14 - Die Unterstützung
Möglichst ohne mit dem Besteck zu klappern schob sich Lenoa ein Stück Käse in den Mund. Dieser schmeckte hier bei den Menschen seltsam, aber nicht schlecht, doch jetzt war kaum der richtige Zeitpunkt, um nachzufragen, was der Unterschied zu dem der Inaari'i war.
Sie befanden sich wieder im Ratssaal, in welchem sie schon am Abend zuvor empfangen worden waren. Jetzt jedoch stand noch ein zweiter Tisch dort, gegenüber dem der Menschen und beladen mit einem ausgiebigen Frühstück.
Lenoa hatte den Soldaten fassungslos angestarrt, der sie geweckt und ihr verkündet hatte, sie werde sofort im Ratssaal erwartet. Durch das ausgefallene Abendbrot und die kargen Mahlzeiten in den Tagen davor, war sie nun am Verhungern. Die Menschen aßen jedoch nichts und auch die anderen drei hielten sich zurück.
Arsiena war die, die am meisten sprach. Sie erzählte den vier Menschen von ihrer Reise, angefangen bei Gla'zal, ohne die Schwierigkeiten, die sie dabei gehabt hatten, auszulassen. Ihr Teller stand unberührt vor ihr.
Cyvas musterte den Rat ununterbrochen mit einem Blick, den Lenoa nicht zu deuten vermochte. Freundlich war er nicht, abschätzend traf es wohl am ehesten. Auch ihr Teller war nahezu unberührt.
Malion hatte ein wenig gefrühstückt, beschränkte sich aber hauptsächlich darauf, auf ein paar Trauben herum zu kauen und Arsiena zuzuhören.
Der Rat stellte weitere Fragen, etwa wie es sonst in Medowa stand, ob das Feuer von vor ihrer Abreise großen Schaden angerichtet hatte, oder wie es der Fürstenfamilie ging.
Vera war freundlich, Ken beinahe albern und Gerat noch immer sehr abweisend. Reno sprach nicht viel, aber Lenoa glaubte, er war der Älteste der vier und in seinen Augen lag etwas, das in Lenoa die Vermutung weckte, der Mensch wusste mehr, als er zugeben wollte.
Alle dieser Fragen wurden von Arsiena ehrlich und höflich beantwortet, doch sobald die Sprache zum wahren Grund ihrer Reise kam, blockte sie ab und redete sich um die Frage herum.
Dies störte Lenoa. War nicht allen klar, dass sie nur ordentliche Unterstützung bekommen würden, wenn sie die ganze Wahrheit sagten? Wie sollte das so denn zu einem Ende kommen?
,,Wisst Ihr denn schon, wohin eure Reise weitergehen soll?", fragte Vera nun und lächelte Arsiena an.
,,Richtung Süden. Wir hoffen, durch das Tal durch die Ankyrila zu kommen", erwiderte die Inaari.
,,Ankyrila?", fragte Ken neugierig nach und Lenoa wurde nun erst bewusst, dass die Menschen vermutlich auch für andere Orte Namen in ihrer Sprache hatten.
,,Die Berge der Zwerge", erklärte Reno und ergriff damit das erste Mal überhaupt das Wort. Seine Stimme war rau und alt, aber sein Blick strich mit neuem Interesse über die vier Inaari. ,,Ihr werdet nicht durch das Große Tal kommen - Sartirn in Eurer Sprache, nicht wahr? Die Zwerge sind auf der Seite des Schattenherrschers, bis auf ein paar Rebellen, die in unserer Stadt Zuflucht gefunden haben", fuhr er fort. ,,Was wollt Ihr so weit im Süden, im Zwergengebirge?"
,,Unser Ziel ist nicht das Gebirge, unsere Reise wird noch weitergehen bis zum Linarw", sagte Arsiena und kam damit abermals der eigentlichen Frage aus.
Reno übersetzte den Namen des Sees südlich des Gebirges für seine Gefährten in die Menschensprache, während bei Lenoa nun endlich der Geduldsfaden riss.
"So kommen wir nicht weiter", sagte sie und sah absichtlich nicht zu Arsiena, um deren Gesichtsausdruck nicht mitzubekommen. "Es stimmt, wir wollen zum Linarw, genauer auf die Insel des Sees. Wir glauben, dass dies der Ort ist, an dem wir die Inaar'sche Krone wieder zusammenfügen und Daotan vernichten können."
Stille folgte auf diese Worte. Reno lächelte dabei zufrieden, als hätte er genau dies schon erwartet. Nach einigen Sekunden wurde das Schweigen gebrochen und der Rat stellte zahllose Fragen.
Es war an Lenoa, sie alle zu beantworten. Arsiena sagte nichts mehr, sie sah einerseits erleichtert aus, nicht mehr den Fragen ausweichen zu müssen, andererseits etwas pikiert, durch Lenoas plötzliche Kontrolle über das Gespräch.
