2. hiraeth

hiraeth: Heimweh nach einem Zuhause, zu dem du nicht zurückkehren kannst, ein Zuhause, das vielleicht nie eines war; die Nostalgie, die Sehnsucht nach, die Trauer um einen verlorenen Ort aus deiner Vergangenheit

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Montag, März

Als Sebastian am Montag seinen ersten "richtigen" Arbeitstag antrat, war es gerade kurz vor fünf Uhr nachmittags und diesmal klopfte Sebastian gleich.

Die Tür wurde beinahe sofort schwungvoll aufgerissen und das Lächeln, das Sebastians Lippen geziert hatte, verschwand schneller als das Tageslicht im Winter. Anders als erwartet, stand dort nicht Eliza, sondern Jim und er funkelte ihn so zornig an, dass Sebastian reflexartig einen Schritt nach hinten trat.

„Äh, hi. Ich bin Sebastian, weißt du noch? Ich bin hier, um-"

„Ich weiß, wer du bist", unterbrach Jim ihn barsch, schien nicht sonderlich gewillt, Sebastian eintreten zu lassen. „Du warst einfach so in meinem Zimmer und dann hast du mich an meine Eltern verpfiffen!"

Sebastian blinzelte. Er hatte beinahe vergessen, dass Jim das letzte Mal nicht mehr da gewesen war, als er nach ihm gesehen hatte. „Ich- ich habe geklopft", tätigte er den schwachen Versuch, sich zu verteidigen.

Jim schnaubte. „Was tust du überhaupt hier? Wir brauchen keinen Babysitter. Ich brauche keinen Babysitter. Schon gar keinen, der mir nachspioniert und mich bei meinen Eltern verpetzt wie im Kindergarten."

Sebastian hatte beschlossen, dass er Jim umgänglicher gefunden hatte, als er nicht mit ihm gesprochen hatte. Er war komplett überfordert. „Ich... habe dich nicht verpetzt. Ich habe nur Bescheid gegeben. Und wenn ihr keinen Babysitter braucht, wieso hat deine Mutter mir den Job dann gegeben?"

Jim schüttelte fassungslos den Kopf. „Du bist so blöd, dass ich mich übergeben will, wenn ich dich ansehe." Das war keine sonderlich gute Erwiderung, weshalb Sebastian wenigstens einen kleinen Erfolg in der Spalte seiner unsichtbaren Punktetabelle verzeichnete.

„Okay. Darf ich jetzt rein?"

Erstaunlicherweise trat Jim tatsächlich von der Tür zurück und beobachtete mit verschränkten Armen, wie Sebastian eintrat und seine Schuhe auszog.

„Hast du dir wirklich Doppelschleifen gebunden?", fragte er, als wäre das ein Kapitalverbrechen.

Sebastian zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Dann muss ich meine Schnürsenkel nicht andauernd neu binden."

Jim verdrehte nur die Augen und murmelte erneut etwas über Sebastians Dummheit, das dieser gekonnt überhörte. „Sind deine Eltern schon weg?"

„Was denn, willst du ihnen vielleicht wieder erzählen, was ich so treibe? Warte, ich hol mein Tagebuch und lese dir daraus vor. Vielleicht kannst du es ja aufnehmen und dann meinen Eltern vorspielen."

Offenbar war Jim nicht nur mit dem falschen Bein aufgestanden, sondern war am Morgen auch noch sogleich auf einen Legostein getreten. Seine schlechte Laune erklärte das jedoch immer noch nicht.

„Ein einfaches Nein hätte genügt", murmelte Sebastian, versuchte Jims verächtliche Blicke zu ignorieren und lief dann ins Wohnzimmer, wo Dorian wie ausgeknockt auf der Couch lag und schlief. Sebastian hoffte, dass er wirklich nur schlief und nicht ebenfalls die Launen seines großen Bruders zu spüren bekommen hatte.

„Wenn du dich noch einmal in meine Angelegenheiten einmischst, kannst du dich gefasst machen", knurrte Jim hinter ihm, lief an ihm vorbei und war die Treppen hinauf, noch ehe Sebastian eine gute Erwiderung gefunden hatte. Von oben ertönte das Zuschlagen einer Tür.

