7. SCARS ON THE BACK OF YOUR KNIFE
LUKASZ
Mit einem leisen Klick-Geräusch und einem aufleuchtenden grünen Lämpchen schaltete sich die Sicherung der Hotelzimmertür und ich konnte sie mühelos aufschieben. Sofort stieß mir der Geruch von frischer Wäsche entgegen, den ich so sehr an Hotelzimmern liebte. Zuhause war ich viel zu faul mir regelmäßig die Bettwäsche zu wechseln. Ich müsste es ja fast täglich tun, damit dieser Geruch mein Haus erfüllte und dafür war mir meine Zeit doch wirklich zu schade.
Ich durchquerte das Hotelzimmer, verlor auf dem Weg dorthin meine Hemdjacke im schwarz-gelben Karomuster, die dick war, zumindest auf jeden Fall zu dick für die im Zimmer herrschenden Temperaturen, im Gegensatz zu den Temperaturen draußen. Ich hatte erwartet, dass wir von warmen Temperaturen gegrüßt werden würden auf dem türkischen Boden, wenn es auch Oktober war. Aber hier zeigte das Thermometer gerade einmal drei Grad mehr, als in Manchester und für solche Temperaturen hatte ich nicht gepackt. Ich hatte extra noch darauf beharrt, dass jeder genügend T-Shirts einpacken sollte, obwohl das Team darauf verwiesen hatte, dass es gar nicht so heiß war. Die T-Shirt Ansage hätte ich mir sparen sollen, nur gut, dass wir so oder so bald morgen wieder nach England heimkehrten, da würde ich mit Sicherheit einen Nutzen für die Jacke finden, dann war sie wenigstens nicht völlige Geldverschwendung.
Ich schüttete mir ein halbes Glas mit dem ausgestellten Scotch voll und dabei betonte er gedanklich noch einmal, dass mein Glas halbvoll war, nur für den Fall, dass irgendwelche Stimmen in meinem Kopf wieder laut werden und ihn fragen würden, ob es nicht vielleicht doch halbleer war. War es? Nein! Ich würde mich nicht einmal auf die Diskussion mit meinem Kopf einlassen, denn ich hatte mir damals hoch und heilig versprochen, dass mein Glas von nun an halbvoll sein würde. Wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass alles im Kopf begann. Man konnte so viel arbeiten, wie man wollte, so viel trainieren, wie man wollte.
Wenn das Mindset nicht stimmte, stimmte nichts. Die Größten der Größten hatten es gesagt.
Ich nippte am Scotch und genoss das angenehme Prickeln auf meiner Zunge, das auf guten Scotch schließen ließ. Ziemlich guten sogar, wie ich beim zweiten Schluck feststellte.
Ich zog mir die Kappe vom Kopf und warf sie mit einer schwungvollen Bewegung auf das frisch bezogene Bett, auf dessen Mitte zwei von den Lindtschokoherzchen lagen. Zwei? Sie hatten wohl nicht verstanden, dass ich dieses Zimmer alleine bewohnte. Zwei für mich, darüber konnte ich durchaus hinwegsehen.
Ich drückte die Türklinke der Glastür hoch und schlüpfte durch sie auf den Balkon, von welchem eine angenehme Abendbrise wehte, die längst nicht so eisig war, wie er auf aber das lag vermutlich an der Heizungswäme, die aus dem Zimmer strömte. Die letzten Wochen in Manchester waren von Frieren und Kälte geprägt gewesen, aber vielleicht hatte ich auch nur gefroren, weil die Kälte aus meinem Inneren, vielleicht war Manchester niemals so kalt gewesen, wie er es wahrgenommen hatte. Das letzte Spiel hatte mich aufgewühlt und mich völlig verzweifelt zurückgelassen. Ich wusste, dass ich diesmal Mitschuld am Chaos in meinem Kopf und Herz hatte, genauso, wie ich zu schätzen wusste, dass Mats mich nicht mit Fragen bombardiert hatte. Ich hatte damals bewusst nicht den Weg in ihr Hotel gewählt, auch, wenn ein Teil von mir das unbedingt tun wollte. Aber ich wollte Entscheidung über etwas, was mir einmal mein Leben zerstört hatte, nicht innerhalb einer eines Abends fällen. Es war so viel zwischen uns geschehen, so viel geschehen in der Zeit nach uns. Die Nacht, in der wir uns getrennt hatten, hatte jegliche Lebenslust aus meinem Körper geschöpft und es hatte Ewigkeiten gedauert sie wieder zurückzugewinnen und selbst, wenn ich wusste, dass sie es niemals beabsichtigt hatten mich so zu verletzen (denn das lag ihnen einfach fern), hatten sie es dennoch getan. Dann wiederum. Ich predigte meinen Spielern gegenüber immer, dass sie mit mir reden sollten, wenn sie unzufrieden mit ihrer Situation im Verein oder so waren, da nur sprechenden Menschen geholfen werden könnte. Damals hatte ich mich selbst nicht an dieses Sprichwort gehalten und auch, wenn ich mir längst schon keine Schuld gab, dass alles so geendet hatte, wusste ich, dass ich trotzdem hätte, vielleicht etwas sagen sollen, um das Unglück abzuwenden oder zumindest abzuschwächen. Trotzdem war ich gegenüber meinen Fehlern einsichtig genug, um zu wissen: Ich hätte etwas sagen können, dann hätten sie mir vielleicht geholfen. Wenn ich ihnen gesagt hätte, was sie mir bedeuteten, vielleicht hätte es anders geendet.
