Kapitel 1
Tausende Schneeflocken fielen aus den Wolken und ergossen sich über dem bereits von einer dünnen Puderzuckerschicht bedeckten Boden.
Die sanfte Sonne hatte sich irgendwo hinter den Wolken versteckt, um vor dem kalten Schnee zu fliehen, während der unruhige Wind die Schneeflocken sanft umhertanzen ließ, bis sie schließlich als winzige Kristalle auf allem landeten, was sich ihnen anbot.
Alle Häuser besaßen Mützen aus Schnee, wirkten glücklicher als sonst, und schwere Eiszapfen hingen von den Dächern.
Kinder bewarfen sich ausgelassen mit den ersten Schneebällen des Jahres, versuchten den Schnee mit der Zunge aufzufangen oder bauten große, freundliche Schneemänner.
Alles in allem gab die kleine Stadt ein friedliches Bild ab.
Trotzdem war ich auf alles gefasst, traute dieser Illusion nicht, denn die Ausgeschlossenen hatten schon lange kein Zeichen mehr von sich gegeben, waren geradezu unheimlich still.
Also rechnete ich jede Minute mit einem Anschlag.
Über ihren Plan, den Gewählten die Kräfte zu rauben, hatte ich auch nachgedacht.
Sie waren fast bereit, brauchten nur noch mein Blut.
Warum griffen sie mich nicht einfach an? Unsicher streckte ich meine Kraft aus und suchte in meiner nahen Umgebung nach Ausgeschlossenen. Niemand.
Ich knirschte unruhig mit den Zähnen und warf den Kopf zurück, weil der Wind meine Haare zerzauste.
Es machte mich schier verrückt, dass ich nicht wusste, was sie vorhatten.
'Entspann dich doch mal.', riet mir Marc, der gelassen neben mir durch den verschneiten Park ging.
Ich seufzte laut, weil er mich nicht verstehen konnte.
'Ich probiere es ja. '
Marc sah mich mit schräggelegenem Kopf an und nahm dann meine Hand in seine. Von seiner Lebensenergie spürte ich gerade mal so viel wie bei der Berührung eines zarten Schmetterlinges, der sich auf meine Hand setzte und dort verweilte.
Das konnte ich gut ignorieren und so erzeugte es in mir ein gutes Gefühl mit ihm unterwegs zu sein.
Anscheinend zog mich seine Lebensenergie oder speziell die Energie von Menschen nicht so an wie die der magischen Bewohner dieser Welt.
Mit diesem Gedanken spielend entspannte ich mich dann doch und schaukelte unsere verschränkten Hände nach vorne und nach hinten.
Ich hatte gelernt, dass je weniger Körperkontakt man zu Anderen aufbaute, desto mehr sehnte man sich insgeheim danach.
Meine freie, linke Hand schob ich in meine Jackentasche, denn es war einfach zu kalt, um sie schutzlos neben mir baumeln zu lassen.
'Du hast Recht. Es ist ein viel zu schöner Tag, um ihn nicht zu genießen, wobei ich mich über ein bisschen Wärme schon freuen würde.'
Marc grinste mich gutgelaunt an.
'Sag ich doch, du musst einfach öfters auf mich hören, dann geht es dir besser, du wirst schon sehen.'
'Ja klar.', erwiederte ich wenig überzeugt, verdrehte die Augen und drückte ihn mit einer schwungvollen Bewegung gegen die Seite, sodass er fast gegen eine Bäckerei, in deren Auslade eine diverse Anzahl an Kuchen,Plätzchen und Brötchen platziert waren, geflogen wäre.
'Hey!', protestierte er, duckte sich und sammelte einen Haufen Schnee in seinen Händen.
Ich erkannte die Gefahr noch rechtzeitig und duckte mich gekonnt zur Seite weg.
Dann formte ich ebenfalls einen Schneeball und zielte auf meinen Freund.
Dieser sprang einen Schritt zur Seite und versuchte sich zu ducken, aber ich hatte ihn schon beim Sprung erwischt.
Bevor er aufstehen konnte, katapultierte ich schon den zweiten Schneebal nach vorne, arbeitete eher wie eine Maschine und fühlte mich in einen Kampf versetzt, wenn dieser auch weniger angespannt und gefährlich war.
'Das ist so unfair.', maulte Marc belustigt und hob friedvoll die Hände, um sich zu ergeben, 'Früher warst du nie so gut.'
Ich kam langsam zu ihm und zuckte entschuldigend mit den Schultern. 'Tja, da musst du wohl noch ein bisschen üben.
Ich warte freudig auf eine Revanche sobald du dich bereit fühlst.'
'Bilde dir bloß nichts darauf ein.
Ich werde dich schon noch schlagen.'
Ich nickte wenig überzeugt, blinzelte gegen den Schnee an und folgte wieder dem Weg.
'Weißt du noch, wie wir früher immer Schneengel gemacht haben?', fragte ich ihn gedankenversunken.
