Kapitel 11
Elli saß am Waldrand und starrte in den Himmel. Die Sonne war am Untergehen. Die Zeit verging langsam, wenn man allein war und der eine Tag hatte sich angefühlt wie eine Ewigkeit. Aber als Joel am Nachmittag gekommen war, um sie davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen, war sie stur geblieben. Sie würde nicht ewig im Wald bleiben können, das wusste sie. Und auch wenn sie es eigentlich nicht zugeben wollte, war es doch ein Wunder, dass sie und ihre Freunde zwei Jahre durchgehalten hatten. Aber Elli würde nicht zurück zu ihrer Mutter gehen. Sie hatte etwas anderes vor.
Light war wieder zu spät. Niko, Gaby und Luna saßen auf einer Mauer und warteten. Linda und Otto standen etwas abseits und diskutierten darüber, was die beste Eissorte war. Als Light kam, war sie nicht allein. 3 Jungs waren bei ihr. Leon, Norra und jemand, den Luna nicht kannte. Mit den schwarzen Haaren im Gesicht und dem dunklen Kleidungsstil wirkte er recht finster. "Ihr könnt im Sommer über Eis diskutieren", sagte der Fremde ohne Begrüßung, "Es gibt was zu erledigen." Immerhin: Er klang nett. "Was macht denn der hier?", fragte Otto, "Ab in die Grundschule mit dir!" "Ich bin nur deswegen noch in der Grundschule, weil ich die letzten 2 Jahre gar nicht in der Schule war.", erwiderte der Junge. "Du siehst trotzdem aus, als wärst du gerade in die 2. Klasse gekommen", beharrte Otto. "Der kann auch anders", sagte Luna entschuldigend. "Kann er nicht", warf Linda ein. "Macht nichts", erwiderte der Junge, "Er hat ja recht. Ich war schon immer klein für mein Alter. Und, naja, die letzten 2 Jahre habe ich im Wald gelebt. Ich bin Max." "Max hat auch eine Magie", erklärte Light, "Und er kennt Elli." "Elli?", fragte Gaby. "Katrin hatte sie schon erwähnt", erklärte Light, "Elli ist mit Freunden, darunter Lara und Max, von Zuhause abgehauen. Sie haben zu fünft 2 Jahre lang im Wald gewohnt." "Bis auf Elli sind inzwischen alle nach Hause", sagte Max. "Und warum ist Elli jetzt plötzlich wichtig für uns?", fragte Linda. "Weil wir sie im Verdacht haben, den Kristall zu haben", antwortete Norra. "Wir sind davon ausgegangen, dass Antonia ihn hat", erwiderte Niko. "Sie hatte ihn", erwiderte Leon, "Sie hat ihn mir gegeben, als sie abgereist ist. Zusammen mit einer fast identischen Kopie, die mir dabei helfen sollte, ihn zu verstecken." "Sie hat ihn einfach abgegeben?", fragte Gaby. "Kam mir auch seltsam vor. Deswegen habe ich ihn nicht behalten, sondern Norra gegeben. Und tatsächlich hat jemand die Fälschung gestohlen." "Wurde eingebrochen?", fragte Otto beunruhigt. "Ich hatte das Fenster aufgemacht", erwiderte Leon, "Also kein Schaden." "Elli hat gedacht, es wäre der echte Kristall", sagte Max, "Sie hat versucht, ihn einzusetzen, aber natürlich ohne Erfolg." "Diese Nacht hat jemand den echten Kristall durch den falschen ersetzt", berichtete Norra. "Also hat Elli jetzt den Kristall", stellte Luna fest. "Nur, wenn sie die Fälschung nicht verloren hat", schränkte Otto die Begeisterung seiner Schwester ein. "Sicher genug, dass es sich lohnt, hinzugehen", sagte Luna, "Wir treffen uns nach der Schule."
