Kapitel 9

Grace Augen wurden groß. Wieso wollte Maddi unbedingt nach unten? Sie war doch sonst immer viel entspannter, wenn mal Menschen kurz das Haus betraten. Selbst am Wochenende, wo Grace Freunde ja da waren, hatte sie laut Vance keine großen Probleme gemacht. Aber heute schien da irgendwas in ihrem Kopf zu sein, was sie nach unten zog.
„Maddi, du weißt, dass das zu gefährlich ist.“ antwortete Vance mit einem Seufzen und zog seine kleine Schwester in den Arm. Sie schien nicht gesagt zu haben, was sie wollte, bevor Grace nach oben gekommen war.
„Aber ich hab doch eben gegessen, ich bin satt.“ Maddi sah mit einem bettelnden Blick zu ihrer Schwester, die diesem nicht lange standhalten konnte und sich schnell weg drehte.
„Nein, Vance hat Recht. Vielleicht wenn Mama und Papa wieder da sind und ein Auge auf dich haben. Aber so ist das noch zu gefährlich.“ stimmte Grace ihrem Bruder zu und sah aus dem Augenwinkel, wie Matt sie mit einer kurzen Kopfbewegung aus dem Raum raus bat. Dann stand er auf und ging vor die Tür. Vance sah ihm irritiert hinterher, ließ dann aber Grace mit ihm gehen, da er immer noch Maddi auf dem Schoß hatte. Irgendwas schien Matt auf dem Herzen zu liegen, aber er wollte nicht, dass Maddi es hörte.
„Ich würde sie an eurer Stelle gehen lassen.“ sprach Matt, gleich als sie außer Hörweite für Maddi und Vance waren.
„Das ist zu gefährlich. Was ist, wenn sie Logan wirklich etwas tut? Papa wird ausrasten. Wir können das nicht verantworten.“
„Aber sie krampfhaft fern zu halten ist viel gefährlicher. Was wenn sie irgendwann wegrennt und in die Innenstadt geht oder so? Jetzt wäre der perfekte Moment um sie langsam an fremde Menschen zu gewöhnen. Maddi hat es doch selber gesagt, sie ist satt. Wahrscheinlich wird sie nicht mal merken, dass sie da einem normalen Menschen gegenüber sitzt. Und sollte sie wirklich irgendwas versuchen sind Vance und ich ja da um sie aufzuhalten. Vertrau mir.“ Matt sah ihr tief in die Augen.
Zwiegespalten sah Grace ins Wohnzimmer, in dem Maddi und Vance saßen, und dann nach unten, wo Logan saß. Sollten sie es wirklich wagen? Wenn Maddi wirklich etwas versuchen sollte, könnten ihr Bruder und Matt zwar eingreifen aber dann wäre es auch zu spät. Logan wüsste dann mit Sicherheit, dass sie keine Menschen waren.
„Können wir das wirklich verantworten? Das ist unglaublich gefährlich.“
„Ich pass auf. Wenn irgendwas passieren sollte, werde ich die volle Verantwortung tragen.“ Matt lächelte sie beruhigend an und zuckte dann bei seinen nächsten Worten mit den Schultern: „Weiter sinken kann ich bei deinen Eltern sowieso nicht mehr. Ich hab nichts zu verlieren.“
Grace lachte auf und nickte dann. „Vance trägt hier offiziell die Verantwortung, aber ich vertraue dir. Ich muss jetzt wieder nach unten, vielleicht kommt ihr gleich nach.“

Unten ließ Grace sich mit einem Seufzen wieder neben Logan auf dem Sofa nieder und er sah sie besorgt an. „Macht deine Schwester Probleme?“ fragte er und Grace nickte.
„Eben ging es ihr nicht gut. Und jetzt ist sie wieder unser kleiner Sonnenschein und will dich unbedingt kennenlernen.“ fasste sie es kurz zusammen und nahm sich ein Glas, um es mit Wasser zu füllen und direkt auszutrinken.