Die Menschen kannten nur einen Teil der Geschichte um Ma'kani und so erzählte Lenoa ihnen das, was man ihr schon von klein auf immer wieder vorgetragen hatte. Sie endete damit, dass sie beschlossen hatte, auf die Reise zu gehen. Die Ereignisse seitdem kannten ja alle.
Wieder folgte Schweigen auf ihre Worte, dann entstand eine Diskussion zwischen den vier Menschen in ihrer Sprache, der Lenoa nur teilweise folgen konnte. Die Sprache klang, vor allem schnell gesprochen, wie ein einziger Schwall an Worten, deren Sinn unmöglich zu ergreifen war. Einzelne Wörter verstand Lenoa, und daraus versuchte sie sich die Meinungen zusammenzureimen.
Anscheinend war Gerat der Meinung, das alles war ausgedacht und man sollte sie einsperren. Vera zweifelte daran, ob es nicht ohnehin schon zu spät war - für was, verstand Lenoa nicht, aber die Rettung Arlemias war alles, was in ihren Augen Sinn machte - und ob sie die vier Inaari nicht einfach sich selbst überlassen und sich um die eigenen Probleme kümmern sollten. Ken war dafür, ihnen so gut wie möglich zu helfen.
Reno sagte wie immer nichts, bis er mit einem einzigen Satz die Diskussion beendete. ,,Sie sind alles, was uns und Arlemia noch bleibt", sagte er schlicht und, nach den verwirrten Blicken der anderen, wechselte er wieder zur Allgemeinen Sprache. ,,Wir können uns auch so kaum mehr gegen die Kwir und die Zwerge verteidigen. Viele unserer südlichen Städte und Dörfer wurden zerstört. Wir müssen jede Chance, Daotan aufzuhalten, nutzen", fuhr er fort. ,,Ich sage, wir helfen ihnen. Wir geben ihnen Proviant und frische Kleidung mit. Doch dies ist Angelegenheit aller Völker in Arlemia und so schlage ich vor, wir schicken einen unserer Soldaten und einen Freiwilligen der geflüchteten Zwerge mit."
Erst jetzt fiel Lenoa wieder ein, dass auch Nazilda in Gla'zal genau das vorgeschlagen hatte. Einerseits war es wohl gut, mit einer etwas größeren Gruppe zu reisen, andererseits würden sie dann auch viel leichter entdeckt werden.
,,Aber wird eine solche Gruppe nicht Aufmerksamkeit erregen?", sprach Arsiena ihre Gedanken aus. ,,Zwerge sind in dieser Zeit nicht gerade dafür bekannt, mit Inaari und Menschen durch das Land zu ziehen."
,,Ihr werdet nicht lange in unserem Reich reisen und außerhalb davon solltet ihr ohnehin nicht entdeckt werden, egal in welcher Gesellschaft", erwiderte Vera. Lenoa fand, sie wirkte dem Plan sofort etwas positiver gegenüber, bei der Aussicht, einen der ihren mitzuschicken.
,,Also ist es beschlossen? Wir werden euch natürlich mit den nötigen Waffen und dem Proviant aushelfen", sagte Ken und lächelte sichtlich zufrieden.
,,Ihr handelt nicht unter meiner Zustimmung", entgegnete Gerat und funkelte die anderen drei an. ,,Das ist ein Selbstmordkommando für welche Soldaten auch immer."
"Das Gesetz besagt, dass eine Mehrheit im Rat für eine kriegsbetreffende Entscheidung erfordert wird. Ich denke, diese ist erreicht", sagte Reno und erwiderte den wütenden Blick ruhig.
Gerat schnaubte und schüttelte den Kopf, doch anscheinend konnte er dagegen auch nichts mehr ausrichten, weswegen er aufstand und sich abwandte. Mit arrogant erhobenem Kopf stolzierte er aus dem Saal.
Der restliche Tag verging in Vorbereitungen für den dritten Abschnitt ihrer Reise. Lenoa nahm, nachdem sie wieder auf ihrem Zimmer war, ein ausgiebiges Bad und fand danach ihre Kleidung ebenfalls sauber und noch etwas feucht über das Balkongeländer hängend.
Nur in ein Leinentuch gehüllt stand sie auf dem Balkon und beobachtete das Treiben der Menschen unter ihr in der Stadt, bis ihre Kleidung trocken genug war und sie diese wieder tragen konnte.
Nun bemerkte sie auch, dass der Schnitt an ihrem Oberarm, den sie sich bei der Flucht vor den Kwir zugezogen hatte, schon beinahe wieder ganz verheilt war. Das müsste ihr eigentlich seltsam vorkommen, da es doch ein recht tiefer Schnitt gewesen war, jedoch sie dachte sich nichts dabei und verließ anschließend ihr Zimmer.
Gemeinsam mit Malion wurde sie abgeholt und so schnell durch die engen Straßen der Stadt geführt, dass sie nach drei Minuten die Orientierung vollständig verloren hatte. Als sie schließlich ankamen, wartete ein älterer, sehr faltiger Mann namens Inelo auf sie und half ihnen, sich in den Lagerräumen unterhalb der Stadt mit Beuteln voller Proviant auszustatten.
