Chat Noir hatte Adrien Agreste's Leben zerstört. Das dachte er zumindest, als sich Adrien zum ersten Mal die Prognose des Arztes anhörte - er hatte die letzten Tage halb schlafend, halb weinend verbracht, im stetigen Wechsel zwischen Teilnahmslosigkeit und weinendem Zittern.
Alya und Nino hatten ihn jeweils noch einmal besucht, öfter hatte sein Leibwächter die beiden nicht herein gelassen - sein Vater war häufig dort, aber Adrien tat so, als würde er schlafen - bis die Besuche seines Vaters in der letzten Woche wieder abgenommen hatten.
Nino hatte Marinette wieder nicht erwähnt, Alya hingegen hatte ihm erzählt, dass die Polizei ihre Leiche noch nicht freigegeben hatte - nicht einmal im Tod hatte Ladybug ihre Ruhe. Adrien fragte sich nur, warum er sie an dem Tag verlassen hatte.
Die Stimme seines Arztes, dessen Namen er sich nicht merken wollte, hatte ihm heute aus seinem Delirium reißen können - es war seine gute Laune gewesen, die Adriens Übelkeit wieder aufsteigen ließ.
Der Mann hatte ihm erklärt, wie zerschunden sein Körper wirklich war - nichts davon hatte Adrien richtig realisieren können, noch wahrgenommen. Jetzt wusste er endlich, dass es Chat Noirs Schuld war, dass er seit fast zwei Wochen das Bett nicht verlassen durfte, liegen bleiben musste - die Wunden an Hals und Kopf waren zu rosanen Narben verheilt, die hämmernden Schläge im Schädel schon längst zu nervigen Kopfschmerzen abgeklungen.
Es sind auch nicht die Rippenfraktur der unteren vier Rippen oder die zahlreichen Quetschungen und Prellungen im Bauch und Brustbereich gewesen, was die Ärzte so in Sorge versetzte - Adrien hatte Glück gehabt, keine seiner Organe hatten Schäden davon getragen.
Es war die Verletzung der Lendenwirbel.
Nichts weiter als ein Haarriss war es wohl gewesen, wie Adrien insgeheim vermutete, sonst hätte er damals nicht mehr minuten-, wenn nicht sogar stundenlang über die Dächer fliehen können -
Er erinnerte sich nicht daran, was genau passiert war, in den Augenblicken, in denen er Marinette in seinen Armen hielt und denen, wo er die Schatulle versteckt hatte. Er hatte ShadowMoth gesehen - er war geflohen. Das war alles.
Nur hatte er diesen Haarriss nicht bemerkt. Er hatte ihn wohl nur schlimmer gemacht. Zu sehr belastet. Als die Sanitäter ihn bewusstlos aufgefunden hatten, war es ein zweifacher Bruch im Wirbelbogen gewesen, bei dem ein Stück des Knochens sein Rückenmark leicht verletzt hatte.
Und jetzt versuchte ein Mann den er nicht kannte, ein Mann, dessen gute Laune wie weggewischt schien, ihm irgendwie zu erklären, dass die leichten Nervenschäden im Rückenmark eventuell permanent bleiben könnten - dass niemand zu diesem Zeitpunkt genau sagen könnte, wann und ob er je wieder laufen könne.
Er gab Chat Noir die Schuld. Er gab sich selbst die Schuld. Er hatte sie nicht beschützen können - er würde sie auch nicht rächen können.
In den nächsten Stunden fand er keinen Schlaf mehr - er blendete seine Gedanken aus, versuchte zur Ruhe zu kommen, die sein Kopf ihm nicht gönnen wollte - konzentrierte sich ausschließlich darauf, etwas zu [style]fühlen[/style]. Denn erst jetzt wurde ihm bewusst, dass da immer diese Taubheit in den Beinen gewesen war - dass er sich nicht halten konnte, wenn er aufstehen wollte.
Erst als er seine Fingernägel in den Oberschenkeln vergrub, brachte es ihm Ruhe vor dem Gedankensturm - das dumpfe Ziehen auf der Haut unter der Pyjamahose, das Kribbeln in den Zehen, wenn der diese bewegen wollte.
Auch in dieser Nacht suchten ihn die Geister heim - Albträume, die ihn nicht losließen, ihm nicht halfen, der Kälte zu entkommen, die ihn umklammerte.
Er träumte vom Eiffelturm, von den Monstern im blutrotem Nebel, dem Lachen eines Teufels im purpurnen Licht.
