Kapitel 2


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Die Stimmung war wirklich ausgelassen. Es tat ihm ungemein gut, endlich wieder etwas Dampf ablassen zu können. Die Spelunke, in der er sich mit seinem Freund Mika befand, war eines ihrer Stammlokale. Unentdeckt konnte sich jegliche Sorgen mit Alkohol hinfort spülen und hin und wieder ein Weibsstück in einem der Hinterzimmer so lange hart rannehmen, bis sie am Ende nur noch ein zittriges Häufchen war, von Körperflüssigkeiten bedeckt.

Es war Mikas rebellischen Drang zu verdanken, dass er sich hier unbemerkt herumtreiben konnte. Jeder Magier hat spezielle Fertigkeiten, die kein anderer einfach so erlernen oder nachahmen konnte. So war Mika ein wahrer Künstler der Täuschung. Er war in der Lage die Wahrnehmung anderer soweit zu verzerren, dass sie die beiden nicht mehr erkennen konnten. Der Zauber hielt zwar meist nur um die 3 Stunden und konnte nur auf eine begrenzte Zahl an anderen Magiern angewandt werden, war jedoch ausreichend für ein Saufgelage unter eine schnelle Nummer.

„Komm schon Kumpel, trink dir mal richtig einen. Wir waren schon eine ganze Weile nicht mehr zusammen hier. Dein Vater nimmt mich ganz schön in Anspruch." Mika setzte sich den Krug an die Lippen und nahm einen großen Schluck.

Mithior und Mika wuchsen zusammen auf. Mikas war ein Waisenkind, so wie Juniper, wurde jedoch nicht von Gawen selbst aufgezogen, sondern von den Bediensteten des Hauses. Warum, das hatte er nie erfahren. Vielleicht sahen der König und die Königin in ihm eine Art Spielgefährten für ihren eigenen Sohn. Somit verlebte Mika eine zwar anstrengende, aber auch glückliche Kindheit. Er wurde ebenso ausgebildet wie Mithior, wies jedoch ein weit höheres Interesse an Geschichte, Diplomatie und Redekunst auf, als Mithior es jemals hätte vortäuschen können.

Je älter Mika wurde, desto öfter wurde er von Trainings- und Unterrichtsphasen entbunden, um den König zu beraten. Mithior verstand bis heute nicht, wie dieser aufsässige Scheißer sich so schnell in die Gunst seines Vaters stellen konnte, war jedoch froh drum. Sonst hätte er am Ende noch die beratende Funktion einnehmen müssen, die ihn somit von seinen Trainingseinheiten ferngehalten hätte.

Für Mithior war klar, er musste immer weiter trainieren um den Krieg beenden zu können und als Held zurück zu kehren.

„Ich trink' schon, entspann dich mal. Viel lieber würde ich den Frust von heute anders abbauen...", murmelte Mithior, nahm einen kleinen Schluck von seinem Getränk und sah sich in der Spelunke um.

„Ha! Sehr gut, so kenne ich dich. Was ist denn mit der da hinten an dem Ecktisch? Üppige Titten und diese Lippen...würden sich sicher gut um meinen Schwanz machen", blubberte es aus Mika heraus. Er beäugte die Frau und seine Absichten standen ihm dabei glasklar ins Gesicht geschrieben.

Auch Mithior folgte seinem Blick, zog jedoch nur verwundert eine Augenbraue hoch. Schwarze lange Haare. Sofort verging ihm die Lust auf die Frau. Allein die Haare erinnerten ihn zu sehr an das Unheil, das wohl bis an sein Lebensende an ihn gekettet war und ihn partout nicht in Ruhe lassen würde.

Grummelnd wandte er den Blick ab von der Frau und ließ ihn lieber wieder in seinen halbleeren Krug wandern. Den letzten Rest trank er mit einigen wenigen Schlucken aus.

„Nimm sie ruhig, hier scheint heute keine für mich dabei zu sein. Ich denke ich gehe gleich einfach wieder zurück. Morgen wollen die Alchemisten wieder was Neues versuchen." Gedankenverloren starrte er bei seinen eigenen Worten in den leeren Krug.

Sofort war Mikas Aufmerksamkeit auf seinen Freund gerichtet. Sorge ließ sein Gesicht anspannen, die Kiefermuskeln arbeiteten.

„Schon wieder die Alchemisten? Du solltest ihnen sagen, dass du auf den Mist keine Lust mehr hast. Wie oft wurde schon versucht das zu entschlüsseln? Wie oft haben die Pisser schon kläglich versagt? Diese Experimente sind doch beschissen", grummelte Mika vor sich hin.

