29 - Der Kampf
Das Geräusch von Metall auf Metall zeigte Lenoa, dass ihr Pfeil die Rüstung eines Kwir getroffen hatte.
,,Lauft!", zischte sie an die anderen gewandt und drehte sich selbst gen Süden, die entgegengesetzte Richtung, in die sie gerade geschossen hatte.
Sie hatten keine Ahnung, wie vielen Kwir sie gegenüber standen, oder wie stark diese bewaffnet waren. Lenoa ging einfach vom Schlimmsten aus, während sie blindlings Richtung Süden rannten.
Hinter sich hörte sie die Kwir, die schweren Schritte, das Klirren der Rüstungen, das Kampfgeschrei. Glücklicherweise schienen keine Bogenschützen unter ihnen zu sein, denn kein Pfeil traf sie oder ihre Begleiter.
Malion, Arsiena und sie schossen immer wieder nach hinten, doch Lenoa hörte keinen Unterschied in dem Lärm, den ihre Verfolger veranstalteten. Arian und Paradur rannten voraus, Hügel hinauf, Hügel hinunter.
Es war schwer einzuschätzen, ob sie in einem Nahkampf auch nur die geringste Chance hätten. Jetzt, wenn die Sonne noch verborgen war, wohl eher nicht. Könnten sie fliehen, bis sie die Helligkeit als Vorteil hatten, wären ihre Chancen schon höher.
Lenoa konnte nur hoffen, dass die Wolken über ihnen nicht weiter in den Osten ziehen und die Sonne verdecken würden. Doch der Wind wehte mit ihnen nach Süden, hoffentlich würden die Wolken ebenfalls dieser Richtung folgen.
Sie sprachen nicht. Es waren auch keine Worte nötig und sie sparten sich den Atem lieber, um weiterzurennen. Wenigstens schienen die Kwir auch nicht näher zu kommen.
Das Adrenalin und die Angst befeuerten Lenoas Körper und verhinderte, dass sie vor Erschöpfung stehen blieb. Schon bald brannten ihre Muskeln. Ihre Lunge schmerzte von der Anstrengung. Nach jedem Anstieg wurden ihre Füße schwerer. Bei jedem Abstieg kam sie öfter ins Straucheln. Mit jedem Schritt zehrte ihr Körper aus den letzten Kraftreserven. Mit jedem Atemzug wurde sie panischer.
Die Sonne ließ sich Zeit. Nur sehr allmählich breitete sich die Helligkeit des blauen Streifens über den gesamten Himmel aus. Langsam verfärbte sich der Horizont im Osten orange, dann rot und wurde schließlich immer heller.
Sie konnten die Kwir jetzt sehen, es waren knapp mehr als ein Dutzend. In einem direkten Kampf würden sie nicht unversehrt davonkommen. Zumindest nicht, bevor die Sonne nicht ihre Wärme über die Hügel schickte. Gerieten sie Klinge zu Klinge mit den Schattenwesen, würde es ein harter Kampf auf Leben und Tod werden.
Lenoa bemerkte erst, dass sie über flaches Land rannten, als sie wieder einen Blick über die Schulter warf. Die Kwir stürzten den letzten, kaum als solchen zu bezeichnenden Hang hinunter und liefen weiter zielstrebig auf die kleine Gruppe zu.
Vor ihnen war kein Hügel mehr, kein Anstieg, kein Abhang. Nebelschwaden hingen über der Ebene Lanthyrn. Sie waren ihrem Ziel jetzt so nahe, dass Lenoa sich einbildete, das leise Wasserplätschern zu hören, das entstand, wenn die kleinen Wellen des Sees auf das Ufer trafen.
Doch alles, was sie wirklich hörte, war ein überraschter Aufschrei, als Arian in einen Kaninchenbau oder Ähnliches trat und darin umknickte. Arsiena und Malion versuchten, ihn sofort wieder herauszuziehen, doch die lockere Erde ließ Arian nochmal abrutschen.
Bevor er wieder festen Boden unter den Füßen hatte und weiterlaufen konnte, hatten die Kwir sie erreicht.
Lenoa wirbelte herum und duckte sich reflexartig unter dem Schwert des ersten Kwirs hindurch. Erschrocken spannte sie den Bogen und jagte ihm einen Pfeil durch die Kehle, bevor er nochmal ausholen konnte. Sofort wurde er von einem seiner Artgenossen ersetzt.
Aus dem Augenwinkel sah Lenoa, dass auch die anderen vier den Kampf aufgenommen hatten. Fliehen machte nun keinen Sinn mehr, die Kwir waren zu nahe. Der Nebel über der Ebene verschlechterte die Sicht, gab den Schattengestalten mehr Deckung, als ihr lieb war.
Dem zweiten Kwir trieb sie ihren Dolch zwischen den Rüstungsteilen in den Körper, danach schoss sie einen Pfeil auf einen, der kurz davor war, Arian von hinten anzugreifen.
Ihre Sinne verschärften sich, genauso wie beim Kampf gegen die Zwerge in den Bergen. Der intensive Geruch des Blutes stach ihr in der Nase. Das Geräusch von Metall auf Metall schmerzte in ihren Ohren. Die feinen Nebeltröpfchen legten sich kühl auf ihre Haut, befeuchteten ihre Haare.
Sie spürte das stechende Gefühl der Angst in ihr, sowohl ihre als auch Malions. Sie spürte feinen Schmerz am Oberarm, wo ihr Bruder einen Schnitt davongetragen hatte. Sie spürte die steifen Gräser, die gegen ihre Schienbeine schlugen, einige davon hinterließen feine Kratzer.