Zu sechst gingen sie in den Wald. Max führte sie. Sie passierten die Lücke mit den Dornen unverletzt bis auf Linda, die natürlich sofort von Otto ausgelacht wurde, und Otto selbst. "Das wird immer schlimmer mit den beiden", sagte Luna. "Ist der wirklich dein Bruder?", fragte Max. "Ja, ist er", antwortete Luna, "Und ich bin nicht stolz darauf." "Aber ihr habt verschiedene Nachnamen", stellte Max fest. "Wir wurden beide von unseren Eltern abgegeben", erklärte Luna, "Ich war zuerst auch in der Familie Kreh, aber ich bin später in eine richtige Familie gekommen. Ich hatte lange keinen Kontakt mit Otto, aber als wir uns in der Schule wiedergetroffen haben, habe ich ihn erkannt. Er hat mich nicht erkannt. Er hat sich nicht an damals erinnert, ich auch nur so ungefähr. Er hat es erst durch irgendwelche Akten erfahren. Inzwischen weiß jeder, dass wir Geschwister sind. Und dass ich trotzdem zu Linda halte." "Wir sind da", sagte Max. Er ging auf die andere Seite der Hütte und klopfte. Elli reagierte und Max öffnete die Tür. "Was ist?", fragte Elli. "Hast du den Kristall?", fragte Luna direkt. "Schön wär's", erwiderte Elli. "Aber du hattest die Fälschung", hakte Max nach. "Nicht mehr, nachdem du sie mir weggeschossen hast", gab Elli an, "Ich habe gesucht, aber ich habe es nicht mehr gefunden. Ich bin davon ausgegangen, dass Joel sie mitgenommen hat oder Light, weil die ist aufgetaucht, bevor ich suchen konnte." "Weißt du noch, was ich bei unserer letzten Begegnung gesagt habe?", fragte Max, "Ich hasse Lügen. Das hat sich nicht geändert. Also bitte die Wahrheit." "Das ist die Wahrheit", erwiderte Elli. "Warum kannst du nicht lügen?", fragte Max, "Du hast das doch 2 Jahre lang gemacht." "Das liegt sicher am Vertrauen", erklärte Elli, "Ihr habt nie darüber nachgedacht, dass ich mehr vorhaben könnte, als mich um unser kleines Imperium zu kümmern." Sie ging raus zu einem kleinen Gebüsch, unter dem sie etwas hervorholte. "Hier", sagte sie und gab Max den Kristall. "Ich konnte ihn sowieso nicht einsetzen. Ich habe es probiert, aber nichts ist passiert." "Das ist seltsam", sagte Niko, "Sicher, dass das diesmal der richtige ist?" "Wenn Norra nicht auch einen falschen hatte, dann ja", antwortete Elli. "Vielleicht kann das einfach nicht jeder", überlegte Gaby, "Es hat ja auch nicht jeder eine angeborene Magie." Luna hätte etwas erwidern können. Aber sie tat es nicht. Das würde ihr Geheimnis bleiben. Und wer weiß, vielleicht würde dieses Geheimnis irgendwann ihre Geheimwaffe sein.
Leon war auf dem Weg nach Hause. Er hatte den ganzen Tag bei Norra verbracht und es wunderte ihn nicht, dass die Sonne schon untergegangen war. Noch ging sie früh unter. Sein Handy klingelte. Leon kannte die Nummer nicht, aber er nahm den Anruf an. "Hallo Leon", sagte eine Stimme. Weiblich, jung, Leon kannte sie nicht. "Wer ist da?", fragte er. "Eine Freundin von Antonia", antwortete die Stimme, "Weißt du noch, wo Yin besiegt wurde? Du solltest dahin gehen. Ich warte auf dich." "Warum?", fragte Leon, aber das Mädchen hatte schon wieder aufgelegt. Leon war irritiert. Wer war das? Sollte er dahin gehen? Nach kurzem Überlegen siegte die Neugier über die Angst. Er war sich zwar immer noch unsicher, aber er ging hin. Das Haus war etwas abseits von der Stadt und nach wie vor unbewohnt. Im Hof stand jemand. Erstmal erkannte Leon sie nicht. "Wer bist du?" Aber als er sie genauer sah, ihr direkt ins Gesicht sah, wusste er, wer es war. Und er hatte keinen Zweifel daran, dass sie ihn angerufen hatte. "Was willst du?", fragte er. Sie antwortete immer noch nicht. Dafür antwortete jemand anderes. Jemand hinter ihm. "Du solltest besser fragen, was ich will."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top