Mithior hatte besaß besondere Fähigkeiten. Mika die Manipulation der Wahrnehmung, Mithior die Immunität gegen jegliche Form von Magie. Dieses besondere Geschenk könnte die Wendung im Krieg bedeuten. Sollten die Alchemisten jemals dazu in der Lage sein seine Gabe und ihre Herkunft entschlüsseln und am Ende künstlich herstellen zu können, hätten sie die Möglichkeit diese Immunität auf alle kämpfenden Magier auszuweiten. Allerdings waren die Experimente alles andere als angenehm, schließlich suchten die Alchemisten nach dem Ursprung seiner Gabe. Er musste regelmäßig irgendwelche Mittelchen schlucken, stand sogar einmal für einen Moment in Flammen und trotzdem kamen sie nicht voran. Für Mithior war das alles einfach nur anstrengend, er erkannte jedoch die Wichtigkeit dahinter.

Magische Immunität war gleichzusetzen mit einer obsidianischen Immunität; keiner der Magier dort hätte ihnen noch etwas anhaben können.

„Sie dienen einem höheren Zweck, Mika. Ich bezweifle zwar, dass sie noch vor meinem Geburtstag die entscheidende Wendung finden, bin aber offen für ihre Versuche. Stell dir nur vor, wie viele Leben man damit retten könnte."

Mika hörte ihm zwar zu, schien jedoch offensichtlich von der Antwort genervt. Er legte den Kopf in den Nacken, wodurch seine dunklen Haare nach hinten fielen. Seufzend schloss er die Augen.

„Wie du meinst. Dann lass uns zumindest noch einen zusammen trinken und ich bringe dich zurück. Wenn du alleine losziehst, reißt mir deine kleine Freundin mit Sicherheit den Kopf ab", sagte er und fing an frech zu Grinsen, während er den letzten Satz sprach. Dafür kassierte er sich auch einen festen Schlag gegen die Schulter.

„Sie ist mit Sicherheit vieles, aber in keinster Weise meine Freundin! Sie ist wie eine Klette. Egal wie sehr du schüttelst, sie geht einfach nicht ab. Unansehnlich, lästig und einfach zum Kotzen. Sollte sie auch nur einmal versuchen die Hand gegen dich zu erheben, hacke ich sie ihr eigenhändig ab!" Mithior hatte sich in Rage gesprochen, das war deutlich zu hören. Er hatte einfach nur so einen Hass auf dieses Weibsbild entwickelt.

„Man, man, man, ist ja gut, war doch nur ein Scherz. Du bist echt gereizt. Tja, wird definitiv Zeit für die nächste Runde!" Mika hatte sich von Mithiros aufbrausendem Wesen noch nie einschüchtern lassen. Grinsend bestellte er noch zwei Biere und beobachtete genau, wie der Wirt ihre Krüge füllte und eine wunderschöne Schaumkrone hinterließ.

„Komm mein Freund, stoßen wir an auf all die Fotzen, die wir bisher durchgenommen und haben und auf all die, die da noch kommen mögen!" Mika grinste Mithior breit an, wobei sein Schneidezahn deutlich hervorblitzte. Wer hätte da noch großartig wütend sein können?

„Auf die Fotzen!", antwortete Mithior mit einem Lächeln. Sie stießen die Krüge zusammen und ergötzten sich am Geschmack des frischen Bieres.

Der Morgen war bereits angebrochen, als Juniper den Keller verließ. Sie war nicht müde, konnte sie gar nicht sein.

Aber ihre Handgelenke und Fußgelenke taten weh, hatte sie sich doch letzte Nacht so sehr in ihnen gewunden, dass sie sich die Haut etwas wund scheuerte. Immer wieder diese Experimente.

Während sie durch die Gänge schlich, auf direktem Weg zu Mithiros Zimmer, rieb sie sich ihre Wunden und dachte an die Anfänge der Experimente zurück; einer der Gründe, warum sie nie wieder schlafen können würde.

Die königlichen Alchemisten benötigten ein Versuchskaninchen. Man entwickelte neue Zauber, um sie im Kampf gegen Obsidian einsetzen zu können. Dafür mussten diese Zauber jedoch zunächst getestet werden; wer hätte da schon ein menschliches Waisenkind vermisst? Doch sie wurde nie gefragt, ob sie hierfür herhalten wolle. Gawen war schon immer derjenige, der ihr vorschrieb, was sie zu tun und zu lassen hatte. So war die Ordnung hier.

