9. IF YOU COME MY WAY, JUST
LUKASZ
„Mama, ich bin okay, es ist mir nichts passiert!", versicherte ich meiner Mutter am Telefon, die meinen Worten nicht glauben wollte, als würde ich einen Grund haben sie anzulügen. Sie seufzte und betonte noch einmal, dass ich mich jederzeit melden könnte, würde ich jemanden zum Reden brauchen, was ich mit einem Lachen abtat, weil ich sonst nicht wusste, was ich machen sollte.
Ich bemerkte, wie ein Hotelmitarbeiter vor mir winkte und entschuldigte mich bei meiner Mutter, da er ganz offensichtlich etwas von mir wollte.
„Warte mal bitte kurz", murmelte ich in den Hörer und drückte mein Handy dann an meine Brust.
„Sir, da sind einige Herrschaften an der Rezeption, die Sie sprechen möchten", erklärte er mir und machte eine Handbewegung zur Rezeption um die Ecke.
„Alles klar, danke!", lächelte ich ihm zu. Anschließend ließ ich meine Mutter wissen, dass ich auflegen musste und machte mich auf den Weg zur Rezeption. Ich rechnete mit weiteren Polizisten, die uns noch irgendwelche Fragen oder nach unserem Wohlergehen sehen wollten, stellte aber fest, dass ich mit meiner Vermutung völlig falsch lag, als ich Kuba, Marcel, Nuri und Mats im Wartebereich vor der Rezeption entdeckte. Es war erleichternd sie zu sehen, als gäbe es einen Part in mir, der Angst gehabt hatte, dass sie tot waren, obwohl ich es eigentlich besser wusste. Aber die Vorstellung, dass uns nun zum zweiten Mal im Leben jemand umbringen wollte oder zumindest die Intention hatte uns zu verletzten war angsteinflössend und machte mir einfach Angst. Ich hatte gedacht den Anschlag von 2017 hinter mir gelassen zu haben, aber es bedurfte nur eine solche Aktion und ich hatte wieder das Gefühl im Krieg zu sein. Bei aller Liebe zum Fußball, aber das war einfach nur geisteskrank. Bei aller Leidenschaft war es immer noch nur Sport und sollte Spaß machen und keine Leben kosten.
„Gut, dir geht's gut", meinte Marcel, als ich auf die zutrat. Er drückte sich von der Rezeption weg und kam auf mich zu, zog mich in die Arme, ohne mir die Möglichkeit zu bieten mich aus dieser Umarmung zu ziehen, aber das wollte ich eigentlich gar nicht.
All die Streitereien waren beiseite gelegt, als er mich umarmte und ich spürte, wie er am ganzen Leib zitterte. Ohne nachfragen zu müssen, wusste ich, dass all die Ängste von 2017, die wir nur mit harter Arbeit in Therapien überwunden hatten, wieder zurückgekehrt waren und es machte mich sauer, dass irgendeine fremde Person das Recht beanspruchte uns solche Angst einzujagen.
Ich schloss meine Augen und schob meinen Kopf in seine Halsgrube, war so dicht an ihn gepresst, dass ich sein Herz wild gegen meine Brust pochen spürte.
„Wie geht es den Jungs?", fragte Mats, als Marcel und ich uns von einander lösten und ich stattdessen Kuba um den Hals fiel. Nur Mats Frage war Beweis genug, dass wir das Jahr 2032 schrieben, sonst hatte ich das Gefühl, als seien wir zurückversetzt ins Jahr 2017, als Kuba und Mats abwechselnd bei uns geschlafen hatten, weil keiner von Nuri, Marcel und mir im Stande war einen vernünftigen Alltag aufzubauen, sodass sie als Babysitter fungierten, während wir versuchten die Einzelteile unserer Psyche wieder halbwegs korrekt zusammenzusetzen.
2017 hatte uns geprägt und damals noch enger zusammengeschweißt, dass es kein Wunder war, dass dieser Vorfall uns wieder näher aneinander brachte.
„Ich hab sie hochgeschickt, sie sollen jetzt einfach Ruhe haben. Ich hab auch nur Ruhe gebraucht", erklärte ich Mats, als ich mich dann auch aus der festen Umarmung von ihm löste. Ich sah zu Nuri.
„Hast du sie heim geschickt?"
Er nickte und schloss mich dann auch in die Arme.
„Ich glaube, wir können nicht mehr machen, als das", flüsterte ich ihm ins Ohr, weil ich ahnte, nein, es eigentlich sogar mit Sicherheit wusste, dass er zweifelte genug getan zu haben.