Er lag am Boden, unfähig sich zu bewegen, von unsichtbaren Fesseln gebannt.
Er konnte die Augen nicht schließen, während die Flammen ihn verschlangen und Marinette seinen Namen schrie - der Klang ihrer Stimme zerfetzte seine Ohren, das Geräusch ihrer berstenden Knochen zerriss ihm sein Herz - es waren schwarze Pfoten, die ihn wachrüttelten, seine Schulter umklammerten, während heiße Tränen über seine Wangen flossen.
,,Es war nur ein Traum, Adrien!" Die Bedeutung von Plaggs Worten erreichten ihn nicht, als Adrien nach Luft schnappte, sich an der Matratze festhielt und glaubte, er würde fallen.
Der Mond war heute hinter einer dicken Wolkenschicht verschwunden, kein Licht erhellte das Zimmer. Das war auch der einzige Grund, weshalb Adrien, selbst in seiner Apathie, den kleinen glühenden Lichtfleck bemerkte.
Reflexartig hielt er die Luft an, Panik schwappte in ihm hoch. Purpurnes Licht, das sanfte Flattern zarter Flügel, die glühten wie erlischende Kohle.
Adrien hörte Plaggs Zischen neben seinem Ohr, als sich der Kwami blitzschnell hinter seinen blonden Haaren verbarg. Adrien hatte Akumas früher auf groteske Art schön gefunden. Magisch leuchtende Schmetterlinge, wie kleine Glühwürmchen - doch in ihrer Magie lag so viel Dunkelheit, wie es kein Albtraum abbilden konnte.
Die flatternden Flügelschläge zuckten in seine Richtung, als Adriens Fluchtinstinkt einsetzte, er die Bettdecke zur Seite trat und sich halb aus dem Bett schob - an seinem Finger trug er den silbernen Siegelring, die Wörter lagen bereits auf seiner Zunge, bereit diesen Parasiten einzuäschern - da hielt er zeitgleich mit dem Insekt inne.
Er konnte sich nicht verwandeln. Er wollte es nicht.
Doch auch der Akuma schien zu zögern - wendete, durchquerte den Raum und verschwand unter dem Türspalt, nahm sein geisterhaftes Glühen mit sich und hinterließ nur Finsternis.
Adrien blieb versteift wie er war, registrierte nicht die stechenden Rippen und das Pochen im unteren Rücken. Er wusste nicht, ob er wirklich wach war, oder vielleicht hatte Plagg ihn nie aus dem Albtraum gerissen - dann spürte er den Luftzug, als Plagg sein Versteck verließ und zur Tür flog, nur um dadurch zu verschwinden.
,,Plagg!"
Panisch flüsterte Adrien seinen Namen, wollte dem Kwami hinterher - es war Tikki, die ihn sanft aufhielt, gegen seine rechte Schulter drückte. - ,,Er passt auf, das der Akuma niemanden verletzt. Bleib hier!" Ihre Stimme drang in seine Ohren, sein Verstand wehrte sich dagegen.
,,Wenn er ihn sieht - "
,,Wird er nicht. Plagg ist in der Nacht absolut unsichtbar. Außerdem kannst du gerade nichts tun, Adrien - "
Adrien zuckte getroffen zusammen, zog die Schultern hoch, als hätten ihre Worte wie Dornen auf ihn eingeschlagen. Ja, was konnte er schon tun?
Tikkis blaue Augen wurden groß, ihre Fühler am Kopf zuckten leicht - ,,Es tut mir leid, Adrien, so war das nicht gemeint!", sagte das Kwamimädchen schnell, aber Adrien zuckte nur zurück. - ,,Ist klar." Adrien blinzelte, unterdrückte die Tränen, die erneut ausbrechen wollten, rutschte hoch, zu dem Kopfkissen zurück. Er wandte den Blick nicht von der Tür ab, versuchte die traurigen blauen Augen Tikkis nicht zu beachten.
Sie versuchte noch etwas zu sagen, aber seine abwehrende Haltung schien sie zu verunsichern - ihre Stimme blieb ihr im Halse stecken, stattdessen schmiegte sie sich an seine Halsbeuge, als würde sie bei ihm Schutz suchen wollen - was lächerlich war, denn Adrien konnte niemanden beschützen.
Die Anspannung ließ erst nach, als die grün-leuchtenden Augen des Katzenkwamis wieder an der Zimmertür erschienen.
