19. metanoia
metanoia: die Reise der Veränderung des eigenen Geistes, Herzens, Selbst oder der Lebensweise
-
Freitag, August
Sebastian war in seinem Leben bisher selten so nervös gewesen. Es kam ihm sogar so vor, als hätte er noch nie solche Aufregung verspürt, wie an diesem Abend, was ziemlich unwahrscheinlich und vermutlich auch sehr übertrieben war, aber Sebastian konnte einfach nicht anders denken.
„Willst du mir nicht endlich sagen, wieso wir hier sind, Sebastian?" Seine Mutter rührte in ihrem Cocktail und beobachtete amüsiert, wie Sebastian immer wieder seine Nervosität kundtat. „Auf wen warten wir?"
Ein Lächeln schlich sich auf Sebastians Lippen. „Du wirst schon sehen."
Heute, nachdem er und Jim mittlerweile über zwei Monate zusammen waren, würde Sebastian seiner Mutter endlich seinen Freund vorstellen. Bislang hatte er immer den richtigen Moment abgewartet, ihr zu sagen, dass er in einer glücklichen neuen Beziehung war, aber seine Mutter war die letzten Wochen sehr beschäftigt gewesen, genauso wie Sebastian und außerdem wusste er nicht, wie sie reagieren würde. Seine Sorgen waren eigentlich lächerlich. Dorothea Moran würde sich vermutlich mehr für Sebastian freuen als er selbst. Und das wusste Sebastian auch. Aber dennoch war er nervös. Weil es eben doch irgendwie ein großer Schritt war, den festen Freund seiner Mutter vorzustellen und ihn somit quasi in die Familie aufzunehmen.
Die Situation wurde nur dadurch noch verschärft, dass auch Jim seine Mutter mitbringen würde. Was Sebastians Aufregung verdoppelte, weil es nicht nur galt, dafür zu sorgen, dass seine Mutter erkannte, wie gut Jim ihm tat und wie glücklich er ihn machte, sondern auch dafür, dass Eliza ihn als Freund ihres Sohnes akzeptierte - er glaubte, ersteres würde deutlich weniger nervenaufreibend für Sebastian sein.
Am schlimmsten war jedoch, dass Jim und Eliza zu spät dran waren.
„Du bist wirklich nervös", stellte seine Mutter fest. Sie hatte ihre Haare zu einem unordentlichen Dutt gebunden, der nicht so recht zur Atmosphäre des schicken Restaurants passte, in dem sie saßen, aber den Charakter seiner Mutter mehr als nur gut reflektierte. „Erzähl mir bitte auf wen wir warten, ich bin auch schon ganz aufgeregt."
Tatsächlich rührte seine Mutter unablässlich mit dem Strohhalm in ihrem Getränk und sah immer wieder neugierig um sich.
Sebastian schüttelte grinsend den Kopf. Es tat gut, einfach mal wieder mit seiner Mutter zusammen zu sein, denn in letzter Zeit hatten sie sich immer verpasst und sich dementsprechend kaum gesehen. Er freute sich zu erkennen, dass die Sorgenfalten seiner Mutter nicht mehr so tief waren und dass ihr Lächeln so viel unbeschwerter wirkte. Dass ihre Geldprobleme weniger geworden waren, hatte Sebastian an ihrem Geburtstag bemerkt, als sie mit ihm eine Kinonacht gemacht hatte - von Mittag an hatten sie sechs Filme hintereinander gesehen und sich nur von Popcorn, Cola und Nachos ernährt. Sebastian war danach übel und gut gelaunt gewesen.
Plötzlich hielt seine Mutter im Rühren inne. Sie erstarrte geradezu und richtete ihren Blick dann langsam auf Sebastian, die Augen groß. „Warte. Sind wir hier, wieso ich denke, dass wir hier sind?"
„Deine Gedanken kann ich leider nicht lesen", stellte Sebastian fest. Er warf einen Blick auf die Uhr; der Zeiger rückte immer weiter und noch immer kein Zeichen von Jim und Eliza.
Seine Mutter strahlte ihn einfach an. „Ich glaube aber, dass ich recht habe. Und ich freue mich so für dich, mo chroí."
