O Tannenbaum, O Königreich
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Mika'il und die Frau hockten hinter einem Gebüsch, von dem aus sie das Lager der Kidnapper überblicken konnten. Der Schnee um die Lichtung war durch Stiefelabdrücke zu Matsch geworden, und ein schwaches Feuer flackerte in der Mitte, warf Schatten auf die gepanzerten Männer, die sich darum herum lümmelten. Ihr Bruder saß in der Nähe des Feuers, immer noch gefesselt, mit einem Jutesack über dem Kopf.
Mika'il beugte sich zu der Frau hinüber und senkte die Stimme. „Also, was ist der Plan? Warten, bis sie alle bequem eingeschlafen sind? Einen deiner 500 Waffen benutzen, um dich reinzuschleichen?"
„So ähnlich", murmelte sie und ließ ihren Blick über das Lager gleiten.
Er nickte. „Gut. Großartig. Ich liebe Pläne ohne Details. Sehr beruhigend."
„Halt die Klappe", zischte sie.
Mika'il zuckte zusammen und hob die Hände. „Ich sage ja nur, ich bin eher der Typ: Versteckt bleiben und nicht sterben. Eine bewährte Methode." Und er wollte wirklich gerne Weihnachten noch erleben.
Sie ignorierte ihn, ihre Hand um den Griff ihres Dolches fester schließend. „Bleib hier."
„Warte, was?!" flüsterte Mika'il und griff nach ihrem Arm.
Sie schüttelte ihn mit einem Blick ab, der Stahl schmelzen konnte. „Bleib. Hier. Und mach nichts Dummes."
Mika'il öffnete den Mund, um zu protestieren, aber sie war bereits in die Schatten geschlüpft, ihre Bewegungen lautlos und präzise. Er war Profi in dummen Entscheidungen! Wie konnte sie ihm seine Stärken verwehren? Er beobachtete, wie sie sich näher an das Lager heranschlich, ihre Gestalt in den Bäumen verschwand.
„Das ist eine schreckliche Idee", murmelte Mika'il zu sich selbst. „Warum bin ich überhaupt hier? Ich könnte buchstäblich überall anders sein. In einer Welt, wo Weihnachten mit Überfluss an Alkohol und Essen zelebriert wird."
Wie von alleine schlossen sich seine Finger um das Taschentuch, während sie sich den Wachen näherte und hinter einer Vorratskiste in der Nähe des Feuers Deckung suchte. Für einen Moment schien alles gut zu laufen. Sie war fast nah genug, um die Fesseln ihres Bruders zu durchtrennen.
Er könnte jetzt gehen. Er sollte jetzt gehen.
Dann sah Mika'il, wie sich einer der Wachen am Feuer rührte.
Widerwillige Sorge stieg in seiner Brust auf. „Na super."
Ana würde von ihm erwarten, dass er reagierte. Dass er... half. Mika'il würgte beinahe bei dem Wort. Und so wie er sie kannte, würde sie hiervon erfahren. Ganz gleich, ob es in einer anderen Welt stattgefunden hatte.
Unter seinem Schicksal leidend, griff er nach einem Stein und warf ihn, zielend auf die gegenüberliegende Seite des Lagers, um eine Ablenkung zu schaffen.
Der Stein traf mit einem lauten Knacken auf einen Baum. Direkt vor ihm.
Der Wächter am Feuer setzte sich sofort auf, seine Hand am Griff seines Schwertes. „Wer ist da?"
Mika'il erstarrte.
„Das sollte nicht passieren."
Dolch drehte sich um, ihre Augen vor Wut lodernd. Er konnte sie fast schreien hören: Du Idiot!
„Da drüben!" rief einer der Wachen und zeigte in Richtung von Mika'ils Versteck.
„Fantastisch", stöhnte Mika'il und kroch rückwärts.
Die Frau sprang in Aktion. Mit blitzendem Stahl stürzte sie sich auf den nächsten Wächter und brachte ihn mit einem Schwung ihres Beins zu Fall. Ein weiterer Wächter stürmte auf sie zu, doch sie duckte sich unter seinem Schlag hindurch und trieb den Knauf ihres Schwertes in seinen Bauch.