„Ist doch niedlich. Ich würde mich freuen, wenn sie her kommt.“
Grace lächelte ihn nach seinen Worten dankbar an und nahm sich dann wieder das Buch, welches sie auf dem Kaffeetisch gelegt hatte. „Wo waren wir?“
„Kurz vor Queensland glaube ich.“ Logan schlug seinen Collageblock auf, sah seine Notizen an und nickte dann, seine Antwort damit selber bestätigen. Zusammen setzten sie also dort wieder an und versuchten noch ein wenig zu lernen, bis sie dann tatsächlich Schritte auf der Treppe hörten und Vance zusammen mit Maddi zu ihnen rein kam.
„Hi.“ meinte Grace‘ Bruder schlicht und stupste seiner kleinen Schwester dann in die Seite. Schüchtern sah sie zu Vance und dann zu ihrer Schwester, neben welcher der ihr noch fremde Mensch saß.
Grace nickte ihr aufmunternd zu und lächelte. Sie fand ihre Schwester gerade unglaublich niedlich und es schien wirklich so, als würde sie gar nicht merken, dass sie einem Menschen gegenüber stand.
„H-Hallo.“ murmelte sie so leise, dass man sie nur mit Mühe verstand.
„Logan, das sind meine Schwester Madison und mein Bruder Vance.“ stellte Grace die beiden Neuankömmlinge lächelnd vor und diese setzten sich dann gegenüber von ihnen auf das Sofa. „Das ist Logan, ich hab ja schon von ihm erzählt.“ Logan sah überrascht zu Grace, während sich ein leichter Rotschimmer auf seine Wangen legte.
„Wo ist Matt?“ fragte Grace ihren Bruder, als sie den stechenden Blick bemerkte, mit dem Maddi zu Logan sah. Sie starrte ihn an, als könnte sie kaum glauben, dass ihr ein Mensch gegenüber saß. Irgendwie machte es Grace etwas nervös.
„Der kommt gleich, er wollte nur noch Gläser aus der Küche holen.“ antwortete Vance und sah auf den großen Torbogen, als Matt durch diesen trat. In der einen Hand hielt er zwei Weingläser, während er in der Anderen die Flasche hielt, welche Grace mit aus dem Keller geholt hatte.
„Ich denke das haben wir uns jetzt verdient.“ meinte Vance, als er seinem besten Freund die Flasche abnahm und sie öffnete.
„Ich habe ja ein leichtes, schlechtes Gewissen.“ sprach Matt, während er sich auf das Sofa setzte und sein Glas zu Vance hielt, der ihm dann etwas von der roten Flüssigkeit in sein Glas füllte. „Aber gleichzeitig ist das jetzt auch genau das was ich brauche.“
Die beiden Jungs stießen an und tranken ihr Glas direkt leer. Logan saß einfach nur da und starrte sie ungläubig an. In seinen Augen war das Wein. Nicht nur, dass zwei junge Männer ihm hier gegenüber saßen und um die Mittagszeit herum ein Glas Wein nach dem anderen tranken, der eine war auch noch der Schulsprecher seiner Schule.
Für Grace war es nur etwas ungewöhnlich, dass Vance Blut trank. Alle übernatürlichen Wesen konnten Blut trinken, wenn sie es wollten, doch gerade Werwölfe wie Vance taten dies recht selten. Es hatte eine ähnliche Wirkung wie Alkohol und alle bekannten Fälle von Werwolfangriffen auf Menschen, waren im Zusammenhang mit zu viel Blut entstanden. Vance trank für gewöhnlich nur zu besonderen Anlässen.
„Du heißt Logan?“ fragte Maddi in die aufgetretene Stille und Angesprochener nickte. Er wusste nicht was er groß antworten sollte, aber das war auch nicht nötig, da Maddi direkt weitersprach.
„Magst du puzzeln?“ Vance und Matt lachten auf, aber auch Logan musste schmunzeln.