,,Der Akuma ist durch das ganze Krankenhaus geflogen. Überall ist er hin, aber dann abgehauen - ich wollte ihm erst folgen, zu ShadowMoth zurück - aber ich kann nicht - ", Plaggs Stimme stockte, bevor er sich zu Tikki gesellte, die ihn umarmte.
,,Er sucht nach mir", hauchte Adrien irgendwann tonlos, zog sich die Bettdecke zum Kinn hoch, als wie plötzlich nicht mehr zu schwer wirkte, sondern wie ein Schutzschild vor den Schatten, die er nicht sehen konnte. Er erhielt keine Antwort von den beiden Kwamis, die sich gegenseitig hielten - Adrien merkte nicht, dass er sich auf die Lippen biss, bis er Blut schmecken konnte.
,,Du hast deine Beine bewegt", stellte Plagg schließlich leise fest, durchbrach die Stille des Zimmers. ,,Du hast sie bewegt."
***
Die ersten Schritte auf seinen eigenen Füßen waren unglaublich schwer. Es war ein Montag, etwas mehr als drei Wochen nach dem einen Tag, als Adrien endlich selbstständig sein Bett verlassen durfte.
Seine kühlen Finger umklammerten krampfhaft die Krücke, die ihm gegeben wurde. Sein gebrochener Arm hing in einer Schlaufe, der glatte Bruch im Unterarmknochen fast verheilt.
Sein gesamtes Gewicht lag auf seinem gesunden Arm, seine Beine mochten ihn nicht tragen.
,,Lass es langsam angehen." Die ruhige Stimme seines Arztes traf bei Adrien auf taube Ohren. Sein ganzer Körper zitterte, als er einen weiteren Schritt nach vorne tat.
Er hatte am Morgen zum erstem Mal die Nachrichten eingeschaltet.
Nach über drei Wochen wurde immernoch darüber berichtet, dass das Eisengerüst des Eiffelturms Dellen hatte und sämtliche öffentliche Plätze herum gesperrt waren, da der Boden teilweise mehrere Meter tief aufgerissen war. Denkmalgeschützte Gebäude und Wohnhäuser waren eingestürzt oder hatten ihre Fassaden verloren, dass das Bild von Paris ihn an die alten schwarz-weiß Fotos aus den Weltkriegen erinnerte.
Und das Ufer der Seine war über hunderte Meter mit Kerzen und Blumen bedeckt, Bilder wurden aufgestellt und Zivilisten wurden gezeigt - ab dem Zeitpunkt hatte Adrien das Gerät wieder abgeschaltet. Die Pariser trauerten einem Mädchen hinterher, welches sie nicht gekannt hatten.
Ein einziger Blick in die Sozialen Medien reichte ihm, um von Vorwürfen und Erwartungen überschwemmt zu werden - jeder schien seine Meinung äußern zu wollen, jeder versuchte aus den Geschehnissen irgendeine spannende Geschichte zu spinnen oder zu versuchen, ein alternatives Ende daraus zu finden - Hätten sie doch, wenn sie doch nur und er hätte es anders machen sollen -
Adrien tat einen weiteren, verkrampften Schritt.
Es machte ihn krank, darüber nachdenken zu wollen, was hätte sein können. Es machte ihn krank, zu sehen, wie sich völlig Fremde auf das Geschehene stürzten, als wäre es eine Attraktion. Es machte ihn krank, ihre Erwartungen an ihn zu hören, denn er konnte sie nicht erfüllen. Er konnte ja nicht einmal laufen.
Sein Fuß knickte weg, der Arzt fing ihn auf. - ,,Das reicht für heute, Monsieur Agreste."
Adriens müde Muskeln ließen ihm keine Wahl, als sich von seinem Arzt zurück in sein Bett schieben zu lassen.
Er schwankte minütlich zwischen dem Wunsch, sich für immer in seinem Bett verstecken zu können und dem Verlangen, davonzulaufen, zu fliehen aus diesem kahlen und kalten Raum.
Adrien bemerkte erst, dass er wieder allein war, als sich Plagg auf sein Knie setzte. Der Kwami stupste ungeduldig gegen den hellblauen Stoff seiner Pyjamahose, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
,,Laufen lernen tust du nicht, in dem du dir die Nase brichst, wenn du hinfällst", durchschnitt seine scharfe Stimme die Stille des Zimmers.