Einer der Zauber, den sie testeten, sollte ein vorzeitiges Ermüden der Kämpfer verhindern; er sollte sie stärken. Stattdessen verflog bei Juniper jegliches Müdigkeitsempfinden; ihr Körper schien auch keine Ruhe mehr zu benötigen. In den ersten Nächten dachte sie, sie würde den Verstand verlieren. Immer wach, immer aufmerksam. Doch bald fing sie an den Vorteil darin zu entdecken. Sie schlich sich häufig in die königliche Bibliothek, in der sie als Mensch eigentlich nichts verloren hatte, und begann zu lesen. Zumindest die Fähigkeit wurde ihr beigebracht, als sie mit Mithior und Mika zusammen lernte. Damals, als sie noch gleichwertig waren.

Vor Mithiors Zimmertür hielt sie kurz inne und lauschte. Sein leises Schnarchen klang ohrenbetäubend laut, konzentrierte sie sich zu sehr darauf. Doch ein Schnarchen bedeutete immer, dass er am Abend zuvor einiges getrunken hatte, somit würde er wohl nicht mit der Morgensonne aufstehen. Frühestens zum Zenit.

Sie tat das, was sie am liebsten machte, wenn sie unverhofft ein wenig Zeit für sich selbst hatte. Lautlos schlich sie durch die Gänge, bis sie in der königlichen Bibliothek verschwand. Inzwischen war sie so gut trainiert unsichtbar für andere zu sein, dass sie manchmal gar nicht mehr wusste, ob sie überhaupt noch existierte.

Die Bibliothek war riesig. Über zwei Etagen war jedes einzelne der aus Ebenholz gefertigten Regale gefüllt mit Büchern. Hier und da standen Artefakte aus der Zeit der Abenteurer, Schätze der Erde wie verschiedene Mineralien, die die Alchemisten für ihre Experimente nutzten. Trophäen von längst vergangenen und vergessenen Kämpfen gegen die Dämonen, doch auch wunderschön angefertigte Kunst, Gemälde und Statuen. Natürlich wurden immer nur die heldenhaften Magier Larendals dargestellt, die mutigsten, klügsten und mächtigsten. Die Decke der Bibliothek beherbergte ein atemberaubendes Fresko von Engeln, die über alles zu wachen schienen. Die feinsten Schnitzereien zierten die Bücherregale und erzählten die fast schon vergessene Legende der Entstehung dieser Welt, auf der sie lebten.

Einst sollten Engel diese Welt, Hyreth, bevölkert haben und wie im Paradies leben. Bis die Dämonen aus der Hölle empor kamen und ein erbarmungsloser Krieg ausbrach. Unbändige Gewalt durchzog die Lande und zerstörte sie fast gänzlich. Nur durch eine List der Engel, konnten die Dämonen und ihr Anführer, Luzifer, zurückgedrängt werden. Luzifer wurde eingeschlossen, die Welt gerettet doch dieser Krieg hatte eine Schneise der Zerstörung hinterlassen; das Paradies war gestorben. Die Engel schickten die ersten Menschen nach Hyreth und baten sie aus dem Schutt neues Leben, ein neues Paradies zu schaffen.

Doch die Pforte in die Hölle war nie ganz geschlossen worden. Immer wieder brachen Dämonen aus ihr hervor und erschwerten die Aufgabe der Menschen. Daraus entwickelte sich auch die Legende über den magischen Kristall, der angeblich von einem der höchsten Engel hinunter gesandt wurde, um den Menschen die nötige Kraft zur Verteidigung und zum Aufbau zu geben.

Juniper blieb vor der letzten Schnitzerei stehen und strich zaghaft über die geschwungenen Linien. Sie stellte einen Engel mit sechs Flügeln dar, in seinen Händen der Kristall. Verächtlich wandte sie den Blick ab.

‚Nichts als Unheil hat die Magie gebracht...'

Sie schlich in einen der hinteren Gänge, wo sich ein wahrer Schatz versteckt hielt. Durch ihre regelmäßigen Streifzüge in die Bibliothek wusste sie, wer sich wo am häufigsten aufhielt. Die Mehrzahl an Nutzern ließ sich auf die Alchemisten zurückführen, die in alten und neuen Schriften nach brauchbaren Formeln suchten. Einige der angestellten Lehrmeister hatten ebenfalls Zutritt und befassten sich vor allem mit der Geschichte des Landes, sowie den verschiedenen Zauberkünsten und wie man sie beherrschen konnte.

Keiner hatte sich bisher je nach hier hinten verirrt. Die menschlichen Bücher wurden zwar bewahrt, doch nie angesehen. Der einzige, den sie hier einmal sehen konnte, war Mika. Doch der trieb sich in der Regel überall da herum, wonach ihm der Sinn stand. Sie war sich nicht einmal sicher, dass er die Bücher wirklich las oder sie nur mit sich herum schleppte um unter den Magiern für Aufsehen zu sorgen.