'Ja, wir hatten unglaublich viel Spaß. dabei. Du wolltest immer ein Engel sein und auf alle deine Freunde achtgeben und hast dich geärgert als der Schnee deine Kunst unter einer neuen Schicht begraben hat.'
Ich nickte traurig und auf einmal bedrückt. Das hatte ich ja super hinbekommen. Meine Eltern und ein Teil meiner Freunde war Tod, Luis schien mich zu hassen und die anderen an der Schule sahen in mir einen verrückten Freak.
Ein Engel war ich wirklich nicht, alles andere als das.
Ich war mir sogar ziemlich sicher, dass ich für den kaltblütigen Mord an Gesine Hanwen in der Hölle schmoren würde, falls es denn so einen schauervollen, sagenumwobenen Ort gab.
Elysias hatte sich auch schon lange nicht mehr gemeldet, war sicher enttäuscht von mir.
Alle waren enttäuscht von mir.
Marc nahm mich in den Arm, als würde er meine aufkommende Melancholie spüren.
'Ich denke schon, dass du ein kleiner Engel bist. Selbst Engel machen Fehler. Niemand ist perfekt. Solange du dir selbst treu bleibst und an deine Taten glaubst, weißt du, das dein Leben richtig verläuft.'
Seine Worte berührten mich unglaublich, heiterten mich sogar ein bisschen auf.
Es war wirklich nett von Marc, dass er sich so rührend um mich kümmerte und mich aufbaute.
Dennoch wusste er nicht was ich alles getan hatte.
Das Einziege was ich ihm anvertraut hatte, waren meine Kraft, Jens Rolle und der Ablauf der Schule.
Den langwierigen Krieg zwischen Gut und Böse würde er sicher nicht verstehen, war nunmal keiner von uns. Vielleicht machte gerade das unsere Beziehung so wertvoll.
Diese Normalität und den Spaß, den wir hatten, wurden in keinster Weise von schrecklichen Gedanken gestört. Ich war zwar immer noch ein verletztes Mädchen, das sich hinter einer perfekten Illusion versteckte, aber ich konnte diese Tatsache immerhin für ein paar Stunden vergessen und das konnte mir niemand außer Marc geben.
Deswegen brauchte ich ihn umso mehr.
Ein Zittern durchfuhr mich und Marc deutete es als Zeichen der Kälte, aber ich wusste, dass es nicht vom Schnee kam, dass sein Ursprung die mich oft plagende Angst vor meiner Zukunft war.
'Komm lass uns in ein Café gehen.' 'Eine gute Idee.', stimmte ich zu und lehnte mich an seinen Arm, der um meine Schulter lag, während wir durch die kleine Straße spazierten. Aus den Kaminen der Häuser drang dunkler Rauch, denn niemand konnte es in dieser Eiseskälte lange ohne Heizung aushalten.
Auch mir wurde zunehmend kälter. 'Im letzten halben Jahr ist so viel passiert. Dabei kommt es mir so vor als wären gerade einmal ein paar Tage vergangen, seit meine Mom... naja, seit ich aufs Internat gekommen bin.', murmelte ich nachdenklich. Marc blieb ruckartig stehen und drehte sich zu mir, sodass ich ihn fragend ansah.
'Egal was passieren wird. Versprich mir bitte, dass sich zwischen uns nichts verändert. ', sagte er mit fester Stimme, wobei mir bei seinem Blick etwas mulmig zumute wurde.
Was Marcs Gefühle betraf, konnte ich nicht ganz sicher sein, was er für mich empfand.
Trotzdem antwortete ich ihm so ehrlich wie möglich.
'Das ist ein leichtes Versprechen. Ohne dich würde ich das gar nicht durchstehen. '
Er lächelte kurz zufrieden und ging dann neben mir weiter.
'Du musst aber nicht so herumschleimen. Ich bin sicher, dass du genug Freunde am Internat hast, auf die du dich verlassen kannst.'
Ich verzog den Mund, sah ihn gespielt wütend über seine Anschuldigung an und schaufte.
'Meine Freunde mit dir zusammen gezählt? Also 2 ist auf jeden Fall eine ganz betrachtliche Zahl.'
'Du willst mir nicht wirklich erzählen, dass nur Jen deine Freundin ist?'
Ich zuckte mit den Schultern und wurde etwas ernster, sodass Marc wieder meine Hand nahm und bedauernd den Kopf schüttelte.
'Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass mam nicht mit dir befreundet sein will.'
Ich schmunzelte tatsächlich bei diesem Gedanken.
'Wenn du das Mal den anderen aus meiner Klasse beibringen könntest, wäre das ein großer Fortschritt.'
'Vielleicht mache ich das ja.', mutmaßte er, während wir uns unserem Stammcafé näherten.
'Aber erst mal lade ich dich auf einen Kaffee ein. Darf ich bitten?'
Er hielt mir ganz klassisch die Tür auf und ich grinste ihn bei seinem Angebot an.
'Wenn du mich noch öfters einlädst, bist du nachher pleite, aber wenn es dir so Spaß macht.'
Dann trat ich ein, dicht gefolgt von Marc, der mich plötzlich kitzelte.
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