Kapitel 18

Hungrig stopfte ich mir ein Stück meines Pfannkuchens in den Mund. Durch das anstrengende Training gestern Abend, sowie heute in der früh, war ich ziemlich hungrig geworden.
Jen hatte ganz schön geguckt, als ich mir drei Pfannkuchen geschnappt hatte und sie dick mit Schokosoße begossen hatte. Normalerweise hatte sie immer viel mehr Hunger als ich. Nun saßen wir an unserem Stammtisch, der etwas abseits lag.
'Na immerhin kannst du es dir leisten, Süße.', stellte sie lächelnd fest und schmierte sich Aufstrich auf ihr Brötchen.
Ich grinste wegen meines leckeren Frühstücks. Sonntag war einfach der beste Tag der Woche.
'Hast du schon Pläne für heute?', fragte ich meine beste Freundin nun grinsend. Sie wurde leicht rot und nickte fröhlich.
Ich stöhnte übertrieben, um sie zu ärgern. 'Sag mal, verbringt ihr eigentlich jeden Tag zusammen?'
Sie trank aus ihrem grünen Tee, schien nachzudenken und erwiederte dann fröhlich: 'Nein, nicht jeden. In drei Wochen hätte ich vielleicht 10 Minuten Zeit um dich reinzuschieben. Also wenn du willst.'
Ich streckte ihr die Zunge raus, bevor ich mir eine weitere Gabel des warmen Pfannkuchens in den Mund steckte. Jen kicherte immer noch, legte sich ordentlich ihre Haare über die Schulter und musterte mich mit schief gelegtem Kopf.

'Du hast aber schon noch was anderes vor als trainieren?
Tu nicht so als machst du keine Überstunden in der Sporthalle.'
Ich gab mich sofort geschlagen, war aber empört über ihren verärgerten Unterton.
'Das sind doch sehr produktive Überstunden.'
Sie lächelte kurz, der besorgte Blick verließ aber nicht ihre Augen.
'So ganz alleine nachts in der Sporthalle? Irgendwie gruselig, wenn du mich fragst. '
Ich schüttelte schnell den Kopf, um sie zu beruhigen.
'Nein, gruselig ist es nicht.
Außerdem trainiere ich meistens Abends.' Nun gut, das war vielleicht gelogen, aber Nachts hatte ich sowieso nichts besseres zu tun.
Je weniger Stunden Schlaf, desto weniger Albträume und Zeit mit Gabe Hanwen.

'Na, wenn es dir Spaß macht.', murmelte Jen wenig überzeugt und biss herzhaft in ihr Brötchen.
'Du siehst aus wie in einer Werbung.', stellte ich grinsend fest, um vom kritischen Thema abzulenken.
'Mmh, schmeckt das gut. Und nur für 1 Euro. Liebe geht halt durch den Magen.', sagte Jen in verführerstimme.
'Du solltest vielleicht nochmal deinen Berufswunsch überdenken.', erklärte ich ihr zwischen zwei Gabeln voll mit meinem Essen und ihre gesprenkelten Augen glänzten wieder  gut gelaunt.
Sie machte immer das Beste aus den Situationen. Überdeckte das Negative mit den positiven Dingen im Leben. Vielleicht war es auch gerade das, was ich so sehr an ihr mochte.
Sie munterte mich auf, wann immer ich sie brauchte.
Hoffentlich konnte ich ihr das auch mal zurückgeben.

'Was machst du denn sonst so?', war Jens nächste Frage.
'Erst noch die restlichen Hausaufgaben und dann gehe ich wahrscheinlich in die Bibliothek, um Jack zu besuchen.'
Nichts besonders spannendes dem Anschein nach, aber ich erhoffte mir bei Jacks Besuch eine Reihe an neuen Erkenntnissen.
Meine beste Freundin krazte sich am Kopf. 'Ach jaa... Hausaufgaben sollte ich auch noch irgendwann erledigen. Egal, das kriege ich schon hin. Es gibt wichtigeres.' Sorgenlos schälte sie sich eine Banane.