Sie ließ die Finger beim Vorbeigehen über die ledernen Einbände gleiten. All den Prunk der Magiebücher suchte man hier vergebens. Simpel eingebunden, sodass die Seiten halt hatten, mehr war nicht von Nöten.

Juniper las die Buchrücken, bis sie an dem Gesuchten angekommen war und es vorsichtig herauszog.

‚Die Kunst der Anzucht', stand dort in vergilbten Buchstaben.

Keiner würde sich wohl je mit der menschlichen Art und Weise von Gärtnerei interessieren, deswegen war dieses Buch das perfekte Versteckt.

Vorsichtig öffnete sie es. Doch nach Anleitungen zur Anzucht suchte man hier vergebens. Stattdessen war es ein sehr persönliches Buch. Die Buchstaben darin waren krakelig, teils kaum zu erkennen. Doch sie kannte jedes einzelne Wort auswendig, wusste genau wer sie geschrieben hatte.

In Kindertagen versteckten sich Mithiro, Mika und sie hier, wenn sie dem elenden Gezeter der Meisterin für alte Sprachen aus dem Weg gehen wollten. Gerade Mithiro sah keinen Grund eine tote Sprache zu erlernen, insbesondere nicht die henochische Sprache. Also suchten sie sich eines der menschlichen Bücher aus und verzauberten es, sodass die Seiten leer waren und bereit um von den Kindern beschrieben zu werden.

Sie blätterte in dem Buch herum und blieb an einer karikaturistischen Zeichnung hängen. Mika hatte versucht Mithiro zu zeichnen. Ein kantiger, eckiger Kopf mit drei Haaren darauf und ein weit aufgerissener Mund, der die gefährlichsten spitzen Reißzähne zeigte, die man sich vorstellen konnte. Es war offensichtlich, dass Mika seinen Freund mit der Zeichnung ärgern wollte.

Daraufhin malte Mithiro wiederum seinen Freund als eine Art deformierten Troll, dessen Schneidezahn in diesem Werk eine enorm große Rolle spielte.

Juniper hingegen zeichnete die beiden Freunde zusammen. Sie hatte schon immer ein Talent dafür gehabt, was sie natürlich jetzt niemandem mehr offenbaren würde. Ihre erste Zeichnung zeigte nur zwei Köpfe, dicht aneinander, mit Strichärmchen, die offensichtlich um die jeweils andere Schulter gelegt sein sollte. Unterschrieben hatte sie das Bild mit ‚Ju'. Früher hatte Mithiro sie immer so gerufen, da seinem faulen Mund der Name Juniper zu lang war. Daraufhin hatte sie ihn nur noch mit ‚M' angesprochen.

Je weiter sie in dem Buch blätterte, desto besser und detaillierter wurden die Zeichnungen von Mika und Mithiro. Jedes einzelne unterschrieben mit ihrer Signatur. Heute war wieder so ein Tag, an dem sie sich nach der Unbeschwertheit dieses Momentes sehnte, also zeichnete sie ihn.

Sie hatte ihre Zeichnung fast vollendet, da hörte wie Schritte sich der Bibliothekstür näherten. Sie lauschte genau und erkannte eindeutig den König, die restlichen hingegen verbargen sich vor ihrem Wissen. Doch die Stimmen, die mit einem Mal durch die Bibliothek hallten, kannte sie. Alchemisten.

„Es muss einen Weg geben seine Immunität künstlich zu erzeugen", erklang die dunkle Stimme des Königs.

„Eure Majestät, auf dem Weg die Wurzel dieser Gabe zu finden haben wir unzählige weitere Zauber entwickeln können, die unseren Leuten auf dem Schlachtfeld helfen", tönte eine der heiseren Stimmen der Alchemisten.

Die Alchemisten waren eine eingeschworene Gruppe. Ihr Wissen über die Astrologie, Physik, Chemie, Biologie und magischen Ströme machte sie unglaublich mächtig. Ihre eigene Magiekapazität war jedoch meist recht begrenzt, weswegen sie starke Zauber zwar entwickeln, jedoch selten selbst einsetzen konnten.

„In zwei Monaten wird er 25 und ich werde ihn dem Schlachtfeld nicht vorenthalten können. Er brennt darauf an vorderster Front zu kämpfen, dabei brauche ich ihn hier. Sein Bruder leitet die Truppen, er muss die Geschicke des Landes hier leiten. Bei Gott, er soll MEIN Nachfolger werden, nicht Gawens", brummte der König zurück.

