7 - Der Wald
Schwarzer Nebel und ein wabernder Schatten, dessen Umrisse unklar darin zu erkennen sind. Eine Gestalt kniet vor dem Schatten, ein kleiner Mann, nicht nur sprichwörtlich ein Zwerg. Er spricht eine ihr unbekannte Sprache, aber die Bedeutung der Worte ist Lenoa klar, als würde sie ihr jemand zuflüstern.
,,Die letzten Rebellen unseres Volkes sind unter Kontrolle gebracht worden. Sie arbeiten jetzt unter Zwang in den Minen und an den Felswänden.'' Seine Stimme ist unterwürfig, ehrerbietig.
,,Gut. Was tut sich an der Grenze zu den Menschen?'', ertönt eine zweite Stimme, eine kalte, tiefe, ausdruckslose Stimme, die so klingt, als hätte sie noch nie etwas anderes ausgesprochen als Befehle. Die Schattengestalt.
,,Die Menschen sind geschwächt durch die Angriffe. In drei Sonnenaufgängen ist eine Plünderung geplant'', antwortet der am Boden kniende Zwerg, ein Vertreter seines Volkes.
,,Vortrefflich. Meine Diener werden die Hilfe der Inaari'i ausschalten. Du hast deinen Dienst getan, Zwerg'', entgegnet der Schatten.
Der Kleinere weiß es, noch bevor er den schwarzen Stahl aufblitzen sieht, bevor er spürt wie das Schwert des Schattens seine Kehle durchdringt. Keiner der Boten ist bis jetzt aus dem dunklen Süden zurückgekehrt, keiner wird es jetzt tun.
Die Festung Ska'thur lässt niemanden gehen.
Schweißgebadet wachte Lenoa auf. Sie atmete schwer und ihre Decke war eng um sie gewickelt. Sobald ihre Augen offen waren und in den wolkenverhangenen Himmel blickten, begannen ihr die Einzelheiten des Traums zu entgleiten. Es war dunkel gewesen ... ein Zwerg ... jemand war gestorben, mehr würden es bald tun. Irgendeinen Plan gab es ... welchen nochmal? Seufzend gab sie es auf und stand vorsichtig auf.
Das Lager war im Aufbruch. Inyanza brummten, Schützen unterhielten sich oder frühstückten, ein geschäftiges Treiben herrschte überall. Arsiena unterhielt sich mit einem anderen Inaari.
Langsam packte Lenoa ihre Sachen zusammen und band ihre Taschen wieder an Artholans Rücken fest. Appetit hatte sie keinen, ihr war eher ein wenig unwohl zumute. Ihr Traum hatte etwas zu bedeuten, das wusste sie, genauso wie, dass es nichts Gutes war. Allerdings hatte sie keine Ahnung, warum sie neuerdings Träume von Situationen hatte, zu denen sie sonst keinerlei Informationen hatte.
Auch, als der ganze Trupp aufsaß, und sie die nächste Etappe ihrer Reise antraten, grübelte Lenoa noch darüber nach. Sobald sie aber aus der Mulde, in der sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten, herauskam, wehte ein leichter Wind über die Landschaft und beruhigte sie, ohne, dass sie es mitbekam.
Bis zum Nachmittag geschah nichts von Bedeutung und sie ritten in zügigem, aber nicht zu schnellem Tempo dahin. Dann allerdings kamen sie an den Rand des Waldes Elathyn. Die Inaari Lorija, die das Kommando über alle Schützen hatte, die sie begleiteten, gab das Zeichen zum Anhalten und drehte sich zu ihnen um.
,,Vor uns liegt Elathyn'', begann sie. ,,Ich denke, es ist jedem klar, dass mit den dort hausenden Trollen höchste Vorsicht geboten ist. Keiner entfernt sich von der Gruppe und wir halten nicht an. Die Sonne geht bald unter, und im Dunkeln sollte man sich nicht im Trollwald aufhalten'', gab sie knappe Anweisungen.
