5. DON'T THINK WE CAN SOLVE 'EM

MATS

"Was passiert gerade...?", sang Marcel verzweifelt neben mir, während ich genau so geschockt beobachtete, wie Lukasz und Nuri sich am Spielfeldrand ankeiften, dass die Kamera sie schon längst fokussiert hatte und ihre aufgebrachten Mimiken nun vom ganzen Stadion beobachtet werden konnten. Wild warf Lukasz seine Arme in die Luft, während Nuri seine Hand hingegen zu einer Faust ballte, dass ich kurzzeitig wirklich Sorge hatte, dass sie aufeinander losgehen würden. Wir schrieben die 70 Minute, aber mindestens zehn Minuten der zweiten Halbzeit hatten sowohl Nuri, als auch Lukasz damit verbracht mit dem Schiedsrichter zu diskutieren, der im Grunde genommen einen guten Job leistete, aber wann immer er eine Ecke oder einen Freistoß an den Gegner vergab, war es Grund genug für Lukasz oder Nuri auf ihn loszugehen und jetzt bekam der Schiriassistent sie nicht einmal zusammen.

Dabei war doch in der ersten Hälfte alles so gut gelaufen. Was war bitte in den 15 Minuten passiert, dass sie nun all den dramatisierenden Titeln der BILD nachkamen. Obwohl keine Kamera auf mich zeigte, versteckte ich mein Gesicht doch hinter meiner Hand und beobachtete das Schauspiel peinlich berührt, dass Schluss endlich mit einem Pfeifen des Schiedsrichter endete, was Lukasz und Nuri auch nicht passte, die sich im ersten Moment noch weiter anmotzten und sich dann dem Schiedsrichter zuwandten, der nun endgültig die Schnauze voll hatte. Er griff in seine Brusttasche und pünktlich damit, flüsterte Marcel: "Oho"

Dann zog der Schiedsrichter die rote Karte und hielt sie sowohl Nuri, als auch Lukasz entgegen, die ihn entsetzt ansahen. Es war ein peinlicher und hässlicher Kampf die beiden überhaupt auf die Tribüne zu bekommen, der die Zusammenarbeiter beider Trainerteams bedurfte, bis sie dann in sicherer Entfernung auf der Tribüne saßen und somit für das restliche Spiel von ihren Traineraufgaben freigestellt waren.

"Das kann man sich doch nicht ansehen", murmelte ich und versteckte mein Gesicht hinter Marcels Rücken. Ich sah zu Kuba, der genauso geschockt das Schauspiel beobachtete und sich vermutlich bekreuzigte, dass er nichts mehr zu moderieren hatte. Dass das Spiel wieder angepfiffen wurde, bekam ich zwar mit, brauchte aber einige Minuten, bevor ich mich wieder dem Feld zuwandte. Bis zum Abpfiff war dann auch Ruhe und das Spiel endete mit einem 2:2, was vielleicht auch besser war, da ich nicht wissen wollte, wie es ausarten würde, wenn es einen Gewinner und Verlierer gäbe.

"Was jetzt?", murmelte Marcel. Ich zuckte ahnungslos mit den Achseln. Es fühlte sich richtig an jetzt in die Katakomben zu verschwinden und die beiden aufzusuchen, aber ich wusste, dass es falsch war. Also schwieg ich, weil ich nicht wusste, was wirklich das richtige Richtig hier war.

"Oh", meinte Marcel. Ich sah zu ihm und las die Nachricht von Nuri, die auf seinem Display erschien: Er ist absolut irre!

"Naja, irre waren beide", kommentierte ich seine Aussage bloß, immerhin war es kein Geheimnis über wen Nuri sich hier beschwerte.

"Lasst uns runter, ich hab nicht Umsonst nen Haufen Dreck für die Karten bezahlt", schlug Marcel vor und, wenn er es vorschlug, musste ich mir nicht albern vorkommen die Idee zu haben, also nickte ich. Wir machten uns auf den Weg runter in die Katakomben des Old Traffords. Wir verirrten uns ein wenig in den chaotischen Gängen, aber schließlich fanden wir dann den Weg zum Trainerzimmer von Antalyaspor, wo man Nuri schon Brüllen hörte.

"Da muss irgendetwas in der Pause geschehen sein!", sprach Kuba meinen Gedanken aus und ich fügte die logische Anschlussfrage an: "Nur was?"

Die beiden zuckten mit den Achseln, dann klopfte Marcel an der Tür. Es dauerte etwas, aber schließlich öffnete Nuri die Tür.

