Kapitel 13
Nachdem ich den warmen Raum verlassen hatte, zwang ich meine Gedanken zurück auf den heutigen Abend mit Jen, Justin und Marc.
Nun bedauerte ich es zu dieser Party zu gehen, hatte regelrecht keine Lust mehr.
Ich war nie mit Luis zusammen rausgegangen, es würden sicherlich unangenehme Situationen entstehen und ich hätte viel lieber nach weiteren Hinweisen für meine Kraft gesucht, um der Lösung dieses Rätsels endlich ein Stück näher zu kommen. Noch viel schlimmer war aber, dass ich bei unserem Gespräch heute Mittag schon wieder die Tatsache, dass wir uns außerhalb des mehr oder weniger sicheren Schulgebäudes befanden, unbeachtet gelassen hatte, und mich nun wohl den ganzen Abend in nervenzereißender Anspannung auf unsere Umgebung konzentrieren würde, wenn ich nicht wollte das dieser Ausflug wie unser letzter endete.
Wieso hatte ich heute gedacht, dass dieser Abend lustug werden würde? Jetzt war die Verlockung einfach nicht mitzukommen groß und süß.
Nur leider kamen Jen und ihr Freund ohne mich nicht hier raus und Marco wartete auch auf mich. Ich konnte sie nicht einfach hängen lassen und alle enttäuschen, nicht meine einzigen Freunde.
Kopf hoch, da musst du durch.
Es gab wirklich schlimmeres, Als Feiern zu gehen, und früher hatte mir das doch auch Spaß gemacht.
Früher. In einem anderen Leben.
***
Es war wirklich eiskalt und ich fühlte mich wie zu einem Eisblock erstarrt, weil meine Hände sich nur schwer bewegten und meine Zehen auch schon kaum mehr zu spüren waren, obwohl ich erst ein paar Meter gelaufen war, aber wenn ich mich jetzt in einen dicken Pulli, Wollsocken und Handschuhe eingepackt hätte, wäre das Schwitzen in der sommerlichen Hitzewelle beim Tanzen in einer Disco kaum auszuhalten. Und ganz nebenbei wollte ich auch gut aussehen, wollte zeigen, wie stark ich war und dass ich nicht immer nur das Mädchen mit den unauffälligen, breiten Pullis, den endlos langen Augenringen und den gruselig müden Blicken war.
Ich hatte mich für eine enge, schwarze Hose mit einer Reihe Steinchen an den Seiten, ein bordeaux rotes, kurzes Top, meine geliebte Lederjacke und schmale Stieffeletten mit ein bisschen Absatz entschieden. Meine Haare waren zu einem Zopf gebunden und und in den Spitzen gelockt. Auch mit meinem Make Up, das vor allem meine dunkelroten Lippen in den Fokus setzte und meine langen Wimpern betonte, war ich außerordentlich zufrieden.
Wie viel Zeit und Mühe dieses Styling in Anspruch genommen hatte, würde ich sicher keinem verraten und die Gedankenleser sollten das bitte für sich behalten.
Ich schlang mir aufgrund des kalten Windes, der den Platz zischend, vielleicht warnend, umwob, meine Jacke enger um den Körper und verlagerte nervös meinen Schwerpunkt hin und her, denn meine beiden Freunde verspäteten sich schon um zehn Minuten.
Ich musste ja auch immer überpünktlich sein.
'Da seid ihr ja endlich. Wisst ihr wie kalt es ist?', grummelte ich ihnen entgegen, als das Pärchen um sie Ecke geschlendert kam. 'Ich spüre es, Süße, wünsche dir aber auch einen schönen Abend und freue mich dich zu sehen.', witzelte Jen fröhlich, während Justin die Begrüßung auf ein kurzes Nicken beschränkte, weil er mir meinen Unmut wohl abgesehen hatte.
Ich verdrehte über ihren Kommentar nur grinsend die Augen und drehte mich zum eisernen Tor um.
Dort hockte ich mich trotz der frostigen Kälte, die mich schleichend befiel, hin und inspizierte kurz das Schlüsselloch. Vielleicht hätte ich das vorher schonmal ausprobieren sollen, zumal die beiden mir ja reichlich Zeit dafür gelassen hatten.
Vorsichtig formte ich einen Schlüssel in meiner Hand, illusionierte ihn möglichst genau und vermied dabei auf meiner Unterlippe zu kauen, um den Lippenstift nicht zu verschmieren.
