Kapitel 11

Ich kaute genüsslich den warmen, süßen Apfelkuchen, konnte gar nicht genug davon bekommen.
'Darf ich auch mal probieren?', fragte Jen unverblümt. 'Klar.', nuschelte ich mit vollem Mund und reichte ihr meine Gabel.
'Mmh... Superlecker.', erklärte sie beim Kauen und ich musste grinsen, weil sie mich an mich selbst als kleines Kind erinnerte, weil mir mein Lieblingskuchen immer sofort ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
'Nicht schmatzen.', schallte ich sie und meine Freundin kaute zuende, um mir die leere Zunge herauszustrecken.
Meine Mutter hatte immer peniebelst auf das Benehmen am Esstisch geachtet, was mir als kleines Kind öfters mal eine Schimpftirade mit moralischer Belehrung eingebracht hatte, die ich beim nächsten Mal wieder geflissentlich ignorierte.
Als sie es dann satt war, mir immer das Gleiche zu erzählen, hatte sie mir immer, wenn ich brav und ohne Schmatzen oder ohne mit dem Fingern zu Essen gegessen hatte, ein Stück Schokolade gegeben. Dann hatte ich sofort gelernt, wie man vornehm aß.
Ein trauriges Lächeln flog bei dem Gedabken an sie über mein Gesicht. Es gab so viele Erinnerungen an sie, die einfach immer wieder in mir aufkamen, denn meine Mom war tief in meinem Herzen verankert.

Jen schien etwas einzufallen, was sie mir dringend erzählen wollte, denn ihre Wangen nahm eine wütend rote Farbe an sie bewegte wild die Hände hin und her, kaute aber bei ihrem zweiten Bissen noch ordentlich zuende, bevor sie begann zu sprechen.
'Sally hat heute so fies über dich gelästert. Ganz ehrlich? Ich hätte sie am liebsten heftig ins Gebüsch geschubst oder ihr ihre stundenlang zurechtgemachte, mit Tonnen von Haarspray befestigte Frisur versaut. Das hätte sie auch ganz dringend nötig.' Bei diesen Gedanken schlich scheinbar unbewusst ein Lächeln über ihr Gesicht, was mich in dem Gedanken, dass Sally die Königin der Zicken und falschen Schlangen war, bestärkte. Trotzdem war ich neugierig geworden. 'Was hat sie den gesagt?'
Jen hob entschuldigend die Hände, als wäre es eine Bürde, wenn sie das aussprechen würde, was Sally gesagt hatte. Jedoch grinste sie gleichzeitig auch verschwörerisch, als würde sie wirklich lustig finden, was Sally so über mich sagte.

'Sie meinte zu wissen, dass du eigentlich unglaublich hässlich wärst und dich nur mit einer hübschen Illusion umgibst, die dich schöner aussehen lässt, damit du alle Jungs um den Finger wickeln kannst. ', meinte Jen schließlich kichernd.
Ich verdrehte die Augen, dachte nur einen winzigen Moment an die schützende Illusion, die mich Tag und Nacht umgab, aber rein gar nichts mit meinem Aussehen zu tun hatte, musste aber auch fast über ihre Dreistheit Lächeln und erklärte ironischerweise: 'Klar mach ich das. Die liegen mir ja auch alle wegen meines perfekten, jeden Tag gestylten Aussehens zu Füßen.' 
Davon abgesehen hatte ich meine Kraft noch nicht gehabt, als ich zum Internat kam, doch dieses Gerücht würde wohl kaum jemand glauben, weil es einfach irrsinnig war.
Vor allem das mit den Jungs.
Bisher hatte ich nur Luis gewollt und an meinem tollen Aussehen hatte er unsere Beziehung sicher nicht festgemacht. Da sich niemand anderes für mich interessierte, hatte mein angeblicher Plan wohl nicht so gut geklappt.