Mika'ils Kiefer klappte herunter, als sie sich wie ein Wirbelwind durch das Lager bewegte, ihre Dolche nur glimmende Weihnachtslichter im Schein des Feuers. Sie kämpfte mit Präzision und Wildheit und nahm es mit allen fünf Wächtern auf, als wäre es ein lockeres Training.
Mika'il schluckte. Er konnte es gar nicht oft genug sagen: Wo bei allen Welten war er hier gelandet?
Während die Wachen abgelenkt waren, schlich Mika'il nach vorne und hockte sich neben ihren Bruder. Er riss den Sack von dessen Kopf und stutzte.
Der Mann darunter war blond, groß und unglaublich gut aussehend. Sein Engelhaftes Gesicht und die durchdringend blauen Augen ließen ihn aussehen, als wäre er einem kirchlichen Gemälde entsprungen.
Mika'il blinzelte. „Du bist ihr Bruder?"
Der Mann lachte, seine Stimme war glatt und jugendlich. „Ist es nicht offensichtlich? Ich nehme an, dass du derjenige bist, der all das Chaos verursacht hat?"
„Äh...", Mika'il kratzte sich am Hinterkopf. „Nicht absichtlich."
Der Mann schüttelte amüsiert den Kopf und warf einen Blick auf den Kampf. „Sie ist wirklich beeindruckend, oder?"
Mika'il deutete auf das Chaos, das sich im Lager abspielte. „Wie ist sie so gut darin?"
Der Mann hob überrascht beide Augenbrauen. „Du weißt nicht, wer sie ist?"
Mika'il warf ihm einen dreckigen Blick zu.
„Ist es nicht offensichtlich?"
Der Kerl lachte. „Sagen wir einfach, sie hat viel Übung darin, mich zu retten. Ich werde öfter entführt."
„Ernsthaft?"
„Familienfluch", sagte er mit einem Schulterzucken.
Mika'il stöhnte. „Fantastisch. Freut mich, dass ich da hineingezogen wurde."
Der letzte Wächter stolperte von der Frau weg, einen blutenden Arm haltend. Sie stand in der Mitte des Lagers, schwer atmend, aber siegreich. Und mit einem Grinsen, das viel zu viel Spaß an der Sache betrog.
Mika'il zeigte ihr ein vorsichtiges Daumen-hoch. „Äh, großartige Arbeit! Du bist... erschreckend!"
Ihr Grinsen wurde, wenn überhaupt möglich, noch breiter. Als sie zu ihm hinübergehen wollte, bewegte sich ein Schatten hinter ihr.
„Pass auf!" rief Mika'il.
Ein Mann in schwarzer Rüstung trat hinter einem Baum hervor, seine Bewegungen leise und entschlossen. Sein Gesicht war von einem Helm verdeckt, und seine imposante Gestalt strahlte Bedrohung aus.
Bevor die Frau reagieren konnte, schloss der Mann die Distanz zwischen ihnen. Mit einer schnellen Bewegung entwaffnete er sie, ihr Schwert klirrte zu Boden. Er packte ihr Handgelenk und verdrehte ihren Arm auf den Rücken, hielt sie in einem eisernen Griff fest.
Mika'ils Magen sackte nach unten. „Äh-oh."
Die Stimme des Mannes in der schwarzen Rüstung war tief und kalt. „Werft die Waffen weg, oder sie stirbt."
Mika'il erstarrte, sein Geist raste. „Oh, das ist schlecht. Das ist wirklich, wirklich schlecht."
Die Frau kämpfte, aber der Mann verstärkte seinen Griff, was sie zusammenzucken ließ.
„Bleib zurück!" zischte Mika'il zu ihrem Bruder, der bereits versuchte, sich zu erheben. „Lass mich nachdenken—nein, warte, du denkst nach! Ich bin schrecklich darin!"
