Kapitel 19
Joel war gerade auf dem Weg nach Hause, als er das Mädchen sah. Es war hier kaum jemand unterwegs und das Mädchen achtete darauf, dass diejenigen, die da waren, sie nicht beachteten. Joel beschleunigte etwas, versuchte aber, ihr nicht aufzufallen. Sie waren nur wenige Meter vom Spielplatz entfernt, als er sie einholte. Er hielt sie am Arm fest. "Lass mich los", sagte sie nur. Es schien sie nicht zu überraschen. Sie wehrte sich auch nicht. Als würde sie sich einfach so geschlagen geben. "Wer bist du?", fragte Joel. Das Mädchen antwortete nicht. Ein zweites Mädchen erschien. Sie kam aus dem Gang zum Spielplatz heraus. Und sie sah dem ersten Mädchen zum verwechseln ähnlich. Die beiden Mädchen starrten sich an. "Moment mal, was ist hier los?", fragte das erste Mädchen. Sie schaute zu Joel, als könnte er irgendwas erklären. Er konnte nur vermuten, dass es mit dem Kristall zu tun hatte. "Das wüsste ich auch gerne", erwiderte das zweite Mädchen. Joel wusste nicht so wirklich, was er sagen sollte. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Er ließ das erste Mädchen wieder los. "Aber du weißt das doch." Das war Elli. Joel sah zu ihr und stellte fest, dass sie den Kristall hatte. Sie hielt den Kristall hoch. So, dass das Licht vom Kristall auf das zweite Mädchen traf. "Nicht wahr, Yin?" Das zweite Mädchen verlor kurz alle Farbe, wurde komplett weiß, sodass man sie kaum anschauen konnte. Nach einer Sekunde verschwand das weiße wieder und da stand Yin. "Es könnte sein, dass ich jetzt auch ein oder zwei Fragen habe", sagte sie. "Frage Nummer 1: Warum hast du dich zurückverwandelt", vermutete Elli, "Das kann ich dir beantworten. Einer der 8 Splitter gibt keine Fähigkeit, sondern entzieht der getroffenen Person all die Fähigkeiten, die diese vom Kristall bekommen hat. Das habe ich gerade an dir angewandt." "Aber ich sehe noch, dabei habe ich das doch auch vom Kristall", wandte Yin ein. "Dann gibt es vermutlich etwas, was verhindert, dass du diese Kraft verlierst", vermutete Elli. "Frage 2", sagte Yin, "Woher wusstest du das?" "Dass du diese Kraft vom Kristall hast?", erwiderte Elli, "Ich habe dich gesehen. Wie du aus diesem brennenden Haus aus dem Fenster gestiegen bist, dich verwandelt hast und zu den Hütern gegangen bist. Dass du hier bist, weiß ich von Antonia, ebenso von dem Reset vom Kristall." "Du hast mit Antonia gesprochen?", fragte Joel. "Irgendwie hat sie es geschafft, meine Handynummer herauszufinden, bevor ich sie kannte", antwortete Elli. "Du hast inzwischen ein Handy?", fragte Yin. "Antonia hat das Handy von meinem Geburtstag bekommen und es mir als Abschiedsgeschenk hinterlassen", erklärte Elli, "Ich habe es gestern bekommen." "Gibt es noch mehr Sachen, die wir klären sollten oder können wir dann weiter machen?", fragte Yin. "Was ist mit Katrin und Lara?", fragte Joel. "Gute Frage", antwortete Yin, "Wo könnten die wohl sein." "Jan und Jonas sind bereits auf dem Weg", berichtete Elli, "Dürften gerade angekommen sein." "Und was hat Antonia dir noch alles erzählt?", fragte Joel. "Wo ich den Kristall finde. Aber das war's", sagte Elli. Sie war immernoch eine schlechte Lügnerin, aber Joel fragte nicht weiter. "Das war gelogen, oder?", fragte das fremde Mädchen. "Das ist bei ihr Tradition", erklärte Yin. "Und die ist psychopathische Psychologin. Die muss das wissen", konterte Elli. "Du weißt nicht mal, was das ist", stellte Yin fest. "Stimmt", bestätigte Elli. "Dieses Gespräch geht gerade irgendwie in eine ganz komische Richtung", sagte Joel. "Dann sollten wir unser Gespräch besser beenden", erwiderte Yin. Jetzt packte sie das fremde Mädchen am Arm und zog sie zu sich. "Seid lieber vorsichtig, was ihr tut." Ihr linker Arm umklammerte den Hals des Mädchen, so dass diese kaum Luft bekam. Trotzdem machte es dieser keine Schwierigkeiten, zu sagen: "Mir hat es mehr gefallen, als ihr noch geredet habt." "Was willst du, Yin?", fragte Joel. "Das fragst du noch?", erwiderte Yin, "Dich natürlich, was denn sonst?" "Denkst du, du kannst jemand mit bloßen Händen erwürgen?", fragte das fremde Mädchen, "Mir machst du damit keine Angst." Das sie immernoch nur schwer atmen konnte, schien sie gar nicht zu stören. "Sei lieber vorsichtig, was du sagst", empfahl Yin. "Wieso?", fragte das Mädchen, "Mir ist völlig egal, ob du mich tötest oder nicht. Ich habe nichts zu verlieren." "Aber mir ist es nicht egal", sagte Joel, "Lass sie los, Yin. Du weißt, dass es ohne Kräfte nur eine Frage der Zeit ist, bis du verloren hast." Es überraschte ihn, dass Yin diesem Befehl folgte. Keuchend