Kapitel 14

Marc und Ich tanzten gerade Hand in Hand einen unbenennbaren Tanz. Wir lachten ausgelassen, hatten einfach Spaß und es schien, als könnte niemand diese leichtfüßigen Tanzschritte, dieses Blitzen in unseren Augen und diese fröhliche Atmosphäre unterbrechen, aber da irrte ich mich wieder einmal.

Die Eingangstür wurde kraftvoll aufgeworfen. Noch bevor er den großen Raum betreten hatte, bemerkte ich ihn, denn ich würde seine Anwesenheit unter Tausenden entdecken, ob ich das wollte oder nicht. Überraschenderweise durchfuhr mich als nächstes Wut. Sie kam tief aus meinem Inneren, erschreckte mich fast.
Wieso musste er immer auftauchen, wenn gerade alle so schön war?
Nur diese Frage schwebte in meinem Kopf, verdrängte das schöne Gefühl und alle anderen Gedanken.
Marc schien meine plötzliche  Angespanntheit zu spüren, denn er berührte mich sanft an meinen Schultern, um mich zu lockern und an meine Aufmerksamkeit zu gelangen. Ich hörte auf mich zu bewegen und drehte meinen Kopf mechanisch zur Seite, konnte nicht anders. 'Hey, was ist los?'
Ich wollte nur mit den Schultern zucken, aber Luis eiskalter Blick ließ mich völlig erstarren.
Nun drehte sich auch Marc um. Ich hatte ihn mit meiner Anspannung angesteckt. Die Beiden starrten sich ein einzige Sekunde lang an.

Danach rauschten Luis Begleitungen herein, darunter einen Freund, den ich schon einmal bei ihm gesehen hatte und zwei junge Frauen.
Eine atemlose Stille erfüllte den Raum, obgleich sich um mich herum noch alle wild hin und her bewegten und obgleich die Musik keinesfalls leiser wurde.
Ich schluckte den riesigen Kloß in meinem Hals hinunter und war mir zu hundert Prozent sicher, dass die Frauen zwei Ausgeschlossene waren, die mit ihm unterwegs waren.
Sie mussten aus einer der Clubs für Jeden sein, von denen mir Jen erzählt hatte. 

Luis sah mich abwertend an, wohl weil ich mich immer noch nicht gerührt hatte, und schlang dann seinen Arm um den Körper der einen, ausgesprochen gutaussehenden Ausgeschlossenen.
Etwas kochte in mir, ließ mein Herz brennen, doch ich musste jetzt unbedingt klar denken und durfte mich nicht von dieser sinnlosen Eifersucht ablenken lassen.

Mein Puls beschleunigte sich automatisch und ohne es zu planen,  verlagerte ich bereits mein Gewicht in einen sicheren Stand, war bereits im Kampfmodus.
Man durfte nie, niemals Ausgeschlossenen vertrauen.
Der Dolch in meinen Schuhen war mir mehr als bewusst, auch wenn ich mich zusammenriss, nicht gleich loszustürmen und überzureagieren. Vielleicht würde das hier ja ein ganz normaler Abend werden und sie hatten keine bösen Pläne, aber ich war bereit für alles.

'Geht's dir gut?', fragte Marc unsicher. Ich nickte kurz, wollte vom Thema ablenken, aber da er mich kritisch und mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, mich längst durchschaut hatte, hielt ich inne. Ich musste ihm erklären, weshalb ich so angespannt war.
'Komm, setzten wir uns auf die freien Barhocker dort. Ich muss dir etwas erklären.', schlug ich vor.
Die Plätze waren zum Glück nicht weit von Luis entfernt und sicherheitshalber nahm ich den Platz ein, von dem ich ihn gut beobachten konnte.
Marc wirkte ziemlich unglücklich mit dem Umschwung der Situation und ich bemerkte auch eine Spur Ärger und Neid über den Grund meiner Ablenkung in seinen Zügen.
'Es ist nicht ganz so einfach, wie du vielleicht denkst.' 'Doch ist es, das ist dein toller Ex, der gerade unsere Party sprengt.', erklärte Marc schnippisch, aber ich ignorierte seinen Vorwurf und ließ mich nicht beirren.

'Hinter meinem Exfreund sind zwei Frauen eingetreten. Hast du sie gesehen?'
'Bist du eifersüchtig oder was?', hackte Marc nicht gerade freundlich nach, 'Ich meine, du bist plötzlich ganz anders gewesen... und das nur wegen ihm?'
Genervt verdrehte ich die Augen.
'Ach komm. Darum geht es nicht.' Marc verschränkte die Hände vor der Brust. 'Erkläre es mir. ', bat er etwas leiser und ruhiger.
'Diese beiden Frauen sind unsere Feinde. Das klingt jetzt komisch, wie bei einer geheimen Verschwörung oder so, ich weiß, aber glaube mir. Du weißt doch sicher noch, wie ich dir erzählt habe, dass es Gewählte und Ausgeschlossene gibt.
Die beiden Frauen gehören zu den Ausgeschlossenen und, nunja, es gibt niemanden Schlimmeren als diese Gruppe von Menschen. Ihnen darf man nicht trauen.' 
Vor allem nicht Gabe Hanwen.
Der Mann, der mich Nacht für Nacht quälte. Immerhin würde ich heute, wenn ich nach Hause kam nicht mehr so viel schlafen müssen und vielleicht blieb er mir dann diese Nacht erspart.

