Kapitel 7: Leere Betten

Gerade hatten Clementine und Mortimer sich aus ihren Sesseln erhoben um zu Bett zu gehen, als derselbe Knall - ein gutes Stück weiter entfernt, aber dennoch unüberhörbar - sie zusammenfahren liess.
Lotti, die deutsche Dogge, heulte draussen im Garten herzzerreissend.
„Was in Gottes Namen war das denn?", brachte Clementine hervor, nach dem sie sich einen Moment lang gesammelt hatte.
Dennoch konnte Mortimer das unsichere Zittern in ihrer Stimme hören. Zärtlich drückte er sie einen Moment lang an sich, dann nahm er ihr Gesicht schützend in die Hände und sah ihr tief in die grüngrauen Augen.
„Hab keine Angst, Liebes", sagte er und spähte nach dem Fenster. Der orangefarbene Wiederschein eines Feuers war von Willowgarth Hall aus gerade noch zu erkennen. "Wahrscheinlich hat ein Blitz in die grosse Linde im Burghof eingeschlagen. Weiter nichts."
Clementine folgte seinem Blick.
„Weiter nichts...", wiederholte sie und rollte mit den Augen. „Du sagst das, als wäre es keine grosse Sache..."
Mortimer küsste sie auf die Stirn.
„Es ist keine grosse Sache. Der Einschlag ist weit weg und bei diesem Regen wird das Feuer bald wieder ausgehen. Wir sind alle wohlauf und sicher. Lass uns zu Bett gehen."
Doch noch bevor Clementine etwas erwidern konnte, war ein Rumpeln und ein Poltern zu hören, als fiele ein schwerer Koffer eine Treppe hinab.
„Was ist denn hier...?", begann Mortimer, als er aus dem Wohnzimmer trat, doch er verstummte rasch.
Katie, das Hausmädchen lag am Fuss der Treppe. Obwohl sie wohl ein gutes Stück die Treppe hinunter gestürzt war und sicherlich einige blaue Flecken davontragen würde, schien sie nicht ernstlich verletzt.
Was Mortimer wirklich die Worte nahm, war der Ausdruck schierer Verzweiflung auf dem geröteten Gesicht des Mädchens. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Tränen in ihren Augen nicht von dem schmerzhaften Sturz herrührten.
Kurzentschlossen griff er Katie unter die Arme und stellte sie wieder auf die Füsse.
„Katie, was ist passiert?", fragte er so ruhig wie möglich.
„Sir!", schluchzte das Mädchen. „Sir, die jungen Herren! Sie sind fort!"
„Was?" Mortimers fassungsloser Ausruf liess Katie zusammenzucken.
„Ich wollte nachsehen ob das Gewitter sie wach gemacht hat. Der junge Herr James fürchtet sich doch so, wenn's donnert und blitzt. Aber die Betten sind leer. Das Fenster stand sperrangelweit offen. Der Boden war schon ganz nass vom Regen."
Clementine eilte in das Zimmer ihrer Söhne, war Mortimer trotz ihrer ungleich kürzeren Beine zwei Schritt voraus.
Doch auch sie fand nichts anderes in dem Zimmer als leere Betten und eine beachtliche Pfütze unter dem Fenster.
„Nein...", brachte sie hervor, ihre Augen füllten sich mit Tränen, während ihr das Herz in Stücke zu bersten schien. „Oh nein..."
Mortimer zog sie an sich und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, weinte hemmungslos und verzweifelt.
„Katie, einen Tee für meine Frau. Mit Rum, falls wir haben." Mortimer versuchte ruhig zu bleiben, doch das Zittern in seiner Stimme war nicht zu verbergen. Auch ihm sank das Herz.
„Sehr wohl, Sir", meinte das Mädchen, wenngleich keineswegs gefasster als zuvor. „Für Sie auch, Sir?"
„Nein. Aber ich möchte, dass Sie Sophie und Miss Binnington holen. Aus dem Bett, falls nötig. Machen Sie genug Tee, damit es für die beiden auch genügt. Sie werden es sicherlich brauchen können."
„Natürlich, Sir." Katie wuselte davon, dankbar, sich mit dem Erfüllen einer Aufgabe ablenken zu können.
Mortimer geleitete Clementine derweil zurück ins Wohnzimmer und drückte sie mit sanfter Gewalt auf den Divan, wo er sich vor sie kniete.
„Meine armen Kinder", schluchzte sie immer wieder.
Sanft küsste Mortimer seiner Gattin die Stirn, hielt sie in fester, sichererer Umarmung, bis Katie mit dem Tee zurückkehrte – sie hatte wohl Rum gefunden und hatte grosszügig davon in den Tee gegeben.
Doch seine Zärtlichkeit konnte Clementines Tränen nicht trocknen, noch immer weinte sie bitterlich.
„Miss Sophie und Miss Binnington werden gleich herunterkommen", informierte das Mädchen ihren Herrn leise. „Kann ich sonst noch etwas tun?"
Mortimer nickte. „Es widerstrebt mir zwar, Sie in dieses fürchterliche Wetter zu schicken, aber bitte, gehen Sie ins Dorf. Holen Sie Mr. Farley, falls möglich, und jeden anderen Mann, der willens ist, sich zweier Jungen wegen bei Nacht in den Wald zu wagen. Sagen Sie ihnen, ihre Hilfe wird nicht umsonst sein und sie sollen mich am Tor der Burgruine treffen. Ich habe das Gefühl, das wird ein guter Ausgangspunkt sein. Ich werde mit Lotti vorgehen."
„Sofort", sagte Katie entschlossen.
„Ich komme mit dir, Morty!" Clementine sprang mit dem Elan einer besorgten Mutter auf.
Mortimer fasste sanft ihre Hände.
„Du wärst mir da draussen keine Hilfe, Tiny. Ich brauche dich hier. Vielleicht kommen Vicky und Jimmy von ganz alleine wieder nach Hause. Und ich möchte, dass du dann da bist."
„Aber den beiden kann da draussen wer weiss was passieren. Es sind doch nur Jungen."
„Nein. Es sind unsere Jungen. Den beiden geschieht bestimmt nichts."
Bevor Katie das Haus verlassen hatte, hatte sie ihrem Herrn einen Regenmantel und einen breitkrempigen Hut, sowie eine Öllaterne bereit gelegt.
„Ich werde Katie sagen, sie soll euch ein Lichtzeichen geben, falls die Jungs nach Hause kommen. Pass bitte auf dich auf, Morty."
Clementine umarmte ihren Mann und für einen Moment schien es, als wollte sie ihn gar nicht mehr loslassen.
„Natürlich, Liebling", antwortete er und küsste sie zärtlich. „Mach dir keine Sorgen. Ich finde die beiden."
Mit diesen Worten verschwand er mit Hut, Regenmantel und Lampe gerüstet in den Garten, um sich mit Dogge Lotti auf die Suche zu machen.


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