Sebastian schaffte es, verlegen zu lächeln und seine Sorge aufgrund der beinahe zwanzigminütigen Verspätung Jims zu verdrängen.
Als hätte Jim seine Gedanken gehört (was Sebastian gar nicht so unwahrscheinlich fand), vibrierte in diesem Moment sein Handy in seiner Hosentasche. Unter dem wissenden Grinsen seiner Mutter zog er es hervor und las sich die Nachricht, die Jim geschickt hatte, durch:
Tut mir leid, dass das so lang dauert. Mum hat sich geweigert mitzukommen, weil ich ihr nicht gesagt habe, wohin und zu wem es geht. Ich musste es ihr sagen. Jetzt sind wir zwar unterwegs, aber dafür löchert sie mich nun mit Fragen...
Sebastian grinste bei dem Gedanken, wie Jim im Auto neben seiner Mutter saß und Eliza ihn verhörte.
„Diejenigen, auf die wir warten, werden gleich kommen", verkündete er.
„Mehrere?" Seine Mutter zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Komm schon, sag mir, wer es ist. Ich platze vor Neugier!"
Sebastian lachte und schüttelte den Kopf. „Vergiss es - lass dich einfach überraschen."
Seine Mutter zog eine Schmolllippe.
Damit Sebastian nicht doch noch etwas verriet, wechselte er schnell das Thema: „Was ist eigentlich mit Mary?" Mary war eine Studentin von Dorothea, von der sie öfter erzählte, weil sie so begabt war. Seine Mutter war sogar zu so etwas wie eine Agentin für sie geworden und organisierte ihr immer Plätze für ihre Werke in Kunstausstellungen. „Was ist mit ihrer Bewerbung an diesem Museum?"
Seine Mutter wank ab. „Die haben immer noch nicht geantwortet. Ich werde denen wohl bald Feuer unterm Hintern machen müssen." Sie hielt kurz inne. „Warte. Ist Mary etwa deine neue Freundin?"
„Nein", antwortete Sebastian lachend - er war Mary ja bisher noch nicht einmal begegnet.
„Dann willst du also nur vom Thema ablenken", stellte seine Mutter fest.
Sebastian hob unschuldig lächelnd die Schultern.
Seine Mutter seufzte daraufhin leicht, dann begann sie plötzlich jedoch ebenfalls zu lächeln. „Ich wollte dir sowieso noch etwas erzählen, Sebastian. Ich habe nämlich eine tolle Nachricht."
Überrascht legte Sebastian den Kopf schief. „Wirklich?"
Dorothea nickte. „Du hast sicher bemerkt, dass ich in letzter Zeit oft länger gearbeitet habe. Und dass ich zu Hause viel gemalt habe."
Sebastian gab ein zustimmendes Brummen von sich - wie hätte er die ganzen Staffeleien, die ihm morgens den Weg zum Kühlschrank erschwerten, auch ignorieren können?
„Ich habe meine Bilder bei einer Kunstgalerie eingeschickt", verkündete Dorothea. „Und sie wollen sie alle ausstellen. Ich bekomme meine eigenen Galerie. Und nebenbei auch ein wirklich gutes Honorar."
Sebastian blieb für einen Moment der Mund offenstehen. „Wirklich?"
Seine Mutter nickte, woraufhin Sebastian aufsprang und sie, ungeachtet der verwirrten Blicke der anderen anwesenden Gäste, umarmte. „Das ist so cool! Seit wann weißt du es?"
„Schon seit diesem Montag. Mein Kollege hat mich an eine Agentur weiterempfohlen, wo ein Freund von ihm arbeitet. Der hat mir wiederum die Möglichkeit einer Ausstellung in der Kunstgalerie dargeboten. Und irgendwie hat es geklappt."
Sebastian setzte sich zurück auf seinen Stuhl, weiterhin grinsend. „Das ist so cool", wiederholte er. „Es freut mich, dass du diese Chance bekommen hast."
Das war wohl auch der Grund für die Kinonacht vor drei Tagen und dass seine Mutter, wenn er sie in letzter Zeit gesehen hatte, nicht mehr ganz so besorgt gewirkt hatte.