Sebastian wusste wirklich nicht, wie Jim es schaffte, so viel Hass zu zentrieren, aber jetzt, wo er weg war, schien die Luft im Wohnzimmer plötzlich leichter in seiner Lunge. Nicht nur schien Jim ziemlich dramatisch zu sein, offensichtlich hegte er auch einen tiefen Groll gegen Sebastian.

So viel zu dem "sich miteinander vertragen".

Naja, es war ja nicht Sebastians Schuld, wenn Jim ihn lieber mit Blicken erdolchte.

„Hallo, Sebastian!", kam es aus der Küche und dann kam Andrew angelaufen, eine Tafel Schokolade und ein Buch in der anderen Hand. Wem sollte Sebastian noch einmal keine Süßigkeiten geben? Andrew oder Dorian? Sebastian wusste es nicht mehr, also sagte er nichts.

„Hey, Andrew. Wie läuft's?"

Andrew zuckte mit den Schultern. „Gut, glaube ich." Er setzte sich neben seinen Bruder auf die weiße Couch, der sich nicht ein Stück bewegte. Sebastians Sorge, dass Dorian nicht einfach nur schlief, wuchs.

Sebastian stand ein wenig planlos im Raum herum und wusste nicht so recht, was er mit sich anfangen sollte. Natürlich, er sollte sich um die Anderen im Haus kümmern, aber der eine verabscheute ihn, der zweite schlief und der dritte schien sich ganz gut selbst beschäftigen zu können.

„Hey, willst du eine Runde Mario Kart mit mir spielen?", nahm ihm Andrew dann die Entscheidung ab.

Am Liebsten hätte er sofort zugestimmt, aber weil er verantwortungsbewusst war, fragte er erst: „Hast du heute schon gespielt?"

Andrew schüttelte den Kopf. „Ich hatte Hausaufgaben auf."

Sebastian lächelte. „Dann, klar. Aber ich muss dich warnen, ich bin ein wahrer Meister im Kartrennen fahren."

„Das glaube ich nicht."

„Achja? Dann werde ich es dir beweisen."

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Andrew zeigte sich gnadenlos und Sebastian verlor jede einzelne Runde. Nachdem sie eine halbe Stunde gespielt hatten, wachte Dorian auf und versuchte, Sebastian Tipps zu geben, was dazu führte, dass dieser noch häufiger von der Bahn abkam oder über Bananenschalen rutschte.

Schließlich gab Sebastian sich geschlagen und übergab Dorian seinen Controller. Dieser nahm ihn begeistert entgegen, während er zugleich kicherte: „Du warst so schlecht."

Da man ihm nicht böse sein konnte, wenn diese riesigen runden Augen einen anschaute, ließ Sebastian diesen Kommentar zu. Allerdings streckte er den Jungen die Zunge heraus, als sie über ihn zu lachen anfingen.

„Wer hat dir gesagt, du könntest Mario Kart spielen?", setzte Andrew einen drauf und verzog verärgert das Gesicht, als sein kleiner Bruder es irgendwie schaffte, Sebastians Rückstand aufzuholen und ihn zu überholen.

Sebastian hob grinsend die Schulter. „Ich habe vor ein paar Jahren mal mit meinem Bruder gespielt. Und da habe ich ihn immer besiegt. Aber ihr seid wohl einfach wahre Meister."

„Dein Bruder ist noch schlechter als du?", kicherte Dorian, während Andrew interessiert fragte: „Du hast auch einen Bruder?"

Sebastian nickte, während er beobachtete, wie Andrew den Bananenschalen und Bomben, die von Dorians Kart geworfen wurden, auswich. „Ja, er heißt Severin. Ist zwei Jahre älter als ich."

„Versteht ihr euch gut?", fragte Andrew weiter. Er machte den Versuch, Dorian zu überholen, wurde aber von diesem in einer Kurve wieder abgehängt.

„Mittlerweile besser."

„Habt ihr euch früher nicht verstanden?"

„Nicht wirklich", gab Sebastian zu. „Vorsicht, Schildkröte."

„He, du darfst ihm nicht helfen!", protestierte Dorian, der die Schildkröte geworfen hatte. „Außer, wenn du mir auch hilfst."