'Und was geht dich das an, wenn dein Ex sich mit solchen abgibt?', fragte er etwas behutsamer und musterte mich dabei kritisch , um festzustellen, ob meine Worte der Wahrheit entsprachen.
'Weil er nicht weiß, dass sie Ausgeschlossene sind und dass sie gefährlich sind. '
'Wieso weiß er das nicht.', hackte Marc verwirrt nach, der natürlich sofort auf die Lücke in meiner Erklärung aufmerksam wurde.
Ich nickte nach einer Antwort suchend und versuchte dabei sicher zu klingen. 'Das Spüren der... äh Herkunft ist sozusagen meine Gabe. Das kann nur ich.' Oh wenn es doch meine einziege zusätzliche Gabe wäre.
Marc schien weiterhin nervös und angespannt, aber weniger wütend, und diese bleibende Aufregung konnte ich ihm wirklich nicht verübeln. Insgeheim war ich mir sicher, dass die meisten Freunde mich wieder einmal für vollständig verrückt erklärt hätten, aber er nahm die Informationen einfach auf, als würde ich ihm gerade etwas über meine neue Geschirrspülmaschine erzählen.
'Okay cool, und was passiert jetzt?'
Ich schmunzelte kurz über seinen Kommentar, war überrascht von seiner Gefasstheit, und antwortete dann mit einem unsicheren Seitenblick auf Luis.
'Das kommt auf die Reaktion der Ausgeschlossenen an.'

***

Wir saßen bereits eine Weile an der Bar und betrieben Small Talk, aber bisher war noch nichts passiert. Langsam wurde ich immer nervöser, denn ich hasste nichts mehr als untätiges Abwarten und auch Marc musste ich endgültig angesteckt haben, denn er hörte nicht mehr auf mit seinem linken Fuß zu wackeln, obgleich er sich wirklich bemühte mir spannende, humorvolle Geschichten zu erzählen oder mich mit Informationen über die neusten Geschehnisse an unserer Schule zu versorgen.
Luis und seine drei Begleiter waren inzwischen auf der Tanzfläche und es veränderte die Situation nicht unbedingt zum Besseren, dass er beim Tanzen wirklich gut aussah.

'Sicher, dass da noch etwas passiert? Vielleicht machst du dir einfach zu viele Sorgen.', fragte Marc mich und zum gefühlten hundertsten Mal blickte ich zu der kleinen Gruppe.
Sie lachten die ganze Zeit und schienen sich gut zu amüsieren, obwohl sich die beiden Ausgeschlossenen für meinen Geschmack viel zu eng an Luis und seinen Freund schmiegten. Ich atmete tief ein und aus und meine Kehle fühlte sich trocken an, weil ich vorbeugend für einen möglichen Kampf keinen Alkohol mehr bestellt hatte, um mich noch wehren zu können. Inzwischen zweifelte ich an meinem Vorhaben, wollte aufgeben. 'Ich weiß es nicht. Ich hatte nur so ein schlechtes Gefühl, als sie diesen Raum betraten und irgendwie kommt mir die eine Frau auch bekannt vor, ich weiß nur nicht, wo ich sie schon einmal gesehen habe.', stellte ich zähneknirschend fest, 'Aber vielleicht hast du Recht und es ist sinnlos.'

Nun griff Luis Begleitung in ihre kurze Felljacke und holte einen kleinen Gegenstand heraus. Mein Blick wurde schärfer, meine Gedanken konzentrierter, weil mir diese Vewegung so bekannt war, und ich beugte mich bis zum zerreißen angespannt vor, beobachtete sie, bis ich den im gelben Licht schimmernden Dolch in ihrer Hand entdeckte. Sie wollte ihm etwas antun oder ihn sogar umbringen.

Binnen einer Sekunde hatte ich meinen eigenen Dolch aus dem Schuh gezogen und war vom Barhocker  gesprungen, der laut hinter mir umgefallen wäre, wenn Marc ihn nicht geistesgegenwärtig festgehalten hätte. Ohne Rücksicht zu nehmen bahnte ich mir mit den Ellebogen einen Weg durch die schwankende Menge. Der Dolch lag kalt in meiner schwitzenden Hand, unter mir vibrierte immer aggressiver und drängender der Boden und mehrere Leute stießen empörte Rufe aus, als ich vorbeieilte.