"Ah, ihr seid's!", murmelte er. Wir nickten. Sein Gesicht war knallrot vor Wut und hinter ihm saß ein verängstigtes Duo seines Trainerstabs, dass die Möglichkeit unseres Hereintretens nutzte, um selbst zu verschwinden. Nuri schloss die Tür hinter uns, er schloss auch die Tür zur Umkleide und brach dann wieder aus: "Dieser Typ ist völlig irre geworden. Meine Fresse, was ist nur bitte aus dem geworden? England tut dem echt nicht gut, will mir gar nicht ausmalen, was wohl mit dem passieren würde, wäre er Trainer von Real. Vermutlich würde der zu jedem Spiel mit einer Krone erscheinen. Meine Fresse, so ein Arschloch, das kann man nicht beschreiben!"

Er schrie so laut, dass es anschließend kurz in meinem Ohr pfiff. Ich hockte mich auf einen der freien Stühle und sah zu Marcel und Kuba, die genau so viel zu sagen hatten, wie ich: also nichts.

"Was ist denn bitte passiert?", fragte Kuba. Nuri presste seine Lippen aufeinander und stützte seine Hände in die Hüften.

"Ich wollte in der Pause das Gespräch mit ihm suchen, weil mir der Handschlag gereicht hat. Der kann mich mal, wenn er vor hat mich zu behandeln, wie einen Fremden. Ich lass mich nicht verarschen. Er steckt da genau so drinnen, wie wir alle.

Aber als ich ihn dann abgefangen hatte, meinte er, dass ich nicht mit ihm reden soll und dann hab ich ihn halt am Arm gepackt und rumgerissen, er hat sich auf den Boden geworfen und mich angefangen anzuschreien?"

"Er hat sich auf den Boden geworfen?", hakte ich ungläubig nach und hob meine Augenbraue. Nuri seufzte und murmelte: "Gut, vielleicht ist er auch gestolpert!"

"Also hast du ihn zu Boden gerissen?", schlussfolgerte Marcel. Nuri stöhnte: "Aber nicht extra!"

"Hast du dich entschuldigt?", fragte ich. Nuris Nasenblätter blähten sich auf: "Wie denn? Er hat mich ja dann schon angebrüllt, dass ich ihn ja nie wieder anfassen sollen!"

"Und was meintest du?", fragte Kuba. Dass wir allmählich beim Höhepunkt ihres Gesprächs ankamen, wurde dadurch deutlich, dass Nuri seinen Kiefer anspannte und von uns weg an die Wand sah.

"Nuri...", grummelte ich. Nuri war mir kein fremder Charakter und so gutherzig er eigentlich war, im richtigen Moment unter den richtigen Umständen hatte er auch mal ein loses Mundwerk.

"Ich hab gesagt, dass es ihm früher gefallen hätte..."

"Oh Gott!", knurrte Marcel und warf seine Hände ins Gesicht: "Das alles wird immer schlimmer und schlimmer und schlimmer und schlimmer, mit jeder Sekunde!"

Ich schürzte meine Lippen, stimmte Marcel aber gedanklich zu. Das einzige, was wir gerade kreierten, war ein immer größer und größer werdendes Desaster der Zerstörung in dessen Mittelpunkt wir standen.

"Ich geh nach ihm sehen!", entschloss ich mich und stand auf. Marcel lachte sarkastisch und blickte zwischen seinen Fingern hindurch: "Weil er gestern so gut auf dich zu sprechen war, oder was?"

"Was war gestern?", wunderte sich Kuba und sah mich fragend an. Ich schüttelte meinen Kopf und murmelte: "Nichts Wichtiges!"

"Wichtig genug, dass Marcel es anspricht", meinte Kuba und während Marcel Kuba dann von Lukaszs unpassenden Kommentar anfing zu erzählen, nutzte ich den Moment der Unaufmerksamkeit, um rauszuschlüpfen. Ob es wirklich eine gute Idee war Lukasz jetzt zu suchen, wusste ich nicht, aber ich hasste Streit und ich hasste es, wie sich die Dinge zwischen uns entwickelt hatten.

Also klopfte ich an der Tür des Trainerzimmers auf der anderen Seite, das deutlich stiller war, als Nuris Seite, aber Lukasz war noch nie der Schreihals gewesen. Das auf dem Feld hatte ihn vermutlich all seine Energie gekostet. Es dauerte lange, ich zweifelte, ob überhaupt jemand da war, aber dann hörte man Tuscheln und wenig später öffnete mir David Beckham die Tür.

"Oh", war der einzige Kommentar, der mir gegenüber dem Superstar rausrutschte, der mich lange und ausgiebig ansah, dass es sogar mir unangenehm war.