,,Sagt derjenige, der fliegen kann und seine Füße nie benutzt!" Tikkis Stimme erklang vom Kopfkissen her, hinter dem sie sich zuvor eingekugelt hatte - neben ihr lag der perlenbesetzte Glücksbringer, an dessen Band sich ihre kleinen roten Pfoten festhielten. Ihre blauen Augen musterten Plagg, der Glückskwami zeigte ein schiefes Lächeln.
,,Pah! Ich kann auch laufen. Sieh her!"
Plaggs schwarze Pfoten tippelten gegen Adriens Bein, als er begann, auf zwei Beinen zu gehen - die Arme zur Seite ausgestreckt, als würde er balancieren, konzentriert auf die Zunge beißend. Adrien hatte den Kwami tatsächlich noch nie laufen gesehen, und er konnte nicht anders - seine Schultern zuckten, als seinen Lippen ein leises Prusten entwich, ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht.
Der Katzenkwami ließ sich nichts anmerken, dass er Adriens Reaktion bemerkte, tat so, als würde er sein Gleichgewicht verlieren und plumste auf die Matratze herunter, landete auf dem Rücken. - ,,Mrauu, meine Pfoten haben mich im Stich gelassen!" jammerte Plagg, griff sich theatralisch an die Brust, zeigte seine spitzen Eckzähne in einem Grinsen.
In den nächsten Tagen versuchte Plagg immer wieder, Adrien ein weiteres Lachen zu entlocken - er beschwerte sich lautstark über die eher mäßige Auswahl des Käses, den Adrien zu seinem Frühstück bekam (,,Scheibenkäse! Ein Albtraum!"), riss am laufenden Band Witze über das Personal, Adriens Vater (nachdem dieser Adrien besuchte) oder über die Leibwächter, die tagsüber vor seiner Zimmertür standen - mit mäßigem Erfolg.
Adrien merkte, dass Plagg Rücksicht auf ihn nahm, ihn mit ungewöhnlichen Samthandschuhen anfasste. Es ging ihm gegen den Strich, doch sagten tat er nichts - die Fürsorge, die der Kwami ihm gegenüber zeigte, bedeutete ihm zu viel.
Tikki war das genaue Gegenteil von Plagg. Während der Chaosgeist ihm Ablenkung schenkte, seine Stimme erhob, sobald er es konnte, blieb das Marienkäfermädchen eher still. Sie redete eigentlich nur mit ihm, wenn sie versuchte Adrien zurück in die Wirklichkeit zu holen.
Sie musterte ihn immer vorwurfsvoll, wenn er sein Essen nicht anrührte, es stattdessen ihr und Plagg überließ. Sie ermutigte ihn immer mit mahnender Stimme, sein Bett zu verlassen, das Laufen zu üben - oder eine Pause einzulegen, je nachdem in welcher Stimmung Adrien war.
Sie passte auf, dass er sich nicht überanstrengte, trieb ihn aus seiner Höhle, wenn er sich verstecken wollte.
Plagg und Tikki mussten ihn weiterhin regelmäßig aus den Träumen reißen - keiner von beiden erzählten dem Jungen jedoch, dass noch drei weitere Male ein Akuma aufgetaucht war - bis Adrien den fünften Schmetterling entdeckte, nur im Halbschlaf, und mitbekam, wie Plagg ihm erneut durch die Schatten der Nacht folgte.
Und während sein Verstand versuchte ihm zu sagen, dass Plagg alles richtig machte, sich nie weit von seinem Miraculous an Adriens Finger zu entfernen, den Akuma nur innerhalb dieser Mauern zu folgen, schrie Adriens Wut den Chaosgeist an, er solle diesem Akuma bis hin zu ShadowMoth folgen, egal wie weit er dann fliegen müsste. Nur seine Angst, Plagg zu verlieren, hielt Adrien davon ab, diesen wütenden Gedanken auszusprechen.
Wer wusste schon, wie oft ShadowMoth seine kleinen Parasiten aussandte, um Chat Noirs schwer verletzte Gestalt zu finden - und vor allem wie lange er das schon tat. Oder warum ShadowMoth nicht schon längst herausgefunden hatte, dass Chat Noir Adrien war.
Zweimal täglich kam eine Ärztin zur Physiotherapie - sie bewegte seine Beine, winkelte sie an, zog sie wieder gerade. Plagg machte sich jedesmal danach über ihn lustig, wenn er "wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken lag und mit den Beinen strampelte" - Tikki rügte ihn für seine Wortwahl mit einem Schlag auf den Hinterkopf.
