Kapitel 4
Orianas Sicht
Jason saß neben mir im Zug und er war sehr angepannt. Die ganze Zeit griff er nach der Münze, in die sich sein Schwert vorhin verwandelt hatte. Die blauen Augen flackerten unruhig, wenn er auch sichtlich bemüht war, es sich nicht ansehen zu lassen. Seufzend schloss ich meine Augen, meine restlichen Sinne waren auf meine Umgebung eingestellt. Ohne hinzusehen, wusste ich, dass der Typ mit der Sonnenbrille und dem Skateboard Kaugummi kaute. Das nervige Knatschen drang an mein Ohr, während der Geruch von zerkauten Früchten sich seinen Weg in meine Nase bahnte.
"Du kannst doch jetzt nicht schlafen!", der Blonde tippte mich an, woraufhin ich ein Auge öffnete. Sein Blick huschte immer noch nervös umher, worüber ich nur lachen konnte.
"Ich schlafe nicht, ich entspanne mich, Jason Grace", wieder schloss ich mein Auge und konzentrierte mich auf meine Umgebung. Immerhin musste man auf alles vorbereitet sein. Wenn ich in meinem Leben jemals mein Augenlicht verlieren sollte, hatte ich meine anderen Sinne bereits ein wenig geschärft.
"Wie kannst du jetzt entspannen?", zischte er sichtlich unzufrieden. Ich unterdrückte ein Seufzen, normalerweise war ein solcher Mensch nur eine weitere Herausforderung für mich, doch Jason schien, es wirklich nicht zu verstehen.
"Schließ deine Augen, Jason, dann wirst du verstehen!", erklärte ich, woraufhin der Sohn des Jupiters (er hatte mir alles auf dem Weg zum Bahnhof erklärt) schnaubte und sich abwandte. Innerlich verdrehte ich die Augen, Mr. Perfection hatte noch eine Menge zu lernen, um in diesem Spiel teilnehmen zu können.
"Du verstehst dich nicht gut mit deiner Stiefmutter", eine Feststellung, keine Frage. Ich hasste diese Feststellungen, mir war, als erwartete Jason, dass ich ihm meine Lebensgeschichte dalegte, weil wir nun einige Zeit miteinander verbringen würden.
"Richtig", ich nickte, die Augen geschlossen. Mich interessierte nicht, was die anderen zu der Beziehung zu meinen Eltern sagten. Ich wusste selbst, dass sie ruiniert war, jedoch sah ich jemand anderen als viel wichtiger an, jemand, der nicht mehr bei mir ist. Ruhe kehrte ein, keiner von uns sprach noch weiter, vielleicht weil es keinen Sinn hatte. Letztendlich seufzte der Sohn des Jupiter und schloss endlich seine Augen. Ich merkte augenblicklich, dass er sich anspannte. Sein Gehirn war nicht darauf vorbereitet, in einer gefährlichen Umgebung einen seiner Sinne zu verlieren, jedoch blieb der Blonde standhaft und öffnete sie nicht wieder.
"Ich verstehe gar nichts", nuschelte er, seine Augen öffneten sich wieder und ich spürte seinen Blick auf mir. Sichtlich genervt öffnete auch ich meine Augen, um meinen Gegenüber anzublicken.
"Du musst deine Augen schließen, Jason, und du musst vertrauen", sanft berührte ich seine Wange, fuhr über seine Schläfe zu seiner Stirn und lächelte.
"Auf wen?", seine Stimme zitterte, seine Augen waren geweitet und sein Atem hatte sich verändert, er war flacher geworden.
"Auf dich selbst und auf dein Gehirn. Das ist die erste Regel beim Spiel: Vertraue immer auf deine eigenen Fähigkeiten", sacht tippte ich dreimal gegen seine Stirn, bevor ich meine Hand zurückzog. Elektrische, blaue Augen starrten mich an, unbewegt, irritiert von einer Person, die sie vor wenigen Stunden zum ersten Mal erblickt hatten, eine Person, die Angst haben sollte.
"Du sagtest, du würdest es mir beibringen...meintest du solche Sachen? Das ist unnö-", begann er verkrampft.
"Sage nicht, dass es unnötig sei, Jason Grace, denn du kennst sie nicht", lächelnd lehnte ich mich zurück und beobachtete die deutliche Verwirrung, die sich in so seinem schönen Gesicht abzeichnete.
"Was kenne ich nicht?", langsam entspannte er sich, lehnte sich zurück und blickte mich neugierig an. Jasons Blick war nicht mehr nervös, er huschte nicht mehr herum, sondern war fixiert auf mich. Wenigstens ein Anfang!
"Die Welt, in der du lebst", ich lehnte mich näher zu ihm, um ihm die Worte ins Ohr zu hauchen. Augenblicklich zuckte er zurück.
"Ich habe eine Freundin", murmelte er und ein Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. Kichernd wandte ich mich von ihm ab. Wie süß, dass er so an seine Freundin dachte, doch er sollte beruhigt sein, ich war nicht sehr interessiert.
"Sie muss sich keine Sorgen machen, Jason. Ich achte auf...andere Aspekte einer Person und du entsprichst nicht meinem Typ", nun schloss ich wieder die Augen. Sofort fiel mir auf, dass das Kauen des Kaugummis fehlte. Der Typ hatte sich erhoben und lief auf uns zu, seine Schritte waren genau und zielstrebig. Er wusste, was er wollte.
"Pass au-", gerade wollte mich mein Begleiter warnen und zu sich ziehen, da war ich schon aufgesprungen und dem Schwert des Sonnenbrillen-Typs ausgewichen, der mich wütend anzischte. Ruhig blieb ich im Gang stehen, sah den Angreifer genau an. Sein linker Arm hing eher schlaff herunter, er war nicht gut ausgeglichen.
" Hältst du es für eine gute Idee, zwei Halbgötter allein anzugreifen?", fragte ich meinen Gegenüber schlicht. Keinerlei Regung war in meinem Gesicht zu sehen, als ich ihn beobachtete. Ohne mir eine Antwort zu geben, sprang der Angreifer fauchend auf mich zu, doch ich reagierte zu schnell und schlug die Klingen, die aus meinen Armbänder n schossen, in den schwachen, ungedeckten Arm, woraufhin das Biest aufkreischte. Es war Jasons Gladius, der dem Ganzen ein Ende bereitete.
"Nette Unterhaltung", lächelnd schnalzte ich mit meiner Zunge, bevor ich den Sohn des Jupiter betrachtete. Seine blauen Augen funkelten wütend, als er mich musterte.
"Das hätte dich das Leben kosten können, du Vollidiot", fuhr er mich an. Süß, dass er sich Sorgen machte, doch er verstand es nicht. Ich war weder wie er selbst noch wie die vielen, die er kannte, ich war anders.
"Du warst ja hier", mit einem leichten Lachen ging ich an ihm vorbei zur Tür des Zuges.
"Wohin willst du?", hastig folgte er mir, als die Türen sich öffneten. Ich spürte die Blicke auf meinem Rücken, das Interesse, den Hohn, den Hass.
"Wir werden den nächsten Zug nehmen", entschied ich simpel, ohne ihn auch nur einmal anzublicken. Wenn er nicht warten wollte, konnte er gerne hier bleiben, doch ich konnte gut auf eine weitere Begegnung dieser Art verzichten.
"Aber-", ich trat durch die Türen nach draußen, die Luft des Bahnhofes schlug mir entgegen. Stickig und schwer. Diese Welt war ebenso schön wie grausam.
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