Ihr Bruder grinste schwach, seine Fassung bemerkenswert intakt trotz der Situation. „Willkommen in der Familie."
Der Mann in der schwarzen Rüstung verstärkte seinen Griff um die junge Frau, doch sie zuckte nicht einmal zusammen. Stattdessen drehte sie ihren Körper scharf, befreite sich und wirbelte herum, um sich unter seinem Hieb hindurch zu ducken. .
In einer verschwommenen Bewegung packte sie sein Handgelenk, zog ihn nach vorne und kickte ihm die Beine weg. Er schlug mit einem schweren Knall auf den verschneiten Boden, und bevor er reagieren konnte, saß sie bereits auf ihm, ein Knie auf seiner Brust.
Mika'il, der sich in sicherer Entfernung duckte, beobachtete das gesamte Manöver mit weit aufgerissenen Augen. Als der Mann unter ihrem Gewicht stöhnte, ließ Mika'il einen unfreiwilligen, hohen Schrei los, der durch den Wald hallte.
Die Frau sah nicht einmal auf. „Ernsthaft?" murmelte sie und rollte mit den Augen.
Mika'il schlug sich die Hand über den Mund. „Das war... äh, Kampfbegeisterung?"
Sie ignorierte ihn und griff nach dem Rand des Helms. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung zog sie ihn ab und enthüllte ein markantes, gutaussehendes Gesicht, umrahmt von dunklem Haar. Der Mann blinzelte zu ihr hinauf, seine grünen Augen amüsiert glitzernd.
„Du bist spät, Liebling", sagte sie, ihr Gesicht reiner Triumph.
Der Mann grinste, trotz seiner Lage. „Du hast geschummelt."
Ihre Augenbraue hob sich. „Geschummelt? Du warst derjenige, der sich in den Bäumen versteckt hat wie ein dramatischer Schatten."
„Das nennt sich Strategie", entgegnete er, seine Stimme glatt und unbeeindruckt.
„Nenn es, wie du willst", sagte sie und stieß ihm mit einem behandschuhten Finger gegen die Brust, „Ich habe trotzdem gewonnen."
Mika'ils Kiefer klappte herunter. „Moment mal. Liebling? Flirtest du gerade?"
Der Mann neigte den Kopf, um Mika'il anzusehen, sein Ausdruck definitiv amüsiert. „Ich nehme an, du bist derjenige, der geschrien hat?"
„Ich habe nicht geschrien", sagte Mika'il, Schnee von seinen Armen klopfend, „Das war... taktische Vokalisierung." Er konnte gar nicht abwarten, aus dieser Welt zu verschwinden.
„Klar", sagte der Mann mit einem Lachen.
Die Frau rollte mit den Augen. „Ignorier ihn. Er ist der Grund, warum ich ein ganzes Lager voller Wachen alleine ausschalten musste."
„Technisch gesehen, habe ich sie abgelenkt", protestierte Mika'il. „Schlecht, aber trotzdem."
Das Grinsen des Mannes wurde breiter. „Und ich dachte schon, du hättest endlich gelernt, mit anderen zusammenzuarbeiten."
„Übertreib's nicht", antwortete sie, obwohl ein unbestreitbares Grinsen in ihrer Stimme lag. Sie beugte sich näher zu ihm, „Also, wie fühlt es sich an, gegen deine Frau zu verlieren?"
Der Mann lachte leise. „Ich lass es dich wissen, wenn es das erste Mal passiert."
Mika'ils Augenbrauen fielen zu einer gerade Linie herab. „Ihr seid verheiratet."
Hinter ihm lachte der blonde Mann auf—immer noch gefesselt und gemütlich im Schnee sitzend. „Darf ich dir meinen König und Königin vorstellen? Meine Schwester Lya und ihren Ehemann Ravn."
Mika'il drehte sich wie in Zeitlupe zu ihm um, während die neuen Informationen seine Sicht neu verschoben und färbten wie eine Kameralinse.
„König? Königin? Das ist ein Scherz." Wer ließ seine Royals durch einen Wald jagen?