Seine Mutter setzte an, etwas zu sagen, doch da erblickte Sebastian, wie sich hinter ihr zwei Personen näherten und er sprang erneut auf, womit er sie unterbrach.
Sie folgte seinem Blick und auf ihrem Gesicht spiegelte sich Erstaunen wider. Doch sie lächelte Sebastian zu, ehe auch sie aufstand, um Jim und dessen Mutter zu begrüßen.
Irgendwie schaffte seine eigene Mutter es, Jim vor Sebastian abzufangen, weshalb der sich zuerst Eliza gegenüber wiederfand.
Eliza nahm Sebastian fest in die Arme, sodass er nur ein „Hi" hervorquetschen konnte.
„Pass ja gut auf meinen Sohn auf", sagte sie ohne jede Begrüßung, was Sebastian nervös auflachen ließ.
„Versprochen."
Er versuchte einen Blick auf Jim und seine Mutter zu erhaschen, aber Eliza machte noch immer keine Anstalten, ihn loszulassen, und so konnte er sich nicht zu ihnen umsehen.
„Ich freue mich sehr für euch."
„Danke."
Eliza drückte ihn noch einmal fest und entließ ihn dann, was Sebastians Rippen ihr sehr dankten. Sie lächelte ihn an und Sebastian war so erleichtert, dass er sich ganz schwerelos fühlte - das lief alles so viel besser als erwartet.
Eliza machte sich auf, Dorothea zu begrüßen. Sie fielen sich wie kleine Mädchen kichernd in die Arme und schon allein deshalb begann Sebastians Gesicht rot zu werden. Vor allem, wenn er daran dachte, dass ihre Mütter sie auf eine verdrehte Art und Weise und auf viele Umwege unwissentlich verkuppelt hatten - immerhin war es letztendlich Sebastians Mutter gewesen, die sich mit Eliza angefreundet und für Sebastian nach einem Job als Babysitter bei ihr gefragt hatte.
„Hey." Sebastians Aufmerksamkeit lag sofort auf Jim, als der sich ihm näherte. Er hatte sich ziemlich herausgeputzt: mit einer schwarzen Jeans und einem olivgrünen Hemd, dessen Kragen er hochgeschlagen hatte; die Haare trug er zurückgekämmt. Er sah gut aus.
Sebastian zog ihn in eine Umarmung, spürte Jims warmen Atem an seinem Hals. Jim legte die Arme um seinen Nacken und kurzzeitig erwartete Sebastian, dass Jim ihn küssen würde, aber er führte seine Lippen nur näher an Sebastians Ohr und raunte: „Das war die anstrengendste Fahrt meines Lebens. Ich hoffe, du erkennst an, dass ich das nur für dich ertrage." Jim löste sich langsam von Sebastian und trat einen Schritt zurück.
Grinsend erwiderte Sebastian: „Es verwundert mich ja eigentlich nur, dass Andrew und Dorian deiner Mutter nicht schon längst etwas erzählt haben."
Jim verdrehte nur die Augen. „Denkst du wirklich, sie haben die Klappe gehalten? Sie haben es ihr noch an dem Tag erzählt, als sie gesehen haben, wie wir uns geküsst haben. Mum wollte es nur noch einmal aus meinem Mund hören und hat deshalb vorhin einen so großen Aufstand gemacht."
Sebastian blickte zu ihrer beiden Mütter, die sich schon jetzt prächtig zu amüsieren schienen - irgendwie hatte Eliza bereits einen Champagner in der Hand, mit dem sie mit Dorothea anstieß.
Jim sah ebenfalls zu ihren Müttern. „Du brauchst dir übrigens keine Sorgen machen; meine Mutter ist begeistert von dir."
Sebastian küsste Jim schmunzelnd auf die Wange. „Ich mach mir keine Sorgen mehr."
<>
„Das war noch peinlicher als erwartet", stellte Jim fest, nachdem sie nach beinahe zwei Stunden das Restaurant allein verließen, um noch kurz spazieren zu gehen. Oder eher um zu flüchten.
