I. Kapitel- Stroh zu Gold

Es war einmal. Man würde meinen so fangen alle Märchen an.
Es war einmal in einem Land fernab der Wirklichkeit, dessen Nachthimmel zwei Monde zierten und in dem die Magie nie verloren gegangen ist.
Es war einmal, da lebte in diesem Land ein Mädchen, mit einem Herz aus purem Gold, die eine Klinge führte, schärfer als jedes Schwert.
Man würde meinen dies wären gebührende Worte um ein Märchen einzuleiten. Doch das sind es nicht. Und doch sind es wieder sie, die den Anfang begründen.
Es war ein mal. Diese Worte erzählen von Frieden, Magie und Wundern. Diese Worte bedeuten ein glückliches Ende.
Doch sie reichen nicht aus um das volle Bild zu beschreiben. Denn im Licht der Monde wird Blut fließen, die Wunder werden sich als Lügen entpuppen, die Magie als Gewalt und das Mädchen- Das Mädchen mit dem Herz aus Gold ist nichts weiter als ein Kind. Ein Kind dessen goldenes Herz in Tränen versinkt.
Und über alledem die grausige Wahrheit. Dies ist keine Geschichte über das Licht, dies ist eine Ballade der Dunkelheit.
Denn nicht alle Märchen enden gut.

Ich erzähle diese Geschichte weil Worte das einzige sind, das bleibt. Das einzige das überdauert. Denn was kann ein Schwert einem Wort antuen, das im Kopf der Menschen unsterblich wird.
doch es gibt Dinge, die man mit Worten nicht beschreiben kann und Worte, die man mit Dingen niemals darstellen könnte. Sie sind schöner als jede Zeichnung, jeder Mensch, jeder Gegenstand es je sein könnte. Worte sind Kunst,  sind Leidenschaft, erzählen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Doch der Schein kann trügen, sie können ihr wahres Gesicht hinter einer Maske verbergen. Worte können verletzten, zerstören, töten. Und wie viel Wert misst man den Worten eines Mannes bei, der einmal zu oft gelogen hat?

Als es des frühen morgens an der Pforte klopfte und das Mädchen Lyanna dem Hauptmann der Stadtgarde in das hässliche Gesicht blickte, breitete sich eine ungewisse Vorahnung in ihr aus.
Schnell und mit pochendem Herzen eilte das gutmütige Mädchen die schier endlos lange Treppe hinauf, zu den Räumen ihres Vaters und als sie schließlich endlich zaghaft an die schwere Eichentür klopfte, zitterten ihre Finger.

Der restliche Morgen schien in Lyannas Gedanken später schemenhaft und unwirklich, so wie ein böser Traum, wegen dem man aus dem Schlaf hochschreckt und erleichtert feststellt, dass nichts von alledem Wirklichkeit ist. Doch Lyanna wachte nicht auf. Vielmehr schien sie immer mehr in grauen Schemen aus Schmerz, Verzweiflung und Unwissenheit zu versinken. Denn wenn es dunkel ist und die Schatten Geschichten von Leid und Elend erzählen, scheint der Schleier eines Alptraumes oft realer denn je. Und manchmal kann man diesen Traum nicht abtuen. Manchmal beschert einem solch Hirngespinst noch viele schlaflose Nächte und unendlich viel angsterfülltes Warten auf den Moment, an dem man all dies einfach vergessen kann.

Was sich in Lyannas Gehirn festgebrannt hatte, waren die Worte die der Hauptmann mit ihrem Vater gewechselt hatte. Leise flüsterte sie diese Zeilen auch jetzt vor sich hin, in dem Wissen, dies wohl nie wieder vergessen zu können.

„Ist sie das, das Mädchen das Stroh zu Gold spinnen kann?"

„Was, wieso...?"

„Wir wollen sie mitnehmen, zum Statthalter. Sollten deine Worte wahr seien, Töpfer, so wird sie es unter Beweis stellen müssen."

„Aber..."

„Sie kommt mit uns. Der Statthalter duldet keine Widerrede."

Das verzweifelte Gesicht ihres Vaters flammte vor ihrem geistigen Auge auf, die gleichgültige Miene des Hauptmanns, der während des ganzen Gespräches schier emotionslos gestarrt hatte, ihr eigener Schrei... Was man hier von ihr wollte kam ihr jetzt wie damals unglaublich und unbegründet vor. Wieso sollte sie Stroh zu Gold spinnen können? Und was hatte ihr Vater damit zu tun?

Alles war so schnell gegangen, dass Lyanna sich nicht mehr erinnerte was nach dem Gespräch geschah. Nun saß sie zumindest frierend und einsam in einer großen steinernen Kammer, die Angst raubte ihr fast den Verstand, um sich Haufen von Stroh die sie in Gold verwandeln sollte.

Eine Träne rann ihre Wange hinunter und tropfte aus den kalten Steinboden. Im schwachen Licht der einzigen Kerze wirkte der kleine Wassertropfen, der einem an diesem Ort doch so fremd vorkam, fast silbern. Wie eine letzte Botschaft der Hoffnung die kurz aufflammt um dann in einem Meer aus Angst unterzugehen.

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