"Wer ist es?", hörte ich Lukasz auf Englisch fragen, der kurz darauf dann in meinem Sichtfeld erschien. Seine Miene verdunkelte sich, als er mich sah.

"Ich nehme mal, du willst mit ihm reden, nicht mit mir, huh?", spekulierte David und winkte mit dem Kopf Richtung Lukasz. Ich nickte etwas benommen und schob mich eher mechanisch zur Seite, als David einen Schritt rausmachte und mir so den Raum mit Lukasz überließ.

"Wenn du mich jetzt erziehen willst, kannst du dir deine Predigt sonst wohin stecken, ich verzichte!", knurrte Lukasz sofort und presste seine Nägel ins Leder seines Gürtels. Ich nahm die zwei Schritte in den Raum und schloss die Tür hinter mir, ehe ich mich wieder zum Polen drehte und meinte.

"Ich bin hierhin gekommen, um zu Reden!", erklärte ich ruhig. Lukasz lachte (weniger ruhig).

"Reden? Reden scheint mir 10 Jahre zu spät!"

"Du hast nicht mehr auf unsere Nachrichten geantwortet!"

"Das ist nicht das Gespräch, was ich meine!", brummte er. Er drehte sich um zu einem Spind und begann Sachen aus diesem zu nehmen, während ich nach den richtigen Worten suchte. Ich wusste, welche Nacht er meinte, aber ich verstand seine Forderung für ein Gespräch nicht. WIr hatten doch geredet.

"Wir haben uns alle entschieden, dass wir getrennte Wege gehen!", meinte ich. Lukasz lachte trocken. Er stützte seine Arme am Spind ab, hatte mir noch immer den Rücken zugewandt, aber ich sah, wie sich sein Körper anspannte.

"Kann mich nicht daran erinnern das jemals akzeptiert zu haben"

"Was zum Teufel... wir haben das alle..."

Lukasz fuhr herum und traf mich mit einem schmerzerfüllten Blick, der mir sofort die Kehle zum Weiterreden zuschnürte. Das aggressiv, was gerade noch seinen Körper bewohnt hatte, wich in einen zerschmetternden Schmerz, den ich so noch nie in seinen Augen hatte schimmern sehen und ich hatte Lukasz in wirklich vielen Facetten gesehen.

"Ich hab niemals gesagt, dass das für mich keine echte Beziehung war", flüsterte Lukasz: "Ich hab niemals gesagt, dass ich euch nicht geliebt habe. Ich habe nichts gesagt und ihr habt mein Schweigen einfach akzeptiert, also wagt es nicht mein jetziges Schweigen nicht zu akzeptieren!"

"Du hättest was sagen sollen", warf ich ihm verzweifelt vor, weil ich nicht bereit war auf seine Worte konkreter einzugehen. Lukasz lachte hysterisch und schüttelte seine Augen.

"Wann denn? Vor oder nachdem du gesagt hast, dass du mit dieser Frau ins Bett gestiegen bist?"

Die Wahrheit peitschte mir mit so einer Wucht ins Gesicht, dass ich meine Augen schloss und mein Gesicht verzerrte. Bis heute umging ich sie, hatte sie mit Marcel nie angesprochen, es war wie eine unausgesprochene Regel für die wir uns irgendwann entschlossen hatten, ohne die unsere Zusammenarbeit vermutlich nie funktioniert hätte.

"Verdammt, du hast mir damals den Boden unter den Füßen weggezogen. Denkst du ich hatte wirklich Mut und Kraft genug irgendwie zum Widerspruch anzusetzen? Und dann meint ihr alle noch völlig gleichgültig, dass das kein Ding ist, dass es kein Problem ist, dass du mit einer Wildfremden geschlafen hast, das sei ja ohnehin nie was Ernstes gewesen und ich saß da bloß auf der Bank, ihr alle redet darüber, wie es nur ein kleines Abenteuer war und mein Kopf schreit nur: Nein, nein, nein, für mich nicht, für mich nicht, für mich war es kein Abenteuer.
Aber mein Herz ist zerrissen und ich bin ich und ich rede nicht viel, ich schreie nicht und so sitze ich da einfach, höre euch zu, wie ihr dann darüber redet, dass Nuris Mutter ohnehin langsam will, dass er heiratet und ich denke mir nur: Was? Meint ihr es gerade ernst?
Und dann sehe ich so zwischen euch hin und her und merke, euch geht es wirklich am Arsch vorbeigeht, dass es vorbei ist und ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist, meine ganze Welt bricht vor euren Augen zusammen und ihr merkt es nicht einmal!"

