8 - Der Kampf
Das Adrenalin rauschte durch Lenoas Adern, und mit einem Mal war ihre ganze Erschöpfung wie weggeblasen. Der durch ihren schnellen Ritt erzeugte Wind blies ihr ins Gesicht, ließ ihre Haare nach hinten wehen und pfiff ihr um die Ohren.
Sie beugte sich tief über Artholans Hals, griff nach hinten und zog ihren Bogen zwischen den Satteltaschen hervor, gleichzeitig hängte sie sich ihren Köcher mit Pfeilen um. Die Schützen um sie herum taten es ihr gleich.
Als sie auf einer Hügelkuppe angekommen waren, gab Lorija den Befehl zum Halt. Lenoa konnte nicht umhin, etwas enttäuscht zu sein, doch sie zügelte Artholan und kam mit den anderen zum Stehen. Einige Sekunden starrten alle auf das Bild, das sich ihnen bot.
Die Stadt Kla'zan lag vor ihnen, eingebettet in die Hügel, die die Landschaft hier dominierten. Das Licht der drei Monde verblasste angesichts der hell lodernden Flammen, die große Teile der Stadt einnahmen. Vor dem riesigen Stadttor kämpften Gestalten mit Schwertern und Äxten, doch die Entfernung war zu groß, als dass Lenoa hätte erkennen können, wer in der Überzahl war. Die Silhouetten waren alle schwarz wie die Hügel um sie herum, und doch glaubte sie zu sehen, wie einige der Kämpfenden von einem schwarzen Nebel umgeben waren.
Lorija drehte sich zu ihnen um, ihr Gesichtsausdruck grimmig und entschlossen. ,,Bleibt zusammen. Schützt die Fürstenkinder, achtet auf eure Partner. Wer mit dem Schwert umgehen kann, nach vorne, falls wir in den Nahkampf geraten'', befahl sie und hob ihr eigenes Schwert. Die silberne Klinge und das polierte Zaumzeug spiegelten das Licht der Flammen unter ihnen wider. Aus der Kehle ihres fuchsbraunen Inyanza drang ein tiefes Grollen.
Einen Moment schien die Zeit still zu stehen, dann preschte Lorija mit einem Kampfschrei den Hang hinunter auf die Stadt zu. Einige Inaari mit langen Schwertern in der Hand zogen an Lenoa vorbei und setzten sich an die Spitze der Gruppe. Lenoa selbst ritt in der Mitte, entschlossen zu beweisen, dass sie sich selbst beschützen konnte.
Noch während sie im Höchsttempo auf das Kampfgetümmel zu preschten, legte Lenoa einen Pfeil an und spannte die Bogensehne. Sobald sie nahe genug waren, um erkennen zu können, wer Inaari und wer Kwir war, zielte sie und schoss. Ein hohes Schreien und schwarzer Dunst vor dem orangen Flammenschein bewiesen den Treffer.
Sie spürte Malions Anwesenheit direkt neben ihr und wusste, dass ihr Bruder dasselbe dachte wie sie. Dies war die Gelegenheit. Sie konnten sich endlich an denen rächen, die ihren Vater ermordet hatten.
Um sie herum fielen immer mehr Kwir zu Staub zusammen. Wieder und wieder spannte Lenoa den Bogen, zielte und schoss. Auch die Inaari der Merakyr kämpften wieder mit neuer Kraft, die sie vom Eintreffen der unerwarteten Hilfe ernteten. Sie waren deutlich in der Überzahl. Gerade, als Lenoa schon sicher war, dass sie die letzten Schattenwesen gleich vernichtet haben würden, ertönte ein Ruf, zeitgleich mit einem Brüllen, das ihr eine Gänsehaut bereitete.
,,Bekra!'', schrie eine männliche Stimme und jeder, der nicht gerade mit einem Kwir kämpfte, wirbelte herum. Ein Hügelkamm im Nordwesten war nicht mehr so still, wie noch vor einigen Minuten. Das Licht der Flammen reichte nicht aus, um die dort herumstreunenden Wesen zu erhellen, aber selbst aus dieser Entfernung, konnte Lenoa blitzende Reißzähne und leuchtend gelb-rote Augen erkennen.
Gerade, als sie einen neuen Pfeil aus ihrem Köcher zog, stürmten die Bekra los. Sie kannte diese Tiere nur aus Erzählungen, und wenn es nach ihr ginge, hätte das durchaus auch noch so bleiben können. Binnen einer Minute gelangten die Bekra in Schussweite. Lenoa schoss Pfeil um Pfeil, doch es wirkte, als würde sie nicht den geringsten Schaden anrichten.
