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„Feli, kommst du bitte mal in die Küche?", hörte ich die Stimme meiner Mutter.
Nachdem Henry gegangen war, hatte ich mich auf mein Bett gefläzt und Musik gehört, doch jetzt krabbelte ich aus meinen Decken heraus und ging nach unten.
Dort deutete Mama auch schon auf meinen Platz am Küchentisch und schob mir, als ich mich gesetzt hatte, eine Tasse Früchtetee zu.
Verwundert blickte ich sie an und pustete vorsichtig in das heiße Getränk.
„Was gibt es?"
„Ich wollte mit dir über diesen Henry reden", begann meine Mutter.
Ich blickte sie nur an, wartete ab, was jetzt kommen würde.
„Du magst ihn sehr, oder?", wagte Mama sich weiter vor.
„Er ist nett", wich ich schulterzuckend aus, doch sie war nicht so leicht abzulenken.
„Felicia, du weißt genau, wie ich das meine. Also, ich höre", auffordernd lehnte sie sich zurück. „Ja, ich mag ihn", gab ich schließlich brummend zu.
„Aber worauf willst du hinaus?"
„Schatz, auf mich hat er auch sympathisch gewirkt. Ich möchte dir nur sagen, du bist alt genug, um zu entscheiden, mit wem du dich triffst. Trotzdem will ich nicht, dass du verletzt wirst, also pass auf dich auf", sanft lächelte Mama mich an.
„Er sieht ja schon ganz gut aus", grinste sie dann.
„Mama!", geschockt sah ich sie an, doch meine Mutter blickte mich nur unschuldig an.
„Ist doch so."
„Ja, du hast schon Recht, er sieht verdammt gut aus", ein Lächeln hatte sich auch in meine Stimme geschlichen.
„Ich weiß zwar noch nicht, was ich von den ganzen Tattoos halten soll, aber dieses Lächeln, Mamma Mia! Da wäre man gerne selber noch mal jung", schmunzelte Mama.
„Tu aber bitte nichts, was ich nicht auch tun würde, oder besser: Was ich nicht auch getan hätte", bat sie mich noch abschließend und ließ mich alleine mit meinen Gedanken am Küchentisch sitzen.
Selbst auf meine Mutter hatte Henry diese verdammte Wirkung – wenn auch wohl nicht so ganz so stark wie auf mich.
Aber er schien einfach so verdammt perfekt zu sein, zu perfekt um real zu sein.
Wie hatte ich ihm nach so kurzer Zeit so hoffnungslos verfallen können?
Allein der Gedanke an ihn zauberte automatisch ein strahlendes Lächeln auf meine Lippen, bei der Erinnerung an seine Umarmung begann mein ganzer Körper zu prickeln.
Seufzend knabberte ich an meinem Daumennagel und stellte mir die Frage aller Fragen: Was sollte ich denn jetzt nur tun?
Am nächsten Tag buken wir erneut eine Wagenladung voll Plätzchen, die Zeit die ich mit Henry verbrachte, verging wie im Flug.
Als draußen die Abenddämmerung hereinbrach, beschlossen wir müde und erschöpft noch einen Film anzusehen.
Bewaffnet mit Plätzchen, einer Kanne Tee und Decken machten wir es uns auf meinem Bett gemütlich, während ich meinen Laptop anschaltete.
„Was ist dein Lieblingsfilm?", fragte ich Henry, worauf ich prompt „The Notebook!" zur Antwort bekam.
Nach kurzer Recherche fand ich heraus, dass der Film auf Deutsch „Wie ein einziger Tag" hieß und startete ihn bald darauf.
Kaputt wie ich war, dauerte es nicht lange, bis die Dunkelheit und Wärme ihr Übriges taten und ich eindöste. Unterbrochen wurde mein sanfter Schlummer jedoch höchst unsanft, und zwar durch meinen kleinen Bruder.
„Feli! Feli, Feli, Feli, du musst mir helfen, ich bin sowas von am Arsch! Bitte, Feli!", stürmte er in mein Zimmer.