Also half Sebastian ihnen Beiden. Es machte ihm sogar richtig Spaß. Die Jungen lachten und wechselten sich ab mit dem Gewinnen und zwischendurch ließen sie Sebastian auch spielen, der sich immer beinahe sofort von einer Klippe katapultierte oder von einer Bombe getroffen wurde - nicht, weil er so viel schlechter war, sondern weil er lieber so tat, um zugucken zu können. Er hatte keinen kleinen Bruder und in seiner Familie gab es nur wenige kleine Kinder und diese sah er eigentlich nie, weil seine Mutter sich nicht gut mit ihren Verwandten verstand. Deshalb genoss Sebastian es sehr, den beiden Brüdern beim Spielen zuzusehen.

Er selbst hatte nie eine gute Beziehung zu seinem Bruder gehabt. Obwohl sie sich mittlerweile besser verstanden, wie Sebastian bereits Andrew erklärt hatte, war ihr Verhältnis noch immer recht kühl und wenn sie einmal zusammen etwas unternahmen, herrschte andauernd angespannte Stille und niemand wusste, was er mit dem Anderen anfangen sollte.

Es machte ihn glücklich, Andrew und Dorian so fröhlich zu sehen und zu beobachteten, wie sie sich miteinander amüsierten. Gleichzeitig war da jedoch auch dieses sehnsüchtige Gefühl, diese ungewisse Traurigkeit in ihm, die manchmal seine Kehle hochschwappte, wenn er lachte und dieses Lachen erstickte. Sebastian wünschte, er hätte ebenfalls solche Erinnerungen mit seinem Bruder, wie Andrew und Dorian sie später haben würde. Stattdessen bestand seine Kindheit aus Prügeleien, Blessuren und gebrochenen Knochen und Severins giftigen Worten, die noch heute in ihm nachhallten und ihn in manchen Nächten wachhielten, obwohl Severin sich dafür entschuldigt hatte.

Sebastian wurde aus diesen recht trübsinnigen Gedanken gerissen, als Dorians Bauch neben ihm laut knurrte. Er lachte und blickte auf seine Armbanduhr, wobei er bemerkte, dass die Jungen bereits länger als zwei Stunden spielten. Allerdings brachte er es nicht über sich, ihnen jetzt einfach den Bildschirm auszuschalten, wo sie gerade so viel Spaß hatten.

„Was haltet ihr von Pasta zum Abendessen?", fragte er und erhob sich. Begeistertes Nicken und weiteres Magenknurren waren seine Antwort. „Okay. Dann spielt noch kurz. Nach dem Essen müsst ihr ausmachen, sonst bekomme ich Ärger von eurer Mutter."

„Wir würden es ihr aber nicht sagen", merkte Andrew schmollend an, nickte jedoch seufzend, als er Sebastians strengen Blick sah.

Sebastian überließ die beiden Jungen wieder ihrem Spiel.

Er lief in die Küche und sah sich planlos um sich. Eigentlich wusste er ja noch nicht einmal, wo die Nudeln waren. Oder Teller. Oder Töpfe.

Also machte er sich daran, die Küchenschränke zu durchsuchen, in der Hoffnung, nicht etwas zu entdecken, das privat bleiben sollte.

Erstaunlich schnell verstand er das Konzept der Ordnung des Geschirrs und der Kochutensilien, fand jedoch noch immer nicht die Zutaten, die er brauchte. Allerdings wollte er auch nicht Andrew und Dorian fragen, denn immerhin war Sebastian der Ältere, der sich auszukennen hatte. Also suchte er verbissen weiter. Nach fünf weiteren Minuten hatte er alles zusammen, begann dann das geplante Gericht zu kochen, in der Hoffnung, er würde die Küche nicht in die Luft fliegen lassen.

Zu seiner Überraschung stießen Dorian und Andrew irgendwann zu ihm und sahen ihm beim Kochen zu. Das machte Sebastian ein wenig nervös, denn wenn er jetzt etwas falschmachen würde, würden sie es sehen und vielleicht den Respekt vor ihm verlieren. Andererseits ging es hier nur ums Kochen und Sebastian sollte sich wirklich nicht immer so viele Sorgen um alles machen.

„Seid ihr auf irgendetwas allergisch?", fragte Sebastian, während er Knoblauch zerhackte, darauf bedacht, dass keiner seiner Finger dazwischen kam.

