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„Hallöchen Popöchen, na, wie war euer Vormittag so? Erfolgreich überstanden?" Violet versprühte noch immer Enthusiasmus.
Lächelnd schob sie sowohl Lynn als auch mir einen Teller mit Essen hin. „Hier, ich hab euch auch schon mal was geholt- ich hoffe, du isst Nudeln mit Soße", ergänzte sie dann an mich gewandt.
Freudig überrascht bejahte ich sofort.
„Und, hast du es mit Lynni ausgehalten?", verschwörerisch grinste Violet mich an.
„Nenn. Mich. Nicht. Lynni.", knurrte Besagte und warf ihrer Mitbewohnerin einen bösen Blick zu.
Diese drückte Lynn aber nur einen fetten Schmatzer auf die Wange und blickte mich erwartungsvoll an.
„Ja, ich denke schon", unbehaglich schob ich einige Nudeln mit der Gabel hin und her.
„Nein, im Ernst. Sie ist einfach nur chronisch schlecht gelaunt. Denk dir einfach jedes Mal, wenn sie was Mieses sagt, dass sie dir eigentlich gerade ein Kompliment machen möchte und sich nur nicht so ausdrücken kann", zwitscherte Violet.
„So kann man es ganz gut mit ihr aushalten."
„Tja, und wenn Violet dir mal wieder zu viel Positives plappert, setzt du dir am Besten Kopfhörer auf.", Lynn blickte nicht einmal auf, während sie sprach.
„So kann man es ganz gut mit ihr aushalten."
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn ich daran dachte, wie die Beiden zusammenleben sollten.
„Wie lange kennt ihr euch schon?", fragte ich, um die Konversation nicht abbrechen zu lassen.
„Seit ziemlich genau anderthalb Jahren wohnen wir zusammen", antwortete Lynn, während Violet gleichzeitig sagte: „Seit ziemlich genau anderthalb Jahren sind wir beste Freundinnen."
„Seit ziemlich genau anderthalb Jahren habe ich dich an der Backe, meinst du", Lynn zog eine Augenbraue hoch.
„Ich meine, dass ich dich lieb habe und du mich lieb hast", Violett zwinkerte mir vergnügt zu.
Tatsächlich huschte auch über Lynns Gesicht ein Lächeln, zwar nur schwach, aber unverkennbar ein Lächeln.
„Jaja, ich hab dich auch lieb", grummelte sie.
Die beiden Frauen waren wohl tatsächlich irgendwie beste Freundinnen geworden... Unvorstellbar, wenn man sah, wie gegensätzlich sie eigentlich waren. Aber dann war das wohl mal wieder ein Paradebeispiel für das Naturgesetz „Gegensätze ziehen sich an".
„Was studierst du eigentlich?", fragte ich dann später Violet, welche kauend „Physik" erwiderte.
„Vi, ich bin sicher, Feli wollte nicht dein halb verdautes Mittagessen sehen", Lynn kräuselte angewidert die Oberlippe.
„Ist schon okay... aber Physik? Ernsthaft jetzt?", erstaunt legte ich meinen Kopf schief.
„Ja, sie gehört tatsächlich zu diesen Verrückten, die Physik mögen. Finde ich auch unverständlich. Aber immerhin – mit ihren Haaren könnte sie Einstein Konkurrenz machen", erklärte Lynn trocken.
Grinsend wurde mir klar, dass Lynn vielleicht doch nicht so schlimm war, wie gedacht.
Wenn man länger mit ihr sprach, waren ihre Kommentare tatsächlich ganz witzig, sie hatte eben einen außergewöhnlichen Humor.
Und Violet hatte Recht: Man gewöhnte sich an ihre grummelige Art.
Diese hatte mittlerweile fertig gekaut und ihren Bissen hinuntergeschluckt und betrachtete beleidigt eine Strähne ihres Haares.
„Ich kann doch auch nichts dafür, dass die sich nicht entscheiden können, ob sie jetzt lockig oder wellig oder minimal gewellt sein wollen!", jammerte sie.
In der Tat waren einige Strähnen nur ganz leicht gewellt, während andere sehr gelockt waren. „Naja, aber sie dann auch noch lila zu färben, um noch mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken ist vielleicht nicht die beste Option", auch Lynn betrachtete Violets Haare kritisch.
„Ich dachte, das Lila lenkt etwas ab", seufzte der Wuschelkopf.
„Ich finde, deine Haare passen zu dir", versuchte ich, sie etwas aufzumuntern.
Und es schien zu funktionieren, wenig später plapperte Violet wieder fröhlich über Gott und die Welt, Lynn ermordete mit ihrer Gabel einige Erbsen und ich saß zwischendrin.