Irgendwie war ich wohl auf Henrys Brust gerutscht, auf dieser fand ich mich zumindest schlaftrunken wieder.
„Was um alles in der Welt ist denn los?", nuschelte ich verschlafen.
„Ich hab total verpeilt, dass ich morgen eine Präsentation, die benotet wird, halten muss und habe dementsprechend nichts!", panisch stand Juli vor mir.
„Kannst du mir bitte, bitte, bitte helfen?"
„Worum soll es denn gehen?", klinkte sich nun auch Henry in das Gespräch ein.
„Um London. Sehenswürdigkeiten, allgemeine Informationen, das ganze Drum und Dran. Und dann auch noch auf Englisch!", verzweifelt vergrub mein Bruder sein Gesicht in seinen Händen. Das konnte man ja nicht mit ansehen!
„Wie viel Uhr ist es? In welcher Stunde musst du die Präsentation halten? Wie lang muss sie sein?", bombardierte ich ihn mit Fragen.
„Kurz vor zehn, ich muss eigentlich ins Bett. Dritte Stunde, circa zwanzig Minuten lang... Aber besser, wenn sie länger ist. Was jetzt?"
„Jetzt erklärst du mir nochmal genau, was du eigentlich machen musst, gibst mir dann deinen Laptop und stehst morgen eine Dreiviertelstunde früher auf, um deine Präsentation zu lernen. Und du schuldest mir dann was", ich konnte ihn nicht hängen lassen.
Henry bot ebenfalls seine Hilfe an.
So kam es, dass wir zusammen mit unseren PCs begannen zu recherchieren, Henry konnte, da er in London gewohnt hatte, viele Fakten beisteuern.
Gegen die Müdigkeit, die uns zu übermannen drohte, tranken wir Kaffee, wobei wir feststellten, dass wir die braune Brühe beide zutiefst verabscheuten.
Doch was sein musste, musste eben sein.
Auch wenn ich Henry mehrmals fragte, ob er wirklich helfen wolle – ich wollte nämlich definitiv nicht, dass er sich zu irgendetwas gezwungen fühlte -, beteuerte er jedes Mal, das sei doch selbstverständlich.
Dass es das nicht war, war mir bewusst, doch ich rechnete es dem Dunkelhaarigen hoch an.
Gegen zwei Uhr hatten wir schließlich die nötigen Informationen beisammen, gegen halb vier Uhr morgens war dann schließlich auch die PowerPoint-Präsentation erstellt.
Gähnend schloss ich den Laptop noch an das Stromnetz an und umarmte Henry dankbar.
Auch er war fix und fertig, ich konnte nicht mehr zählen, wie oft er sich über die Augen gerieben hatte oder sich beim Versuch sich zu konzentrieren durch die wuscheligen Haare gefahren war.
„Ich schätze, ich gehe dann mal rüber", murmelte er leise, hatte seinen Kopf auf meinem abgelegt.
Doch ich schüttelte sanft meinen Kopf: „Wenn du runtergehst, weckst du nur noch meine Eltern auf. Ich hole dir Anziehsachen von Juli und dann kannst du hier schlafen."
Im wachen Zustand hätte ich mich das niemals getraut, doch ich war einfach zu müde, um mir Gedanken um die Konsequenzen zu machen.
Schweigend putzten wir Zähne, ich in meinem flauschigen Frottee-Schlafanzug mit Streifen, Henry trug einen karierten Schlafanzug, der ihm tatsächlich einigermaßen passte. Glücklicherweise war mein Bett relativ breit, auch Clara hatte schon mit mir gemeinsam darin geschlafen.
Da wir uns aber meine Decke teilen mussten, lag ich dicht bei dem Lockenschopf, welcher vorsichtig seinen Arm um mich legte und mich fragend anblickte.
Um ihm zu signalisieren, dass das vollkommen okay war, kuschelte ich mich an ihn, verbale Kommunikation war mir zu anstrengend.
Kaum hatte ich endlich meine Augen geschlossen, war ich auch schon eingeschlafen.
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