„No-p", sagte der Bruder mit einem Grinsen. „Obwohl ich zugebe, das ist nicht ihr königlichster Moment."
Mika'il drehte sich wieder zu Lya um, die immer noch auf Ravn saß, ihre Hände auf seinen Schultern. „Das ist verrückt. Ihr seid alle verrückt. Und das an Weihnachten!"
Ravn setzte sich leicht auf, sein Blick auf Mika'il fixiert. „Und wer bist du?"
„Falscher Ort, falsche Zeit", sagte Mika'il trocken, schnell von den grünen Augen wegsehend, ehe sie unwillkommene Erinnerungen von einem anderen Adeligen weckten.
„Kommt mir bekannt vor", murmelte Ravn, als Lya von ihm herunterstieg und den Schnee von ihrem Mantel klopfte.
„Königliche Entführungen scheinen langsam Tradition zu werden", warf Lyas Bruder mit einem Schulterzucken ein, als würde er über den Klimawandel sprechen, „Anscheinend sind nicht alle im Volk begeistert von der Legalisierung von Magie."
„Und irgendwie müssen sie den furchtbar falschen Eindruck gewonnen haben, dass ich meine Meinung für dein mickriges Leben ändern würde." Lya kickte ihren Bruder mit der Fußspitze, ehe sie in die Hocke neben ihm ging und endlich seine Fesseln durchtrennte.
Mika'il massierte sich seine Stirn, kommende Kopfschmerzen fortschiebend.
„Ihr wollt mir sagen, das passiert regelmäßig? So im Sinne von ‚Ho-ho-ho, frohe Weihnachten, lasst uns den Schwager des Königs entführen'?"
„Ziemlich genau", sagte der blonde Mann, seine freien Handgelenke reibend.
„Ihr seid alle völlig durchgedreht", Mika'il warf die Hände in die Luft. „Und ich würde gerne bleiben und das analysieren, aber da fällt mir gerade ein: Ihr seid gar nicht mein Problem. Ich habe meine eigene Welt zu retten, ein Mädchen zurückzuholen und mich über die Feiertage zu erholen. Also, wenn ihr nichts dagegen habt..."
Er griff in seine Taschen und zog einen kleinen Splitter eines Dämonensteins heraus, sowie das Blutverkrustete Taschentuch.
Ein leiser Fluch entwischte ihm, als er bemerkte, dass er einige Brösel verloren hatte. Er hatte nur noch drei. Das ließ nicht viel Raum für weitere Fehler. Aber er war ja ein Profi.
Unter den gespannten Augen der anwesenden Familie, drückte er einen weiteren Stein in das Taschentuch und wartete. Magie funktionierte in unterschiedlichen Welten anders. Manchmal sogar gar nicht. Aber Dämonenblut-...
„Soll schon etwas passiert sein?", murmelte der König seiner Frau beinahe unhörbar ins Ohr. Seine Augenbrauen zweifelnd zusammengeschoben.
Mika'il hielt die Luft an. Der Stein pulsierte einmal.
Die Königin lehnte sich zu ihrem Mann, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und wisperte viel zu laut: „Vielleicht ist er einer von den Verrückten, die denken, dass sie fliegen kö-..."
Mika'il hörte das Ende von dem Satz nicht mehr. Er wusste, dass er nicht fliegen-... Die Welt um ihn herum verschluckte sich selbst und ihn gleich mit.
...konnte. Mist.
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"Wie oft muss man eigentlich entführt werden, bis es als Volkssport gilt?"
- Lewi, macht sich Sorgen.
Mika'il wollte doch nur in unsere Welt kommen und jetzt das. Erpresst, erfroren und mitten in einen Ehe-Wettstreit geraten. Und wer hätte nicht geschrien, als Ravn umgeworfen wurde?
Wurde jemand sentimental, als sie drei ihrer ältesten Charaktere zurückgeholt hat? Neiiin. Das war TJ. *hust*
Was denkt ihr, wie oft Lewi wirklich entführt wurde? Und wer öfter gewonnen hat, Lya oder Ravn? :D
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