Nicht alles, was hier gelagert wurde, kannte Lenoa, doch Inelo war so freundlich und gut gelaunt - eine seltene Eigenschaft dieser Tage - dass sie sich nicht scheute nachzufragen. Anschließend zeigte der Mann zeigte mit seinem Gehstock auf die Lebensmittel und erklärte ihnen, woraus diese hergestellt waren und was es sonst noch Wissenswertes darüber zu erzählen gab. Der einzige Nachteil war nur, dass Inelo nur die Sprache der Menschen beherrschte und Lenoa nicht jedes Wort verstand.
Es gab unförmige, dunkelbraune Knollen, deren Name in der Sprache der Menschen so hart und unaussprechlich klang, dass Lenoa sie einfach Erdknollen nannte. Davon gab es unzählige Kisten, und Inelo erklärte, dass diese Knollen sehr lange haltbar und gesund waren und die Menschen sich im Falle einer Belagerung der Stadt monatelang davon ernähren konnten.
Die Brote waren rund, dunkler, als Lenoa sie kannte, und hatten einen würzigeren Geschmack. Daneben waren seltsame Aufstriche gelagert, von denen sie und Malion kaum einen kannten.
Auch einige Obstsorten waren Lenoa fremd, es gab einige Kisten voller bläulicher, ovaler Früchte, die in etwa die Größe einer Walnuss und in der Mitte einen großen, harten Stein hatten. Als sie jedoch davon probierte, schmeckten sie ihr so gut, dass Inelo ihr drei Handvoll davon einpackte.
Nicht nur Walnüsse gab es in einigen am Boden liegenden Säcken, sondern auch kleinere, bohnenförmige Nüsse die Lenoa nicht besonders, Malion jedoch ausgezeichnet schmeckten. Inelo erklärte ihnen, dass die Nüsse entfernt mit einer Göttin verwandt waren - auch, wenn Lenoa sich beinahe sicher war, hier einen Übersetzungsfehler gemacht zu haben.
Es dauerte nicht besonders lange, bis sie genug Proviant dabei hatten. Frisches Obst und ein wenig Gemüse für die ersten paar Tage, aber auch reichlich getrocknete Früchte, Dörrfleisch und ein paar von diesen Erdknollen für die weitere Reise.
Nach den Lagerräumen gingen sie weiter zu den Ställen, wo sie ihre Satteltaschen wieder befüllten und Lenoa sich für die Zeit noch innerhalb Sernafons ein neues Inyanza aussuchte. Sie wählte ein schlankes, dunkelbraunes Weibchen namens Niela, das sie aus sanften Augen ansah und sofort den Eindruck erweckte, Lenoa treu durch jede Schlacht begleiten zu können.
Am späten Nachmittag lernten sie die zwei neuen Mitglieder ihrer Reisegemeinschaft kennen. Der Zwerg Paradur sagte wenig und schien zwei Dutzend Waffen am Körper zu tragen, hatte jedoch aufmerksame und freundliche Augen. Lenoa schätzte ihn als guten Wegbegleiter ein.
Der Mensch Arian war jung und gut gelaunt, scherzte immer wieder und erweckte den Eindruck, selbst beim längsten Fußmarsch die Laune behalten zu können.
Sie aßen gemeinsam mit den vier Ratsmitgliedern im Saal zu Abend, um sich kennen zu lernen. Zu Lenoas Überraschung nahm Cyvas jedoch nicht daran teil. Von Arsiena erfuhr sie, dass die Inaari wieder nach Gla'zal aufgebrochen war, auf einem der beiden Tezandir, die die beiden vor dem Aufbruch der Gruppe vorausgerittenen Boten hier zurückgelassen hatten. Cyvas' kleine Schwester und Vater waren ums Leben gekommen, und nun musste sie sich um die Angelegenheit kümmern. Lenoa und die anderen vier würden ohne sie aufbrechen.
Paradur war bis vor einigen Wochen noch ein Krieger der Zwerge gewesen, der die bösartigen Ansichten der Mehrheit seines Volkes jedoch nicht teilte. Auf einem Plünderzug durch das Land der Menschen war er dann mit einigen anderen geflohen und suchte seitdem hier in Nar Ledia Zuflucht.
Arian war ein Soldat aus der Mittelklasse und noch nicht lange voll ausgebildet, weswegen es eine große Ehre für ihn war, mit auf eine solch wichtige Reise geschickt zu werden.
Lenoa erzählte abermals ihre Geschichte, angefangen bei der Erzählung um Makani und dem Tod ihres Vaters. Doch Arian und Ken heiterten die Stimmung so auf, dass es, trotz der bevorstehenden Reise und dem allgemein schlechten Stand um Arlemia, ein recht fröhlicher - für längere Zeit letzter, in einer Stadt verbrachter - Abend wurde.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top