Ich nahm einen weiteren Bissen des Kuchens, während meine Freundin ihren Kaffee schlurfte.
'Ich fühle mich auf jeden Fall geehrt, dass sie mein Aussehen als hüsch bezeichnet, wirklich ein sehr nettes kompliment.', setzte ich an Jen gewandt hinzu.
Meine Freundin grinste überzeugt.
'Das habe ich ihr auch als Antwort gesagt. Dann habe ich ja alles richtig gemacht.' Auf die Verteidigung meiner Freundin konnte ich mich immer verlassen.
'Schade, dass ich nicht Sallys verblüfftes Gesicht mitbekommen habe.', meinte ich betont traurig und ließ meinen Blick durch den lediglich durch das fahle Licht von draußen und das warme Licht einiger Kerzen erleuchteten, gut gefüllten, gemütlichen Raum schweifen.  'Stimmt, ich hätte es fotografieren sollen.', scherzte meine Freundin und biss ein dickes Stück ihres Schokodounats ab, bevor sie mir  irgendetwas über den langweiligen Schulalltag und darüber wie sehr sie hier raus wollte, erzählte. Das Internat war einfach zu klein für sie, wenn man ihren Worten glauben schenken durfte. Dabei war es meiner Meinung nach wirklich riesig.

'Am liebsten', erzählte sie gerade sehnsuchtsvoll, 'würde ich mal wieder in die Disco gehen.'
Ich konnte ihren Wunsch nach mehr Freiheit trotz unterschiedlicher Ansichten über das Internat gut verstehen, denn draußen fühlte ich mich immer freier und ausgelassener, als würde dann eine Bürde vom mir abfallen.
'Dann tu es doch.', unterbrach ich sie, worauf mich Jen verständnislos ansah. 'Du weißt aber schon, dass da ein riesiges Tor als Barriere steht durch das der Normalmensch einfach nicht durchpasst?' Ich hob herausfordernd eine Augenbraue, weil mir ein verrückter Gedanke durch den Kopf wirbelte, den ich aus irgendeinem Grund unbedingt umsetzen wollte.
'Das lass mal meine Sorge sein.
Heute Abend?'

Jen trank mich mistrauisch musternd aus ihrem Kaffee und schien zu überlegen, was ich vorhatte.
'Ich hoffe nicht, dass du schon wieder ein Loch gefunden hast.'
Diese Unsicherheit kannte ich gar nicht von ihr. Sie musste wirklich Angst gehabt haben, als wir in der Stadt angegriffen wurden, aber wer konnte ihr das schon verübeln.
'Keine Sorge.', erwiederte ich also, 'Wir schließen das Tor einfach auf.' Jetzt wirkte meine beste Freundin  richtig verwirrt. Mit großen Augen starrte sie mich an.
'Und womit? Hast du die Schlüssel?' Ich trank ebenfalls aus meinem Kaffee, um sie noch einen Moment auf die Folter zu spannen, denn Jens Neugier wuchs bei meinem gleichgültig Blick immer weiter und sonst befand ich mich immer in dieser angespannt, wartenden Lage. 'Ich brauche keinen Schlüssel, weil ich einfach eine Kopie erschaffen kann. Einen Versuch ist es zumindest wert, nicht wahr?'
Jen grinste wieder und mein Plan schien auch in ihrem Kopf gestalt anzunehmen, obgleich er eine andere Richtung einschlug als ursprünglich gedacht. 'Auf jeden Fall. Ob Justin auch mit darf? Wir waren heute Abend eigentlich verabredet, aber ich weiß, dass er auch gerne mal raus gehen würde.'

Mein übertrieben freundliches Lächeln und bejahendes Nicken durchschaute sie sofort und fügte noch hinzu: 'Müssen wir aber nicht. Ich kann ihm auch absagen.'
Das war wirklich süß gemeint von ihr, aber konnte ihr kaum seine Anwesenheit verbieten, denn Justin war ihr nun mal sehr wichtig und ihnen dazwischen zu funken, wäre nicht richtig von mir.
'Nein, es ist okay. Er kann ruhig mit.' Jen legte den Kopf schief und überlegte einen Moment, sodass ich beschwichtigend die Hand hob, um ihr zu zeigen, dass es wirklich okay war.

