13 - Der Rat

Es verging einige Zeit, bis die vier Inaari ihr Versteck verließen und sich wieder auf den Weg machten. Sie sprachen beinahe nichts und alle warfen immer wieder nervöse Blicke die Hänge zu ihrer Rechten hinauf. Doch sie sahen und hörten nichts mehr von den dort lebenden Wesen.

Auch am Abend hatte sich an ihrer Umgebung nicht viel verändert, links Wald, rechts Berge. Sie nahmen ihr karges Mahl ein und schliefen, abermals ohne Feuer, knapp unter den ersten Bäumen.

Als sie am nächsten Tag bis zum frühen Nachmittag drei Gruppen von Kwir, Bekra oder gleich beiden ausweichen mussten, die, genauso wie sie, alle am Waldrand entlangzogen, verlegten sie ihren Pfad weiter Richtung Norden, in die Berge.

Gerade, als es anfing zu dämmern, fand Malion eine kleine Höhle unter einem überhängenden Felsen und sie beschlossen, den, für Lenoas Geschmack ohnehin schon viel zu langen, Tagesmarsch zu beenden und in der Höhle zu rasten.

Es stellte sich heraus, dass die Höhle zwar kaum hoch genug war, um aufrecht zu stehen, jedoch tiefer ins Berginnere hineinführte, als es auf den ersten Blick schien. Am dunklen, hinteren Ende war ein Haufen Erde, Moos und trockener Reisig.

Nach einiger Diskussion beschlossen sie, ein Feuer zu starten, denn die trockenen Zweige würden wenig rauchen und weit hinten in der Höhle würde auch niemand den flackernden Schein erkennen können.

Lenoas bisher ziemlich gedrückte Stimmung besserte sich sofort, als sie sich neben das Feuer setzte und sich die geschundenen Füße wärmte. Auch Malion seufzte zufrieden, als er die Hände vor die Flammen hielt und Lenoa glaubte, sogar Cyvas für einen kleinen Moment lächeln zu sehen.

Arsiena machte sich die Mühe, aus der verbliebenen Tagesration eine Art Eintopf zu machen, den sie über dem Feuer aufkochte. Es war kein vielfältiges oder gut gewürztes Essen, aber ein warmes und es schmeckte allen nach dem anstrengenden Tag.

Sie schliefen in einem Kreis um das ausgehende Feuer. Der Stein war zwar härter und kühler als der Waldboden, doch die angenehme Wärme der Glut machte dies wett. Trotz ihrer bisherigen Schwierigkeiten auf der Reise, schlief Lenoa recht schnell ein.

Doch wieder wachte sie nachts auf, diesmal aus einem ihr unbekannten Grund. Sie spürte weder, dass Malion schlecht träumte oder aufgewühlt war, noch hatte sie selbst einen Albtraum gehabt. Doch inzwischen war das Feuer ganz erloschen und der Stein, auf dem sie lag, eisig kalt.

Lautlos stand sie auf und ging zum Ausgang der Höhle, an dem Cyvas Wache hielt. Lenoa wollte nicht sprechen und setzte sich deswegen einfach möglichst weit von der Inaari entfernt auf ihre Decke und wickelte sich gleichzeitig noch mehr darin ein.

Hier am Höhlenausgang bemerkte sie erst, dass es draußen schon dämmerte. Da es keinen Sinn machen würde, sich nochmal schlafen zu legen, wartete sie schweigend mit Cyvas darauf, dass die ersten Sonnenstrahlen die Berghänge trafen. Dann weckten sie Malion und Arsiena und machten sich fertig für die heutige Etappe.

Der Tag wurde lang und hart. Wenn Lenoa gedacht hatte, gestern wären ihre schmerzenden Füße schon am Limit, wurde sie heute eines Besseren belehrt. Sie kamen sehr viel langsamer voran, als sie geplant hatten, weil sie zu Fuß mehr Pausen einlegen mussten. Außerdem hatten sie ihren Weg durch die hier ebenfalls passierenden Kwirtruppen weiter in Richtung der Hänge verlegt, was zur Folge hatte, dass sie immer wieder Anhöhen erklimmen mussten.

Cyvas Knöchel heilte glücklicherweise schnell und am zweiten Tag nach ihrer Nacht in der Höhle konnten sie abwechselnd ein Stück auf Arsienas Stute Yaranliq reiten. Trotzdem wurden die Tage langweilig und größtenteils auch still, wenn jeder seinen Gedanken nachhing.