Dann musterte ich den kleinen Schlüssel in meiner Hand, der in dem bläulichen Licht meiner Kraft glühte. 'Probieren geht über studieren. ', gab Jen von sich und forderte mich somit auf, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, da sie mit ihrem kurzen Rock und einer dünnen Strupfhose noch viel mehr zitterte als ich.
Entschlossen steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Natürlich passte er nicht direkt.
Ich formte weiter konzentriert an den winzigen Abstufungen des Schlüsselbarts und suchte nebenbei die nahe Umgebung nach Feinden oder zumindest irgendwelchen Lehrern ab. Zum Glück war da niemand.
Meine Kraft, die Umgebung zu erfassen, war zur Routine geworden, weil sie einfach zu nutzen war und äußerst praktisch war, denn mit ihr fühlte ich mich sicherer und vorbereiteter.
Genervt nahm ich den Schlüssel zum gefühltesten hundersten Mal, nun gut es waren vielleicht sieben oder acht wieder aus dem Schloss.
'Keine Sorge, ich habe es gleich.', meinte ich ungewöhnlich optimistisch, weil er zumindest schon vollständig in das Schloss passte. Justin hatte Jen in den Arm genommen, um sie zu wärmen und Marco wartete sicher schon auf uns. Möglichst präzise veränderte ich noch einmal den letzten Zacken, schob ihn ins Schloss und drehte.
Ein leiser Klicklaut verkündete den Erfolg und Jen ließ einen kleinen Quitscher der Freude hinaus in die kalte Luft, noch bevor ich das Tor aufschwingen ließ.
'Auf in die Freiheit.', verkündete ich über den Erfolg lächelnd und schob den Schlüssel bewusst in meine Jackentasche. Vielleicht konnten wir ihn ja noch einmal brauchen.
Dann machten wir uns auf den Weg in die Stadt.
***
Ich konnte Marc schon von weitem vor der Disco stehen sehen. Wir hatten uns wirklich beeilt, aber er hatte trotzdem noch eine Weile in der eisigen Kälte warten müssen.
Sobald er uns bemerkte leuchteten seine Augen auf. Er schien sich sichtlich zu freuen, dass ich ihn eingeladen hatte.
Sein warmer Blick glitt nur zaghaft und doch auf eine gewisse Weise intensiv, über meinen Körper und das Gefühl, das er dabei in mir verursachte, war durchaus angenehm, wenn sich nicht gleichzeitig ein eiskalter Dorn in mein Herz bohren würde, der mich an Luis Blicke erinnerte.
Blicke, die zwischen Feuer und Eis schwankten.
Blicke, die eine solche Leidenschaft ausströmten, das mir davon schwindelig wurde.
Blicke, die ich mir in meinen geheimsten Träumen ersehnte.
'Da seid ihr ja endlich.', sagte Marc fröhlich und trat uns die letzten Schritte entgegen.
Ich umarmte ihn zur Begrüßung.
'Es hat länger gedauert, als ich geplant hatte. ', gab ich entschuldigend zu, 'Ich hoffe, du hast nicht zu lange gewartet.'
Er drückte mich fest an sich, wobei seine menschliche Lebensenergie sanft und leise unter seiner Haut pulsierte, es mir aber möglich war, sie nicht aufzusaugen. Nachdem wir uns gelöst hatten, vollführte er eine wegwerfende Handbewegung.
'Kein Problem.'
Jen beobachtete mich mit gerunzelter Stirn von der Seite, fragte sich wohl, wieso ich so viel Körperkontakt zuließ, bevor sie den kleinen Club vor uns, der mit bunten Lichterketten und einem Neongelben Leuchtschild behängt war, auf dem 'Nachtschwärmer' stand, inspizierte.
'Hauptsache wir sind da und können feiern.', beendete meine beste Freundin eifrig die Begrüßung, sie und Justin hatten Marc höflich die Hand geschüttelt und ich hoffte wirklich, dass sie sich im Laufe des Abends besser kennenlernen würden, und zog Justin voller Vorfreude hinter sich in den Laden.
'Du siehst gut aus.', stellte Marc lächelnd fest. 'Danke, du auch.', erwiederte ich leichthin, wobei mich eine alte Erinnerung erfasste, die schon Jahrzehnte zurückzuliegen schien.