Ich hing dem Gedanken noch nach, als ich mich mit meinen Unterarmen auf das silberne Geländer lehnte und mein Glas fest in meinen beiden Händen hielt. Ungleichmäßig erstreckten sich Antalya Farbenmeer unter mir und ich war mir gegenüber gespalten gestimmt. Es war schön wieder hier zu sein, denn das letzte Mal, als ich diese Stadt besucht hatte, war mitten im Sommer gemeinsam mit dem Rest, kurz nachdem Nuri als Trainer vorgestellt wurde. Aber ich spürte auch dieses Zwicken, dieses Brennen in meiner Brust, dass ich eigentlich vermeiden wollte. Allein der Gedanke an das früher bescherte mir eine Gänsehaut auf seinen Oberarmen und ich schüttelte mich.
Ich schüttelte meinen Kopf und schüttelte damit auch diesen Gedanken ab, den ich mir eigentlich versprochen hatte, nicht mehr an sich heranlassen. Ich wollte uns eigentlich vergessen und trotzdem lag ich wieder nächtelang wach und dachte an uns. Ich wusste, dass mich niemals zwang zurückzukehren und trotzdem konnte ich diesen Gedanken einfach nicht vergessen. Ich rieb mir durchs Gesicht. Das Spiel war morgen, aber vor mir lag noch eine lange Nacht und irgendwie wusste ich, dass ich nicht gut schlafen würde, würde ich es überhaupt tun.
Ich schaute wieder in den Horizont und erinnerte mich an all die Abende, als ich Dortmunds Farbkleckse in der Nacht von Mats Balkon aus bewundert hatte. Mats Aussicht war mir immer die liebste gewesen. Wenn ich die Augen schloss, hatte ich die Aussicht noch immer im Kopf, aber mit dieser Erinnerung kamen auch viele weitere Erinnerungen und deswegen öffnete ich meine Augen meist wieder – so wie jetzt auch. Jede süße Erinnerung wurde von der Wahrheit versalzt, dass es ihnen nie etwas bedeutet hatte. Es war so traurig an all die guten Zeiten zu denken.
Seufzend rieb ich mir durchs Gesicht und trank dann den letzten Schluck aus dem Glas. ich schlüpfte wieder ins deutlich wärmere Zimmer, pünktlich, um das sterbende Klingeln meines Handys wahrzunehmen. Ich rechnete mit einem Anruf von Freunden, die mir viel Glück vor dem morgigen Spiel wünschen würden oder Ähnliches und sollte mich dabei auch nicht täuschen, nur, dass es mein Bruder war, der sich auch mal wieder bei mir meldete.
"Marek", lachte ich ins Telefon und klemmte es mir zwischen Schulter und Ohr, um meine Jacke nebenbei zusammenfalten zu können. Ich telefonierte den Abend durch mit meinem Bruder und ließ mich damit etwas ablenken, was guttat. Dennoch verabschiedete er sich um 10 Uhr, um mir noch einen anständigen Schlaf zu ermöglichen, unwissend, dass das gerade das letzte sein würde, was ich bekommen würde.
Dementsprechend unausgeschlafen war ich auch beim Frühstück am nächsten Morgen, aber zwei Espresso und noch ein Kaffee to-go für den Weg zum Stadion stellten mich auf die Beine. Das Team war auf dem Weg zum Stadion voller guter Laune, die ich ihnen nicht verdenken konnte. Wir hatten bislang kein Spiel in der Champions League verloren und auch in der Liga lief es soweit gut und es wäre perfekt, würde es für Chelsea nicht genau so perfekt laufen. Sie machten uns den Titel streitig, aber aus eigener Erfahrung wusste ich, dass ein spannender Titelkampf deutlich interessanter war, als sich zum tausendsten Mal anzuschauen, wie der FC Bayern sicher seine Siegesserie fortsetzte. Nur gut, dass sich die Überlegenheit mittlerweile aufgelöst hatte, denn als Spieler war es zum Kotzen gewesen die Süddeutschen ständig gewinnen zu sehen, unfähig ihnen den Titel wirklich streitig zu machen.
"Hast du dir gestern deine Haare geschnitten?", wunderte ich, als Colby, mein Trainerassistent, neben mich auf den Sitz in der ersten Reihe kletterte, mit deutlich kürzeren Haaren, als noch auf dem Hinflug.
