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Der aufdringliche Ton seines Handys riss Jin mitten in der Nacht aus seinem Tiefschlaf. Schlaftrunken nahm er den Anruf entgegen.
„Hallo?“, krächzte er heißer in den Hörer und schaltete die Nachttischlampe ein.
„Jin? Jin, bist du es?“, fragte die weinerliche Stimme am anderen Ende.
„Tae?“ Plötzlich, hellwach, setzte Jin sich kerzengerade in seinem Bett auf. „Was ist los?“, hakte er alarmiert nach.
„Gott sei Dank erreiche ich dich“, schluchzte sein Bruder. „Bitte, du musst mir helfen. Ich hab Scheiße gebaut.“ Taes Stimme brach.
Jin hatte Mühe, zu verstehen, was dieser gerade von sich gab. Frustriert strich er sich mit der Hand über den Nacken.
„Beruhige dich erst einmal. Ist ja schließlich nichts Neues“, seufzte er.
„Nein!“, schrie Tae ins Telefon, weswegen Jin den Hörer kurz vom Ohr nahm. „Du verstehst nicht! Ich stecke diesmal ganz tief in der Scheiße. Sie haben vor, mich umzubringen, wenn ich nicht ...“, Tae brach wimmernd ab.
„Was? Tae? Tae, so sag doch was!“ Jin war entsetzt aufgesprungen. Hatte er das gerade richtig verstanden? Sprach sein Bruder tatsächlich davon, dass er umgebracht werden sollte?
„Tae? Tae!“ Jin schrie ins Telefon, während er anfing, unruhig im Zimmer auf und ab zu laufen. Panik erfasste ihn. So hatte er seinen Bruder noch nie erlebt. Voller Angst drückte er den Hörer näher an sein Ohr, in der Hoffnung, etwas zu hören. Leises Schluchzen drang aus dem Telefon.
„Tae, so antworte mir doch“, versuchte es Jin noch einmal etwas leiser. Doch am anderen Ende war plötzlich nur noch Stille.
Ratlos blieb er vor dem großen Spiegel neben seinem Schlafzimmerschrank stehen. Immer noch in den Hörer lauschend, blickte er hinein. Ein blasser Jin sah ihm aus panisch, glänzenden Augen entgegen. Die braunen Haare standen ihm in allen Richtungen ab. In der linken Hand hielt er sein Handy, das ein gespenstisch blaues Licht in der Dunkelheit abgab. Mit der rechten Hand rieb er sich über die Stirn, die nun voller Sorgenfalten war. Unsicher biss er sich auf die volle Unterlippe.
Das Telefon am Ohr flüsterte er nochmals den Namen seines Bruders. „Tae?“
„Sind Sie Jin?“, erklang plötzlich eine tiefe, fremde Stimme. Vor Schreck hätte Jin beinahe das Handy fallen lassen. Er zögerte. Diese Stimme kannte er nicht.
„Wo ist mein Bruder? Was haben sie mit ihm gemacht?“, fragte er aufgebracht.
„Noch lebt er! Und jetzt noch einmal. Sind sie Jin?“
„Ja“, hauchte er. Mehr brachte er nicht heraus. Was bedeutete das, noch lebe er? Jins Sorge um seinen Bruder wuchs. Was hatte er bloß dieses Mal angestellt?
„Gut“, sprach die unbekannte Stimme weiter. „In einer halben Stunde werden sie abgeholt. Schwarze Limousine. Ach ja und keine Polizei!“ Nach diesem Satz wurde aufgelegt.
Sprachlos blickte Jin auf das stumme Telefon in seiner zitternden Hand. Was sollte er nur tun? Die Polizei informieren? Nein! Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, keine Polizei einzuschalten.
Jin ließ die Hand mit dem Handy sinken und sah erneut in den Spiegel. Seine mit Panik erfüllten Augen wirkten dunkler als sonst. Er hatte Angst und fühlte sich hilflos. Verzweifelt fuhr er sich mit der freien Hand durch das zerzauste Haar.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch fünfundzwanzig Minuten hatte, um sich zu beruhigen und anzuziehen. Ein tiefer Seufzer entwich seinen Lippen. Es hatte keinen Sinn, sich unnötige Gedanken über eine Situation zu machen, von der er nicht das Geringste wusste. Er hatte keine Ahnung, in was sein Bruder da hinein geraten war, geschweige denn, wo man ihn finden konnte.