„Erdnüsse", erwiderte Andrew, zur selben Zeit verkündete Dorian ernst: „Bienen."

Sebastian lachte leicht und drehte sich zu dem jüngeren der Brüder um. „Ich meinte Lebensmittel, aber keine Sorge, ich mische auch keine Bienen unter."

Andrew lachte über das peinlich berührte Gesicht von Dorian. Sebastian hakte nach: „Laktoseintolerenz?"

„Was ist Lankose?", fragte Dorian und Andrew schüttelte den Kopf. Also holte Sebastian Käse aus dem Kühlschrank, den er auf der Suche nach dem Pürierstab entdeckt hatte. Ebenjenen Pürierstab nutzte er, um das Pesto, das einzige, was er wirklich richtig kochen konnte, zu einem Brei zu stampfen, dann mischte er noch den Käse unter. Mittlerweile waren auch die Nudeln fertiggekocht und Sebastian musste zugeben, dass er ziemlich stolz auf sich war, weil er weder etwas in Brand gesetzt, noch jemanden verletzt hatte.

„Essen ist fertig", verkündete Sebastian, bemerkte, dass er mittlerweile auch ziemlich hungrig war.

„Ich hol Jim", verkündete Dorian und ehe Sebastian ihn aufhalten konnte, war der Kleine bereits davon gesaust.

Sebastians Euphorie über seinen kleinen Erfolg verschwand. Er hatte beinahe vergessen, dass Jim noch da war und dass er vermutlich nur darauf wartete, Sebastian weiter Vorwürfe zu machen.

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Zumindest Dorian und Andrew schien es zu schmecken. Jim stocherte nur unwillig in seinen Nudeln herum und Sebastian war der Hunger doch vergangen, als er gesehen hatte, wie genervt Jim ihn erneut gemustert hatte. Es war nicht so, dass Sebastian unbedingt wollte, dass jeder ihn mochte. Aber er hasste das Gefühl, so herablassend gemustert zu werden. Vor allem, weil er dann das Gefühl bekam, etwas falschgemacht zu haben und er hatte sich gerade erst abtrainiert, zu denken, dass alle Entscheidungen, die er traf und die unabsehbare Folgen haben, gleich falsch waren.

Während Sebastian also versuchte, nicht in alte Denkmuster zurückzufallen, schmatzten zwei der drei Brüder zufrieden vor sich hin. Der dritte schien, als wäre er lieber überall als an diesem Tisch.

Erstaunlicherweise war es dennoch Jim, der schließlich die Stille durchbrach: „Was ist das?"

Sebastian sah verwirrt von seinen kaum angerührten Nudeln auf. „Pesto mit Nudeln."

Jim wank ab. „Ja, ich weiß. Ich meine, was ist das?" Er deutete auf Sebastians Hals und für einen schrecklichen Moment dachte Sebastian, er hätte dort einen Knutschfleck, was lächerlich war, weil er vor drei Monaten mit Harper Schluss gemacht hatte und es wohl bemerkt hätte, wäre ein solcher Fleck einfach so auf seiner Haut aufgetaucht. Dann ging ihm auf, dass Jim auf seine Kette gedeutet hatte. Sebastians Gesicht wurde heiß und er hoffte, dass man ihm seine vorherigen wirren Gedanken nicht ablesen konnte.

Er griff in seinen Kragen und zog das silberne Plättchen an der gleichfarbigen Kette unter seinem T-Shirt hervor. „Ist ein Dog-Tag", erklärte er.

Jim hob - wie sollte es auch anders sein - verächtlich die Augenbrauen. „Denkst du, es ist cool, wenn du mit einem falschen Dog-Tag herumrennst?"

„Eigentlich ist es echt", warf Sebastian ein.

„Dann ist es eben echt. Vermutlich hast du es aus dem Internet oder so. Ich meine, du warst ja noch nicht einmal im Krieg."

„Nein, aber mein Großvater." Es ärgerte Sebastian, dass Jim nur daraus aus war, alles an ihm schlecht zu machen. „Das Dog-Tag gehörte ihm. Er hat es mir vererbt."