Jim spielte auf die vielen Fragen an, die ihre Mütter gestellt hatten. Und die Begeisterung, mit der sie einander als Teil der Familie bezeichnet hatten. Und vermutlich auch auf die hunderten von Selfies, die sie miteinander und die nicht-ganz-so-heimlichen Fotos, die sie von Jim und Sebastian gemacht hatten, wenn die sich auch nur kurz angesehen hatten.
„Naja, wenigstens wissen wir, dass sie unsere Beziehung befürworten", merkte Sebastian an.
„Das nennst du befürworten?! Das grenzt schon an Besessenheit."
Sebastian sah amüsiert zu Jim, der sein Hemd aufgrund der Hitze mittlerweile hochgekrempelt und die ersten beiden Knöpfe geöffnet hatte. Obwohl es bereits halb Elf war, ging die Sonne erst jetzt unter und in der ganzen Stadt roch es nach Sommer und ein lauer Wind wehte, spielte mit Jims Haaren. Sebastian griff nach der Hand seines Freundes. „Ich will dir noch etwas zeigen."
Jim blickte ihn neugierig von der Seite an. „Achja, und was?"
Zur Antwort zog Sebastian ihn einfach hinter sich her zur nächsten U-Bahn-Station.
<>
Jim erkannte erst, wohin sie unterwegs waren, als der Fußgängertunnel bereits in Sicht kam. „Hast du...?", fragte er Sebastian begeistert, woraufhin dieser nur nickte.
Es war beinahe niedlich, wie Jim seine Schritte beschleunigte und Sebastian hinter sich her zog, als würden sie in dem Tunnel mehr als nur einige bunte Graffiti erwarten. Wie er aufgeregt um die Ecke lugte und sich dann grinsend zu Sebastian umdrehte. „Aber es ist nichts Unanständiges, oder?"
Sebastian verdrehte die Augen und kämpfte dagegen an, zu erröten - langsam sollte er Jims Sticheleien gewohnt sein. „Du wirst es doch gleich sehen."
„Ich wette, es ist etwas Unanständiges."
„Halt die Klappe!", befahl Sebastian und zog Jim weiter in den Tunnel hinein.
Es gab keinerlei Beleuchtung, doch durch die vielen bunten Farben wirkten die Tunnelwände dennoch erhellt. Sie liefen nur wenige Meter weit hinein. Kurz spielte Sebastian mit dem Gedanken, Jim die Augen zuzuhalten, doch mittlerweile kannte er Jim gut genug, um zu wissen, dass der ihm seine Geheimnistuerei mit einem Tritt in die untere Region danken würde.
Es war erstaunlich, wie viel besser er Jim innerhalb von wenigen Monaten kannte. Und es war erfrischend, denn normalerweise kam es Sebastian vor, als würde es eine Ewigkeit dauern, jemanden kennenzulernen, aber bei Jim und ihm war das nicht so gewesen, wofür Sebastian dankbar war, weil Jim ungeheuer kompliziert sein konnte und es eine Ewigkeit gedauert hätte, ihn auf konventionelle Art kennenzulernen.
„Wann hast du es beendet?", fragte Jim, während er die Wände mit Blicken nach Sebastians Graffiti absuchte - was nicht so leicht war, da das hier quasi ein Meer aus Sprühfarbe und den unterschiedlichsten Motiven war und Jim nicht wissen konnte, wonach er suchen musste.
„Vorletzte Nacht."
Jim machte ein empörtes Gesicht. „Ich hätte mitkommen können. Du hast gesagt, du hättest keine Zeit für mich, weil du etwas anderes zu tun hast!"
„Hatte ich ja auch. Es sollte eine Überraschung sein." Sebastian fasste Jim sanft an den Schultern und drehte ihn in die richtige Richtung, deutete anschließend auf sein jüngstes Graffiti, dessen Farbe noch heller strahlte als die seiner Nachbarn und das sich perfekt in den Teppich aus Kunst einwob.
Jims Blick folgte seinem Fingerzeig. Ein leises Lächeln schlich sich auf seine Lippen und er trat einige Schritte näher an die Wand heran.