Lenoa bekam ein mulmiges Gefühl, während sie den anderen zwischen die Bäume folgte. Trolle kannte sie bisher nur aus den Geschichten, die man Kindern erzählte. Trolle kamen nachts, um einen in Stein zu verwandeln, wenn man den Teller nicht aufaß, wenn man das Zimmer nicht aufräumte, wenn man frech war. Jetzt, da Lenoa kurz davor war, in deren Wald einzudringen, kamen ihr diese Wesen auf einmal viel realer vor. Ohne es wirklich wahrzunehmen, bahnte sie sich einen Weg in die Mitte der Gruppe.
Die Bäume hier waren alt und knorrig, die Äste über ihren Köpfen so dicht, dass kaum Tageslicht zu ihnen durchdrang. Die äußeren Reiter der Gruppe entzündeten Fackeln. Licht war eines der einzigen Mittel gegen diese Wesen, die sich bei zu viel davon in Stein verwandelten und sich deswegen davon fern hielten.
Eine halbe Stunde ritten sie schweigend dahin, keiner wagte es ein Wort zu wechseln. Immer wieder mussten sie mannshohen Wurzeln oder meterbreiten Stämmen ausweichen. Kein Vogel sang, kein Rascheln im Unterholz, das von kleinen Waldtieren zeugte, war zu hören. Trolle glücklicherweise auch nicht. Die Luft schien hier dicker, als wäre sie durch den fehlenden Wind alt geworden und verdorben.
Lenoa spürte, dass sich ihr eigenes Unwohlsein in ihren Begleitern widerspiegelte.
Als die Dämmerung einsetzte, beschleunigte Lorija das Tempo so schnell, wie man sich zwischen den dicken Bäumen bewegen konnte, bis sie schließlich wieder ins Freie trabten.
Einige erleichterte Atemzüge waren zu hören. Dankbar schloss Lenoa die Augen und genoss den kühlen Wind in ihrem Gesicht.
Ein Rascheln. Hinter ihnen. Zwischen den Bäumen.
Nicht wenige fuhren mit gespannten Bögen herum. Lenoa tastete möglichst unauffällig in ihrer Satteltasche nach dem mit Stoff umwickelten Heft Inzarns.
Was tatsächlich nach einigen Sekunden zwischen den Bäumen hervor trat, war kein Troll. Auch kein anderes Wesen, dass ihnen Schwierigkeiten machen konnte.
Es war ein Inyanza. Und auf dem Rücken des Tieres saß ...
,,Malion!'', rief Lenoa aus und starrte ihren Bruder fassungslos an. Das Geräusch sich entspannender Bogensehnen ertönte, begleitet vom Getuschel der Schützen.
,,Meine Güte, in dem Wald kann man wirklich Gänsehaut bekommen'', bemerkte Malion, als wäre sein Auftauchen selbstverständlich. Mit neugierigem Blick musterte er die Gruppe.
Lenoa saß ab und lief auf ihren Bruder zu. ,,Was machst du hier?'', verlangte sie noch immer fassungslos zu wissen.
,,Na, wonach sieht's denn aus. Ich wollte mir den Spaß nicht entgehen lassen und bin euch gefolgt'', erklärte er schulterzuckend.
Auch Lorija stieg von ihrer Fuchsstute und ging auf die beiden Geschwister zu. Sie sah nicht begeistert aus, wie Lenoa mit einem Blick über die Schulter feststellte. ,,Weiß die Fürstin davon?'', fragte sie und baute sich mit in die Seiten gestemmten Händen vor Malion auf, der ebenfalls absaß.
,,Natürlich nicht, die hätte mich doch nie gehen lassen", entgegnete Malion schulterzuckend.
,,Du darfst nicht hier sein! Du reitest jetzt sofort wieder zurück!'', fauchte Lenoa und funkelte Malion an. Das war wenigstens die Erklärung dafür, dass sie am vorangegangenen Abend so gefroren hatte. Das war nicht sie gewesen, sondern Malion, der sich ohne den Schutz der Gruppe irgendwo schlafen gelegt hatte. Auch das seltsame Gefühl der Schuld ließ sich nun erklären.
,,Bei Nacht. Durch den Trollwald. Nein, danke'', gab Malion trotzig als Antwort.
Lenoa sah hilfesuchend zu Lorija, die seufzend den Kopf schüttelte. ,,Da hat er leider recht. Bis morgen wird er wohl bleiben müssen. Danach reitest du aber sofort wieder zurück. Das ist zu gefährlich für jemanden, der noch nicht mal volljährig ist. Geschweige denn, seine Ausbildung abgeschlossen hat.''