Alle zwei Tage kam ein Psychologe zu ihm ins Zimmer. Adrien kannte den Namen des Mannes sogar - es war der Therapeut des letzten Akumaopfers - Nova - Chat Noir hatte ihn nicht persönlich getroffen, aber seinen Namen von Ladybug erfahren.
Er war der einzige Mensch, den Adrien vollständig mit Ignoranz strafte - noch mehr, als seinen Vater oder die Arzthelfer oder den Leibwächter vor seiner Tür oder den Arzt selber, wenn er ihm verbieten wollte, das Laufen zu üben.
Er hatte kaum Interesse daran, mit jemanden über das Geschehene zu reden - überhaupt mit jemanden zu reden - außerdem könnte er das nicht, selbst wenn er es wollen würde. Wie könnte er überhaupt therapeutische Hilfe annehmen, wenn er sie nicht brauchte - wenn er den Psychologen dabei am laufenden Band anlügen musste.
Einmal in jeder Woche musste er zum Rötgen - eine Krankenschwester schob sein Bett dafür durch die langen Flure des Saint Louis Hospital, dessen Wände in einem hellen blau gestrichen waren. Sie überprüften, ob die Rippenbrüche und gebrochenen Lendenwirbel ordentlich verheilten - die Operationsnarbe an seinem unteren Rücken war bereits verheilt und die Fäden gezogen - dort, wo sie ihm kurz nach seiner Einweisung im Krankenhaus die Wirbel operativ stabilisieren mussten, damit der eine Knochensplitter das Rückenmark nicht weiter verletzte.
Adrien hatte in seiner anfänglichen Bewusstlosigkeit kein bisschen davon mitbekommen.
Am Ende der vierten Woche schaffte Adrien ganze sechzehn Schritte - Vier zur Zimmertür, Acht zum Fenster, Vier wieder zurück zum Bett. Das lähmende Gefühl in den Beinen verschwand nicht, auch nicht, nachdem er sich keuchend wieder auf die Matratze gesetzt hatte. Adrien musste schlucken, umklammerte mit den Händen seine Knie. Die Fingerspitzen drückten gegen den blauen Stoff der Hose, die Berührung selbst wirkte stumpf.
,,Werde ich das je wieder können?" Seine Stimme erklang nur leise, sein Blick wanderte von seinen Beinen zu dem Arzt, der von seinem Klemmbrett aufschaute - ,,Alleine laufen, meine ich", ergänzte Adrien, neigte den Kopf zu den Knücken, die neben ihm am Bett lehnten, ohne die er sein Gewicht nicht halten konnte.
Denn auch wenn er sie bewegen konnte, fühlen konnte er immer noch fast nichts.
Der Mann seufzte leise, klemmte sich sein Klemmbrett unter den Ellenbogen. - ,,Entgegen unserer Befürchtungen haben sie keine vollständige Lähmung der Beine erlitten, Monsieur Agreste. Es kann jedoch weiterhin niemand absehen, ob sie dauerhafte Folgeschäden davontragen - das lässt sich erst nach der Vollständigen Heilung ihrer Lendenwirbel sagen."
Natürlich. Klare Antworten gab es nicht mehr - gar nichts war mehr klar, Adriens ganzes Leben schwamm nur noch auf dieser riesigen Wolke aus Unsicherheit. Also nickte Adrien nur, schluckte seine Gefühle runter und schloss die Augen. Für heute hatte er genug - sein Brustkorb brannte wieder, die übliche Übelkeit mischte sich mit den dauernden Kopfschmerzen.
Als sein Vater am späten Abend noch vorbeikam, schickte Adrien ihn weg - das hatte er noch nie getan, aber die Reaktion Gabriels auf sein Verhalten bekam er nicht wirklich mit.
Sein Vater öffnete nur noch sein Zimmerfenster, um der stickigen Luft des Raumes entgegen zu wirken und ging wieder. Da schlief Adrien bereits.
Irgendwann in der Nacht riss ein Geräusch Adrien aus dem Schlaf. Erst glaubte er, erneut von einem der Akumas heimgesucht zu werden - vielleicht war es auch ein Nachhall seines Albtraums gewesen -
Sein Zimmerfenster stand noch offen. Kalte Nachtluft blähte die Vorhänge auf, ließ ihn die Haare zu Berge stehen. Nein. Es war ein Schrei - ein dumpfer, zurückhaltender Schrei einer Frau. Und eingebildet hatte er sich das Geräusch sicher nicht - Marinettes Schreie in seinen Träumen hörten sich anders an.