„Ich weiß, ich wünschte nur ich könnte mehr tun", murmelte er. Ich drückte mich von ihm weg und legte meine Hand vorsichtig an seine Brust, nickte und meinte: „Ich weiß, ich auch!"
Dann sah ich in die Gruppe, unwissend, was sie vor hatten, meinte aber: „Ich kann hier nicht weg, ich kann sie nicht alleine lassen!"
„Schon klar, wir sind auch hier, um zu bleiben", meinte Kuba und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, dass die Welt kurz wieder okay war. Ich spürte Mats Finger, der mich anstupste, wusste nicht, was er damit erreichen wollte, aber es war irgendwie süß.
„Ich glaub das Büfett ist noch aufgebaut, wenn ihr Hunger habt", schlug ich etwas planlos war, allerdings klang das für sie nach einer guten Idee, aber vielleicht hätte jede Idee gut geklungen, die die Möglichkeit beinhaltete zusammenzubleiben. Dagegen hatte ich auch nichts wirklich einzuwenden. Ich war psychisch zu erschöpft, um mich damit auseinanderzusetzen, ob ich wirklich wieder Kontakt zu ihnen aufbauen wollte oder sollte. Gerade jetzt tat es gut, dass sie da waren, weil ich ein paar bekannte Seelen wirklich gut um mich brauchen könnte und ich wusste, dass es ihnen genauso ging. Am Ende des Tages waren sie immer noch die Menschen, die mich besser kannten, als es jemals jemand getan hatte und vermutlich jemals tun würde. Sie konnten mich viel zu oft lesen, wie ein offenes Buch und ich konnte sie lesen. Wir hatten uns viel zu oft den Regenschirm durch den Sturm geteilt, als, dass ich sie jemals aus meiner Lebensgeschichte streichen könnte.
„Du zitterst", flüsterte ich zu Marcel, als wir schließlich an einem der runden Tische saßen und die anderen am Büfett ihre Teller füllten. Unüberlegt krabbelte ich mit meinen Fingern über den Tisch und legte meine Hand schließlich in die von Marcel, die er sofort fest drückte und sich an mich wandte.
„Ich hab zehn Minuten gedöst und bin durch den Traum wachgeworden, dass eine Bombe zwischen Nuri und dir explodiert ist", erklärte er. Die Vorstellung schauderte mir und ich drückte seine Hand unwillkürlich fester.
„Hat sie nicht", versuchte ich ihn zu beruhigen.
„Aber was wenn..."
„Hat sie nicht", unterbrach ich ihn und zwang mir ein aufmunterndes Lächeln auf.
„Aber wenn...", fuhr er fort und ich ließ ihn jetzt einfach reden. Er war scheinbar zu stur, um auf mich zu hören.
„Dann wärest du gestorben und du hättest uns gehasst!"
„Ich hasse euch nicht!"
Das könnte ich doch nie
„Du hättest allen Grund - Mats hat es mir gesagt"
Ein wenig Wut rumorte in mir, aber ich war sogar zu ausgelaugt, um wirklich böse zu sein. Also murmelte ich bloß: „Lass uns das Buch jetzt nicht öffnen" und lehnte mich gegen ihn, ließ meinen Kopf auf seine Schulter fallen. Sein Daumen strich über Handrücken.
„Du warst schon immer besser mit den ganzen Gefühlen, als wir!", murmelte Marcel. Ich wollte fragen, wie seine Worte zu deuten waren, aber da setzten sich Nuri, Kuba und Mats wieder zu uns und ich verschluckte die Frage wieder mit dem nächsten Atemzug.
Wir unterhielten uns über Unwichtigkeiten, alles, um nicht an den heutigen Tag zu denken, bis die Putzfrau irgendwann sogar ins Zimmer gekrochen kam und uns darauf hinwies, dass die Uhr schon Mitternacht schlug. Obwohl das Grund genug gewesen wäre getrennte Wege zu gehen, schlenderten wir noch Ewigkeiten durchs Hotel, unter dem Vorwand zu prüfen, ob die Jungs alle schliefen. Dass wir irgendwann in meinem Zimmer ankamen, war unausweichlich gewesen, genauso, wie für mein Herz die Frage unausweichlich no war, ob sie noch mit reinkommen würde.
Ich schaufelte mir hier vielleicht gerade mein eigenes Grab.
Aber es interessierte mich nicht.
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