Dann schien sie noch eine Idee zu haben. 'Frag doch einfach Marc, ob er mitkommen will. Dann hätten wir ein Viererdate.' Sie klang sehr überzeugt von ihrem Plan, aber ich bezweifelte stark seinen wahrheitsgrad.
'Wir sind nicht zusammen, Jen. Er ist nur mein bester Freund.', erklärte ich ihr fast ein wenig ärgerlich.
'Ich weiß, aber es könnte doch trotzdem lustig werden, oder?', konterte sie lächelnd und schien sich schon darauf zu freuen, dass wir zu Viert gingen.
'Wahrscheinlich schon, aber ich denke nicht, dass es so eine gute Idee ist, mit Marc zusammen in die Disco zu gehen, während ihr Beiden rumknutscht. Ich will ihm keine falschen Hoffnungen machen.', erwiderte ich stur.
Jen hatte beim Wort Rumknutschen laut geschnaubt und sah mich nun mit schräggelegenem Kopf an.
'Ach komm, Süße. Du solltest wirklich mal über Luis hinwegkommen und Marc scheint genau der Richtige dafür.'
Ich sah sie sauer an, wusste zwar, dass die Idee etwas mit Marc zu unternehmen, um Luis zu vergessen, ziemlich verführerisch war, doch das konnte ich nicht mit ihm machen, nicht schon wieder.
'Du verstehst das nicht, ich kann ihn nicht einfach so ausnutzen.'

'Doch ich verstehe dich', sie grinste kurz, bevor sie merkwürdig ernst wurde, 'meistens zumindest.
Natürlich willst du ihn nicht verletzen, das zeigt doch nur, wie nah ihr euch steht.
Hast du denn nie darüber nachgedacht, dass du dich auch in ihn verlieben könntest? Nein, hast du nicht, weil du viel zu versessen darauf bist, Luis hinterherzuschauen. Vielleicht haben Luis und du ja eine schöne Beziehung gehabt, aber die ist vorbei. Ihr habt euch getrennt und du hast die freie Wahl. Die erste große Liebe muss nicht immer die Richtige sein. Sie hält nur selten wirklich lange. Übrigens kann ich dir versichern, dass ee nicht der Richtuge ist, weil er sich schon wieder benimmt wie früher.'
Ich blinzelte überrascht in ihre Richtung. auch wenn ich bewusst keinen Kommentar zu ihrem letzten Satz abgab, die Luis scharf kritisierten. Ich hatte schließlich Schluss gemacht und er hatte mit der Zeit das Interesse an mir verloren.
Was hatte ich anderes erwartet?
Das er mir bis ans Ende meiner Tage hinterherlief?
Träum weiter, Nia.

Jen ließ ihren gespielt bösen Blick noch einen Moment auf mir ruhen. Sie schien die Tirade ihrem geröteten Gesicht nach wirklich ernst zu meinen.
Nach einer kurzen Pause, in der ich schleichend langsam meinen Kaffee trank, und einem nachgebenden Seufzer rutschte sie ein Stück näher zu mir und wurde wieder ruhiger.
'Du kannst nicht die Vergangenheit zurückholen. Selbst wenn du denkst, dass man eure Beziehung wieder aufbauen kann. Es ist vorbei und er ist wieder der Alte.'
'Der Alte?', murmelte ich leise und mit böser Vorahnung.
'Luis Forst ist so, wie er war, bevor ihr zusammen wart. Er hängt mit seinen alten Freunden ab, reißt, entschuldige den Ausdruck, irgendwelche Mädchen auf, die er in Bars oder Discos kennenlernt und betrinkt sich bis zum geht nicht mehr.'
'Das stimmt nicht. Luis war nie so ein Kerl.', gab ich widerwillig zurück und suchte in ihren Augen nach einer gut gemeinten Lüge.
Sie schüttelte bedeutsam und fest überzeugt den Kopf, nahm mir damit meine übrig gebliebene Hoffnung.
'Seine Kumpels und er sollen auch Drogen dealen und ich habe in einem ihrer Köpfe gesehen, dass sie von Bar zu Bar pendeln und, nunja, sich in Bars für Jeden aufhalten.'
Wieder nutzte sie so ein bedeutungsschweres, undefiniertes Wort. 'Bars für Jeden?'