Es war ein menschliches Herz, welches ein Universum beherbergte, in dem zwei Silhouetten zwischen den Galaxien schwebten. Während sie sich an den Händen hielten, hatten sie den Blick nach oben zu den Sternen und der Unendlichkeit gerichtet.
Sebastian wusste nicht, ob Jim das Bild verstand. Aber er glaubte fest daran, denn Jim war schnell zu einem Teil von ihm geworden und so stellte dieses Bild nicht nur Sebastian, sondern auch ihn dar.
„Wow", hauchte Jim neben ihm, als hätte er erst jetzt seine Sprache wiedererlangt. „Ich liebe es."
Sebastian sah ihn von der Seite an und biss sich auf die Zunge. Kurz darauf drehte Jim sich zu ihm um und sah ihn lange an. Sebastian könnte schwören, dass das von ihm erschaffene Universum sich auch in Jims dunklen Augen widerspiegelte, die ihn jedes Mal aufs Neue in den Bann zogen und ihn alles vergessen lassen konnten. Weil Jim so aufrecht und verletzlich wirkte, wenn man ihm in die Augen schaute - obwohl Sebastian dies anfangs nicht erkannt hatte. Doch seitdem er es doch getan hatte, schien jeder seiner Gedanken zu Jim zu wandern und wann immer sie sich ansahen, verlor Sebastian sich in Jims Augen und ihrem persönlichen Universum.
Sebastian beugte sich zu Jim hinunter, um ihn zu küssen und ihre Lippen passten perfekt aufeinander und formten sich zu einem Lächeln.
Noch während sie sich küssten, zog Jim Sebastian am Kragen weiter nach unten und hielt nur kurz inne, damit sie sich beide zu Boden gleiten lassen konnten, gegenüber Sebastians Graffitis, ehe er sich an Sebastian schmiegte und ihre Münder wieder aufeinandertrafen.
Es war schön, gerade in diesem Moment gerade hier mit Jim zu sein. Sebastian wäre nirgendwo lieber und als Jim langsam durch seine Haare fuhr und eine Art wohliges Seufzen von sich gab, war Sebastian so glücklich, dass er glaubte, nie wieder atmen zu müssen, solange Jim bei ihm war und ihm den Atem raubte.
Irgendwann löste Jim sich von Sebastian und drückte ächzend seinen Rücken, der an der Mauer hinter ihm gelehnt hatte, durch. „Das ist ganz schön unbequem."
Sebastian zog Jim bereitwillig an sich und ließ sich von ihm als Kissen missbrauchen. „Besser?"
Jim murmelte zustimmend, lehnte seinen Kopf so nach hinten, dass er auf Sebastian Brust lag, direkt bei seinem Herzen. Sebastian war sich ziemlich sicher, dass dieses gerade einen Freudenstanz aufführte und hoffte, dass Jim es nicht bemerken würde - er würde ihn sicher aufziehen.
Beinahe unbewusst griff Jim wieder nach Sebastians Hand und verschränkte ihre Finger miteinander, woraufhin Sebastian ihn noch ein wenig näher an sich zog und ihm einen Kuss auf den Scheitel gab.
„Nächstes Jahr werde ich wieder auf eine öffentliche Schule gehen", erzählte Jim nach einer Weile mit gesenkter Stimme, als würde die Ruhe dieses Ortes sonst gestört werden. „Ich habe vor einigen Tagen mit Mum darüber gesprochen und weil Doktor Donnelly meinte, es wäre in Ordnung, solange ich weiter meine Medikamente nehme, hat sie beschlossen, mich gehen zu lassen."
Sebastian lächelte leicht. „Schluss mit Hausarrest?"
„Fürs Erste scheinbar ja." Sebastian konnte das Grinsen aus Jims Stimme heraushören. Schließlich drehte Jim sich so, dass er Sebastian ansehen konnte, was erneut nicht sonderlich bequem wirkte. „Was ist mit dir? Hast du nicht gesagt, du willst das Schuljahr wiederholen?"
Sebastian nickte. „Má und ich haben das mit der Schule besprochen. Ich versuche es noch einmal mit hoffentlich besseren Noten und wenn alles gut läuft, werde ich studieren."