Gawen war in jungen Jahren an der Front, hatte gekämpft und viele Schlachten gewonnen. Er wurde schnell befördert, bekam eigene Truppen unter sich. Er war wirklich ein ausgezeichneter Kämpfer, mit dem Schwert sowie seiner Magie. Er war einer der wenigen, der seine Kampftechniken getrennt voneinander trainiert hatte, um sie zu perfektionieren. Wie ein lautloser Assassine konnte er sich an Feinde anschleichen, sie mit seinem Schwert aufschlitzen oder zumindest nah genug an sie herankommen, um ihnen mit seiner Magie das Leben zu nehmen. Man sah zu ihm auf und je älter er wurde, desto bedeutender wurde sein Können und seine Erfahrung für den König. Nach einer weiteren blutigen Schlacht, aus der Gawen als Sieger hervortrat, wurde er von der Front zurück in den Palast geordert. Als hochdekorierter Kommandant wurde ihm die königliche Leibgarde unterstellt. Ein sicherer Posten, der einem ein äußerst angenehmes Leben versprach.

„Eure Majestät", es erklang eine andere Stimme, definitiv weiblich, „wir geben unser Bestes, damit Euer Sohn nicht in den Kampf ziehen wird."

Juniper hob eine Augenbraue und lauschte weiter. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass es etwas gab, was Mithiro davon abhalten könnte mit lautem Getöse in die Schlacht zu reiten. Es schien als wäre er besessen davon.

„Sollte er gehen, so werde ich ihn begleiten."

Das war eindeutig Mikas Stimme. Juniper wusste zwar, dass er zum engeren Beraterkreis zählte, allerdings war ihr nicht bewusst wie eng er inzwischen mit dem König war, dass er bei solch einer geheimen Unterredung in der Bibliothek mit anwesend sein durfte.

„Mika...du bist ein guter Mann geworden. Ich freue mich, dass mein Sohn einen solchen Freund an seiner Seite hat. Aber du musst dir den Ernst der Lage und deine Aufgabe auch bewusst machen." Der König klang besorgt.

„Eure Majestät, Euch sei versichert, ich werde meine Aufgabe erfüllen und ein guter Freund bleiben. Wir werden es an uns bringen." Mika klang so ernst und selbstsicher, das war fast schon untypisch für ihn. Ernsthaftigkeit gab es in dessen Persönlichkeit eigentlich nicht.

Aber was sollte er an sich bringen? Was für eine besondere Aufgabe wurde ihm zu Teil und warum wusste sie nichts davon?

Die Wände im Palast hatten Ohren und bisher hatte Juniper alles um sich herum mitbekommen; jedes einzelne Gerücht, jede noch so unwichtige Bemerkung, die in irgendeiner Weise mit Mithiro in Verbindung standen. Hiervon hörte sie nun zum ersten Mal.

„Ich danke dir Mika. Ich bete, dass wir damit den Krieg endlich beenden und Obsidian und all das Pack dort endgültig vernichten können. Vielleicht wird uns dann auch die Macht zu Teil, die Dämonen ein für alle Male zurück in die Hölle zu verbannen", sprach der König weiter. Ein wenig Hoffnung schwang in seiner Stimme mit.

Junipers Gedanken rasten. Er wollte ein ganzes Land auslöschen. Diese Information war neu. Was war aus dem Friedenspakt geworden, den er in seinen früheren Besprechungen mit den Ministern angestrebt hatte?

„Und wir werden alles dafür tun, dass dieses Ziel erreicht wird", sprach einer der Alchemisten.

Erst jetzt war Juniper aufgefallen, dass die Stimmen unglaublich nah gekommen waren. Sie war so konzentriert der Unterhaltung zu folgen, dass sie nicht weiter darauf geachtet hatte. Die Vorkommnisse der letzten Nacht hatten ihren Fokus anscheinend stark gestört.

Sie hielt verkrampft die Luft an. Wenn sie jetzt nicht aufpasste, würde Mika sie mit Sicherheit entdecken. Er war zwar nicht so fortgeschritten in der Ausbildung bei der Leibgarde, doch seine Schnelligkeit und Gerissenheit machten manche Mankos wett.

„Das will ich auch hoffen. Hier ist das Mineral, nachdem ihr gefragt hattet", erklärte der König weiter. Die Stimme war maximal eine Regalreihe weit entfernt.

Ein kurzes Raunen schien durch die Reihen zu gehen, ehe die Alchemisten mit Hammer und Meißel ein winziges Stück des Minerals abbrachen und in einer Phiole in die Tasche steckten.

„Habt Dank, eure Majestät. Wir werden uns sofort an die Arbeit machen", erklärte wieder die weibliche Stimme.

Juniper konnte das Rascheln der Kleidung hören, als sich die Alchemisten vor dem König verbeugten. Sie waren so verdammt nah. Doch dann entfernten sich die Geräusche wieder.

