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Heute ist Samstag. Wir haben den gesamten Donnerstag damit verbracht die Besorgung des Notizbuchs zu planen. Ich möchte das Ganze nach wie vor nicht als Raub, Einbruch oder Überfall betiteln. Es ist schließlich mein Haus. Und mein Vater hat mir ja irgendwie erlaubt das Buch zu lesen. Zumindest versuche ich mir das einzureden, denn alles andere kommt mir noch komischer vor als die Situation sowieso schon ist.
Gestern habe ich die meiste Zeit nichts gemacht. Ich habe etwas Zeit mit Giulia verbracht und war einige Zeit im Fitnessraum. Damian habe ich kaum gesehen. Er war bereits weg, als ich aufgewacht bin. Wir haben gemeinsam Mittag gegessen, aber da waren auch Lorenzo, Jack und Sandro dabei. Damian wirkte da sehr distanziert. Abends im Bett war er wieder anders. Er hat mich geküsst und wir haben gekuschelt. Ich weiß nicht, ob es an den anderen liegt oder ob Damian krasse Stimmungsschwankungen hat. Genauso weiß ich auch nicht, ob ich damit klarkomme. Egal was es davon ist.
Nach dem Essen haben die vier sich schnell wieder aus dem Staub gemacht, wegen irgendeiner Mission. Was das bedeutet, weiß ich jedoch nicht.
Und heute? Heute ist die Hochzeit von Damians Cousine, wo ich mit muss. Oder darf? Ich liebe Hochzeiten, aber eine Mafia Hochzeit?
"Buongiorno", höre ich Damian verschlafen sagen. Ich liege schon seit einiger Zeit wach im Bett und mache mir Gedanken über die anstehende Hochzeit. Damian hat bis eben geschlafen. Jetzt dreht er sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
"Buongiorno", nuschel ich zurück.
"Ah, ich liebe es, wenn du Italienisch sprichst, mi amore!", sagt Damian und beugt sich sofort komplett über mich und vereint unsere Lippen. Ich grinse in den Kuss hinein. Es kam die letzten beiden Tage ein paar Mal vor, dass ich versucht habe italienische Wörter oder kurze Sätze zu wiederholen. Damian ist jedes Mal darauf angesprungen, es scheint ihm wirklich zu gefallen.
Nach ein wenig mehr Knutscherei, stehen wir dann doch auf. Schließlich haben wir noch Termine. Na gut, einen Termin.
Damian und ich gehen nacheinander duschen und ziehen uns danach erstmal entspannte Sachen an. Bei mir bedeutet das eine Sporthose und einer von Damians Pullovern, während es bei Damian überraschenderweise eine Jogginghose und ein einfaches Tshirt ist. Ich war vorgestern schon von der Jeans überrascht, aber jetzt eine Jogginghose? Sonst trägt er fast ausschließlich Hemden.
Wir frühstücken gemeinsam mit den Anderen, die ebenfalls alle Tshirt und Jogginghose tragen. Ein sehr ungewohntes Bild. Aber es gefällt mir. Es gibt mir das Gefühl von Zuhausesein. Und ich habe nicht mehr so stark das Gefühl, dass sie etwas besseres als ich sind.
Die Stimmung beim Frühstück ist locker. Die Jungs quatschen und lachen. Sie sprechen fast ausschließlich Deutsch. Ich weiß nicht, ob es an mir liegt oder ob Jack auch kein Italienisch versteht. Ich bin schon so lange hier und weiß das immer noch nicht. Wobei ich bin noch gar nicht soooo lange hier. Aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an.
Wie auch immer. Ich beteilige mich kaum am Gespräch und antworte nur, wenn ich direkt angesprochen bin. Ich fühle mich zwar etwas wohler und sicherer, aber so ganz bin ich noch nicht bereit mich 'normal'zu verhalten. Wobei ich mit Damian und auch Sandro, wenn wir jeweils alleine sind, mich ziemlich offen verhalte und mich nicht mehr so zurückhalte.
„Wann fahren wir los?", fragt Jack gerade. Weshalb ich aufmerksam werde.
„In zwei Stunden. Wir müssen schließlich noch zur Versammlung", erklärt Damian. Zwei Stunden? Das bedeutet ich sollte bald anfangen mich fertig zu machen.
Jack nickt. „Dann gehe ich jetzt, ich hab noch was vor", sagt er und hat dabei ein breites Grinsen im Gesicht.
„Idiota!", kommt es von Lorenzo, der Jack beim Aufstehen noch auf den Hinterkopf schlägt.
Sandro und Damian lachen darüber und schütteln den Kopf. Man merkt sehr schnell, dass die vier sehr eng befreundet sind und sich wirklich gut kennen. Sie necken und provozieren einander. Und gleichzeitig würden sie sich füreinander vor eine geladene Waffe stellen. Der Gedanke zaubert mir ein wehmütiges Lächeln ins Gesicht. Ich denke, solche Freunde wünscht sich jeder.
„Tutto bene?", fragt Damian mich leise. Ich weiß inzwischen, dass das so etwas wie ‚alles in Ordnung?' heißt.
Ich nicke und antworte in der gleichen Lautstärke: „Ja, ich war nur in Gedanken."
„Damian, dobbiamo parlare!", unterbricht Lorenzo uns und schaut grimmig zu uns.
„Perchè?", gibt Damian zurück.
„Tu sai!"
Damian und Lorenzo starren einander an. Sandro schaut zwischen den beiden hin und her und sagt dann: „Komm Maya! Ich wollte noch mit dir sprechen."
Verwirrt schaue ich ihn an. Gleichzeitig bin ich irgendwie froh aus dieser Situation raus zu kommen, obwohl ich gar nicht weiß, was hier los ist. Die Stimmung ist gefühlt von jetzt auf gleich gekippt und ich weiß nicht warum. Ich weiß nur, dass die Stimmung einer Eiszeit gleicht.
Ich gucke kurz zu Damian, doch sein Blick ist nach wie vor auf Lorenzo gerichtet. Also nicke ich und stehe auf, was Sandro mir gleich tut.
Wir gehen gemeinsam ins Wohnzimmer. Kaum verlassen wir das Esszimmer, ertönt Damians Stimme. Er klingt sauer. Aber da er natürlich Italienisch spricht, verstehe ich nichts.
„Was ist da los?", frage ich Sandro und lasse mich auf das Sofa fallen.
„Du", seufzt Sandro.
„Ich?", frage ich verwirrt.
„Ja. Für Damian gab es immer nur die Mafia. Die Mafia stand immer an erster Stelle und war alles, womit Damian sich beschäftigt hat. Die Mafia war am Morgen sein erster Gedanke und abends der letzte vor dem Einschlafen. Bis du kamst. Damians Gefühle für dich lassen ihn seine Prioritäten verschieben. Und Enzo kommt damit nur sehr schlecht zurecht", erklärt Sandro mir.
„Aber...", fange ich an und weiß gar nicht, was ich sagen soll. Sandro schaut mich fragend an.
„Das ist einfach viel", sage ich dann.
„Das glaube ich!"
„Darf ich dich etwas anderes fragen?", bitte ich Sandro dann.
„Klar!", antwortet er sofort.
„Warum warst du nicht dabei als Damian, Jack und Lorenzo mich bei den Berlusconi rausgeholt haben?" Die Frage beschäftigt mich schon länger. Ich hätte verstanden, wenn Lorenzo nicht dabei gewesen wäre. Er mag mich ja nicht wirklich. Aber bei Sandro dachte ich, dass wir eine Verbindung hätten.
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