Hocheol

"Mit so einem Unwetter haben wir heute nicht gerechnet!", fängt sie ein wenig Smalltalk an.

"Mhm", mache ich und starre nachdenklich die finsteren Wolken an. Als ich losgefahren bin, war der Himmel noch hellgrau.

"Richtiges Mäusenestwetter, bei dem man sich am liebsten im Bett verkriechen möchte... Was möchtest du trinken, Hocheol?"

"Äh?"

"Wir haben Wasser, Tee, Kirschsaft und Soju", zählt sie auf.

"Kirschsaft klingt gut. Oder Tee?", überlege ich. Was Warmes wäre bei dem Wetter sicher nicht schlecht.

"Schwarzer Tee, Früchte oder Ginseng?"

"Ginseng! Bitte."

"Gut." Sie füllt zwei Kannen mit dem heißen Wasser und ich schaue wieder aus dem Fenster, weil ich nichts Besseres zu tun habe. Dann kehrt Hyunuk mit dem Knirps zurück. Hinter ihnen taucht ein Mann auf, wahrscheinlich Hyunuks Vater.

"Oh, hallo. Du bist dann wohl der Gast, den Minnie angekündigt hat", begrüßt er mich.

"Ja! Hallo! Ich bin Lee Hocheol!", stelle ich mich vor und verbeuge mich.

"Sehr erfreut. Han Jiyeon."

"Äh, freut mich ebenfalls!"

Nach freundlichem Zunicken piept die Mikrowelle.

"Esseeeeeen!", freut sich Minhyun und hüpft aufgeregt auf und ab, bevor seine Großmutter ihn an den Tisch bittet und er Hyunuk und mich platziert. "Das hier ist mein Platz, ich sitze immer hier, wenn ich bei Oma und Opa bin. Ihr dürft gegendrüber sitzen."

"Hach", seufzt Hyunuk gespielt melancholisch, "früher hab ich immer dort gesessen. So schnell wird man also verscheucht."

"Weggegangen, Platz gefangen!", singt der Kleine und grinst breit, als Hyunuk ihm zuzwinkert. Die Mutter verteilt das Essen.

"Sei nicht so bescheiden", sagt sie mir, als ich meine, dass ich genug auf dem Teller habe, und gibt noch einen weiteren Löffel Auflauf drauf. Es ist viel, aber Hyunuks Portion wird noch etwas üppiger. Er scheint wirklich großen Appetit zu haben.

Bevor wir anfangen zu essen, wird gebetet. Hoffentlich ist das nicht unhöflich, dass ich vorher schon einem Schluck Tee getrunken habe.

Minhyuk sagt am Ende ganz laut "Ameeen!" und fängt dann an, sich seine Portion reinzuschaufeln. Das hat er wohl von Hyunuk abgeschaut, der legt nämlich auch gleich los und hält mit Minhyun einen kleinen Wettbewerb ab, wer lauter genüsslich "Mhhhhhhh" machen kann, bis die Mutter die beiden ermahnt.

"Vielen Dank, es schmeckt köstlich", lobe ich nach einigen Bissen.

"Dankeschön", erwidert Han Jiyeon. Er hat wohl gekocht.

Man merkt genau, wann der Kleine satt ist. Im Verlauf der Mahlzeit wird Minhyun immer gesprächiger und unterhält die ganze Familie mit Geschichten aus dem Kindergarten statt weiterzuessen. "Du, Hocheoool?"

"Ja?"

"Bist du Hyunukies liebster Schatz?"

Vor Schreck verschluckt Hyunuk sich an seinem Bissen und hustet. Ich klopfe ihm verlegen auf den Rücken. Seine Mutter grinst in sich hinein und der Vater zieht amüsiert seine Augenbrauen hoch.

"Ähm..."

"Mein Papa ist auch Mamas liebster Schatz. Und Mamas Freundin hat auch einen liebsten Schatz, aber die sind beide Mädchen. Die wohnen zusammen, wir waren letztens dort Kuchen essen. Der war soooo lecker!"

"Wie schön!"

"Wohnt ihr auch zusammen? Hyunukie und du?" Mensch, der Kleine stellt aber neugierige Fragen.

Es folgt ein erneuter Hustenanfall seitens Hyunuk. Ich antworte: "Äh, nein. Wir kennen uns noch nicht so lange."

"Ojeeee! Da müsst ihr euch aber ganz oft küssen, sonst geht die Liebe verloren!"

Wieder kommt unterdrücktes Husten von Hyunuk, das Minhyun geflissentlich ignoriert und weitererzählt: "Das sagt meine Freundin aus dem Kindergarten, die heißt auch Minnie. Ihre Mama ist ganz oft weg, die muss auf Diebsreise oder so."

Eh ich mir den Kopf zermartern kann, was er meint, fragt Hyunuk nach: "Du meinst bestimmt Dienstreise?"

"Ja genau! Und deswegen müssen ihre Mama und Papa sich ganz oft küssen, wenn die Mama wieder nach Hause kommt!"

"Ah ja."

"Habt ihr euch schon geküsst? Das macht man nämlich, wenn man sich lieb hat. Mama und Papa küssen sich auch."

"Wie schön!", finde ich und übergehe seine Frage, was ihn nicht zu stören scheint. Er plappert weiter.

"Meine große Schwester kriegt auch manchmal ein Küsschen von mir. Ich hätt gern auch einen Bruder. Aber mit dem muss ich mir vielleicht mein Zimmer teilen...", sinniert er. Dann fällt ihm wohl plötzlich etwas ein. Aufgeregt fragt er: "Du, Hocheoliiie?? Soll ich euch ein Geheimdis verraten?"

"Wenn du magst?"

"Oma und Opa haben sich auch schonmal geküsst!" versucht er zu flüstern und benetzt mit seiner feuchten Aussprache den halben Tisch.

Hyunuk reißt gespielt schockiert die Augen auf. "Wirkliiiich?"

"Jaaaaa!", kichert der Kleine. Die Stimmung am Tisch ist super.