Dieses Mal lauschte sie ganz genau. Sie verfolgte die Schritte des Königs, die der zwei Alchemisten und...da! Da waren auch Mikas Schritte. Er hatte es nie geschafft so lautlos durch die Gänge zu schreiten, wie sie selbst und Gawen es nur beherrschten.

Erst als die schwere Tür wieder ins Schloss fiel erlaubte sie sich auszuatmen. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sie das Buch verkrampft festhielt und an ihre Brust drückte. Nur zaghaft löste sie ihre Finger von dem ledernen Einband und stellte es lautlos zurück ins Regal. Das war genug für heute.

Schnellen Schrittes wollte sie die Bibliothek wieder verlassen, warf jedoch zuvor noch einen Blick auf das Mineral, an dem die Gruppe vorhin stehen geblieben war. Ein brocken Kalomel. Sie kannte sich nicht allzu sehr mit Mineralien aus, sie wusste jedoch, dass dieses extrem selten war; insbesondere in dieser Form. Es war farblos, jedoch brach es die Sonnenstrahlen die herein fielen auf eine unglaublich faszinierende Weise. Sie konnte sich sogar daran erinnern, dass es in irgendeiner Form eine heilende Wirkung gehabt haben sollte. Wie dieses Mineral jedoch in Zusammenhang mit der Alchemie stand und wofür man es benutzen konnte, darauf konnte sie sich keinen Reim machen. Alchemie war eines der Themen, die sie damals wenig bis gar nicht interessierten.

Juniper wendete den Blick von dem einzigartigen Schatz aus den Tiefen der Erde ab und schlich lautlos aus der Bibliothek.

Einen zu Heben war das eine, mit Mika die Nacht zu versaufen etwas völlig anderes. Kopfschmerzen hämmerten gegen seine Schläfen, als er das erste Mal an diesem Morgen in Regung geriet. Als er nach ein paar tiefen und bewussten Atemzügen die Augen vorsichtig öffnete, kniff er sie sofort wieder zusammen. Helles Sonnenlicht durchflutete sein Zimmer, ließ die Wände schimmern und sorgte in seinem Kopf für noch dröhnendere Schmerzen als zuvor. Grummelnd schirmte er mit seiner Hand seine Augen vor der enormen Helligkeit ab, während er versuchte seine Gedanken zu sortieren.

Er war mit Mika trinken. Nichts Besonderes. Er hatte auch keinen Aufriss betrieben, ebenfalls nichts Besonderes. Wenn, dann waren seine Frauen vom Äußeren her weit weg von der Klette, die ihn tagtäglich mit ihrer Existenz drangsalierte.

Ganz vorsichtig hob er den Kopf und versuchte sich im Schatten seiner Hand im Zimmer umzublicken. Mithiro versuchte ihre Existenz in den Schatten wahrzunehmen, kam jedoch zu dem Schluss, dass sie entweder tatsächlich nicht da war oder er gerade nicht dazu in der Lage war seine Umgebung vernünftig zu scannen.

Egal welches davon jetzt zutraf, er musste aufstehen und sich waschen. Der fahle und trockene Geschmack von zu viel Alkohol lag ihm im Mund und er hätte schwören können, er dünstete diesen Geruch gerade auch über seinen Körper aus.

Erst beim Herausschwingen der Beine aus dem Bett bemerkte er, dass er nur seine Unterwäsche trug. Anscheinend war er in der Nacht sogar so betrunken gewesen, dass er sich nicht einmal mehr in sein Schlafgewand umziehen konnte oder wollte. Er fühlte sich noch ekliger als sowieso schon.

Seine nackten Füße hinterließen ein fast schon schmatzendes Geräusch auf dem glatten Marmorboden, als er hinüber in sein Bad schritt. Schweren Schrittes ging er zur Badewanne und ließ sich heißes Wasser einlaufen, das würde seinen geräderten Körper mit Sicherheit etwas zur Entspannung bringen.

Dann warf er über die Schulter einen Blick in den Spiegel. Seine blonden Haare standen kreuz und quer von seinem Kopf ab und dunkle Augenringe stachen auf seinem Gesicht hervor. Die Wangen sahen ebenfalls eingefallen und fahl aus. Mithiro trat einen Schritt weiter an den Spiegel heran um sich offensichtlich genauer in Anschein nehmen zu können.

„Jap...sieht scheiße aus", war sein Kommentar, nachdem er mit beiden Händen sein Gesicht in unterschiedlichste Grimmassen gezogen hatte.

Er nahm sich seine Zahnbürste und begann sich die Zähne zu putzen und damit jeden bitteren Geschmack und jedes bittere Wort des gestrigen Abends von sich zu waschen; auch wenn er sich tatsächlich gar nicht mehr so genau an alles erinnern konnte.