Je deutlicher die Bekra in den Schein der Flammen kamen, desto größer wurde ihre Panik. Die Tiere hatten einen dicken, verfilzten Pelz, die meisten pechschwarz. Die Pranken waren so groß wie Lenoas flache Hand, bestückt mit jeweils sieben, zentimeterlangen Klauen. Die Augen leuchteten gelb-rot und voller Blutdurst. Vom Maul triefte der Geifer, die unterarmlangen Reißzähne glänzten rot vom Blut der Opfer. In einigen der Bekra steckten schon zwei oder mehr abgebrochene Pfeile, andere hatten so viele Narben, dass ihnen kaum mehr Fell wuchs.
,,Tötet den Alpha!'', rief jemand über den Schlachtlärm hinweg und Lenoa erkannte Lorijas Stimme. Nach einigen Sekunden bemerkte sie, dass eines der wolfsartigen Wesen größer und vernarbter war, als alle anderen. Als dieser zu Lenoa herumfuhr, sah sie, dass seine Augen blutrot glühten. Wie in Trance legte sie einen weiteren Pfeil an und traf den Alpha direkt in die Brust. Ohne sich davon stören zu lassen, zermalmte das riesige Tier einen Inaari zwischen seinen Kiefern und kam dann auf Lenoa zu.
Sie griff sich über die Schulter, um einen neuen Pfeil zu ziehen, doch ihre Hand griff ins Leere. Ihr Köcher war leer. Mit wachsendem Entsetzen sah sie den Alpha auf sich zukommen. Zwei weitere Pfeile von anderen Schützen trafen ihn in Flanke und Bein, doch nichts hielt ihn auf.
Lenoa saß erstarrt auf Artholan und konnte sich nicht rühren. Diese roten Augen und das geifernde Maul mit den Reißzähnen würden das Letzte sein, das sie je sah. Der Lärm um sie wurde leiser. Vielleicht wurde sie aber auch nur ohnmächtig.
Nicht einmal Inzarn konnte ihr jetzt noch helfen. Das Schwert lag sicher verwahrt am Boden ihrer Satteltaschen. Niemals würde sie noch rechtzeitig dazu kommen, es zu ziehen. Der Dolch, den sie am Gürtel trug, kam ihr im Gegensatz zu den Zähnen und Klauen dieses Biests wie ein harmloses Buttermesser vor.
Schwarze Punkte erschienen in ihrem Blickfeld, sie blinzelte, wollte sich wieder fokussieren, doch alles um sie herum begann, sich zu drehen. Der Alpha kam immer näher. Artholan schüttelte nervös den Kopf, als der faulige Gestank in seine Nüstern drang, aber Lenoa konnte sich nicht rühren. Wie hypnotisiert starrte sie in die Augen dieses grausamen Wesens, in dem Gewissen, dass dies die letzten Sekunden ihres Lebens waren.
Arlemia würde nicht gerettet werden. Sie, Ma'kani, die letzte Chance des Lichtes, hatte versagt. Ihre Familie, ihre Freunde, alle würden in den Schatten versinken, weil sie sie nicht retten konnte.
Der Alpha war ihr jetzt so nahe, dass sie die Speichelfäden zwischen seinen Reißzähnen sehen konnte. Immer noch rührte sie sich nicht, auch, wenn Lenoa inzwischen Mühe hatte, sich im Sattel zu halten.
Sie wünschte, sie hätte nochmal mit Malion sprechen können. Hoffentlich war er ihr nicht mehr böse, wenn sie tot war. Vielleicht würde ja auch Alynda Nachsicht mit ihm haben, wenn beide um Lenoa trauerten. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte wirklich geglaubt, sie konnte Arlemia retten. Und jetzt starb sie hier, in der Fremde, umgeben von anderen Sterbenden. Ihr Körper würde von diesem Alpha völlig zerfetzt werden.
Ein Schrei neben ihr lenkte Lenoa ab, das Biest vor ihr aber nicht. Gerade, als dieses zum Sprung ansetzte, um über Artholans Kopf und Hals hinweg die Zähne in Lenoas Körper zu graben, warf sich jemand vor sie.
Lorija stach mit dem Schwert nach oben, durch den Oberkiefer des Tieres, das dadurch aus der Flugbahn geworfen wurde. Der Alpha kippte zur Seite, Blut spritzte aus der Wunde, und er begrub die Elbin unter seinem massigen Körper.
Als sich die schwarzen Punkte in Lenoas Sichtfeld ausdehnten und sie die Bewusstlosigkeit an sich zerren spürte, sah sie, wie sich die Reißzähne des Alphas tief in den Brustkorb von Lorija gruben. Die Offizierin ließ ihr Leben, um das von Lenoa zu retten.
Mit dieser Erkenntnis wurde Lenoa schwarz vor Augen und sie kippte aus dem Sattel.
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