„Hmpf", machte Jim, den es sichtlich zu wurmen schien, dass seine Anschuldigungen widerlegt worden waren. Seine Brüder starrten unterdessen angestrengt auf ihre Teller und Sebastian tat es leid, dass ihr großer Bruder so eine Show unbedingt vor ihnen abziehen musste, aber noch mehr tat er sich selbst leid, weil er absolut nichts falschgemacht hatte und Jim es dennoch auf ihn abgesehen hatte.

„Hör mal, Jim", setzte Sebastian an, versuchte sich unbeeindruckt angesichts der finsteren Blicke seitens des Angesprochenen zu zeigen, dem es offenbar nicht gefiel, dass Sebastian es wagte, seinen Namen überhaupt in den Mund zu nehmen. „Ich weiß, dass du wütend bist, dass ich deinen Eltern gesagt habe, dass du nicht da bist. Aber was hätte ich denn tun sollen? Es ignorieren? Wenn ich das getan hätte, dann hätten sie es sowieso herausgefunden, sobald sie wieder zurückgekommen wären und du nicht dagewesen wärst."

Jim knirschte so heftig mit den Zähnen, dass Sebastian es zu hören glaubte. „Nein, hätten sie nicht. Sie wissen nämlich, dass sie nicht in mein Zimmer gehen, wenn ich extra die Tür zumache."

„Deine Tür ist doch immer zu", murmelte Andrew.

Jim fuhr zu ihm herum. „Halt die Klappe", zischte er.

„Ich habe angeklopft", wiederholte Sebastian seine Rechtfertigung von vorhin, schluckte seine Wut darüber, wie Jim seinen Bruder angefahren hatte, hinunter. „Du hast nicht reagiert. Also habe ich nachgesehen, ob alles in Ordnung ist." Was nicht ganz stimmte, aber auch nicht unbedingt gelogen war. „Es tut mir leid, okay? Aber ich werde mir kein schlechtes Gewissen von dir machen lassen, weil ich mir Sorgen gemacht habe."

„»Sorgen gemacht«?", wiederholte Jim und lachte auf. „Du kennst mich doch gar nicht. Es kann dir vollkommen egal sein, was ich mache. Und das sollte es auch sein, weil ich keinen Fremden brauche, der sich um mich sorgt. Ich bin kein Kleinkind. Ich brauche keinen Babysitter, ich brauche niemanden, der sich Sorgen macht, ich brauche dich nicht. Dank dir habe ich weitere drei Wochen Hausarrest und das heißt, dass es noch schwieriger wird, mal hier rauszukommen."

Sebastian runzelte die Stirn, denn Hausarrest bedeutete eigentlich, dass er gar nicht hier rauskam, aber er wollte sich nicht mit Jim darum streiten. Offensichtlich wusste er ja, wie er aus dem Haus kam, ohne gesehen zu werden. Sicher war das aus dem Fensterklettern nicht sein einziger Weg nach draußen.

„Du wirst es überleben. So schlimm kann es nicht sein, mal drei Wochen im Haus zu bleiben." Sebastian zuckte mit den Schultern und sobald er seinen Satz beendet hatte, bereute er es, denn wenn Jim Sebastian vorher mit Blicken erdolcht hatte, dann zerstückelte und pürierte er ihn jetzt.

„Nein, es sind 13 Wochen Hausarrest", knurrte er. „Weißt du, wann das letzte Mal war, dass ich draußen war?"

„Am Samstag?"

„Ich meine mit der Erlaubnis meiner verklemmten Eltern!", fauchte Jim. Sebastian wünschte sich, er hätte den Mund gehalten. „Vor einem Jahr! Ein verdammtes Jahr schon lassen sie mich hier drin vergammeln! Und jetzt muss ich das noch drei Wochen länger ertragen. Nur, weil du die Klappe nicht halten konntest!"

„Ich glaube nicht, dass es meine Schuld ist, wenn du ein Jahr lang Hausarrest hattest. Immerhin haben wir uns erst vor zwei Tagen kennengelernt und sonderlich viel gesagt hast du nicht." Sebastian hätte sich die Zunge abbeißen mögen.

Jim sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass ihr Geschirr klirrte und Andrew, der neben Jim saß, zusammenzuckte. Er beugte sich über den Tisch zu Sebastian und hob drohend den Finger. „Du hältst dich wohl für besonders schlau, was? Aber ich verspreche dir, dass ich dir jede einzelne dieser Wochen, die ich zum Teil dir zu verdanken habe, zur Hölle machen werde! Und wenn du dann endlich abhaust, dann umso besser. Weil ich mir dann dein dummes Geschwätz nicht mehr anhören muss."