Plötzlich nahm sein Ohr ein Geräusch war, dass nicht zur momentanen Atmosphäre des wohlwollenden Badezimmers passte.

„Fag nifft, du warft in der Nafft nifft an meiner Feite, um miff zu beffützen? Waf, wenn Gawen erfährt, daff du erft fo fpät hier aufgetaufft bift?", nuschelte er mit vor Zahnpasta schäumenden Mund.

(Sag nicht, du warst in der Nacht nicht an meiner Seite, um mich zu beschützen? Was, wenn Gawen erfährt, dass du erst so spät hier aufgetaucht bist?)

Wie üblich erhielt er keine Antwort von Juniper, doch jetzt war er sich ihrer Anwesenheit absolut gewahr. Wahrscheinlich versteckte sie sich hinter einem der schweren Vorhänge.

Mithiro schüttelte den Kopf und spuckte endlich aus. Der frische Geschmack im Mund half ihm sich etwas wacher und klarer zu fühlen. Er drehte den Wasserhahn auf, wusch sich das Gesicht und gurgelte mit ein wenig Wasser, ehe er auch dieses zurück in das Waschbecken spuckte.

„Dir ist doch klar, dass ich dir bei einem Duell haushoch überlegen bin, oder? Ich kann mich also bestens selbst verteidigen. Ich brauche dich dreckigen Menschen hier nicht", knurrte er in den Raum, setzte dabei den Fokus seiner Worte jedoch auf den Vorhang.

Juniper kauerte sich bei seinen Worten enger in dem Verschlag unter dem Waschbecken zusammen. Mithiro war nicht immer so zu ihr. Es gab eine Zeit, da war sie einer der Gründe, weshalb er überhaupt lachen konnte. Als sie Kinder waren und sie ihm, gemeinsam mit Mika, die Dinge im Leben gezeigt hat, von denen er als Prinz nie Ahnung haben würde. Einmal sind die drei gemeinsam auf den Markt geschlichen, haben sich jeder einen Apfel gestohlen und den Tag mit Erkundungen der Stadt verbracht. Am Abend saßen sie am Fluss, der quer durch die Stadt verläuft, und beobachteten im glasklaren Wasser die verschiedenen bunten Fische.

„Was auch immer", zerriss Mithiros Stimme ihr Schwelgen in Erinnerungen.

Der Spalt in der Wand, der ihr die Möglichkeit gab sich einigermaßen gut im Badezimmer umzusehen, war für andere kaum sichtbar. Magier und ziemlich findige Architekten mussten damals diesen Palast errichtet haben. Überall Geheimgänge mit geheimen Verstecken, von denen Juniper sich sicher war, dass sie noch längst nicht alle kannte.

Während sie durch den Spalt starrte und nervös über ihr silbernes Armband strich, konnte sie Mithiro beobachten, wie er sich seiner Unterwäsche entledigte und ihr den blanken, wohlgeformten Hintern fast vor der Nase präsentierte.

Sie biss sich auf die Unterlippe.

Bei Mithiro und Mika hatte sie sich als Kind angenommen gefühlt, bis insbesondere Mithiro sich von ihr abwandte. Erst fing er nur an sie zu ignorieren doch irgendwann schlug er ihr puren Hass entgegen. Sie hatte einen dummen Fehler gemacht damals, dessen war sie sich bewusst. Sie konnte seine Wut damals verstehen und sie schien ihn nur in der Doktrin des Reiches zu bestärken; Menschen waren unfähig und konnten niemals mit den Magiern mithalten.

Doch sie empfand ihm gegenüber nie etwas anderes als eine tiefe Verbundenheit. Gerade deswegen störte es sie auch nicht, für seinen Schutz eingesetzt worden zu sein. Juniper hatte jedoch nie damit gerechnet, dass dieser Schutz mit so viel emotionalem Schmerz einhergehen würde. Sie war in unterschiedlichen Gefühlen nicht allzu bewandert, durfte sie diese als Teil der Leibgarde schließlich nie offen zeigen. Wenn sie jedoch in der königlichen Bibliothek war und die unzähligen Geschichten las, konnte sie zumindest versuchen sich unterschiedlichste Emotionen vorzustellen.

Eine davon machte sich in den letzten Monaten besonders breit in ihr; Hass. Verbundenheit zu ihm und ihrer gemeinsamen Vergangenheit hin oder her, die extrem abscheuliche Art wie er sie und ihre wohlwollenden Absichten behandelte, verletzte sie und ließ diesen unheilvollen, im Bauch brodelnden Hass hervorkochen.