„Ja, ziemlich gerne sogar. Du auch?“
„Ich liebe puzzeln. Willst du sehen, was ich gestern mit Grace gepuzzelt habe?“
„Vielleicht später, okay Süße.“ brach Vance das Thema ab und zog Maddi auf seinen Schoß, wo sie dann sein Handy in die Hand gedrückt bekam, um ein Spiel zu spielen. Vance und Matt hatten abgesprochen, dass Maddi bei ihnen bleiben durfte, solange sie sich mit irgendwas ablenken konnte. Sie sollte nicht zu viel darüber nachdenken müssen, dass hier neben Grace noch ein Mensch unter ihnen war und ihn eher unterbewusst wahrnehmen, um sich langsam daran zu gewöhnen.
„Ich hab einen kleinen Bruder, der war in dem Alter auch lange so drauf. Das ändert sich mit der Zeit.“
Vance schmunzelte und nippte an seinem Glas. „Wenn du's sagst.“
Die vier kamen ein wenig ins Gespräch. Vance fragte, wie ein großer Bruder mit leicht übertriebenem Beschützerinstinkt, den Jungen aus, der von seiner kleinen Schwester Nachhilfe brauchte. So erfuhr Grace, aber auch Matt, einiges über Logan, was sie noch gar nicht wussten.
„Ich koche eigentlich ziemlich gerne. Meine Eltern sind viel unterwegs, also habe ich es mir mit der Zeit selber ein wenig beigebracht. Ich denke schon, dass ich recht gut bin.“ erzählte Logan und Vance nickte verstehend bevor er sich dann nach hinten lehnte und entspannt den Kopf in den Nacken lehnte.
Er schien endlich verstanden zu haben, dass Logan nur ein ganz normaler Mensch war. Niemand besonderes, eher der ruhige Typ, aber herzensgut. Das Einzige, was Grace überrascht hatte war, dass Logan Kampfsport betrieb. Seine Eltern schienen ihn da wohl schon recht früh ran geführt zu haben und er war dabei geblieben. Grace hatte ihn gar nicht so eingeschätzt.
„Sie sagen immer, dass es gut ist sich selbst verteidigen zu können. Aber ich weiß ja nicht, wann ich mich mal so verteidigen muss, dass ich mein Wissen vom blauen Gurt anwenden muss.“
„Vielleicht machen sie sich einfach Sorgen, dass du irgendwann mal von ein paar Karate-Kindern überfallen wirst. Dann könnte dir das echt das Leben retten.“ antwortete Vance mit einem breiten Grinsen und Logan lachte auf.
„Ich denke, der Hintergrund ist noch verrückter. Meine Eltern sind etwas abergläubisch. Ich habe die Vermutung, dass es was damit zu tun hat.“
„Wie verrückt können deine Eltern denn sein, um dich seit du keine Ahnung wie alt warst, zum Karate-Profi zu erziehen?“ fragte Grace und sah zu ihrem Mitschüler. Schon vorhin meinte Logan, dass seine Eltern etwas eigen waren. Aber so komisch konnten sie doch gar nicht sein.
„Es ist mir ehrlich gesagt etwas unangenehm, aber meine Eltern glauben an unrealistische Sachen. Sie sagen immer, dass sie irgendwelche Monsterjäger oder so sind. Und dass ich mich verteidigen können muss, weil hier überall böse Energie ist und ich mit starkem Geist herumlaufen muss, um sicher zu sein.“ Logan rollte mit den Augen und ging davon aus, dass alle anfangen würden zu lachen. Doch es blieb still.
Matt war der Erste, der eine Regung zeigte. „Monsterjäger also.“ wiederholte er und füllte sein Glas erneut mit der dunkelroten, dickflüssigen Flüssigkeit auf. „Deine Eltern sind ja ganz nett,“ er nahm einen Schluck von seinem Glas und dachte zurück an den Elternabend letzte Woche, bei dem er als Schulsprecher auch anwesend war und sich super mit Logans Eltern verstanden hatte, „aber die Besten in ihrem Job scheinen sie ja nicht zu sein.“
Man sah Logan an, dass er nicht verstand, was Matt damit sagen wollte, aber Maddi, die ihre Aufmerksamkeit von dem Spiel gerade an das Gespräch gelenkt hatte, reagierte direkt.
