimmte mich immer ein wenig traurig, denn der Mond war etwas so beruhigendes, beständiges, das mir Sicherheit gab, wenn ich Nachts unterwegs war.

Manchmal gefiel es mir sogar, wenn ich so alleine über den Campus gehen konnte. Ich fühlte mich freier, ungezwungener und musste mich nicht so sehr verstellen wie im alltäglichen Gedränge.
Ich konnte mir dann vorstellen, dass meine Probleme ganz weit weg waren, ganz weit weg hinter dem Mond, und das ich die Zukunft nicht zu fürchten hatte.
Außerdem hörte ich bei Vollmond manchmal das Heulen des Fenriswolfes. In diesen Momenten dachte ich immer an ihn und irgendwie konnte ich spüren, dass er das auch tat.

Heute war es still.
Ich atmete tief ein und aus, um ein Geräusch zu erzeugen. Manchmal liebte ich die Stille für ihren stummen Beistand, manchmal war sie mir zu irreal, zu unmenschlich, zu unheimlich, so auch heute.
Gerade war ich an meinem Wohnheim angekommen, als sich ein großer Schatten vor mir aufbaute.
Ich duckte mich aus Reflex und war sofort in Angriffshaltung.
Die Ausgeschlossenen waren zu gefährlich, als dass ich nicht hatte aufmerksam sein können. Dabei hatte ich in meiner Unaufmerksamkeit keinen von ihnen in meiner Nähe gespürt.

Innerlich verfluchte ich die Tatsache, keine Waffe mitgenommen zu haben. Bei diesem kurzen nächtlichen Ausflug auf dem Campus, hatte ich mir tatsächlich gedacht, wäre ein Dolch oder gar ein Schwert unnötiger Ballast.
Doch vielleicht war mein Gegner gar nicht so gefährlich, wie es die gut zwei Meter große Gestalt zu sein schien, denn er hatte sich seit seinem überraschenden Auftreten, welches sicher schon ein paar Sekunden zurücklag, nicht bewegt.
Mit zusammengekniffenen Augen begutachtete ich ihn näher.
Er besaß ein kantiges Gesicht, eine breite Nase und grün-braune Augen.

Ich hatte ihn schon einmal gesehen.
Es handelte sich um einen von Luis Freunden und wenn ich mich recht erinnerte, hieß er Rick.
'Na, du hübsche?', fragte seine tiefe Stimme mich, die scheinbar aus dem Nichts kam.
Er trat einen Schritt näher an mich heran, wurde begleitet vom starken Gestank nach Zigarettenqualm und Alkohol, irgendeine Mischung aus Rum und Whisky, die mich die Nase rümpfen ließ.
'Was machst du so spät noch hier?', kam eine erneute Frage.
Rick's Stimme schwankte gefährlich, aber er war hartnäckig und schien auf eine Antwort zu warten, die ich ihm nicht geben wollte.

Stattdessen drehte ich mich von ihm weg, um zu verschwinden, doch er hielt mich ab, indem er mich fest an der Hand packte. Sofort schoss eine beige, nach Holz riechende Lebensenergie durch meinen Körper und ließ mich verkrampfen.
'Wo willst du hin?', säuselte er und sein Gesicht kam ganz nah an das Meine. Nur noch im letzten Moment konnte ich den Kopf drehen, sodass sein feuchter Kuss statt meinem Mund meine Wange traf.
Angeekelt wischte ich mir mit meiner freien, zitternden Hand den Sabber von der Wange.
Eigentlich wollte ich mich lösen, aber das gefährliche Grinsen auf seinem Gesicht versetzte meine Gedanken in eine Starre.
Das hier war kein Kampf, kein Aufe in Auge, kein Schwert auf Schwert. Er war unberechenbar, würde mich wohl verfolgen, falls ich versuchte zu fliehen, und ich hatte keine Ahnung, was ich in dieser Situation tun sollte.

Außerdem hatte ich momentan viel schlimmere Probleme, denn die Hand, die mich berührte, und seine kräftige Lebensenergie waren mir äußerst bewusst und dwmnach musste ich mich genau darauf konzentrieren kein bisschen von meiner Kraft freizulassen.
Diese hatte genau das, was sie wollte; die Nähe eines Fremden, den sie aussaugen konnte, aber hier auf dem Campus konnte ich das noch weniger zulassen als außerhalb.
Egal was er tat, ich würde nicht zum Monster werden.
Ich würde ihn nicht umbringen.
Nicht noch einen Mord.
Ich musste einen anderen Weg finden, aus dieser misslichen Lage zu entkommen.

Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, schnappten seine großen Hände nach meinem Körper. Ich versuchte mich zu entwinden und gleichzeitig die elektrisierende Wärme seiner Hände, welche von seiner Lebensenergie erzeugt wurde, zu ignorieren.
Mein Kopf schmerzte, aber noch viel heftiger schmerzten die stahlharten Arme, die sich um meine Taille geschraubt hatten.
Rick konnte seine immense Kraft in seinem betrunkenen Zustand nur schwer kontrollieren.
Wütend schlug ich mit Händen und Füßen auf ihn ein und war sicher, dass er einige blaue Flecken behalten würde, doch er zeigte keine einziege Regung.
'Lass mich los!', schrie ich laut in sein Ohr, denn langsam kam wirklich Panik in mir auf.
Wenn man einmal in den Händen eines Kämpfers gefangen war, konnte man sich nicht mehr befreien. Das war schier unmöglich.
Hätte ich doch meinen Dolch  mitgenommen.
Meine Kraft rumort von innen in meinem Körper, sie wollte ausbrechen, wollte helfen, wollte töten.
Ich schloss sie unnachgiebig weiter ein, was mir von innen den Körper zu verbrennen schien.

'Heute Nacht werden wir ganz viel Spaß haben.', sagte Rick, seine Wort verhallten als eine Drohung in der Nacht und er drückte mich noch fester an sich, sodass die Luft aus meinen Lungen gepresst wurde.
Als seine Hände über meinen Körper nach oben fuhren, stieß ich einen erstickten Schrei aus, doch Rick drückte seine Lippen starr auf meine um ihn zu dämpfen.

Dann wurde sein Körper ruckartig von meinem gerissen. Ich stolperte erschrocken zurück und saugte die kühle Nachtluft in meine leeren Lungen.
Mein Herz raste laut und ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen. Einen kurzen Moment bückte ich mich, um mich wieder zu beruhigen und wollte wirklich nicht wissen, was Rick mit mir gemacht hätte, wenn nicht...
Mein Blick schnellte nach vorne in die Dunkelheit.
Ein zweiter Schatten hatte sich auf Rick gestürzt und beide prügelten mit ihren Fäusten aufeinander ein.
Die unzähmbare Wut flog zwischen ihnen her, bis der Fremde Rick einen kräftigen Seitenhieb gegen die Schläfe verpasste, sodass dieser umkippte. Mit mehreren Tritten auf den auf dem Boden liegenden Jungen, verdeutlichte er seinen Sieg.

'Wehe du fasst sie noch einmal an, du verdammter Mistkerl.', hallte eine mir nur allzu bekannte Stimme durch die Nacht.
Das konnte nicht sein. Nicht er. Nicht jetzt. Und doch erfüllte mich ein warmes Gefühl und verdrängte die Angst aus meinem Körper. Er hatte mich ein weiteres Mal gerettet. Ich wusste wirklich nicht, wieso gerade er das immer tat und wieso er noch jetzt zur Stelle war, wenn ich ihn brauchte.
Eisblaue Augen bohrten sich in meine, sobald Luis sich umgedreht hatte.
'Geht es dir gut?'
Ich nickte unfähig zu sprechen, wobei ich nicht sicher war, ob man mein Nicken in der Dunkelheit der Nacht erkennen konnte.
'Danke.', fügte ich flüsternd hinzu, nachdem ich den Kloß in meinem Hals hinuntergeschluckt hatte.
Sein Blick, der nun zwischen einem frostigem, hellen Blau und einem warmen Sommerhimmelblau schwankte, war weiterhin auf mich gerichtet.

Wir waren nur zu zweit hier.
Seit einer gefühlten Ewigkeit standen wir uns wieder gegenüber und sahen uns an. Luis schien es ebenfalls zu merken, denn er trat einen Schritt näher an mich heran.
Auch er trug den starken Alkoholgeruch mit sich, obwohl er sehr aufmerksam und bedacht aussah.
Mein Körper spannte sich ungewollt an, denn ich konnte die Angst nicht so einfach loswerden, dafür war ich noch zu aufgebracht.
Luis bemerkte meine Anspannung sofort und brachte wieder den vorherigen Abstand zwischen uns. Seine Stimme war distanziert, als er begann zu sprechen. Vielleicht hatte ich mir die Wärme und die Sorge auch nur eingebildet, weil ich sie mir so sehr wünschte.
'Sieh es als eine Revanche.'

Dann wendete er sich ab und ließ mich hier alleine stehen.
Ich machte den Mund auf, um ihn zurückzurufen und noch etwas zu sagen, doch ich wusste nicht was.
Also schloss ich meinen Mund wieder, ließ die Worte unausgesprochen.
Revanche?!
Ich hatte ihn im Club vor seiner Begleitung gerettet und er rettete mich vor seinem Freund.
Er wollte nur, dass er nicht mehr in meiner Schuld stand. Die eine Hand wäscht die andere.
Sonst hätte er doch etwas gesagt. Er hätte etwas sagen müssen.
Traurig blickte ich noch einmal um mich herum. Das Leise Rasseln, dass Ricks Atem verursachte, erschallte von irgendwo aus dem hohen Gras zu meiner Rechten.
Ich würde ihm jetzt sicher nicht mehr helfen.

Stattdessen lief ich eilig zu meinem Wohnheim, konnte Luis nicht aus meinen Gedanken und den Schock nicht aus meinen Gliedern verdrängen.
Die gerade überstandene Gefahr lag noch in der Luft und schien mich zu verfolgen.
Demnach würde ich wohl nur schwer einschlafen können, was aber gar nicht so schlecht war.
Weniger Schlaf; weniger Albträume, denn die hatte ich in meinem echten Leben schon genug.

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