Jim hob die Augenbrauen. „Und was?"
„Keine Ahnung. Irgendwas." Sebastian hob grinsend die Schultern und ignorierte, wie Jim belustigt über ihn schnaubte.
Kurz schien Jim zu überlegen, strich dabei mit dem Zeigefinger seiner freien Hand feine Linien über Sebastians Haut, sodass er erschauderte. „Ich würde gern mit dir auf eine Schule gehen", sagte er schlussendlich. „Aber Mum hat mich schon bei dieser Privatschule angemeldet..."
Sebastian stellte sich vor, wie es wäre, würde Jim auf seine Schule gehen. Die Pausen, die sie miteinander verbringen könnten. Sie könnten zusammen Mittag essen und eines dieser nervigen Paare sein, die sich andauernd an den Händen halten oder sich plötzlich mitten auf dem Gang küssen. Es wäre schön, hätte er noch Jim, damit er nicht ganz so allein war. Obwohl er Molly vermutlich damit vergraulen würde. Dafür würde Greg keine dummen Sprüche reißen können, weil er, anders als Sebastian, in diesem Jahr seinen Abschluss gemacht hatte und nun vorhatte, zu studieren und dann bei der Polizei anzufangen.
Das Jahr würde seltsam werden, weil fast alle, mit denen er wirklich viel zu tun hatte, weg wären und studieren oder arbeiten würden. Dennoch war es vermutlich besser, dass Jim nicht mit ihm zusammen zur Schule gehen würde - letztendlich musste Sebastian seine zweite Chance nutzen und sich anstrengen und er zweifelte nicht daran, dass es ihn ziemlich ablenken würde, wäre sein fester Freund bei ihm.
„Ist schon okay. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich dich auch so genug nerven werde, weil ich dir immer schreiben werde", versicherte Sebastian.
„Tust du doch jetzt schon", merkte Jim neckisch an.
Sebastian schnipste ihm gegen den Hinterkopf, woraufhin Jim beleidigt nach seiner Hand schlug und sich dann halb auf Sebastian rollte, nur, um ihm als Revanche ebenfalls gegen die Stirn zu schnippen. Danach blieb er zufrieden einfach auf Sebastian liegen, der sich ja beschwert hätte, wäre es nicht Jim und würde er dessen Nähe nicht so genießen.
Als Sebastians Handy vibrierte und er versuchte, es aus seiner Tasche zu ziehen, fiel Jim jedoch beinahe wieder herunter, woraufhin er einen empörten Laut von sich gab, ehe er sich wieder von Sebastian herunterrollte und neugierig zusah, wie der die empfangene Nachricht las.
„Oh Gott." Sebastian verzog das Gesicht. „Má schreibt, dass sie noch mit Eliza unterwegs ist und wir nicht zu lang draußen bleiben sollen. Weißt du, was das heißt?" Er machte eine Pause um des Dramas Willen. „Unsere Mütter sind zusammen feiern gegangen."
Jim mimte seine verstörte Grimasse, dann legte er jedoch den Kopf schief und sah Sebastian nachdenklich an.
„Was?"
„Heißt das, dass wir in deiner Wohnung ungestört wären?"
Sebastian lachte und sprang auf. Dann zog er Jim hoch. „Vermutlich."
Zusammen verließen sie erst den Fußgängertunnel und stiegen dann in eine Tube, die sie zu Sebastian nach Hause bringen würde.
Während der Fahrt erzählte Sebastian die Neuigkeiten, die seine Mutter ihm überbracht hatte, und Jim, dem er nie richtig etwas über ihre Geldprobleme erzählt hatte, freute sich mit ihm und lauschte amüsiert, als Sebastian darüber sinnierte, ob eine berühmte Künstlerin als Mutter zu haben, den Wert seiner Graffiti steigern oder sie weniger illegal machen würde.
Als sie schließlich die Treppen der Tube-Station nach draußen hochliefen, war es tiefdunkel und tatsächlich auch etwas frischer geworden. Da keiner von ihnen mehr als nur ein dünnes Hemd trug, beeilten Jim und Sebastian sich zur Wohnung zu kommen, bevor die Nacht noch weiter voranschritt.