„Also denkst du, dass die dich nicht mögen weil du ein V-“
„Stop!“ rief Vance und hielt seiner Schwester den Mund zu. „Oh, so spät schon. Ich denke du solltest langsam ins Bett gehen. Komm, ich bring dich nach oben.“ Er stand auf und trug Maddi aus dem Raum, die laut protestierte, dass sie noch gar nicht müde war.
Grace, welche schon das Chaos vor sich gesehen hatte, sah zu Matt, welcher schmunzelnd hinter den Geschwistern hinterher sah. Kurz sah sie zur Uhr, es war gerade einmal 17 Uhr. Vance würde wohl etwas länger brauchen, um seine Schwester um diese Uhrzeit schon ins Bett zu bekommen.
„Weil du? Weil du was?“ fragte Logan und Matt wandte sich wieder ihm zu. Dieser nahm wieder einen Schluck aus seinem Glas und stellte es dann auf dem Tisch ab. Matt selber war total entspannt, sah aber als er zu Grace sah ganz genau, dass es ihr komplett anders ging.
„Entspann dich. Ich regle das.“ sprach er an sie gewandt und lehnte sich dann vor, um seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln abzulegen.
„Was glaubst du denn, was sie vielleicht hätte sagen wollen?“ Er sah Logan tief in die Augen, der auf Grund des plötzlichen Stimmungswechsels seines Schulsprechers nervös wurde. Matt konnte deutlich beobachten, wie Logan's Blick unsicher durch den Raum sprang. Er fokussierte nichts, er wurde nervös.
„Du meintest, deine Eltern jagen also beruflich Monster.“ legte Matt den Weg in die Richtung frei, in die das Gespräch laufen sollte und lehnte sich wieder nach hinten, wo er den Kopf in den Nacken lehnte. „Aber du glaubst nicht, dass so was existiert.“
Auch wenn seine Worte keine Frage waren, dachte Logan trotzdem nach, ob Matt Recht hatte. Glaubte er an Monster?
„Oder bist du dir vielleicht gar nicht mal so sicher, ob deine Eltern nicht vielleicht sogar Recht haben und Monster wirklich existieren?“
Logan schwieg, während er angestrengt nachdachte. Er erinnerte sich ganz genau, dass er früher immer alles geglaubt hatte, was seine Eltern ihm erzählt hatten. Aber so was war auch normal für Kinder. Irgendwann hatte er dann angefangen ihre Worte in Frage zu stellen. Aber eins hatte er sich dabei nie gefragt.
„Was gilt denn als Monster?“ fragte er, da ihm keine Erklärung einfiel und Matt zuckte mit den Schultern.
„Sag du es mir. Es geht darum was du glaubst.“ Zufrieden sah er zu, wie Logan sich den Kopf über Matt's Worte zerbrach. Das Gespräch hatte sich langsam aber sicher in eine philosophische Richtung gewendet. Grace sah erstaunt und ehrfürchtig zu Matt, der wieder an seinem Glas nippte.
„Sind Monster diese kleinen bunten Gestalten aus dem Fernsehen, sind es Vampire und so ein Kram oder gelten schon Menschen die Anderen schlimme Sachen antun als Monster?“ fragte er und hatte Logan damit komplett aus dem Konzept gebracht.
„Monster...“ murmelte er und sah dann mit einem klareren Blick zu Matt, „Monster können alles sein.“
„Aber was sind sie in deiner Vorstellung. Was für Monster stellst du dir vor, wenn du an die Monster denkst, die deine Eltern jagen?“
„Laut meinen Eltern sind es so was wie Vampire, Werwölfe und so.“ antwortete Logan und Grace wurde langsam wieder nervös. Sie wollte Matt vertrauen und daran glauben, dass er Logan nicht auf die richtige Fährte lockte, aber irgendwie war Logan gerade viel zu nah an der Antwort.
„Aha. Dann kommen wir jetzt wieder zurück zu der ursprünglichen Frage: Existieren diese Monster?“
Logan sah zu Matt. Sie sah sich tief in die Augen und einen Moment lang schien es Grace so, als würden die Beiden einen Starrwettbewerb gestartet haben. Dann setzte Logan wieder zum Sprechen an und seine Worte brachten Grace zum Erstarren.
„Sag du es mir. Was bist du?“

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