"Shhh"

Ich fing Lukaszs Arme ein, die wild in der Hand wuchtelten, nachdem ich ein paar Schritte zu ihm näher gekommen war. Eine Träne verließ meine Augen, lange nachdem Lukasz mitten in seiner Wortwahl angefangen hatte zu weinen und mich jetzt verzweifelt ansah und ich vor meinem inneren Augen nur sah, wie er gerade in Einzelteile zerfiel und mich fragte, wie ich es hatte damals nicht bemerken können. Wir. Vier Menschen waren außerhalb von Lukasz da gewesen und niemand von uns hatte bemerkt, dass wir in dieser Nacht ein Leben ruiniert hatten. Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun oder sagen sollte, zog ich Lukasz einfach an mich, presste ihn an meine Brust und vergrub meine Hand in seinen Haaren. Er schlang seine Arme direkt um mich, ich spürte, wie sich seine Finger in den Stoff meines T-Shirts krallten.

"Weißt du, wie lange es gedauert hat, damit ich morgens wieder aufstehen wollte? Wie viel Energie, Schweiß und Tränen es gekostet hat, um mein Leben wieder lebenswert zu gestalten? Und jetzt kommt ihr um die Ecke und behauptet, dass ich mir den Posten hochgeschlafen habe oder, dass ich ein Arsch bin, aber wenn ich ein Arsch geworden bin, dann nur wegen euch! Ich war ein guter Kerl, bevor ihr mir das Herz aus der Brust gerissen habt!"

"Du bist kein Arschloch", flüsterte ich und senkte meinen Kopf, bis meine Lippen seinen Kopf berührten. Mein Daumen strich die Strähnen seiner Haare glatt und ich schloss meine Augen, während die Tränen sich immer noch aus diesen zwängten, weil es höllisch wehtat zu wissen, dass ich einer der mir wichtigsten Personen auf der Welt das Herz gebrochen hatte und es nicht einmal bemerkt hatte.

"Falls du Nuri siehst, kannst du ihm sagen, dass mir die Backpfeife leidtut. Das Brüllen nicht, die Backpfeife war aber daneben", murmelte Lukasz.

"Du hast ihm eine Backpfeife gegeben?"

Lukasz grunzte und mit ganz viel Fantasie hätte man es schon als Lachen interpretieren können.

"Meine Hand ist ausgerutscht!"

Ich wusste nicht, wie lang wir Arm in Arm dastanden und nichts sagten, aber es tat gut jemandem so nah zu sein. Auch wen der Schmerz realer kaum sein könnte, es tat gut Lukasz wieder in meinen Armen zu halten. Ich wusste, dass es für keinen von ihnen ein Problem wäre mich wieder an sie zu binden. Ein Kuss von irgendeinen von ihnen, ein Satz und ich wäre ihnen verfallen.

"Ich weiß, ich werf mich meilenweit zurück, aber..."

Lukasz löste seinen Kopf von meiner Brust und schob seine Hand in meinen Nacken. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und sein Blick tänzelte über mein Gesicht und blieb schließlich auf meinen Lippen hängen.

"Aber ich mach's trotzdem", hauchte er und neigte sich dann vor, legte seine Lippen auf meine und wie immer blieb mir keine andere Möglichkeit, als den Kuss zu erwidern. Als ob ich jemals bei einem von ihnen eine Chance gehabt hätte. Ich zog ihn an den Hüften an mich heran, weil ich wusste, dass er es liebte. Ich wusste viel, was er liebte, aber ich erlaubte meinen Gedankengang mich nicht in diesem Labyrinth zu verlieren, weil ich wusste, dass ein Kuss mehr war, als ich zu erwarten hatte. Deswegen widersetzte ich mich auch nicht, als Lukasz seine Hand auf meine Brust legte und mich von sich schob, mit den Fersen wieder auf den Boden fand und von meinen Lippen hoch in meine Augen sah. Er leckte sich über die Lippen, was mich zwar verrückt machte, aber ich hielt mich zurück. Stattdessen meinte ich bloß etwas heiser: "Ich weiß, ich sollte nicht, aber... wir sind alle im Sporthotel untergebracht. Also... wenn du reden möchtest, deine Wahl, aber ich wollt dir nur sagen, dass du uns heute dort finden kannst. Ich bin sicherlich nicht der Einzige, der warten wird!"

>> als ich das geschrieben habe, hab ich geweint haha
Poor Lu, das tat sogar mir weh 💔
Ich hoffe euch „gefällt" das Kapitel, lasst mich es gerne wissen 💞

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