Jin atmete ein paar mal tief durch, strich sich mehrmals durch seine Haare und ging dann, nach einem letzten Blick in den Spiegel, die paar Schritte zu seinem Kleiderschrank. Während des Laufens zog er sich sein buntes Schlafshirt aus. Die Schranktür stand bereits offen. Jin griff hinein und zog eine schwarze, bequeme Jogginghose heraus. Danach folgte ein weißes Shirt mit Rundhals-Ausschnitt. Er setzte sich mit den Kleidungsstücken auf sein Bett und fing an, sich anzuziehen. Nach Hose und Shirt folgten Socken und weiße Turnschuhe. Er hatte extra bequeme Kleider gewählt. Man weiß schließlich nie, wie sehr man die Bewegungsfreiheit brauchte.
Einen Moment blieb er noch sitzen und dachte an seinen Bruder. Taehyung, eigentlich der ältere von beiden, wirkte vom Verhalten her meist jünger als Jin. Er war temperamentvoll und handelte oft unüberlegt. Dazu machte Tae, was er wollte, ohne sich um eventuelle Konsequenzen zu kümmern. Nur, dass er sich damit in der Regel in unmögliche Situationen gebracht hatte. Wie es schien, ein weiteres Mal.
Jin hingegen war der ruhigere und verlässlichere von beiden. Er überlegte zuerst, bevor er irgendetwas tat. Sein Leben war durchstrukturiert und langweilig.
Jin hob den Kopf und sah auf die Uhr, die ihm zeigte, dass er losmusste. Nach einem tiefen Seufzer stand er auf, schnappte sich sein Handy, das er in die Hosentasche steckte, und ging in den Flur. Dort nahm er seine schwarze Jacke vom Haken und zog sie über. Dann angelte er seine Haustürschlüssel von der kleinen Kommode und öffnete die Tür. Er trat hinaus und zog diese leise hinter sich zu. Kurz blieb er stehen und atmete noch einmal tief durch, dann machte er sich auf den Weg nach unten zur Straße. Es war stockdunkel, denn es war mitten in der Nacht.
Als Jin auf den Bordstein hinaus trat, sah er schon die wartende Limousine am Straßenrand stehen. Er ging zögernd darauf zu, da stieg ein schwarzhaariger, blasser, junger Mann aus. Dieser umrundete das Auto und öffnete die hintere Beifahrertür.
„Wenn sie Jin sind, dann sollten Sie jetzt einsteigen“, sprach er mit einer tiefen Stimme.
„Wo bring...“, setzte Jin zum Sprechen an, wurde jedoch abrupt unterbrochen.
„Einsteigen“, war alles, was gesagt wurde.
Jin sah nochmals in das blasse Gesicht des etwas kleineren Mannes und stieg schließlich mit einem unguten Gefühl in das Auto. Dort schnallte er sich an.
Die Fahrt dauerte wesentlich länger als erwartet. Sie fuhren aus der Stadt heraus, durch Vororte und schließlich in ein Gebiet mit großen Villen. Über eine Stunde dauerte die Fahrt.
Jin, in Gedanken um seinen Bruder versunken, bemerkte nichts von der schönen Umgebung. Er machte sich einfach nur große Sorgen. Was hatte Tae sich nun wieder eingebrockt? Und diese Panik in dessen Stimme, als er Jins Namen rief.
Das plötzliche Stoppen der Limousine riss ihn aus seinen Gedanken. Er schaute aus dem Fenster und was er sah, verschlug ihm den Atem. Ohne dass er es bemerkt hatte, waren sie auf ein großes Grundstück gefahren und standen inzwischen vor einer riesigen, wunderschönen Villa.
Jin hatte gar keine Zeit, sich diese genauer anzusehen, da wurde auch schon die Tür aufgerissen. Zögernd schnallte er sich ab und stieg langsam aus. Verdammt, er hätte sich den Weg hierher merken sollen, doch jetzt war es zu spät. Über seine eigene Dummheit entsetzt, schüttelte er den Kopf.
„Der Boss wartet“, war alles, was der Fahrer der Limousine von sich gab, bevor er sich umdrehte, um das Auto lief und wortlos wieder einstieg. Der Motor startete und Jin sah dem langsam davonfahrenden Auto hinterher, bis dieses verschwunden war. Erst dann drehte er sich zur Villa um.
Er stand am Fuße einer großen Treppe. Mit einem unguten Gefühl im Magen erklomm Jin Stufe um Stufe in Richtung Eingangstür. Noch war diese verschlossen. Fast oben angekommen, öffnete sich ebendiese Tür.
Zum Vorschein kam ein rothaariger, junger Mann, der ungefähr in Jins Alter sein dürfte.