Der Dampf des heißen Badewassers hatte sich bereits gut im Badezimmer verteilt. Der Badezimmerspiegel war gänzlich beschlagen und die ersten Tropfen Kondenswasser rannen auf der glatten Oberfläche hinab, tropften mit einem leisen Plop ins Waschbecken.

Juniper hatte sich lautlos aus ihrem Versteck geschält und stand nun mit vor der Brust verschränkten Armen direkt vor der Badewanne. Mithiro hatte genüsslich die Augen geschlossen und die Arme lässig auf den Badewannenrand gelegt; dieses überhebliche Arschloch. Jeder zweitklassige Auftragsmörder hätte sich an ihn heranschleichen und töten können.

„Du könntest mich nicht einmal besiegen, wenn ich mit verbundenen Augen vor dir stehen würde", sprach sie mit harter und fester Stimme zu ihm.

Doch er zeigte kaum Regung, öffnete nur ein Auge und sah zu ihr hinauf. Als hätte er sie genau dort an der Stelle, mit genau diesen Worten bereits erwartet.

„Es kann also doch sprechen", war seine Antwort darauf, ehe er den Kopf in den Nacken legte, das Auge wieder schloss und sich ganz offensichtlich gerade sehr wohl in der Badewanne fühlte. Ein fast schon seeliges Lächeln schlich sich auf sein makelloses Gesicht.

Erneut regten sich Emotionen in ihr. Für einen Moment schien tiefsitzende Frustration über ihr Gesicht zu huschen, jedoch verbarg sie es sofort wieder und setzte abermals ihre perfektionierte, gleichgültig dreinblickende Maske auf.

Stattdessen beugte sie sich vor, in der einen Hand einen ihrer Dolche und legte diesen ohne jedwedes Geräusch, ohne Bewegung in der Luft zu verursachen an Mithiros Kehle. Dieser hob die Augenbrauen an und schielte auf die Klinge; schwarz, so wie jede Waffe der königlichen Leibgarde, mit alten alchemistischen Zeichen darauf.

„Es wäre so leicht dich zu töten und dem Reich jegliche Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges zu nehmen..., weil du so von dir selbst überzeugt bist", raunte Juniper ihm zu. Sie starrte direkt in seine Augen. Damals liebte sie das Blau darin. Es erinnerte sie an den Fluss und die Ruhe, die sie damals empfand. Heute schien jedes Mal ein eiskalter Sturm darin zu toben, jederzeit bereit ihr Schiff mit einer hohen Welle zum Kentern zu bringen und sie sofort mit in die Tiefen zu ihrem nassen Grab zu ziehen.

Das seelige Lächeln lag noch immer auf seinem Gesicht. Er drehte ihre den Kopf zu, hielt dabei den Blick stand. Er wusste genau, wie er sie aus der Haut fahren lassen konnte. Das hier war wieder so ein einfacher Moment.

Mit einer Hand griff er ihr Handgelenk und drückte damit die Klinge etwas weiter weg von seinem Hals. Er hatte definitiv mehr Kraft als sie.
Mit der anderen Hand formte er eine kleine Kugel aus warm leuchtendem Licht. Die Kugel glich der Sonne, die gerade hoch am Himmel stand und mit ihren Strahlen jeder dunklen Gasse ein freundlicheres Gesicht verlieh. Er hielt ihr die Kugel an die Schläfe. Juniper spürte sofort die enorme Hitze, die davon ausging. Ihr lief ungewollt eine Schweißperle die Stirn herunter.

Sie hatte ihn schon so oft beobachtet. Sie kannte jede seiner Zauber; insbesondere diesen hier. Mithiro war ein Sonnenkind, gesegnet mit der Macht eben dieser. Wie konnte ihr das in diesem Moment entgehen?!

„Du bist unfähig. Es wäre so leicht dir diese Kugel in den Körper zu stopfen und dabei zuzusehen, wie du bei lebendigem Leibe von innen verbrennst." Seine Stimme war nicht überheblich; nein, sie war absolut siegessicher und er hatte Recht damit.

Doch er zog sie noch näher an sich heran, sodass ihre Wange seine streifte und er seine Lippen an ihr Ohr drücken konnte.

„Nicht, dass ich am Ende noch dich beschützen muss...Ju", raunte er mit heiserer Stimme hinein.

Sofort riss sie sich los und drehte sich von ihm weg. Es hatte keinen Sinn mehr irgendetwas zu ihm zu sagen. Er würde immer besser sein wollen.

Und sie würde ihn doch immer wieder lassen. Sie würde immer wieder gegen ihn verlieren. Während sie das Bad verließ strich sie sich über die Schläfe und sie konnte sofort eine feine Brandblase daran spüren. Mieser, kleiner Bastard.

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