Auch meine Nachmittagsvorlesungen verbrachte ich zusammen mit Lynn.
Violet, die Glückliche, hatte schon vor uns wieder frei, weshalb wir zu zweit in Richtung Tube marschierten.
„Schaffst du es, allein die richtige Tube zu finden?", mein Hirn stellte Lynns Frage mittlerweile automatisch in ein „Soll ich dir noch helfen, die richtige Tube zu finden?" um.
„Ich denke, ich kriege das schon hin. Ich brauch ja nur die Picadilly Line, Northbound", während ich sprach, kramte ich in meiner Tasche nach meiner Oystercard.
„Ernsthaft? Die brauch ich auch", Lynn schien vor Freude beinahe überzusprudeln. Nicht.
Kurze Zeit später stellten wir fest, dass wir nicht nur die gleiche Linie nutzten, sondern auch noch an der gleichen Haltestelle aussteigen mussten.
Nach einigen hundert Metern Fußmarsch blieben wir auch noch vor dem gleichen Haus stehen und stiegen im gleichen Stockwerk aus dem mittlerweile wieder funktionierenden Aufzug.
Dann standen wir uns im Treppenhaus gegenüber.
„Ich schätze, wir sind dann wohl ab jetzt Nachbarn", zuckte ich nur mit den Achseln und steckte meinen Schlüssel ins Schloss.
„Sieht ganz so aus", Lynn tat es mir gleich.
Als ich eintrat, hörte ich zwei mir nur allzu bekannte Stimmen in der Küche.
Die eine war unverkennbar Clara, die andere...
„Feli?", ich hatte doch gewusst, dass ich diese Stimme kannte.
„Feli? Ihr kennt euch?", Clara blickte verwundert hin und her.
„Öhm... Hi? Ihr habt euch also auch schon kennengelernt?"
Neben Clara hatte Violet es sich am Küchentisch gemütlich gemacht.
Vor beiden Frauen stand eine dampfende Tasse und ein Teller mit Keksen thronte in der Mitte des Tischs.
„Ist ja super, dass wir jetzt auch noch Nachbarn sind!", Violet strahlte mich an. „Musst du morgen auch wieder so früh an die Uni?" „Ja, ich glaube schon", schnell checkte ich meinen Stundenplan.
„Genial, dann können wir ja zusammen gehen", der Wuschelkopf erinnerte mich mehr und mehr an ein kleines Kind, dem man gerade versprochen hatte, noch in den Süßigkeitenladen zu gehen.
Auch meine beste Freundin schien etwas überrumpelt, doch wahrte die Contenance.
„Dann klingel ich morgen früh bei euch. Also, war schön dich kennenzulernen, Clara, ich muss mal wieder rüber. Bis morgen, Tschö mit Ö!", beinahe schon hüpfend verschwand Violet nachdem sie uns umarmt hatte im Flur.
„Wow." Clara sah mich sprachlos an.
„Ist ihre Mitbewohnerin auch so eine Quasselstrippe?" Lynn und eine Quasselstrippe? Allein diese Vorstellung löste bei mir einen Lachanfall sondergleichen aus.
„Lynn ist eher das komplette Gegenteil. Immer mies drauf, spricht fließend ironisch und sarkastisch und ist auch definitiv nicht so kunterbunt", erklärte ich dann. Auch Clara musste grinsen.
„Und die zwei halten es dann miteinander aus?", hakte sie dann noch nach.
„Anscheinend sind sie sogar beste Freundinnen", schulterzuckend schnappte ich mir einen Keks vom Teller.
Da Harry heute selbst arbeiten musste und auch ich einiges zu tun hatte, konnten wir uns nicht treffen.
Irgendwann klingelte es aber an der Tür, und ein Postbote überreichte mir mit einem Augenzwinkern eine leuchtend gelbe Sonnenblume.
Überrascht starrte ich ihn nur an, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Am Stiel hing ein kleines Kuvert, darin standen nur wenige Worte: Schön dass du hier bist. Love, H xx
Schnell stellte ich die Schönheit in eine Vase, welche ihren Platz auf meinem Nachttisch fand.
Gut, vielleicht war die Vase auch in Ermangelung einer Alternative ein Longdrinkglas, aber über solche Feinheiten konnte man ja hinwegsehen, nicht wahr?
Bevor ich an diesem Abend zu Bett ging, telefonierte ich mit meinen Eltern, meinem Bruder und zum Schluss auch noch mit meinem wundervollen Freund, doch schon bald sank ich in eine Traumwelt aus Schokolade, Sonnenblumen und Cupcakes.
Zwei Kapitel an einem Tag? Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist :)
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