„Hallo, ich bin Hoseok. Der Boss erwartet dich bereits“, sagte er mit einer schönen Stimme und leichtem Akzent, den Jin nicht zuordnen konnte. „Folge mir einfach“, sprach er ernst weiter und drehte ihm den Rücken zu.
Jin trat unsicher durch den Eingang. Das leise Klicken der Tür, als diese sich schloss, hallte in seinen Ohren wieder. Er spürte, hier würde er nicht mehr so schnell wegkommen. Ein Schaudern erfasste ihn und er strich sich über die Arme.
‚Himmel, Tae. Was hast du nur angestellt?‘, dachte Jin und folgte Hoseok weiter ins Haus. Vor einer zweiflügeligen, dunklen Tür blieb er stehen und öffnete nur die rechte Seite. Mit der Hand gab er ihm ein Zeichen, einzutreten.
Jin ging hinein und sah zuerst nur Dunkelheit. Seine Augen mussten sich erst an das dämmerige Licht gewöhnen. Endlich konnte er schemenhaft etwas erkennen und erschrak. Zischend sog er die Luft ein. Direkt vor ihm stand ein weiterer junger Mann, vielleicht etwas jünger als er selbst, und hielt ihn mit erhobener Hand auf.
„Jacke ausziehen, Handy her und alles, womit du jemanden verletzen kannst“, begann der Schwarzhaarige und streckte den Arm aus. Jin schlüpfte aus der Jacke und reichte sie weiter. Dann zog er sein Handy und seine Schlüssel aus der Hosentasche und übergab auch diese. Er hatte noch kein einziges Wort gesprochen.
„Ist das alles?“, fragte Hoseok, der hinter Jin eingetreten war. Er nickte. „Gut, dann hast du ja nichts dagegen, wenn Jungkook dich noch einmal durchsucht.“ Das war keine Bitte. Jin schüttelte den Kopf.
„Arme seitlich nach oben und rühr dich nicht“, warnte ihn nun der Schwarzhaarige mit Namen Jungkook.
Jin tat, wie ihm geheißen, und streckte die Arme seitlich nach oben weg. Er hatte das schon oft im Fernsehen gesehen. Hände legten sich um seinen Nacken und begannen ihn abzutasten. Dann fuhren diese nacheinander seine Arme entlang. Danach folgten der Rücken und die Brust. Jetzt die Beine bis hinunter zu den Knöcheln.
„Schuhe ausziehen!“ Ein Befehl, den Jin ohne Gegenwehr befolgte. Zuletzt wurden die Taschen seiner Jogginghose kontrolliert. Die Hände fuhren dabei der Kontur seines Hintern entlang und landeten letztlich in seinem Schritt, der ausgiebig abgetastet wurde. Dabei sah der Schwarzhaarige ihm tief in die Augen und grinste böse.
In Jins Augen blitzte Wut auf, bevor er den Blick senkte. Dieses miese Schwein! Das hatte er extra gemacht.
„Er ist sauber“, sagte Jungkook in den Raum und trat einen Schritt zurück. „Und er hat Mut“, warf er hinterher und lächelte, während er sich umdrehte. Zu wem hatte er das gesagt? Egal! Zuerst einmal musste Jin wissen, was mit Tae war.
„Wo ist mein Bruder?“ Zum ersten Mal, seit er hier eingetroffen war, sprach Jin.
„Oh, wow“, kam es von Hoseok. „Du hast ja eine tolle Stimme“, meinte er bewundernd und folgte Jungkook, an dessen Seite er trat.
„Danke“, sagte Jin und sprach weiter: „Also? Wo ist mein Bruder?“ hakte er nach.
„Ui. Und höflich bist du auch noch.“ Begeistert klatschte Hoseok in die Hände.
Jin verstand gar nichts mehr. Er war hier, weil sein Bruder in Schwierigkeiten steckte und dieser Rothaarige bewunderte seine Stimme und seine Höflichkeit? Was stimmte mit diesen Kerlen hier nicht? Mit fragendem Blick wandte er sich an Jungkook. Dieser zuckte nur mit den Schultern und zeigte erneut dieses verdammte Grinsen. ‚Was ist so lustig an dieser beschissenen Situation?‘, fragte sich Jin.
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Oh oh, was hat Tae da nur angestellt?
Aber Wahnsinn, wie Jin bisher die Fassung bewahrt.
Dann noch Jungkook, dieser Böse Kerl. 🤣
Mal sehen, wie es mit meiner Geschichte weiter geht. 😂
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