,,Lenoa ist auch noch nicht volljährig und bei ihr macht keiner ein Drama!'', protestierte Malion, auch wenn seine Augen bei der Nachricht, dass er noch bleiben durfte, kurz aufgeleuchtet hatten.
Lorija beugte sich leicht vor, damit nur Malion und Lenoa sie hören konnten, und nicht die angespannt lauschenden Schützen hinter ihr. ,,Lenoa ist auch die letzte Hoffnung für unser Volk. Für alle Völker'', zischte sie. ,,Bis morgen früh. Dann sende ich jemanden mit dir zurück nach Gla'zal, zusammen mit einer Nachricht an die Fürstin, dass wir nichts damit zu tun haben.''
Sie stieg wieder in den Sattel und Lenoa folgte ihrem Beispiel. ,,Für diese Nacht lohnt es sich nicht mehr, ein Lager aufzuschlagen. Wir reiten bis zur Stadt durch!'', rief Lorija und ritt wieder los. Die beiden Geschwister ließen sich zurückfallen, um sich ungestört unterhalten zu können.
,,Wie zum Teufel hast du es geschafft, dich aus der Stadt zu schleichen?'', zischte Lenoa.
Malion, der ziemlich zufrieden mit sich selbst aussah, machte ein geheimnistuerisches Gesicht. ,,Berufsgeheimnis. Ich verpfeife meine Komplizen doch nicht'', sagte er.
Lenoa warf ihm wortlos einen Sag-es-mir-oder-stirb-Blick zu.
,,Okay, okay. Ich hab es mit Maduk abgesprochen, er hat gesagt, wenn ich mit dir zusammen bin, passiert uns beiden nichts. Er hat mich rausgelassen'', murmelte er.
,,Wenn ich wieder zurückkomme, reiße ich ihm den Kopf ab'', grummelte Lenoa, in dem Wissen, dass das noch eine ganze Weile dauern würde.
,,Beruhig dich mal, Schwesterherz. Ist doch alles gut.''
,,Nein, ist es nicht! Du bist viel zu jung und unerfahren um hier dabei zu sein! Was ist, wenn dir etwas passiert? Wenn du verletzt wirst? Oder entführt?'', fragte Lenoa, mehr wütend wegen Malions Gelassenheit, als wegen etwas anderem.
,,Dann rettet mich jemand wieder. Außerdem kannst du nicht behaupten, dass du mehr Erfahrung hast! Nur weil du Ma-''
,,Scht!''
Malion senkte seine Stimme wieder. ,,Nur, weil du Ma'kani bist, heißt das nicht, dass du alles kannst.''
,,Habe ich auch nicht behauptet, aber du bist immer noch mein kleiner Bruder!''
,,Und du meine große Schwester! Wo ist da der Unterschied?''
,,Dass ich mir Sorgen um dich mache!''
,,Ich mir auch um dich, falls es dir nicht aufgefallen ist! Meinst du, ich bin dir gefolgt, weil ich Spaß daran habe, auf dem steinharten Boden zu schlafen und stundenlang im Sattel zu sitzen?'', fauchte Malion und schnalzte mit der Zunge, um zu einer flotteren Gangart zu beschleunigen, an Lenoa vorbei zu ziehen und zu den anderen aufzuschließen.
Kopfschüttelnd sah Lenoa ihm hinterher und schloss so weit auf, dass sie nicht mehr hinterherhing. Sie sprach aber mit niemandem, sondern versuchte, sich nicht vorzustellen, was Alynda mit Malion anstellen würde, wenn er wiederkam.
Ihre Gedanken wurden durch einen Ruf unterbrochen. Vor ihnen, am dunkler werdenden Nachthimmel, war ein rötlicher Schein zu sehen, und immer wieder hörte man ein leises, entferntes Krachen. Aufgrund der hügeligen Landschaft hier, war die Stadt jedoch noch nicht zu sehen.
,,Kla'zan wird angegriffen! Spannt eure Bögen, treibt die Inyanza an! Wir müssen helfen!'', ertönte Lorijas Ruf von vorne, und schon preschten alle in Höchstgeschwindigkeit dem roten Schein entgegen.
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