Kapitel 6
Die Nacht lag schwer über dem Camp, als die Gestalt durch die Schatten wandelte. Die Schritte machten keinen Laut, so federleicht waren sie. In keiner Hütte brannte mehr Licht, doch die unbekannte Person wusste genau, dass sie nicht allein hier draußen war. Immerhin schlief bei Nacht nicht alles. Langsam bahnte sie sich ihren Weg durch die Bäume und Büsche, ohne auf einen bereits gelaufenen weg zu betreten. Die Stimmen kamen immer näher, ein Mädchen mit ihrem Freund, die sich eine schöne Nacht machen wollte. Das breite Grinsen breitete sich schnell auf den Lippen der Gestalt aus, als sie näher trat. Durch die Blätter erkannte sie die verschwommenen Linien zweier Personen, die lachend auf dem Boden lagen.
"Wir sollten wieder gehen, bevor man uns erwischt...", murmelte das Mädchen mit klarer Stimme, doch die Gestalt hörte genau, dass sie die Nacht lieber noch genießen wollte. Sie wirkte zwar bereits erschöpft, aber dennoch nicht willig, ihren Liebsten zu verlassen.
"Ich bin der Sohn der Tyche, das Schicksal ist auf meiner Seite, das weißt du doch", dieser nahm ihre Hand und küsste sie mit einem Lächeln, das die Gestalt gerade so ausmachen konnte. Dann legte er seinen Kopf zurück ins Gras, seine Augen starrten in die Kronen über ihm.
"Komm, wir können uns morgen wieder treffen", flüsterte das Mädchen, bevor sie aufstand und ihre Kleidung zusammen suchte. Die Hände der Gestalt zuckten, als sich das Grinsen einmauerte. Auch der Junge suchte un seine Kleidung zusammen und zog sich seufzend an. Zwar wollte er mehr Zeit mit seiner Freundin verbringen, doch er wusste auch, dass sie recht hatte, wenn sie ihm sagte, dass die Gefahr erwischt zu werden, zu groß sei. Dann machten die beiden sich schweigend auf den Weg, den Blick hatten sie stur nach vorne gerichtet, was wohl ein Fehler war. Grinsend schlich die Gestalt, in den Schatten verborgen, hinter ihnen her. Als die beiden am Rand des Waldes angekommen waren, verabschiedeten sie sich mit einem sanften Kuss voneinander, das Mädchen schlug den Weg nach links ein und ihr Freund betrachtete sie, bis sie in der Hütte verschwunden war, dann wollte er sich selbst auf den Weg machen. Urplötzlich blitzte etwas Rotes direkt vor ihm auf, doch er hatte nicht einmal Zeit, zu schreien, da hatte ihm das Wesen die Kehle bereits durchgetrennt.
'Come little children, I'll take thee away into a land of enchantment. Come little children, the time's come to play here in my garden of shadows. Follow sweet children, I'll show thee the way through all the pain and the sorrows. Weep not poor children, for life is this way, murdering beauty and passions...'
Ich wurde von der sanften Melodie und dem schweren Text des Liedes 'Come little children' geweckt und bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Das Camp war in völlige Stille getaucht, was ich für unmöglich hielt, nachdem ich gestern die ersten Eindrücke erhalten hatte. Angespannt schlug ich die Decke von mir und stand auf, bevor ich mir eine schwarze Shorts und ein schwarzes Top anzog, um nach draußen zu gehen. Ich hatte in der Hütte der Artemis geschlafen, da ich immer noch nicht 'anerkannt' worden war, was mir jedoch wenig ausmachte, denn ich war nicht sonderlich scharf darauf zu erfahren, wer meine Mutter wirklich war. Als ich durch die Tür trat, wurde ich nicht nur mit einem Hitzeschwall, sondern auch einem grausigen Anblick begrüßt. Ich hörte Schluchzen und erschrockene Aufschreie, die mich eigentlich hätten wecken sollen. Vor mir hing ein Junge am Eingang der Tyche-Hütte. Vertrocknetes Blut bedeckte seine ganze Kleidung, doch das war nicht das, was jedes Augenpaar anzog. Sein Bauch war aufgeschlitzt worden, so dass die Organe über en Rand des Fleisches herausquollen und an ihm herunter hingen. Langsam legte ich meinen Kopf schief, es war das Auffälligste an seiner Verletzung, doch eine Kleinigkeit störte mich.
