III. Kapitel- Worte aus alter Zeit
Die frische Mut, die in ihr entflammt war, gab Lyanna Kraft und half ihr, den pochenden Schmerz in ihrem Bein zu vergessen. Humpelnd ging das Mädchen den langen Gang entlang, der sich vor ihr erstreckte. Die Wände bestanden aus dunklem, nasskaltem Stein und der Boden war nichts als etwas festgetretene Erde. Wofür dieser Ort wohl genutzt wurde?
Nach einigen stillen Minuten, die wie Stunden schienen, erreichte Lyanna eine kleine stählerne Tür. Vorsichtig legte sie ihre zitternde Hand auf den silbernen Knauf. Sie hätte mit einem Schloss oder Bolzen gerechnet, doch nach kurzem Rütteln öffnete die Tür sich knarzend und gab den Blick in eine große Kammer frei.
Die Kammer war schmucklos und leer, die Wände unverputzt und uneben, vermutlich eine ehemalige Vorratskammer. Eine brennende Fackel hing an einem Halter an der Wand. War hier etwa jemand? Lyanna konnte niemanden entdecken.
Gerade wollte sich das Mädchen wieder abwenden, als plötzlich eine grollende tiefe Stimme erklang. Vom Schrecken gepackt stolperte sie gegen eine Wand und ihr Bein begann erneut zu schmerzen, wie eine fast vergessene Wunde, in die nun jemand Salz streut. Ein geisterhaftes silbernes Licht erfüllte den Raum, gleißend hell und schmerzhaft, und schien fremde Worte von weit her zu tragen. Lyanna schrie. Fast schien es, als würde das silberne Licht sie verschlingen, als es plötzlich verschwand. Spurlos. Grundlos. Ins Nichts. Zurück blieben nur das, vor Furcht zitternde Mädchen und einige leise Worte.
Lyanna?
Lyanna?
Hör mich an!
Befreie mich, befreie uns!
Schwöre mir die Worte,
dann werde ich jede Tür öffnen, die dich von der Freiheit trennt.
Wenn dein Gefängnis sich das nächste Mal öffnet, wird dort ein Junge sein, der dir sagen wird, was du tun musst.
Vertraue ihm!
Vertraue mir!
Schwöre die Worte, die dich an den Verräter binden, um das Böse zu bezwingen und uns zu befreien!
Schwöre deine Treue!
Bringe die Elfenbeinklinge zum ewigen Wächter, zu bezwingen das Untier aus dem tiefen Berg.
Schwöre es mir!
Schwöre es...
Immer leiser wurden die Worte, bis sie schließlich vollkommen in der Ferne verschwanden.
Schwöre es... es... es...
Schwöööre...
Eine neue Welle von Furcht erfüllte Lyannas Geist und schien das Mädchen beinahe unter sich zu begraben. Noch immer ebbten die letzten Worte in ihrem Kopf nach.
Schwöre es!
Wie ein Echo aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Und scheinbar vollkommen von selbst, öffnete sich plötzlich Lyannas Mund und aus ihrer Kehle drangen drei verhängnisvolle Wörter: Ich schwöre es.
Mehr war es nicht, was ihr Schicksal besiegelte, als diese drei Wörter, Überbringer eines uralten Zaubers. Drei Wörter, deren Bedeutung nur jene kennen, die sich an diese gebunden haben. Sei es aus eigener oder fremder Kraft.
Denn Worte können dich vernichten, Buchstaben können dir den Tod bringen, Laute können dich in ewigem Schmerz fangen. Worte vermögen jenes, was nichts anderes in dieser oder einer anderen Welt je ausdrücken könnte. Worte sind Zauber und nur dem, der sich ihnen vollkommen hingeben, ist ihre Bedeutung gewiss. Denn Worte können so vieles sein, nur nicht unbedeutend. Jedes Wort hat seinen Sinn und jeder Laut verändert dein Schicksal.
So wie der Eid, den Lyanna geschworen und der sie bis in die Ewigkeit bindet. An eine ungewisse Macht, deren Bedeutung nicht einmal ihrem Erschaffer bekannt ist. An das Schicksal.
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