Wir beide im Schwimmbad am sonnigen letzten Tag, den ich ohne Sorgen und ohne das tonenschwere Wissen über die magische Welt verbrachte. Ein durchaus schöner Tag, den ich mit ihm verbracht hatte, wenn es nur nicht der gleiche Tag gewesen wäre, an dem auch meine Mutter gestorben war. Ich schüttelte die bittere Erinnerung ihres Todes von mir ab und Marcs Frage holte mich zurück in die Realität.
'Gehen wir rein?'
Er hielt mir schon freundlich die Tür auf uns ich nickte bedacht.
Jetzt sollte nur das Hier zählen uns nicht die Vergangenheit, die mich auf ewig an sich Kerzen wollte.
Beim Eintritt in den Club erfasste mich eine Welle an wohliger Wärme und strengen Gerüchen.
Über allem der intensive Geruch von Alkohol und Zigarettenqualm, der den ganzen Laden durchwehte. Dahinter der unangenehme Geruch von Schweiß, gemischt mit verschiedenen Parfums.
Überall vernahm ich ausgelassene Gespräche und fröhliches Gelächter. Die Leute tranken, tanzten und verzogen sich danach zu Zweit in eine schmale Ecke an den Rändern des Raumes.
Das Licht wechselte immer zwischen einem grellen, gelblichen Ton und kontrastierenden schwarz, während eine elektrische Musik voller Wiedeeholungen auch in mir die Lust auf Tanzen weckte.
Für mich gab es deutlich schönere Orte als einen solchen Club, aber ab und zu tat es ganz gut in dieser fremden, einladend chaosreichen Atmosphäre zu entspannen und ein anderer Mensch zu sein als im Alltag.
'Willst du was trinken?', fragte Marc mich mit lauter Stimme, damit ich ihn gegen die laute Musik, die den Boden aufgeregt, gar erwartungsvoll vibrieren ließen, hören konnte.
'Klar, gerne.', erwiderte ich mit einem unterstützenden Nicken und wir bahnten uns einen Weg zur Bar, was sich schwieriger als gedacht gestaltete, da nicht viel Platz zum durchgehen bestand.
Trotzdem standen wir kurz darauf an der dunkelgrünen Bar, die von vielen Menschen umringt war. Nur von Jen und Justin war keine Spur zu sehen, aber die beiden würden sich schon zurechtfinden.
Marc bestellte zwei Cocktails und reichte mir einen. 'Und wie läuft so die Schule?', fragte er nebenbei.
'Ganz gut, denke ich. Je nach dem, welches Fach du meinst.' Ich grinste ihn spielerisch an.
'Du solltest dich nicht besser fühlen, weil du mich ohne Anstrengung verprügeln könntest, Nia. Das ist nicht die erste positive Fähigkeit, an die ich bei dir denke.', meinte Marc mit einem leuchtenden Funkeln in den Augen, dass seine Freude darüber ausdrückte, dass wir heute einen schönen Abend verbringen würden. 'Doch ich schon.', stellte ich herausfordernd fest und trank einen Schluck, aber keine Sorge, dir würde ich nie grundlos etwas antun.'
'Da bin ich ja beruhigt. Dann sollte ich nur aufpassen, dass ich dir keinen Grund dafür gebe.', scherzte Marc und stellte nach ein Paar Schlucken sein Getränk ebenfalls ab.v'Lust zu tanzen?'
Ich nahm zustimmend seine Hand, wobei seine Lebensenergie nur ganz schwach durch mich pulsierte, sodass ich mich schon fast konzentrieren musste, um sie zu spüren, und zog ihn hinter mir her. 'Natürlich.'
Gemeinsam bannten wir uns einen Weg zur Tanzflächen und passten uns den anderen Leuten an.
Wir tanzten, bis wir aufgrund der Hitze und der Enge, wobei ich zum Glück nur Menschen berührte, anfingen zu schwitzen und noch weiter.
Ein paar Stunden zählte nur die laute Musik, die ausgelassen durch meine Adern pulsierte.
Ein paar Stunden zählte nur die mit weit geöffneten Armen empfangene Ablenkung, die mich in dieser sonst so erschreckenden Masse umgab.
Ein paar Stunden zählte nur der Gedanke an die mutige Flucht aus meinem Alltag.
Ein weiterer Versuch gedanklich ganz weit weg von meinen Problemen zu denken, zu atmen, das Leben zu genießen.
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