"Aus dem Weg", ich schubste einige Leute auf die Seite, bis alle mir letztendlich Platz machten. Sie begannen bereits zu tuscheln, ich konnte hören, dass sie annahmen, dass mein Auftauchen etwas mit dem Mord zu tun hatte.
"Sie ist doch gestern angekommen und heute ist der erste Mord, Zufall? Ich glaube nicht!"
"Sie ist noch gar nicht anerkannt! Bestimmt aus diesem Grund!"
"Habt ihr gehört, dass sie mit Jason angekommen ist? Er war gar nicht begeistert!"
"Schaut sie euch an, ihre Haare, die Kleidung!"
"Wie wäre es, wenn ihr weniger taktlos wäret?", ich drehte mich zu ihnen um und starrte in die Menge, ohne jemanden direkt anzusehen. Sofort änderte sich die Atmosphäre, ich spürte die überraschten Blicke, das Tuscheln verstummte augenblicklich. Jetzt richtete ich meinen Blick wieder nach vorne und entdeckte ein hübsches Mädchen mit dunklem Haar, das auf dem Boden kauerte und immer wieder wimmerte, dass es ihre Schuld wäre.
"Du bist seine Freundin, tut mir leid um deinen Verlust", ich kniete mich kurz neben sie und legte meine Hand auf ihre Schulter, weshalb sie erschrocken aufsah. Ihre Augen waren rot vom vielen Weinen und sie zitterte am ganzen Körper.
"Ich bin Mallory...ich hätte es wissen müssen, dass ich ihm auch Unglück bringe", sie vergrub das Gesicht in ihrem Händen. Ein Seufzen unterdrückend, schüttelte ich den Kopf. War sie so dumm, wie sie tat? Dieser Junge war ganz offenbar ermordet worden, doch wohl kaum von ihr. Es war nicht ihre Schuld und sie brachte niemandem Unglück.
"Du warst gestern mit ihm zusammen und auf dem Rückweg seid ihr in verschiedene Richtungen gegangen", stellte ich fest. Ihr Kopf schoss hoch und sie sah mich schockiert an. Ihr Körper hatte plötzlich aufgehört zu zittern, als sie mich anstarrte.
"Woher-?"
"Offensichtlich", ich stand wieder auf und trat näher an den hängenden Leichnam heran, um zu untersuchen, woran er festgemacht worden war. Der Angreifer hatte auch ein Loch in seinen oberen Rücken gebohrt, um ihn an einer Metallstange aufzuhängen. Langsam griff ich den Körper und zog ihn von der Metallstange, wobei ich das Tuscheln erneut anfachte. Das Mädchen schluchzte auf.
"Was tust du?!", schrie sie, aufspringend, um mir den Toten aus der Hand zu ziehen. Ich wich ihr aus und legte ihn auf dem Boden ab, bevor ich die aufgerissenen Augen genauer betrachtete.
"Was für eine Augenfarbe hat er?", fragte ich seine Freundin, wobei ich mich umdrehte und ihr die Sicht auf sein Gesicht versperrte. Tränen flossen immer noch ihre Wangen herunter.
"Braun, so ein schönes, tiefes Braun", sie ließ sich auf den Boden sinken und vergrub erneut das Gesicht in den Händen. Erbärmlich. Mein Blick fiel erneut auf die Augen des Jungen. Rot. Wie in Trance streckte ich die Hände aus und schloss seine Augen.
"Er findet Ruhe", flüsterte ich.
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