Sebastian kniff leicht die Augen zusammen. „Drohst du mir?"

Jim lächelte so kühl, dass seine Körpertemperatur um mindestens fünf Grad sinken musste. „Ich will nur erwähnen, dass ich meine Eltern trotz ihrer Strenge beeinflussen kann. Und ich kann dafür sorgen, dass du diesen Job hier ganz schnell wieder verlierst."

„Jim", flüsterte Dorian neben ihm fassungslos und auch Andrew starrte seinen Bruder erschrocken an. Der achtete jedoch gar nicht auf die Beiden, sondern war weiterhin auf Sebastian fixiert. „Komm mir nicht noch einmal in die Quere, klar?"

Sebastian hätte Jim liebend gern die Meinung gegeigt. Ihm gesagt, wie respektlos er war, wie wenig es ihm ausmachte, dass Jim ihm drohte. Aber die Sache war: Er glaubte Jim. Er glaubte daran, dass Jim ihm das hier, diese Chance, zur Hölle machen würde und er glaubte auch daran, dass Jim dafür sorgen könnte, dass seine Eltern ihn feuerten, egal, wie nett sie waren. Und egal, dass Sebastian nichts falschgemacht hatte.

Aber Sebastian brauchte das Geld. Seine Mutter brauchte die Unterstützung. Er wollte nicht der Grund sein, dass seine Mutter seinen Vater um Hilfe bitten musste. Er selbst hatte seinem Vater ins Gesicht geschrien, dass sie ihn nicht bräuchten und ohne ihn auskämen. Aber das Ende des letzten Schuljahres rückte näher, Sebastian hatte weder einen Führerschein, um irgendwo hin zu fahren, noch Aussichten auf ein gutes Zeugnis, ein gutes College oder eine Ausbildung, die Wohnungen in London wurden immer teurer und seine Mutter stand kurz vor einem Zusammenbruch, obwohl sie immer wieder beteuerte, dass alles gut war und dass sie viel glücklicher war, jetzt, wo sie unabhängig war.

Aber Sebastian wusste immer, wann sie log - Lügner erkannten andere Lügner.

Also setzte er ein Lächeln auf. Zumindest das fiel ihm leicht. Erst wirkte Jim irritiert, doch dann realisierte er, dass er gewonnen hatte und ließ sich langsam wieder auf seinen Stuhl sinken. Sebastian atmete tief durch und wandte sich dann an Dorian und Andrew, die ihn mit großen Augen erschrocken und besorgt ansahen. „Wollt ihr Nachtisch?"

Die Beiden antworteten nicht. Jim tat es für sie. „Nachtisch klingt ganz fantastisch", sagte er mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen, welches Sebastian ihm nur zu gern vom Gesicht gewischt hätte. Aber er riss sich zusammen.

„Okay." Er schob den Stuhl ein wenig zu geräuschvoll zurück, als er sich erhob. Sein Essen ließ er beinahe unangetastet stehen, mittlerweile hatte er nicht einmal mehr ansatzweise Appetit.

Es war frustrierend. Er hatte gehofft, dass dieser Job eine Chance war, für ihn und seine Mutter. Aber er hatte schon jetzt etwas falschgemacht: Er hatte sich einschüchtern lassen. Offenbar sollte diese Chance ihm jetzt nur noch vor Augen führen, dass er schwach war und sich von einem verdammten Teenager erpressen ließ.

Und das alles nur, weil Sebastian es sich versehentlich mit Jim verscherzt hatte.

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Wörter: 3198

Lied: Liar (It Takes One to Know One) ~ Taking Back Sunday

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Hallihallo!
Und hier wäre auch schon das zweite Kapitel - diesmal mit etwas mehr angenehmer Gesellschaft seitens Jim.

Tja, da muss Sebby sich jetzt wohl erst einmal mit Jims schlechter Laune herumschlagen.

Ist vermutlich etwas zu früh, das zu fragen, aber was haltet ihr bisher von dem Ganzen?

Naja, jedenfalls wünsche ich euch noch schöne Feiertage. 😊❤

Wir lesen uns!

LG
     Tatze.

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