Kapitel 5
Jasons Sicht
Der Trip war der pure Horror gewesen, was sicher nicht daran lag, dass uns so unglaublich viele Monster angegriffen hatten, denn das war nicht passiert. Bis auf den Zwischenfall im Zug, den Oriana "geschickt" gelöst hatte, war absolut nichts vorgefallen. Das Camp war mittlerweile nur noch wenige Kilometer von uns entfernt und die Weiß-/Schwarzhaarige lief voraus, als wüsste sie genau, wohin sie gehen musste. Ich sagte nichts, immerhin hatte sie mehr als einmal bewiesen, dass sie ganz gut allein klar kam. Wie sie selbst sagte, beherrschte sie "das Spiel" perfekt, obwohl mir immer noch schleierhaft war, was sie überhaupt damit meinte. War das Leben für sie etwa ein einfaches Spiel? Dann war sie dumm, denn da hier war ernst, sehr ernst. Vielleicht wäre sie die nächste Tote auf unserer Liste gewesen, wenn ich nicht rechtzeitig gekommen wäre. Ich biss die Zähne zusammen und beobachtete die katzenhaften Bewegungen der Halbgöttin vor mir. Der Gedanke an ihren möglichen Tod löste ein komisches Gefühl in meiner Magengegend aus, als ich sie so betrachtete. Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich zu mir um, dunkle Augen bohrten sich in mich wie kleine Dolche.
"Du musst weniger über solche unnötigen Dinge nachdenken, Jason Grace", sie lächelte zauberhaft und wieder fiel mir auf, dass sie unglaublich hübsch...nein, schön war, auf eine schrecklich kalte Weise. Die Art, wie sie ihren Kopf leicht schief legte, wenn sie auf mich herabblickte, das Lächeln auf ihren Lippen, das mir sagte, dass ich nichts wusste, alles an ihr strahlte diese Unnahbarkeit aus. In meinen Fingerspitzen kribbelte es, als ich an ihre Worte über das Spiel dachte. Sie sagte, es bliebe noch genug Zeit, um es mir zu lehren. Ob sie es mir wohl beibringen wollte?
"Über was denke ich denn nach?", ich versuchte, einen ähnlich herablassenden Ton zu benutzen, doch meine Stimme klang lediglich falsch, was ihr ein Lachen entlockte. Ihre dunklen Augen folgten jeder meiner Bewegungen, sie war vorsichtig. Vertraute sie mir nicht? Warum? Hatte ich sie nicht gerettet? Als hätte sie es nötig gehabt, erinnerte ich mich.
"Das Spiel ist kein einfaches Brettspiel, Jason, es ist kein sinnloses Hin und Her...das Spiel ist mehr als das und eines Tages wirst du es realisieren...", sie trat näher zu mir und legte ihre spitzen Fingernägel an meine Wange, bevor sie ihre Hand ruckartig nach unten zog. Ich zuckte zusammen, als der Schmerz eintrat und ich etwas Blut austreten spürte.
"Warum hast du das gemacht?!", geschockt nahm ich die Hand an die Wange, die Kratzspur konnte nicht zu tief sein, aber es hatte mich trotzdem geschockt. Vielleicht sogar enttäuscht? Ich starrte sie an, aber ihr Lächeln verschwand nicht. Ihre Augen wirkten plötzlich heller, irgendwie...rot? Ungläubig blinzelte ich einige Male und das Rot war verschwunden. Bestimmt hatte ich mir das eingebildet, es war immerhin ein langer Tag gewesen. Wenigstens war ich nicht mehr weit von meiner Piper entfernt, schon der Gedanke an sie wärmte mein Herz und ließ mich lächeln. Oriana drehte sich um und ging wieder los, ihren Kopf hatte sie immer noch stolz erhoben und sie war immer noch vorsichtig.
"Du wirst merken, dass das Spiel weitaus mehr weh tut, Jason Grace", sie stoppte noch einmal und sah mich mit hartem Blick an, ihre Augen wiesen keine Emotionen auf, woraufhin mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Der Moment, in dem ihr emotionsloser Block auf mit lag, war auch schon vorbei und sie lief weiter.
"Woher weißt du, wohin wir gehen müssen?", ich joggte zu ihr und blickte sie fragend von der Seite an. Würde sie wieder die ursprüngliche Oriana sein oder so emotionslos bleiben? Langsam drehte sie den Kopf zu mir und lächelte wieder ihr typisches Lächeln, weshalb Erleichterung sich in mir breit machte. Was auch immer das gerade gewesen war, es hatte mir etwas Angst beschert.
"I see things that nobody else sees", sang sie leise. Ihre Augen blitzten auf, als sie zu mir aufsah. Irgendwie schaffte sie es, auf mich herabzusehen, obwohl sie eigentlich um einiges kleiner war als ich selbst. Ich lächelte sie an.
"Also? Was bedeutet das?", fragte ich interessiert. Sie wollte mir das Spiel beibringen und ich wollte wissen, wie man es spielte. Wie konnte man gewinnen? Was bedeutete der Sieg hier?
"Das ist deine zweite Lektion, Jason: Lies deine Umgebung! Es ist doch wohl offensichtlich. Das Gras unter uns ist platt getreten und an einigen Stellen ist die Erde aufgerissen wie nach einem Kampf", sie deutete auf die Stellen und die Spur, bevor sie wieder zu mir sah. Ich fühlte mich wie ein Schüler, klein und unwissend.
"Das wäre mir nie aufgefallen", sprach ich wahrheitsgemäß. Mein Blick fiel auf ihre angespannten Hände, die sie zu Fäusten geballt hatte. Sie zitterte kaum merklich, was mich überraschte. Oriana war keine ängstliche Person, sie zitterte nicht, aber gerade tat sie es. Sanft berührte ich ihren Arm im Laufen.
"Ja?", sie richtete ihren Blick auf meine blauen Augen. Ihr Zittern war jetzt kaum mehr zu bemerken, weil ich so fixiert war. Sie hatte tiefe Augen.
"Ist alles in Ordnung?", fragte ich mit gerunzelter Stirn, meine Hand lag auf ihrem Arm. Bevor sie jedoch antworten konnte, wurde sie durch das laute Rufen meines Namens unterbrochen. Piper kam auf mich zugerannt, ihre Augen leuchteten. Vor mir kam sie zum Stehen, ihr Blick fiel auf meine Hand an Orianas Arm, doch sie lächelte trotzdem. Dann schlang sie ihre Arme so geschickt um mich, dass ich meine Hand wegnehmen musste. Sofort lagen Pipers Lippen auf meinen und Glück erfüllte mich. Mein Herz schlug augenblicklich schneller, als ich meine Arme um ihre Taille schlang und sie näher zu mir zog.
Nachdem wir uns gelöst hatten, streckte Oriana meiner Freundin ihre Hand hin. Piper nahm sie lächelnd.
"Mein Name ist Oriana McPherson und lass mich erwähnen, dass du einen sehr aufmerksamen Gentleman an deiner Seite hast", sie zwinkerte mir zu, was bei ihr ziemlich vielsagend wirkte, wenn ich ehrlich war. Augenblicklich spannte Piper sich an, ihr Blick wurde kühl und sie hakte sich bei mir ein.
"Ich habe dich vermisst"
Als ich hinter ihr hergezogen wurde, schickte ich Oriana noch ein entschuldigendes Lächeln. Sie erwiderte es mit einem Funken in den dunklen Augen.
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