Da fiel ihr etwas ein, denn sie hatte das verschwörerische Funkeln in den Augen, welches ich schon öfters bei ihr gesehen hatte.
'Wir machen heute Abend eine Pyjamaparty.'
'Morgen ist Schule und wir müssen früh aufstehen. Du weißt schon, Montag.', bezweifelte ich ihren Plan, doch Jen war schon nicht mehr davon abzubringen.
'Wir müssen ja keine Übernachtung machen. Du kommst einfach Abends zu mir rüber, oder ich zu dir, und dann schauen wir ein, zwei Filme und quatschen ein bisschen. Ich hab auch noch ne' große Tüte Chips und Limonade auf meinem Zimmer versteckt. Wir machen uns einen schönen Abend und du, oder ich, schleichen dann heimlich zum eigenen Wohnheim zurück, sodass es niemand merkt. Einfach zum Spaß. Was denkst du?'
Angesichts dieses ausgetüftelten Planes wirkte ein Treffen, wie wir es schon lange nicht mehr geschafft hatten, doch gar nicht so schlecht. 

'Du findest die Idee gut.', stellte Jen fest, die meine Gedanken gelesen und vielleicht ein wenig überinterpretiert  hatte. 'Ja, okay.', entschied ich auch laut und aß den letzten Rest meines Frühstücks auf.
'Das wird so cool. Ich freue mich schon voll. Endlich machen wir mal einen Mädelsabend.'
Ich lächelte sie an.
Wie konnte man sich da nicht mit ihr freuen?
Und was konnte da schon schief gehen?

***

Die kahlen Bäume ragten vor mir auf, distanziert, mahnend, bedrohlich. Einzelne Schneeflocken tanzten fröhlich um die dunklen Äste herum und fielen sanft zur Erde hinab.
Überall hingen glitzernde Eiszapfen, da sie sich bei dieser Kälte rasch vervielfachten und die Bänke waren mit Reif bedeckt.
Gedankenverloren kickte ich einen kleinen Stein vor meinen Füßen her und summte eine Melodie, die meine Mutter mir immer vor dem Schlafengehen vorgesummt hatte.
Ich wusste nicht, wieso ich jetzt daran dachte, aber es beruhigte mich auf eine melancholische Weise.

Ein eisiger Wind flog rauschend an mir vorbei und ließ mich erzittern.
Selbst gegen meine dicke Lederjacke und meinen kuscheligen, hellblauen Schal kam die Kälte an, ihr schien dieses Jahr nichts gewachsen zu sein. Um rasch wieder ins warme zu kommen, vergrößerte ich meine Schritte.
Eigentlich wäre ich jetzt lieber zum Café gegangen und hätte mir einen Karamell-Capuccino gegönnt, den ich in der letzten Woche zum ersten mal probiert hatte.
Jen und ich wollten mal was neues ausprobieren, zumal es dieses Getränk auch gerade erst auf der Karte gab. Nun waren wir süchtig. Zumindest hatte Jen es als Sucht abgestempelt, wobei sie den Capuccino auch wirklich jeden Tag trank.

Ich war schon fast an der Bibliothek angekommen und stieg von den Statuen bewacht die Treppenstufen hinauf, die zu der riesigen, schweren Eisentür der Bibliothek führte.
Schon bevor ich die oberste Stufe erreicht hatte, entdeckte ich die kleine Tafel, auf der stand:
'Heute ist die Bibliothek leider wegen meiner Abwesenheit geschlossen. Jack U.'
Enttäuschung durchflutete mich vom Kopf bis in die erfrorenen Zehen.
Gerade heute musste Jack sich einen freien Tag nehmen.
Das Glück schien nicht auf meiner Seite zu sein.
Gestern war ich von meinem Vorhaben so überzeugt gewesen und schienen alle Dominosteine überaschenderweise umzukippen, denn mit Jacks Abwesenheit hatte ich nicht gerechnet.

Genervt stieg ich die Steinstufen wieder herunter und überlegte, was ich mit diesem angefangenen Sonntag noch anfangen sollte. Bis heute Abend war noch viel Zeit und meine Hausaufgaben hatte ich eben alle fertig gemacht.
Training wäre eine Option, aber Jen hatte mir mit ihrer kleinen Predigt heute morgen ein bisschen ins Gewissen geredet.
Bei ihrem Treffen mit Justin wollte ich auch nicht stören.
Wenn ich ehrlich mit mir war, dann hätte ich am liebsten ein Date mit Luis gehabt ...oder wenigstens eine freundschaftliche Verabredung.
Doch ich konnte das nicht tun, denn ich hatte mich noch nicht unter Kontrolle und das Risiko wäre einfach zu groß. Außerdem wollte er mich ganz sicher nicht zurück.
Ich hatte dieses Szenario schon so oft vor meinem inneren Auge abspielen lassen und trotzdem kam ich immer zum gleichen Ausgangspunkt.
Es funktionierte nicht, egal wie sehr ich mir wünschte wieder mit ihm zusammenzusein.
Wir hatten nicht nur viele und große Geheimnisse und eine unbändige Kraft, die uns von Berührungen trennte, sondern auch noch den 'alten' Luis, zwischen uns.
Nicht mal das konnte ich ihm übel nehmen und deshalb sollte ich das Ganze gleich wieder vergessen.
Außer Jack konnte mir helfen.
Und selbst wenn das nicht der Fall war, konnte ich meine letzte Hoffnung einfach nicht aufgeben, weil ich Luis immer noch hinterhertrauerte und ihn nicht vergessen konnte und wollte.