Gleichzeitig fühlte sie nichts. Ihr Körper arbeitete, doch in ihrem Kopf herrschte Leere. Wieder und wieder legte sie einen Pfeil an, zielte, schoss. Wieder und wieder tötete sie. Von ihrem Schrecken nach dem Kampf mit den Zwergen war nichts zu spüren. Es waren Kwir, die sie da tötete. Schattenwesen, Diener von Daotan. Sie verdienten es zu sterben.
Es wurde eine Routine. Jeder Schuss war gleich, jeder Treffer war gleich. Sie verschwendete keinen einzigen ihrer ohnehin schon wenigen Pfeile. Trotzdem griff sie irgendwann ins Leere.
Inzwischen hatte sie einige kleinere Verletzungen erleiden müssen, die stark an ihrer Kraft zehrten. Sie spürte auch, dass sich die Erschöpfung bei Malion breit machte und wusste, dass es den anderen drei nicht besser ging.
Und nun waren ihre Pfeile verschossen. Ihr Köcher war leer. Mit einem schmatzenden Geräusch zog sie einen aus der Leiche eines Kwir und tötete damit einen anderen. Sogleich griff ein weiterer Schattendiener sie an, doch kein weiterer Pfeil war in der Nähe.
Ohne länger zu zögern, zog Lenoa Inzarn und schlug dem Kwir mit einem Hieb den Kopf von den Schultern.
Das Schwert hatte eine unerwartete Wirkung auf die restlichen Gegner. Die Schattengestalten stoben auseinander, weg von Lenoa, weg von der Waffe, die trotz des rötlichen Lichts des baldigen Sonnenaufgangs blau schimmerte.
Für einen Moment stoppte der Kampf. Jeder starrte auf das Schwert, als wäre es ein Wunder. Arsiena, Malion, Arian und Paradur nutzten die Gelegenheit, um einige von ihnen niederzustrecken. Doch sobald die Kwir bemerkt hatten, was das Schwert bedeutete, ging jeder Einzelne von ihnen auf Lenoa los.
Sie ließ es geschehen. Ihre Panik war verflogen. Das Schwert fühlte sich an, wie eine Verlängerung ihres Arms. Sie gehörte den Ardenyr an, den Bogenschützen, nicht den Merakyr, den Schwertkämpfern. Doch mit Inzarn war das etwas anderes. Die Klinge war für sie bestimmt, für sie gemacht.
Die anderen vier mischten sich ebenfalls wieder in den Kampf ein. Lenoa bewegte sich schneller als sie, zielgenauer, tödlicher. Sie hatte das Gefühl, als konnten sie gar nicht mehr verlieren.
Sie irrte sich.
Ein Brüllen drang durch den Kampflärm an ihre Ohren. Durch den Nebel wurde das Geräusch schnell verschluckt, doch kurz darauf kamen erneut Gestalten von den Hügeln im Norden auf sie zu gerannt.
Es brauchte einen Moment, bis Lenoa genug Zeit hatte, um sich danach umzudrehen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Malion mit einem Dolch den letzten Kwir von hinten erstach. Der erste Kampf war gewonnen, der zweite kam erst noch.
Mindestens ein halbes Dutzend Zwerge rannte auf sie zu, die Waffen gezückt und nach vorn gerichtet. Ausgeruht und voller Energie. Lenoa und ihre erschöpften und verletzten Begleiter waren kein Gegner für diesen Trupp.
Sie nutzte die Zeit, die die Zwerge noch brauchen würden, bis sie sie erreichten, um Inzarn wieder zu verbergen und wenigstens ein paar Pfeile, genauso wie ihren Dolch, wieder einzusammeln. Es gelang ihr, einen Zwerg zu töten, bevor er sie erreichte, Malion machte einen anderen kampfunfähig.
Dann waren sie da. Die ausgeruhten, blutdurstigen Zwerge, die sie regelrecht überrannten. Fast sofort griff Lenoa wieder auf Inzarn zurück.
Das Schwert hatte zunächst eine ähnliche Wirkung wie bei den Kwir. Doch die Zwerge wirkten auch nach dem ersten Schrecken etwas eingeschüchtert und gingen nicht mit neuem Elan auf sie los.
Als sie gerade einen ruhigeren Moment hatte und sich umsehen konnte, steckte sie das Schwert weg und zog zwei Pfeile aus einem toten Zwerg neben ihr.
In diesem Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig.
Lenoa sah, wie Malion sich nach Paradur umblickte und ihn mit einem Ruf auf einen Zwerg aufmerksam machte, der von hinten nach ihm ausholte. Sie sah, wie Malion für einen winzigen Augenblick nur darauf achtete. Sie sah, wie ein Zwerg seine Axt hob.
Ihr Körper reagierte darauf, ohne, dass sie es steuern musste. Sie legte einen der Pfeile an, sie zielte auf den Zwerg. Bevor sie schießen konnte, rammte ein weiterer Zwerg sie von der Seite, ihre Finger ließen dem Pfeil los.
Ohne es bewusst zu sehen, wusste sie, dass auch Arsiena, Paradur und Arian innehielten, starr vor Schreck. Irgendetwas riss den Zwerg von Lenoa herunter, doch sie drehte sich nicht danach um.
Im Gegenlicht der ersten Sonnenstrahlen sah sie die blutige Klinge der Axt, wie sie sich in den Rücken ihres Bruders grub.
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