'Das sind Bars, die für alle geöffnet werden. Ob extrem reich oder bettelarm, Amerikaner oder Russe,  Wesen oder Mensch,', sie stockte kurz, 'Gewählter oder Ausgeschlossener. Diese Bars sind gefährlich.'
'Sie verbringen ihre Freizeit mit Ausgeschlossenen? ', echote ich beunruhigt und konnte einen abwertenden Unterton nicht vermeiden. Jen nickte knapp.
'Wie erkennen sie denn, ob jemand ein Ausgeschlossener ist, oder nicht?', hakte ich nach. Sie besaßen nicht meine Kraft und konnten daher nicht wissen, wer auf unserer Seite war. 'Gar nicht.', verkündete Jen scharf, 'Das ist das Lustige daran.'
'Total lustig', stimmte ich trocken zu und trank ein weiteres Mal aus meinem Kaffe, um nachzudenken.
'Sie gehen also mit allen gleich um, egal wer vor ihnen steht.' , stellte ich fest. 'Jap, egal wer oder was. Das verstärkt die Spannung, wenn sie jemanden kennenlernen.', stimmte meine Freundin missbilligend hinzu.

Jen knabberte wie ein Hamster an ihrem Schokodounat, um sich wieder zu beruhigen und ich schüttelte die Unruhe bei dem Gedanken an einen solchen Club von mir. Es musste doch sicher einige Kämpfe geben, wenn so viele Feinde auf einem Haufen waren. Jen schien meine Gedanken abgefangen zu haben, weil sie mir eine Antwort auf die unausgesprochene Vermutung gab.
'Ja, es gibt viele Kämpfe, aber ich denke, du weißt, was ich meine, wenn ich dir sage, dass sie dabei Spaß haben. Kämpfen ist neben der nervigen Schule und den interessanten illegalen Sachen ihr Leben.'
Das hätte sie sich jetzt wirklich verkneifen können. Die Erinnerung an das Gespräch unseren ersten Kuss durchfloss mich wie das Wasser eines zerstörten Dammes. Luis hatte gesagt, dass er mich nicht verdient habe. Nun war ich mir sicher, dass er das auf seine Lebensweise bezogen hatte. Trotzfem musste das nicht heißen, dass er grunddurch schlecht war. Niemand war perfekt. Auch ich hatte viele Fehler gemacht.

'Guck nicht wieder so als würdest du ihm das alles sofort verzeihen, Süße. Dafür gibt es keinen Grund und das bringt dich wieder nur in deine verworrene Gedanken in der Form eines Teufelskreises. Er verschwendet auch keine Gedanken mehr an dich.', erinnerte mich Jen.
Ich wurde rot, weil sie mich ertappt hatte, bemerkte aber gleichzeitig einen schmerzvollem Stich in meinem Herzen, denn das Schlimmste an ihren Worten war, dass sie Recht hatte.
Nicht einen Tag lang hatte er um mich getrauert. Nicht einen Tag.
Sein Leben war einfach wieder normal geworden.
'Du hast ja Recht.', gab ich zu und Jen versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. 'Ich möchte nur, dass du wieder glücklich wirst und ich glaube, dafür musst du ihm vergessen. Eine traurige Nia kann ich mir einfach nicht ansehen.'
Ich lächelte sie zaghaft an, obgleich  mein Inneres einfach nicht mitlächeln wollte.
'Ich weiß. Danke, Jen.'
'Du musst mir nicht danken. Versprich mir einfach, dass du heute versuchst mehr in Marc zu sehen, als deinen besten Freund. Er ist so lieb zu dir. Außerdem weißt du bei ihm, wo du stehst. Er hat dich, im Gegensatz zu Luis, sehr vermisst, nachdem du seine Liebe nicht erwiedert hast. Vielleicht ist da ja doch ein wenig mehr. Ich hoffe es für dich, Süße. Und wenn das sicher nicht der Fall ist, dann genieße einfach dein Single Leben.', sagte meine beste Freundin lächelnd und meine Stimme klang viel fröhlicher, als ich mich wirklich fühlte. 'Okay, ich probiere es.'

Während ich wieder meinen Kaffee trank, verdrängte ich jeden weiteren Gedanken an Luis und unsere vergangene Beziehung.
'Siehst du.', meinte Jen lächelnd, 'Man braucht nur einen guten Vorsatz und ein gewisses Maß an Motivation.'  Eigentlich hatte sie ja Recht
Eigentlich konnte doch nichts schief gehen, wenn ich mich um einen Neuanfang bemühte.
Ich sollte das Ganze einfach aus einer anderen Perspektive, einer positiven Perspektive, betrachten.
Vielleicht funktionierte es dann ja wirklich.

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