IV. Kapitel- Das Gold im Herzen

Ein einziger Fehler kann dich verändern, ein Fehler kann dich zerstören. Verschließt du deine Augen vor ihm, versuchst ihn zu verdrängen, dann wird er mit doppelter Kraft zurückschlagen. Gestehst du ihn dir ein, kannst dir selbst aber nicht verzeihen, lässt er dich verrückte Dinge tun. Doch was bedeutet es wirklich, einen Fehler einzusehen? Und was passiert, wenn dieser Fehler einzig mit nichts geringerem als dem Tod geglichen werden kann?

Es war still in dem kleinen Cottage, so still. Die einzigen Geräusche, die ahnungsvoll in der Luft lagen, waren die leisen, gleichmäßigen Schritte des Mannes, der schon seit Stunden in diesem Raum auf und ab ging. Unablässig. Nachdenklich.
Seine Gedanken schweiften immer wieder von seinem eigenen Elend, zu dem seiner Tochter, die er grundlos verraten hatte.
Stroh zu Gold spinnen.
Nur ein Narr würde auf die Idee kommen, so etwas zu behaupten, sei es auch nur im Scherz. Aber vielleicht war er das ja. Ein alter Narr.

Er musste irgendetwas tun, das war ihm gewiss. Wenn er noch weiter über Tatsachen grübelte, würde es vielleicht zu spät sein. Es musste doch eine Möglichkeit existieren, Lyanna zu helfen. Das Mädchen zu ihm zurückzuholen.
Die Wache hatte sie mitgenommen, um sie in der Felsenburg einen unmöglichen Zauber wirken zu lassen. Er müsste also in die Festung des Stadtrates gelangen, um sie zu befreien. Keine leichte Aufgabe. Geradezu unmöglich.

Und wieder einmal drängte sich zwischen all den tausenden Fragen, eine einzige an die Oberfläche. Eine, die Tëodor sich schon so oft gestellt aber nie eine Antwort gefunden hatte. Woher wusste der Stadtrat von seiner Behauptung in dem Wirtshaus? Und wieso hielt er die Prahlereien eines betrunkenen Töpfers für die Wahrheit?
Fragen, die ihn unter ihrer Last zu erdrücken schienen.

Eine Träne der Verzweiflung rann ihm über die Wange, und mit ihr kam die Erkenntnis. Der Plan. Wie die Flamme einer Kerze, die langsam aufglüht, bis sie den ganzen Raum erfüllt. Die einzige Möglichkeit, irgendetwas für seine Tochter tun zu können, war zu ihr zu gelangen. Ein waghalsiger, verrückter Gedanke. Lebensmüde vielleicht. Doch gab es keinen anderen Weg. Nur den, der geradewegs in die streng bewachte Festung des Stadtrats führte.

Vielleicht hätte er erkennen können, dass dieser Plan niemals gelingen könnte, sehen können, dass er damit Lyanna und sich selbst nur noch tiefer in dem Meer aus Gefahr versinken ließ. Doch in diesem Moment war es allein der törichte Gedanke, seinen Fehler wiedergutzumachen, der ihn handeln ließ.

Als er das Cottage verließ, war er zum ersten Mal seit Tagen wieder zuversichtlich. Ein Gefühl, für welches er alles geben würde. Wie für seine Tochter.

Der Weg zu der Burg, die dominant und edel auf einem Bergkamm über der Stadt thronte, dauerte kürzer als gedacht. Der steile Anstieg zum Tor hatte den Mann erschöpft, und doch war er glücklich, obwohl er die ganze Zeit an die Angst seiner Tochter denken musste, die sie sicher den Weg hierher geplagt haben musste.

Das gewaltige Eingangstor des steinernen Gebildes war verschlossen, zwei Wachmänner lehnten an dem soliden Holz und unterhielten sich. Als einer der beiden denn Mann entdeckte, der sich ihnen nährte, unterbrachen die beiden ihr Gespräch und kamen überheblichen Schrittes auf ihn zu. „Was willst du hier, alter Mann?", fragte der eine höhnisch. Er war klein, aber schlank und man sah ihm seine Jugend deutlich an. „Für das Anliegen eines Greises hat der Stadtrat keine Zeit!", dröhnte der andere, ein kräftiger Hüne mit dunkler Haut, vorlaut. Tëodor versuchte seinen Zorn über die beiden frechen Jungen zu verdrängen, wobei ihre Worte innerlich mehr schmerzten als sie sollten. Mit zitternder, aber ruhiger Stimme, trug er ihnen die Sätze vor, die er auf dem Weg hierher, so oft vor sich hingeflüstert hatte: „Ich begehre eine Audienz beim Stadtrat." Immer noch skeptisch musterte einer der vorlauten Wachen den Mann. Mit ausdrucksloser Miene betrachtete Tëodor die zwei Wachmänner, welche sich flüsternd beratschlagten.

Plötzlich kochte wieder die Wut in ihm auf, heißer und brennender als je zuvor. Langsam fraß sie sich durch seinen Körper und hüllte ihn in ihren grausamen Schein. Sein Gesicht war eine schreckliche Fratze, geformt von dem Feuer, das ihn nun vollkommen einhüllte. Scheinbar ohne Kontrolle über seinen eigenen Körper stürmte er aus den kleinen Wachmann zu. Ehe dieser sich versah, hatte Thëodor seinen Kopf an das hölzerne Tor geschlagen und der junge Mann sank mit einem Schmerzensschrei auf den Boden, wo er bewegungslos liegen blieb.

Ein teuflisches Lächeln zierte Thëodors Gesicht, als sein Körper plötzlich vor schrecklichen Schmerz zu explodieren schien. Das letzte, was er sah, war die stählerne Klinge des Hünen, die von seinem Blut triefte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

In diesem letzten Moment, überfiel ihn die volle Erkenntnis. Denn es ist nicht das Gold in der Tasche, das dich reich macht, sondern das Gold im Herzen. So hatte Tëodor für diese Worte und seine Tochter, sein Leben gegeben. Und er starb mit einem Lächeln auf den Lippen.

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