Der sechste Tag nach ihrem Aufbruch von Kla'zan begann neblig und die Sonne schaffte es nie ganz zum Boden durchzudringen, was nur noch weiter zur schlechten Stimmung beitrug. Es wurde kaum mehr gesprochen und abends kaute Lenoa appetitlos auf einem Streifen Dörrfleisch herum.

Am siebten Tag erreichten sie die Grenze zu Sernafon, dem Land der Menschen, was sie alle wieder etwas zuversichtlicher werden ließ. Sie schlugen ihr Lager ein letztes Mal unter den Bäumen des riesigen Waldes auf und aßen, bis auf eine kleine Wegzehrung für den nächsten Tag, ihren restlichen Proviant auf.

Obwohl die Menschen im Krieg gegen den Schatten prinzipiell auf ihrer Seite standen, mieden sie am nächsten Tag die Dörfer oder auch nur die Nähe zu ihnen. Erst am Abend kamen sie in Nar Ledia an, der Hauptstadt des Reiches.

Die Stadt lag, gut zu verteidigen, in einer Bucht des großen Sees im Nordwesten, von drei Seiten eingeschlossen von Wasser und an der Vierten gut befestigt. Sie kamen ohne größere Schwierigkeiten durch das Tor, was Lenoa zuerst wunderte.

Neben ihnen wurde ein Händlerwagen mit geladenen Körben und Fässern angehalten, der Inhalt gründlich durchsucht. Doch dann fiel ihr ein, dass die Menschen ja einen Hilfstrupp der Inaari'i erwarteten und die Wachen am Tor wohl darüber informiert worden waren.

Ein Soldat brachte sie zum Regierungsgebäude der Menschen, im Herzen der Stadt und ebenfalls gut bewacht. Cyvas sah sich durchgehend mit misstrauischen Blicken um und beäugte die Soldaten in den schier unendlich vielen Gängen skeptisch. Arsiena hingegen schien erleichtert zu sein, bis jetzt keinen weiteren Schwierigkeiten begegnet zu sein, doch sie ging hauptsächlich voraus und drehte sich nicht um, so war es für Lenoa schwer, ihre Emotionen zu deuten.

Als sie in einem kleinen Raum darauf warten sollten, dass die Obrigkeit der Menschen sie empfing, wandte Arsiena sich an sie alle. ,,Sprecht nur, wenn ihr direkt gefragt werdet, überlasst aber das meiste Reden mir. Versucht, so lange wie möglich über Makani oder wer eure Mutter ist zu schweigen, aber lügt nicht. Wir brauchen sie uns freundlich gesinnt, wenn sie uns einsperren, ist unsere Reise umsonst gewesen.''

Lenoa wusste, dass die Worte hauptsächlich an sie und Malion gerichtet waren, also nickte sie einfach. Ihre Waffen und Inyanza hatten sie vor dem Gebäude abgegeben, und ohne ihren Bogen fühlte sie sich schutzlos und nervös.

Als ein uniformierter Mensch die Tür öffnete und den Raum betrat, zuckte sie zusammen. ,,Der Rat erwartet euch nun," war alles, was er sagte, bevor er sie durch einen weiteren, bewachten Korridor in einen großen Raum führte.

Der Rat bestand aus vier Menschen, einer Frau und drei Männern, deren Alter Lenoa nicht einschätzen konnte. Sie hatte noch nie viel mit Menschen zu tun gehabt, was wohl auch ein Grund dafür war, dass sie es immer wieder seltsam fand, dass die Menschen, anders als die Inaari'i, eher Männer in den Führungsrollen hatten.

Menschen waren im Durchschnitt kleiner und stämmiger gebaut als Inaari'i, auch wenn Lenoa ihre Größe im Moment schlecht einschätzen konnte, da alle vier an einem Tisch saßen. Auch hatten sie andere Kleidung, und Lenoa stellte fest, dass die Gewänder der Menschen ziemlich unbequem aussahen.

,,Seid gegrüßt, Inaari", ergriff die Frau als Erste das Wort und lächelte die vier Neuankömmlinge herzlich an. Sie machte Gebrauch von der Allgemeinen Sprache, die jedes Volk lehrte und von beinahe jedem verstanden wurde.