Endlich bei Luis angekommen, lenkte ihn gerade Eine der Ausgeschlossenen ab. Die Andere stand hinter ihm, griff fester nach ihrem glitzernden Dolch und holte aus.
Gerade noch rechtszeitig sprang ich auf sie zu und wehrte ihren Schlag ab. Sie schien nicht mit mir gerechnet zu haben, denn ihre Pupillen weiteten sich zu riesigen, schwarzen Monden. Geschickt nutzte ich diesen Überraschungsmoment, schleuderte ihr die Tötungswaffe aus der Hand und verpasste ihr wütend einen Tritt, der sie mit dem Rücken hart auf dem Ende der grünen Bar aufprallen ließ. Ihr Ächzlaut schallte zu mir herüber, weil die meisten Leute erschrocken aufgehört hatten, zu tanzen.

Luis stand stocksteif neben mir und sog überrascht die warme, rauchige Luft ein. Er schien die Gefahr der Situation gerade erst begriffen zu haben und auch sein Freund wirkte verblüfft.
Da duckte ich mich schon unter einem Schlag der zweiten Gegnerin, die sich scheinbar rachsüchtig auf mich werfen wollte.
Ihre roten Augen glühten vor unbändigem Hass auf mich.
'Du Miststück.', zischte sie zwischen zwei Schlägen und da wurde mir bewusst, das sie genau wusste, wer ich war. Sie war in der Nacht geflohen.
Und wie bei einer Kettenreaktion von Gedankensteinchen wusste ich jetzt auch genau, wer diese Ausgeschlossene ausgesandt hatte, Luis zu töten.

Ein heftiger Magenstoß traf mich in die Seite, die Lebensenergie die ich ihr in dem kurzen Moment der Berührung absaugte, war noch viel schlimmer, aber ich konterte sofort mit einem Kinnhacken, um mich aus meiner gebeugten Position zu befreien. Sie geriet ins Taumeln, sodass ich sie mit einem kräftihen Stoß auf den Boden befördern konnte. Luis hatte die zweite Ausgeschlossenen besiegt, denn sie lag vor ihm auf dem Boden.
Ich hatte nicht bemerkt, wie sie wieder aufgestanden war, hätte vorsichtiger sein müssen.
Für einen kurzen Moment traf mich sein dankender, blauer Blick voller anhenehmer Wärme, die ich nicht erwartet hätte.
Dann zeriss eine laute, rauchige Stimme die Luft.
'Hier wird nicht gekämpft! Raus aus meiner Bar!' Der Clubinhaber schien angesichts der Eskalation nicht besonders freundlich zu sein, was wahrscheinlich daran lag, dass die Außenstehenden uns mit vor Schreck geweiteten Augen anblicken und er keine unglückliche Kundschaft wollte. Es waren alles normale Leute, darunter auch Marc. Für sie zählte nicht, dass diese Frauen Ausgeschlossene waren. Es zählte lediglich, dass ich sie zu Boden geschlagen hatte.
Wie sollten sie auch unsere komplizierte Welt verstehen?
Nicht einmal ich hatte das bis vor kurzem gekonnt.

Luis und sein Freund waren bereits aus dem Laden gerauscht, also begab ich mich unter dem anschuldigendem Blick des Clubbesitzers, der mir mit einem Holzbesen drohte, aber deutlich abgebrühter als die Anderen zu sein schien, auch nach draußen. Sobald die schwere Tür hunter mir zufiel und mich ein Windzug erreichte, sog ich ihn dankbar in mir auf und nutzte die Stille und die Kälte,um mich zu beruhigen.
Es war schon dunkel und die meisten Sterne standen leuchtend gold am Himmel.
Ich strich mir durch die zerzauderten Haare und seufzte. Die Ausgeschlossenen waren nicht all zu gefährliche Gegener gewesen, denn ihr einzieger Job sollte es sein Luis um den Finger zu wickeln und ihn in einem schwachen Moment zu töten, damit ich darunter litt. Luis war schon oft genug in meinen Albträumen vorgekommen und Gabe Hanwen wusste, wie viel er mir bedeutete. Er hatte sogar schon angedroht, ihm etwas anzutun, diesen Gedanken aber bisher nie verwirklicht, sodass ich dachte, es wäre eine leere Drohung. 
Wie ich diesen Mann hasste, immer mehr bedingunslos hasste.

Neben mir öffnete sich die Tür und eine aufgewühlte Jen fiel mir in die Arme. 'Es war das Richtige, Süße. ', murmelte sie leise und trat einen Schritt zurück, da ich ihre Umarmung wie gewöhnlich nicht erwiederte, um möglichst wenig von ihrer frischen, grünen Lebensenergie zu spüren.  Natürlich war es das Richtige gewesen.
Aber würde Gabe Hanwen jemals aufhören?
'Okay, ich hätte nicht gedacht, dass du so gut bist.', murmelte Marc, was mich nach dem Abfall der Anspannung schmunzeln ließ.
'Ach, das war noch gar nichts.'
Er sah mich erstaunt und auch ein wenig erschrockend an und wir  fingen alle an zu Lachen.

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