Das Handtuch, welches sein Vater unters Fenster geklemmt hatte, damit es nicht zufiel, lag auf dem Fußboden. Ein leises Knarren richtete seine Aufmerksamkeit auf die Zimmertür. Sie war nicht geschlossen. Ein schmaler Streifen gedimmten Lichts viel auf den grauen Boden. Adrien hielt den Atem an, richtete sich langsam auf.
Sein Instinkt riet ihm, sich zu verstecken - ein Grund mehr, nachzusehen, was dort im Flur vorsichging. Adrien hatte gelernt, seinen Gefühlen zu vertrauen.
Obwohl - vielleicht war es nur eine Krankenschwester, die ihre Runden ging - Adrien zögerte. Stille. Der Wind heulte leise. Langsam sah Adrien neben sich, hob die Bettdecke etwas weiter an - das leise Atemhauchen der beiden Kwamis war ruhig. Sie schliefen noch, eingekuschelt neben seinem Bauch. Plagg umarmte Tikki im Schlaf.
Adrien schluckte. Wenn die beiden nichts gehört hatten - in dem Moment knarrte erneut eine Tür und Plagg schreckte hoch. Die grünen Augen des Kwamis schienen in der Dunkelheit regelrecht zu glühen und fixierten sofort Adrien. Plagg hatte nicht geschlafen. Er hatte nur so getan, hatte still gelauscht. Tikki schlief weiter.
Natürlich - Plagg schlief am Mittag, nicht nachts - immer bereit, Adrien aus den Albträumen zu reißen, sollte es nötig sein.
Was ist da? fragte Adrien still und Plagg las die Frage von seinen Lippen ab, schüttelte den Kopf und sah zur Tür.
Kurz entschossen griff Adrien nach Tikki, legte sie vorsichtig neben sein Kopfkissen und deckte Sie mit der Spitze seiner Bettdecke zu, bevor er sich vorsichtig aus dem Bett stemmte und nach den Krücken griff, die neben seinem Bett an der Wand lehnten.
,,Was tust du da?" zischte Plagg vorwurfsvoll, doch Adrien ignorierte seinen kleinen Freund und setzte sich langsam in Bewegung - er wollte kein Geräusch verursachen. Und schnell gehen konnte er eh nicht. Er hörte Plaggs Seufzen, bevor er den kleinen Schatten an sich vorbeifliegen sah, zum Türspalt, an dem Plagg sich festhielt und hinausspähte.
,,Niemand da, wir können wieder schlafen gehen - ", fing er an, doch Adrien hörte nicht darauf und öffnete die Tür. Sie knarzte leise.
Der Krankenhausflur war nur spärlich beleuchtet. An den blauen Wänden hingen bunte Gemälde und an der gegenüberliegenden Wand ein Wagen mit Teetassen und Wasserkannen. Alle Türen waren verschlossen. Niemand war zu sehen.
Adrien blinzelte. Er hatte sich nichts eingebildet - Plagg hatte es doch auch gehört.
Dann fiel sein Blick auf eine Tür weiter in den Flur hinein. Auf den ersten Blick sah sie geschlossen aus, soweit er sie von seiner Perspektive aus sehen konnte. Doch er konnte den Schatten eines Gegenstandes auf dem Fußboden sehen, direkt davor. Einen weiteren Schritt aus dem Zimmer heraus und Adrien erkannte, dass es der Fuß einer Person war - sie lag im Raum, nur das Bein ragte in den Flur hinaus.
Er ignorierte seine Schmerzen im unteren Rücken und die Müdigkeit in seinen Beinen, als er schneller lief. Es war eine der Krankenschwestern, die ihn vorgestern untersucht hatten. Plagg war ihm gefolgt schwebte nun zum Gesicht der jungen Frau - ,,Sie ist nur bewusstlos", zischte er, doch Adrien beruhigte das überhaupt nicht.
Sie hatte geschrien. Niemand schrie, wenn man nur einen Krieslaufzusammenbruch hatte.
Die Panik meldete sich wieder, ihm wurde kalt. Und das Gefühl kalter Augen in seinem Rücken ließ ihn erstarren, bevor er Plagg antworten konnte, der sich plötzlich blitzschnell im Kragen der Frau versteckte.