,,Ich bin Vera und das sind Reno, Gerat und Ken", stellte die Frau sich vor und zeigte nacheinander auf die drei Männer. Der Mann namens Reno nickte ihnen kurz zu, während Gerat keine Reaktion zeigte, als sein Name genannt wurde, und Ken ebenfalls lächelte und nickte. Er schien der Jüngste der drei zu sein, und etwas an seiner Ausstrahlung, ließ ihn Lenoa sofort sympathisch vorkommen.

,,Wir freuen uns, in dieser Stadt willkommen zu sein", begann Arsiena in der Allgemeinen Sprache und kam in respektvollem Abstand zum Tisch zum Stehen, Lenoa blieb schräg hinter ihr.

,,Mein Name ist Arsiena, und das sind meine Begleiter Cyvas, Lenoa und Malion. Wir haben eine lange Reise hinter uns und sind erschöpft und hungrig", erklärte Arsiena. Ihre Stimme war sachlich, aber nicht ausdruckslos. Freundlich, aber nicht zu freundschaftlich.

,,Ihr könnt euch sicherlich sehr bald sättigen und ausruhen. Doch - verzeiht mir die Frage - wir hatten eine sehr viel größere Gruppe erwartet, die uns hilft, unsere südlichen Städte und Dörfer wieder aufzubauen", sagte Gerat. Der Mann klang sehr abschätzend und nicht annähernd so einladend, wie Vera.

,,Gerade, als wir mit der Gruppe in Kla'zan ankamen, wurde die Stadt angegriffen und wir griffen natürlich in den Kampf ein. Viele unserer Schützen wurden verletzt oder getötet, darunter auch unsere Truppenführerin. Zum Schutze unseres eigenen Volkes, ist der Trupp zurückgeblieben", erwiderte Arsiena ruhig, doch Lenoa bemerkte die Anspannung in den Schultern der Inaari.

,,Ich habe euch doch gesagt, dass auf die Inaari'i kein Verlass ist", zischte Gerat in der Sprache der Menschen, die Lenoa nicht flüssig beherrschte, doch sie verstand die Worte und den wütenden Blicken ihrer Reisegefährten nach zu urteilen, war sie da nicht die Einzige.

,,Nun, warum seid Ihr dann hier?", fragte Vera, ohne dem Kommentar ihres Sitznachbars viel Beachtung zu schenken.

,,Wir sind von der Fürstin mit einer Mission beauftragt worden", sagte Arsiena schlicht. Lenoa konnte förmlich spüren, wie die Spannung zwischen den beiden Parteien wuchs, als das Gespräch zu Heimlichkeiten und Planänderungen kam.

,,Und diese Mission wäre? Sie muss wichtig sein, wenn die Fürstin dafür zwei Halbstarke durch das Land schickt", schnaubte Gerat mit einem Blick zu Malion und Lenoa.

,,Ich bedaure, doch dies ist eine Angelegenheit unseres Volkes und es gilt ausnahmslose Diskretion", mischte Cyvas sich ein, doch Arsiena sah sie an und schüttelte leicht den Kopf.

,,Wir werden Euch darüber aufklären, zumindest teilweise und so viel wie nötig ist, um klar zu machen, dass diese Reise von oberster Priorität ist. Allerdings würde ich es bevorzugen, zuerst zu schlafen und zu speisen und diese Angelegenheit am Morgen zu besprechen", erwiderte sie förmlich. Die Anspannung wich nicht aus ihren Schultern.

,,Natürlich. Man wird Euch auf ein Zimmer bringen und eine Mahlzeit bereitstellen", meldete sich Ken zu Wort, bevor Gerat eine unfreundlichere Antwort geben konnte. ,,Am Morgen werden wir alles weitere besprechen, wenn Ihr ausgeruht und frisch seid. Eure Reise war sicherlich nicht leicht."

,,Ich danke Euch", sagte Arsiena und neigte den Kopf. Lenoa spürte, wie die Anspannung sich etwas löste und bemerkte erst jetzt, dass ihre Hände verkrampft und ihr Körper selbst ebenfalls angespannt war. Während sie wieder durch die endlosen Korridore und über die Straße in das Gebäude gegenüber geführt wurden, lockerte Lenoa ihre Finger wieder auf und atmete tief durch.

Als sie in das geräumige Zimmer, direkt neben dem von Malion eintrat, war ihr Hunger vergessen und sie schaffte es gerade noch, ihre Schuhe auszuziehen, bevor sie sich einfach in das Bett fallen ließ. Sie war so müde und so froh, wieder ein Bett zu haben, dass sie innerhalb von wenigen Sekunden einschlief.

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