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Ich entdecke in der Menge gleich mehrere bekannte Gesichter. Sandro und Lorenzo blicken genau in meine Richtung. Während ich in Lorenzos Blick zwar eine Regung erkenne, diese aber nicht einordnen kann, sehe ich bei Sandro sehr deutlich Besorgnis. Von Damian und Jack sehe ich derzeit nichts. Ängstlich schaue ich zu Sandro und versuche Zuversicht in seinem Blick zu finden. Er erwidert meinen Blick und nickt mir leicht zu. Was soll das jetzt genau heißen?

Und warum möchte ich von ihm Sicherheit? Er ist doch Teil der Mafia! Aber er ist mir auch ein guter Freund gewesen, schießt mir ein weiterer Gedanke durch den Kopf.

Ich wende den Blick ab und sehe gerade noch, dass Sandro und Lorenzo irgendwas sprechen. Ich entdecke Matteo, welcher wirklich böse dreinschaut. Was mich jedoch mehr verwirrt ist, dass er neben Michael Berlusconi steht. Sie scheinen sich ebenfalls zu unterhalten.

"Was sind die Einsätze fragt ihr euch?", ertönt erneut die Stimme über die Lautsprecher. "Wenn Wilson verliert, müssen er und seine Leute sich uns unterordnen! Sollte Russo verlieren, wird Damiano Mayas Platz in der Zelle einnehmen."

Was? Alles was hier passiert verwirrt mich. Warum ist Damian hier? Warum geht er so einen Deal ein? Ist er so sicher, dass er gewinnt? Aber warum will er, dass ich wiederkomme? Und was ist mit meinem Vater? Wer sind seine Leute? Und was bedeutet es für ihn, wenn er sich unterordnen muss? Fragen über Fragen schwirren durch meinen Kopf und sind für meinen Schwindel nicht förderlich.

"Und hier sind sie: unsere heutigen Kämpfer! Ryan Wilson in der einen Ecke und Damiano Russo in der anderen Ecke!" Ein lautes Gröllen und Pfeifen ertönt in der Halle. Ich erblicke Damian, der durch die Menge geht. Sein Gesicht zeigt keine Regung. Nur für eine Milisekunde meine ich eine Veränderung zu sehen als sein Blick kurz meinem begegnet.

Ich wende den Blick ab und sehe meinen Vater. Aber es ist, als wäre er ein anderer Mensch. Sein Blick ist finster und starr nach vorne gerichtet. Selbst als er in meine Richtung schaut, ändert sich daran nichts. Mir läuft eine Gänsehaut über den Körper. Was ist mit ihm passiert, dass er so guckt? Oder war er immer schon so und hat mir diese Seite nur nie gezeigt? Wenn ich allem Glauben schenke, was ich in letzter Zeit gehört habe, steht er schließlich schon lange in Kontakt mit der Mafia und hat mir einen Bruder verschwiegen.

Über die Lautsprecher werden noch ein paar Ansagen getätigt und dann ertönt: "Tre - duo - uno - Andiamo!" Dazu ertönt erst ein Knall, was vermutlich ein Startsignal sein soll, doch dann ertönen weitere. Der Raum wird vollkommen nebelig und man kann die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen.

"Che merda!", brüllt jemand hinter mir. Dann werden meine Arme losgerissen und ich werde weg gezerrt.

Eine riesen Unruhe und vielleicht auf Panik bricht aus. Während ich mir sicher bin, dass das erste Rauchbomben waren, bin ich mir jetzt unsicher, ob es vielleicht auch Schüsse sind. Ich renne gezwungenermaßen einer Person hinterher. Ich weiß nicht, wer es ist. Und ich weiß nicht ob er, ich glaube, es ist ein er, weiß, wohin er läuft.

Wir gelangen plötzlich nach draußen und ich bin dankbar für die Luft, die durch meine Lungen dringt. Dennoch bleiben wir nicht stehen. Er rennt zu einem Auto und schubst mich auf die Rückbank. Dann setzt er sich vorne rein und rast los.

Vorsichtig richte ich mich auf und sehe, dass es wirklich ein Mann ist. Wer es ist, weiß ich jedoch nicht. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.

Er hat dunkle Haare und eine gut gebräunte Haut. Er trägt eine Cap und eine schwarze Lederjacke.

Sollte ich fragen, wo er mich hinbringt? Aber würde er antworten? Ich schaue aus dem Fenster und sehe, dass wir durch ein Industriegebiet rasen. Kurz überlege ich, ob ich wohl aus dem Auto springen könnte und wie hoch meine Überlebenswahrscheinlichkeit wäre. Ich verwerfe im Anbetracht der Geschwindigkeit, die laut Tacho bei über 100 km/h liegt, diese Idee. Ich bin nicht mehr gefesselt. Ich könnte also versuchen in von hinten ohnmächtig zu schlagen. Oder die Luft abdrücken?

Was ist mit mir passiert, dass ich ernsthaft darüber nachdenke jemand anderem körperlich zu schaden?

Ich befürchte, es ist der Überlebensdrang, der in mir herrscht.

Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich jetzt erst mitbekomme, dass er sein Handy in der Hand hält und scheinbar dabei ist jemanden anzurufen.

Ist der eigentlich wahnsinnig? Hier sind 50 km/h erlaubt, er fährt deutlich über 100 und dann ist er auch noch am Handy? Er bringt uns gleich wirklich um!

"Sì, ich habe sie! Ich bringe sie zurück!", spricht er in dem Moment in sein Handy.

Zurück? Was bedeutet das? Zurück in die Zelle? Zurück zu Damian? Oder vielleicht zurück nach Hause?

Die letzte Idee verwerfe ich sofort. Wenn er einer von den Guten wäre, was auch immer das in der aktuellen Situation bedeuten würde, würde er doch mit mir sprechen, mir etwas erklären. Oder nicht?

Also bleiben Russo und Berlusconi.

"Sehr gut! Die Situation hier läuft nach wie vor aus dem Ruder. Es gibt einen riesen Aufstand, wer das war und Wut darüber, dass sie weg ist!", die Stimme kommt mir bekannt vor.

Es ist nichts in Richtung eines italienischen Akkzents hörbar. Und auch keinerlei italienischer Worte. Damit kann ich Damian, Sandro und Lorenzo sofort ausschließen. Es klingt auch nicht nach Jack.

Michael Berlusconi! Er ist am anderen Ende.

Und da fällt mir auf, dass er, obwohl er Berlusconi heißt, mir gegenüber noch nicht ein italienisches Wort genutzt hat. Die Berlusconi sind Italiener. Und ich habe in der letzten Zeit oft genug mitbekommen, dass hier und auch bei den Russos ständig italienische Worte und Phrasen genutzt werden. Doch von ihm nicht.

Außerdem ist Michael auch kein typisch italienischer Name. Ist das alles Zufall und ich interpretiere gerade viel zu viel? Oder bin ich hier auf einer Spur?

"Wir sind da!", ertönt von vorne. Ich sehe, dass er nicht mehr telefoniert. Das bedeutet er spricht mit mir. Ich schaue aus dem Fenster und erkenne ein riesiges Gelände. Es ist fast wie eine Festung. Der Fremde steigt aus und zieht mich ebenfalls aus dem Auto.

Er zerrt mich über den Platz, durch die Gänge und schubst mich zurück in die Zelle.

Und so bin ich wieder zurück und frage mich, was jetzt wohl passieren wird.

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