Eine Tür fiel ins Schloss. Adrien hörte seinen Herzschlag rasen, sein Atem beschleunigte sich. Seine Finger verkrampften sich um den Griff seiner Krücke.
Hinter ihm stand jemand, das konnte er hören - den schweren Atem eines Menschen, der überrascht einatmete, ihn anstarrte - Adrien wagte es nicht sich umzudrehen. Seine Augen suchten nach seinem Kwami, doch der war im Schatten nicht zu sehen, wenn er es nicht wollte - und als Adrien dann doch langsam den Kopf hinter sich neigte, war er froh darüber.
Der Flur war dunkel, er konnte die Farben nur farblos wahrnehmen, aber diese lilafarbenen Augen, die zu leuchten schienen, würde er überall erkennen können.
Es war ein lebendig gewordener Albtraum, die dunkle Gestalt des Einen, den er mehr als alles andere fürchtete und hasste. Die Maske glänzte silbern, ein Gehstock in der einen, einen zusammengeklappten Fächer in der anderen Hand. Die lilafarbenen Augen fixierten Adriens.
Und während ShadowMoth langsam seine Überraschung überwandt, kam in Adrien nur das Bedürfnis hoch, wegzurennen, so wie vor Wochen über die Dächer, weg von Marinettes Zimmer.
Seine Muskeln rührten sich nicht, der Brustkorb fing an zu brennen, so schnell atmete er. Auf ShadowMoths Gesicht erschien ein Grinsen.
,,So spät noch wach?", säuselte er mit einer ekelhaft sanften Stimme, Adrien wurde schlecht, wie hatte er ihn gefunden? Hatten die Akumas vielleicht Plagg gesehen -
Adrien blieb eine Antwort im Halse stecken - er war nicht verwandelt, er konnte nicht wissen, dass er Chat Noir war. Plagg war unsichtbar im Schatten, er wurde nicht entdeckt. Daran klammerte er sich, denn es war sein einziger Halt -
Der Geruch nach Minzblättern stieg ihm in die Nase, als Adrien den Blick von ShadowMoth Augen losriss, der nun nur noch einen Meter von ihm entfernt stehen geblieben war und ihn zu mustern schien.
,,Adrien Agreste - richtig?", hauchte ShadowMoth mit diesem Lächeln, dass siegessicher war, während Adriens Hand weiter verkrampfte, den silbernen Ring im Handballen versteckend. ,,Unglücklicherweise - bist du nicht der, den ich suche. "
Es war das Lächeln, das ihm Angst einjagte und was ihn endlich dazu brachte, etwas zu sagen: ,,Was ist mit ihr?", bevor er realisierte, was sein Todfeind ihm gerade gesagt hatte. ShadowMoths simple Antwort - ,,Sie hat mich gesehen" - überhörte er fast, als er versuchte seine Erleichterung nicht zu zeigen.
Erst als er die behandschuhte Hand unter seinem Kinn spürte, direkt oberhalb der feinen Narben, die seinen Hals durchzogen, riss es ihn aus seiner Starre.
,,Ich kann deine Angst spüren.", sagte ShadowMoth, während Adrien zurückstolperte und gegen die Wand hinter sich stieß. Adrien fielen die beiden Schmuckstücke in Auge, die die Brust seines Gegenübers schmückten - Zwei Broschen in Form eines Schmetterlings und eines Pfaus.
Er schluckte seine Übelkeit hinunter und in einem Anflug aus Wagemut lehnte er sich vor, griff danach - er hörte ShadowMoths Gelächter, bevor er dessen Hand am Handgelenk spürte, die ihn fest packte und gegen die Wand drückte, die Krücken fielen laut klappernd auf den Boden.
Minzgeruch vermischte sich mit dem Geschmack nach Blut, als er sich auf die Lippe biss. Er spürte den warmen Atem des Schurken, der sich vorlehnte, während er Adriens Hände an der Wand fixierte, den Jungen oben hielt, der sein eigenes Gewicht sonst nicht halten könnte. - ,,Werd' nicht übermütig, Agreste."
Es war nicht das erste Mal, das Adrien ihm so nah war, aber dabei hatte ihn immer ein magischer Anzug geschützt - jetzt spürte er den Druck an den Handgelenken und seinen Puls rasen. Er spürte seinen kalten Schweiß an der Stirn und das Zittern in den Beinen, die ihn nicht mehr halten wollten. Sein Atem stockte. Er musste nur ein wenig höher greifen und schon hätte er den Ring -
Adrien schloss die Augen, aus Angst, er könnte seinen Gedanken daraus lesen - warum auch immer ShadowMoth glaubte, er wäre nicht Chat Noir, es sollte so bleiben.