"Sie hatten einen im Hotel und so kann sich Jennifer wenigstens nicht beschweren, dass ich bei den Spielen immer eine Zottelmähne habe!", erklärte er mir. Ich lachte bloß und nippte an meinem Becher, bekleckerte mich dabei mit einem Tropfen Kaffee und stöhnte. Auf der roten Jacke sah man den Fleck dann auch.
"Ich hab gesagt, dass die in schwarz besser waren!", grunzte ich und träumte noch immer den schönen, schlichten schwarzen Teamjacken der letzten Saison hinterher, die gegen rote ersetzt wurden.
"Ich dachte, du magst rot so gerne", grinste Colby und ich verdrehte bloß meine Auge. Auch, wenn ich Colby erst in Manchester kennengelernt hatte, wusste er natürlich von meiner Karriere beim BVB und wie daneben mein Kommentar von rot als schönster Farbe der Welt gewesen war. Ich wusste ja selbst nicht, was mich an diesem Tag geritten hatte. Manchmal hatte ich einfach so Schübe von Wut und Frust, dass sie nicht Teil meines Lebens waren und das äußerte sich dann eben in solchen Kommentaren, die weit übers Ziel hinausschossen.
"Schon ein paar Seitenhiebe für die PK im Petto?", neckte mich Colby weiter. Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Er meinte es nicht so. Eigentlich fand er meine Seitenhiebe immer daneben und zog mich damit auf, um mir damit indirekt zu vermitteln, wie daneben sie eigentlich waren. Nur gut, dass ich heute ohnehin nicht vorhatte mich mit irgendwem zu zanken. Die letzte rote Karte war mir peinlich genug gewesen und die Presse hatte viel zu viel darüber geschrieben. Ich hatte auch noch gesagt, dass das Spiel niemanden sorgen sollte und hatte der Mannschaft dann Grund genug gegeben sich eben mega viele Sorgen um mich zu machen. Der Clubpräsident war auch nicht wirklich erfreut gewesen die Schlagzeilen zu lesen. Noch peinlicher war die ganze Sache gewesen, weil es meine erste rote Karte war. Ich hatte eine ganze Fußballkarriere gemeistert ohne rot zu sehen und schaffte es dafür als Trainer. Das war auch eine Leistung.
Da der Busfahrer noch nicht da war, nutzte ich die paar freien Minuten, um eine kurze Ansprache an die Mannschaft zu halten, in der ich mich für mein Verhalten beim Hinspiel entschuldigte und ihnen versicherte mich heute einzig aufs Spiel zu konzentrieren. Während der ganzen Rede vibrierte mein Handy hartnäckig in der Brusttasche meines Jacketts, dass ich die Rede irgendwann schließlich wirklich unterbrechen musste, um es rauszuholen. Ich bemerkte ein duzend Anrufe von verschiedensten Nummern, die mich versucht hatten anzurufen und wollte gerade eine wahllose Nummer zurückrufen, als mir auf einmal jemand eine Hand auf die Schulter legte. Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Es war Matthew, ein Mitarbeiter des Teams, der einen ernsten Gesichtsausdruck trug und mich aus dem Bus winkte.
"Es ist wichtig!", flüsterte er mir dabei ins Ohr und klang gar nicht glücklich. Ich sah einen Blick in den vollen Bus mit den vielen irritierten Gesichtern und meinte, dass ich gleich zurück sein würde, dann folgte ich Matthew aus dem Bus. Ich traf auf eine Gruppe von Anzugträgern, die alle groß und kräftig gebaut waren und mich an die stereotypischen Bodyguards erinnerten, mit ihren breiten Schultern.
"Hallo?", grüßte ich sie verwirrt und hielt den vier meine Hand entgegen, die sie mit einem kräftigen Handschlag schüttelten.
"Matty, was ist los?", fragte ich leise an meinen Freund gewandt. Er rieb sich übers Kinn und beugte sich zu mir vor, bevor er schließlich meinte: "Bei der Polizei ist gerade ein Anruf eingegangen, dass jemand einen Anschlag beim Spiel plant! Ich weiß nichts Genaues, aber angeblich soll es ein verrückter BVB Fan sein, der nicht einsieht, dass keiner von euch Trainer des BVBs ist oder so! Es ist wohl ernst, sie wollen uns nicht losfahren lassen!"
Mir dröhnte der Schädel schon eine Sekunde nachdem Colby angefangen hatte zu reden. Ein Schauer fuhr mir über den Rücken.
"Willst du mich gerade verarschen?", flüsterte ich und hoffte, dass die Antwort ja lauten würde.
Aber sie war ein Kopfschütteln.
>> Mal ein plot twist mit etwas was gar nicht so lustig ist. Remember 2017? Ich glaub das sind Narben, die die Jungs für immer mit sich tragen werden
Einfach nur Idioten, die Fußball so ernst nehmen 🥺 ihr zerstört Leben...
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