Den Blick auf den matschigen Boden gerichtet, folgte ich dem Weg zurück zu meinem Wohnheim.
Mein kurzfristiger Plan hatte sich auf Musikhören und vielleicht ein bisschen Schlaf nachholen, den ich Nachts nicht finden konnte, beschränkt.
Gleichzeitig dachte ich weiter an den Jungen mit den eisblauen Augen, die mich so anzogen. Diese Seele, die mich mich so anzog, sofern ich Hannibal Traumfängers Notizen richtig verstand.
Ich dachte an die Worte zurück, die er mir bei unserer Trennung gesagt hatte: 'Lass dir ruhig Zeit. Ich warte auf dich.'
Seine warme, raue Stimme hauchte mir die Worte auch jetzt noch ins Ohr und ließ mich taumeln.
Er wartete noch immer auf mich, oder?
Seit dem war so viel passiert und er hatte sich so sehr verändert und doch konnte ich ihn einfach nicht loslassen, selbst wenn so vieles dafür sprach.
Er würde immer irgendwo in meinen Erinnerungen verankert sein und bevor ich nicht alles versucht hatte, würde ich sicher noch nicht aufgeben, um ihn zu kämpfen.
Auch wenn es lächerlich oder dumm oder sinnlos war.
Jack musste sich nurnoch bereit erklären mein Lehrer zu sein.
Ja, damit kam noch mehr zusätzlicher Unterricht auf mich zu, aber das würde es wert sein.

***

Jen lachte ausgelassen über einen Witz, den die Hauptfigur in der Komödie, die wir gerade sahen, gemacht hatte. Ich musste ebenfalls schmunzeln und kuschelte mich enger in die flauschigen, braunen Kissen auf ihrem Bett.
'Er sieht auch einfach so gut aus.', schmachtete sie den Hauptdarsteller an. Ich legte den Kopf schief und beobachtete den Sunnyboy mit dem muskulösen Körper, dem blondem Haar und den stahlblauen Augen.
Er sah wirklich ganz gut aus, war aber nicht unbedingt mein Typ, weder vom Ausehen noch vom Charakter.
'Darfst du das in deiner Rolle als vergebene Freundin überhaupt sagen?'
Sie vollführte eine wegwerfende Handbewegung und beugte sich dann nach vorne um sich eine handvoll Chips aus der raschelnden Tüte zu schnappen.
'Er ist ein Schauspieler, da darf man das. Die Liegen doch sowieso weit über unserem Niveau und im Fernsehen sieht jeder besser aus als in echt.' Jen war ihrem Tonfall nach  vollkommen überzeugt und in diesem Fall konnte man ihr auch nichts ausreden.
'Na, wenn du meinst.' , gab ich nach und beugte mich ebenfalls zu der Chipstüte hinüber.

'Es klingt aber wie eine Ausrede.', ergänzte ich nach einer kurzen Pause doch noch kritisch meine Meinung.  Jen boxte mir gegen die Schulter.
'Ich würde mir nie eine Ausrede ausdenken. Meine Worte bestehen immer nur aus reinster, unschuldigster Wahrheit, Süße.'
Ich hob beide Augenbrauen und verzog den Mund zu einem Grinsen.
'Jaja, iiimmer.'
Jen zuckte nur mit den Schultern.
'Ich werde Justin schon nicht fremdgehen. Also mache dir da mal keine Sorgen.'
'Mache ich auch nicht.' , versicherte ich, während Jen ihre dunkelgrüne Decke bis an ihr Kinn zog und herzhaft gähnte.
Ich wusste, dass sie nie fremdgehen würde. Dafür hatte sie ein viel zu großes Herz und war ein viel zu guter Mensch.
Justin und sie würden sicher eine lange Zeit glücklich zusammenbleiben.
Bei manchen Beziehungen war es eben doch ganz einfach.
Keine Steine oder Hürden auf dem Weg, keine Probleme oder Zweifel im Herzen, keine schwarze Zukunft oder  Vergangenheit, die einen einholte, nur rotes Glück.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top