Du bist nicht der, den ich suche.
Gerade als er glaubte, vor Panik zu ersticken, ließ ShadowMoth von ihm ab. Sein Blut rauschte, die Lippe blutete, sein Puls raste, während seine Beine einfach nachgaben und Adrien zu Boden sank. Und ShadowMoth ging, einfach so, wortlos, zurück in Adriens Zimmer, von woaus er durch das geöffnete Fenster verschwand, nichts ahnend, wie nah er den beiden Miraculous gewesen war, die er so sehr begehrte.
Adrien starrte die gegenüberliegende Wand an, kauerte am Boden, sein Rücken pochte. ShadowMoth war so nah dran gewesen - erneut - er war so nah dran gewesen - wenn er doch nur schneller gewesen wäre - ,,Adrien?", Plagg zupfte an seinem Ärmel, stieß ihn an. ,,Adrien! Du bist so doof!", rief der Kwami aus und Adrien gab ihm recht - er hatte zu lange gewartet. Er hätte es eben beenden können.
Und erneut verstand Plagg ihn, ohne, dass Adrien seine Gedanken aussprechen musste - ,,du Doofkopf, du warst nicht verwandelt. Du hattest keine Chance!"
Adrien antwortete nicht, starrte der Katze nur in die Augen - ,,Tikki - ich muss zu Tikki", hauchte er nur versuchte sich hochzustemmen - die Beine fanden kaum Halt, er kroch mehr auf sein Zimmer zu, als dass er ging, Plagg folgte ihm langsam - nahm die beiden Krücken mit, die Adrien längst vergessen hatte - mit einer besorgten Miene, die Adrien von der kleinen Katze schon viel zu oft gesehen hatte. Doch es war ihm egal, denn er musste sichergehen -
Die dunkelblauen Augen starrten ihm vom Kopfende des Bettes aus entgegen, Angst spiegelte sich darin. Tikki hatte ShadowMoth bemerkt - aber Dieser hatte sie nicht sehen können. Adriens gebrochene Rippen protestierten, als er sich vor Erleichterung aufs Bett hievte - Tikki war alles, was er von ihr noch hatte, er durfte Sie nicht auch noch im Stich lassen.
,,Was ist passiert?" fragte Tikki, doch Adrien ersparte ihr eine Antwort - fürs Erste. ShadowMoth hatte sie nicht finden können - er hatte am richtigen Ort gesucht, hatte aber versagt.
Genau wie ich.
*************
Helloo, wie geht's euch?
Das Kapitel ist ein wenig länger geworden, als ich es erwartet habe^^ Und auch einen Tag zu spät - sry dafür ^^
Ein Glück, dass es die Folge "Gorizilla" gibt (zweite Staffel, glaub ich) - das gibt mir die Möglichkeit, Adrien vor ShadowMoth zu verstecken, egal wie oft er an ihm vorbeiläuft xD
Es ist allein Gabriels Glauben und Wissen, dass Chat Noir und Adrien mal nebeneinander gestanden haben und Adrien deshalb auf keinen Fall Chat Noir sein kann, was ihn dazu bringt, die Akumas die er schickt, von Adrien wieder wegzulenken.
Was ich allerdings streichen musste, ist die Fähigkeit, die Gedanken seiner Akumaopfer zu hören, bevor er sie verwandelt - das würde Adrien verraten, jedesmal wenn er darüber nachdenkt, dass er Chat Noir ist - in meiner Version kann ShadowMoth also nur die Gefühle spüren - wenn jemand besonders traurig oder wütend über Ladybugs Tod ist, dann merkt er das (Chat Noir sollte schließlich genauso fühlen).
Nur haben die Akumas irgendwie nie denjenigen gefunden ("Adrien kann es ja nicht sein"), also ist ShadowMoth irgendwann selber losgezogen (nicht nur in dem Krankenhaus, wo Adrien liegt, sondern auch in den anderen - genug Zeit hat er dafür ja).
Soo... genug gelabert xD Lasst doch gerne wieder eine Rückmeldung da <3
Ich wünsche euch noch eine schöne Woche!
LG Danni
Artwork
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