„Wir müssen etwas essen, wenn wir angekommen sind", verlangte Jim.
Sebastian sah ihn schräg an. „Wir waren gerade erst in einem Restaurant."
„Ich weiß, aber diese ganzen Cafés wecken mein Verlangen nach Scones." Jim deutete mit einer allumfassenden Geste um sich - tatsächlich liefen sie gerade eine Straße entlang, in der jeder zweite Laden ein Café oder ein kleiner Imbiss zu sein schien.
Sebastians Blick blieb an einem der Cafés hängen und ohne es zu bemerken, wurde er etwas langsamer.
Dort hatte er sich vor mehr als zwei Monaten mit Harper getroffen. Hatte sich endlich vollständig von ihm losgesagt. Und bis jetzt hatte er auch keine Nachricht oder andere Kontaktversuche mehr von seinem Exfreund erhalten. Was erleichternd war und dafür sorgte, dass er das Café als eine Art Ort der Befreiung sah und es den Drang in ihm weckte, einzubrechen, nur, um Jim zu zeigen, wo er sich das erste Mal widersetzt und verteidigt hatte und wo Jim ihn durch eine kurze Nachricht sozusagen zur Revolte inspiriert hatte - obwohl Jim nicht einmal wusste, dass Sebastian sich noch einmal mit Harper getroffen hatte und obwohl Sebastian nie irgendwo einbrechen würde. Dennoch gefiel es ihm, daran erinnert zu werden, dass er ein anderer Mensch als noch vor wenigen Wochen war - weil er sich so besser gefiel und weil er endlich wieder frei atmen konnte ohne irgendwelche Schlingen um den Hals oder Ängste, die ihn zurückhielten.
„Trödel nicht so." Jim zog ihn schneller voran, sodass Sebastian gezwungen war, seine Schritte wieder zu beschleunigen.
Obwohl Jim erst einmal bei Sebastian zu Hause gewesen war, schien er den Weg bestens zu kennen und so gelangten sie innerhalb weniger Minuten an die Haustür.
Sebastian kramte nach seinem Schlüssel und drückte dabei Jims Hand, die er noch immer nicht losgelassen hatte.
Jim sah zu ihm und lächelte. Sebastian erwiderte sein Lächeln.
»«
Wörter: 3547
Lied: C'mon ~ Panic! At The Disco & Fun
-
Sooo...
Und das ist das Ende. Ich weiß, schnulzig und so, aber ich dachte, es ist mal Zeit für ein glückliches Ende, etwas, das die Beiden wirklich nur in einem Alternativuniversum bekommen können.
Es hat mir echt Spaß gemacht, diese Geschichte zu schreiben, sie hat sich relativ schnell entwickelt und auch, wenn sie an einigen Stellen recht kurz geraten ist, da sie nicht erneut ausarten sollte, gefällt sie mir eigentlich ganz gut.
Im Übrigen: Ich weiß nicht, ob diese Geschichte eine Moral hat. Aber wenn, dann nicht, dass man nur klarkommt, wenn man jemanden findet, der einem helfen kann. Viel mehr, dass auch die dunkelsten Zeiten überwunden werden können und man sich manchmal einfach öffnen muss, um ein wenig Licht in die Finsternis zu lassen. Das Leben ist hart, aber deshalb darf man nicht aufgeben. Man muss kämpfen und dann wird man belohnt - mit etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Ich weiß, es ist schwer so zu denken; mir selbst fällt es auch oft sehr schwer. Aber wir schaffen das.
Das war eigentlich alles, was ich dazu noch sagen wollte.
Vielen Dank an ProfessorLMoriarty und sibirica_1, die mir mit jedem Kommentar ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert haben. Ihr wisst nicht, wie viel mir das bedeutet :)
Ich hoffe, euch hat die Geschichte gefallen. Eure Meinungen, Verbesserungen und Wünsche, was ich als nächstes schreiben könnte, sind gern gesehen.
Wir lesen uns!
Eure
Tatze.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top