setzte sich das fremde Mädchen auf den Boden. Elli hatte sich mittlerweile hinter Yin geschlichen und von hinten schlug sie ihr jetzt mit einer Hand auf den Mund. Sie zog Yin zurück und stellte ihr gleichzeitg ein Bein, sodass sie hinfiel. Joel schaute kurz zu Yin, ging dann aber zu dem fremden Mädchen. "Alles gut?", fragte er. "Gib mir noch kurz ne Minute", erwiderte sie. Yin war mittlerweile wieder aufgestanden. "Du sorgst dich um sie?", fragte sie, "Warum?" "Ich glaube, das fällt unter Nächstenliebe", antwortete Joel, "Kennst du nicht." "Nein." Yin schüttelte den Kopf. "Irgendwas stimmt hier nicht." Sie sah sich um, als würde sie was suchen. "Wo bist du?", rief sie, "Ich weiß, dass du hier bist. Zeig dich und erklär dich!" Wen meinte sie? Als nach ein paar Sekunden keine Reaktion kam, rannte Yin weg. Joel wollte sie verfolgen, aber Elli hielt ihn zurück. "Die erwischst du nicht mehr." Das fremde Mädchen stand wieder auf. "Du kennst Biene, oder?", fragte sie, "Ich hab dich mal da gesehen, wo sie jetzt wohnt." "Ich hab sie mal getroffen", antwortete Joel. "Kannst du ihr Grüße ausrichten?", fragte das Mädchen. "Grüße von?", fragte Joel. "Weiß sie", antwortete das Mädchen. Dann rannte sie weg. Joel schaute Elli kurz an. "Verstehst du das?", fragte er. "Vielleicht versteht Biene es ja", antwortere Elli. "Ich gehe gleich zu ihr", sagte Joel, "Aber erstmal gehe ich zu Yin. Ich glaube, ich weiß, wo sie hin ist."
Joel ging zu dem Haus. Es war ihm aufgefallen, wie oft sie wegen Yin hierher gekommen waren. Das Haus hatte das Feuer von ihrem letzten Besuch zwar überlebt, aber ob man da noch wohnen konnte, war eine andere Frage. Nach Yins Kommentar auf seine Frage vermutete Joel, dass sie auch Lara und Katrin hier versteckt hatte. Er erwartete nicht, die beiden noch hier anzutreffen. Und er tat es auch nicht. Es wunderte ihn aber ein wenig, dass er Yin nicht antraf. Er schaute auch im Haus, aber sie war nicht zu finden. Erst, als er wieder gehen wollte, hörte er ein starkes Husten. Es kam aus dem Wald. Und er glaubte, in diesem Husten die Stimme von Yin zu erkennen. Er ging in den Wald. Es ertönte wieder ein Husten. Es kam zwar nicht vom Weg, aber wenigstens auch nicht von hinter dem Gebüsch. Joel ging auf der anderen Seite vom Weg runter. Er musste nicht lange gehen bis er sie sah. Yin stützte sich an einen Baum, als würde sie sonst umfallen. Es war ihr klar anzusehen, dass es ihr nicht gut ging. Joel ging zu ihr. "Yin*, sagte er. Er erwartete eine von zwei Reaktionen. Es gab die Möglichkeit, dass sie erneut versuchte, zu fliehen. Ob sie in dem Zustand besonders weit käme, war eine andere Frage. Die zweite Möglichkeit war, dass sie ihn angriff. Physisch, Psychisch oder was auch immer ihr sonst einfiel. Sie entschied sich für Möglichkeit 3. "Johanna", antwortete sie. Es war zu hören, dass es ihr nicht allzu gut ging. "Johanna", wiederholte Joel. Sie lächelte, aber das Lächeln wurde schnell von einer weiteren Hustenattacke vertrieben. Sie ließ den Baum los, stolperte ein paar Schritte in seine Richtung und fiel hin. "Was ist los?", fragte Joel. Sie antwortete nicht. "Johanna!" Er machte sich Sorgen um sie. Er kniete sich neben sie. "Es ist besser so", flüsterte Johanna. "Was ist besser?", fragte Joel. Johanna antwortete nicht. Beide blieben ein paar Minuten lang ganz still. Keiner bewegte sich. Joel kam langsam ein Verdacht, was sie gemeint hatte. Er nahm ihre Hand. Schlaff, kein Puls. Sie atmete auch nicht mehr. Jetzt war Joel sich sicher, was sie gemeint hatte. Sie hatte sich umgebracht.
Gegen Abend ging Joel zur Familie Kreh. Er musste immernoch die Nachricht für Biene überbringen. Otto öffnete ihm die Tür. "Joel", sagte er überrascht, "Ist was? Du siehst so traurig aus." "Ich erklär's euch morgen", antwortete Joel, "Wir treffen uns in der ersten Pause. Jetzt muss ich mit Biene sprechen." "Aber nicht lange", sagte Otto, "Ich gebe ihr gerade Nachhilfeunterricht." Die beiden gingen zu Biene, die gerade ein paar Matheaufgaben anstarrte. "Biene", sagte Joel. "Was ist?", fragte Biene. "Ich soll dir Grüße von jemandem ausrichten." Biene sah ihn etwas überrascht an. "Wer?", fragte sie. "Ich weiß es nicht", antwortete Joel, "Ich habe sie nur zufällig getroffen. Sie meinte, du wüsstest es schon." Biene starrte Joel an. "Weißt du, wer sie ist?" "Nein", antwortete Biene kurz. Sie log. Sie wandte sich wieder ihren Aufgaben zu. "Dann geh ich mal wieder", sagte Joel, "Aktuell ist es wahrscheinlich sowieso besser, wenn ich Zuhause bin."
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