II. Kapitel- Neugier und Hoffnung
Verzweiflung und Angst. Zwei Dinge, die einen lähmen können. Wie bei einem Tanz gleiten sie aneinander vorbei und vollziehen in einem schaurigen Einklang, schreckliche Werke. Zwei Brüder, gemeinsam tödlich.
Doch dann gibt es da noch die Stärke und die Hoffnung, kleine Lichter in der Finsternis, wie ein Leuchtturm in stürmischer See, eine beruhigende Stimme in der dunklen Nacht.
Doch was geschieht wenn das Licht erlischt, die Stimme verklingt? Was ist, wenn du zurückgelassen wirst in dem schrecklichen Tanz von Verzweiflung und Angst?
Denn diese beiden waren es, die Lyanna einschlossen. Verzweiflung und Angst. An diesem unwirtlichen kalten Ort, von dem es anscheinend kein Entkommen gab. Schon seit Stunden lief das Mädchen in der großen Kammer auf und ab und versuchte zumindest die Kälte zu vertreiben. Vergebens.
Anfangs waren es Angst und Verzweiflung gewesen, die ihr so zu schaffen machten, doch mittlerweile mischte sich noch eine andere Emotion zum dem verhassten Tanz: Die Wut. Die Wut auf ihren Vater, Wut auf das Königshaus, Wut auf sich selber.
Mit einem kraftvollen Tritt gegen einen der unzähligen Strohhaufen wollte Lyanna eben dieser Wut freien Lauf geben, als plötzlich ein stechender Schmerz durch ihren Fuß zuckte. In dem gold-gelben Haufen befand sich etwas hartes. Leise fluchend versuchte Lyanna den Schmerz in ihrem Fuß zu ignorieren und sank auf die Knie um herauszufinden was sich dort unter dem Stroh befand.
Vielleicht ein Gegenstand, der schwer und stabil genug war, um die schwere Holztür, die den Ausgang der Zelle bildete, zu zerschlagen...
Oder ein Werkzeug, welches ihr bei ihrer unmöglichen Aufgabe helfen könnte...
Lyannas erwartungsvolle Miene verwandelte sich in ein Staunen, als unter den gold-gelben Halmen eine hölzerne Luke zum Vorschein kam. Behutsam zog das Mädchen an dem kalten Eisengriff und blickte mit pochenden Herzen hinab in den dunklen Schacht, der unter der knarzenden Luke zum Vorschein kam. Das alte Holz knarzte als Lyanna die Luke anhob.Vorsichtig versuchte sie mit der kleinen Wachskerze, die in der Mitte des Raumes stand, den Schacht zu erleuchten, doch sie sah bloß Schwärze. Tiefe, ahnungslose Schwärze.
Vielleicht war dies der Weg in die Freiheit, möge sie doch so fern erscheinen. Oder doch bloß der Zugang zu einer vergessenen Speise- oder Abfallkammer? Die Ungewissheit lässt einen Menschen oft töricht handeln, so auch Neugier und manchmal auch die Hoffnung. Und genau dieser Fall trat bei Lyanna ein, die immer noch erstaunt über ihren Fund und getrieben von ungewissen Hoffnungen und unbändiger Neugier ohne zu überlegen ihre Beine über den Rand des Schachtes schwang. Der Fall ins Ungewisse dauerte bloß einige Sekunden, der Aufprall fühlte sich wesentlich länger an.
Schmerz durchzuckte ihren ganzen Körper, als sie mit einem grässlichen Geräusch auf dem Boden aufschlug. Ihr Körper pulsierte wild und ihr Herz schien förmlich ihren Brustkorb zu sprengen. Lyanna erinnerte sich nicht daran, schonmal solche Schmerzen erlebt zu haben. Müßig versuchte sie aufzustehen, doch ihr Bein schien bei jeder Bewegung zu explodieren. Wäre der Schmerz nicht so mächtig, hätte das Mädchen geschrien. Schluchzend blieb sie einige Minuten auf dem kalten Steinboden liegen, ehe sie einen neuen Versuch startete, aufzustehen. Ihr Bein schien geprellt, aber diesmal gelang es Lyanna, sich auf die Beine zu ziehen.
Mit einem seltsamen Drücken in der Magengrube sah sie den Schacht hinauf, zu der Luke. Sie musste sicher mindestens drei Ellen gefallen sein.
Und trotzdem war es ihr gelungen, wieder aufzustehen und ihre Hoffnung aufrecht zu erhalten. Denn diese flammte heller als der Schmerz und die Verzweiflung. Wie ein kleiner Stern am Horizont, der immer größer wird. Und Lyannas Stern schien mittlerweile fast greifbar.
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