Kapitel 8
Grace fühlte sich mit jedem Tag wohler an ihrer Schule und vor allem mit ihren Freunden. Jeder hier war unglaublich nett zu ihr, selbst jetzt, wo sie ihrer Klasse ihre Hand mit den fehlenden Fingern gezeigt hatte. Matt legte es ihr ans Herz und sie hatte all ihren Mut zusammengenommen, um es erst ihren Freunden zu sagen und dann ganz selbstverständlich herumzulaufen, ohne ihre Hand in einem langen Ärmel zu verstecken. Niemand hatte irgendwas dazu gesagt. Ihre Freunde haben ihr direkt klar gemacht, dass ihnen das egal ist und es ja nichts daran ändert, wer Grace ist. Und dann wurde sie ausgelacht, dass sie deswegen die ganze Zeit nervös war. Grace war unglaublich glücklich, solch tolle Freunde gefunden zu haben.
„Daria hat mir noch immer nicht geantwortet.“ sprach Grace eher zu sich selbst, verwundert darüber, dass ihre beste Freundin aus New Orleans sich seit über einer Woche nun schon nicht mehr gemeldet hatte, aber dennoch bekam sie eine Reaktion von ihrem Bruder, der quer auf dem Sofa im Wohnzimmer lag.
„Vielleicht hat sie ihr Handy verloren?“ überlegte er, grinste dann aber breit und sah zu seiner Schwester, die kopfüber auf dem zweiten Sofa saß und den Kopf auf dem Boden gebettet hatte. „Oder vielleicht ist sie auch wieder in Therapie, ein Rückfall.“
„Ja, klar.“ Grace rollte mit den Augen und ließ ihr Handy auf den Boden plumpsen.
„Worüber redet ihr?“ fragte Maddi, welche mit einem Puzzle in das Zimmer kam und sich daran machen wollte, die Teile auf dem Kaffeetisch zu verteilen.
„Halloween vor zwei Jahren, erinnerst du dich daran noch?“ fragte Vance und erhob sich dann schnell vom Sofa um seiner kleinen Schwester den Karton aus der Hand zu nehmen.
„Ich hab doch gesagt, dass wir das oben machen müssen. Grace bekommt doch gleich Besuch.“ erinnerte er sie, als Maddi gerade zu protestieren anfangen wollte.
„Stimmt! Dieser Mensch, der auch letztens schon hier war?“ fragte sie ihre Schwester, welche sich währenddessen vernünftig auf dem Sofa hinsetzte, da ihr langsam das Blut zu Kopf stieg.
„Genau. Logan kommt heute, damit ich ihm bei der Schule helfen kann.“ erklärte sie ihrer Schwester und sah dann auf die große Standuhr in der Ecke. Er müsste jeden Moment kommen.
Sie hatte ihre Eltern gefragt, und nach dem Versprechen von Vance, dass er mit Maddi auf keinen Fall in seine Nähe kommen und sie niemals aus den Augen lassen würde, hatten Olivia und Lewis der Bitte ihrer Tochter zugestimmt. Es war mittlerweile schon Dienstag, bald würden ihre Eltern auch wiederkommen, aber da sie am Freitag schon ihre Arbeit schrieben, mussten Logan und sie so langsam mal mit dem Lernen anfangen.
„Wann kommt Matthiew?“ hörte Grace ihre kleine Schwester fragen, als diese mit Vance zusammen die Treppe nach oben hing, um dort das Puzzle zu starten. Sie lachte und trat dann an die Treppe, um ihren Bruder anzusehen.
„Aha, Matt kommt also vorbei?“
„Als ob dich das noch überrascht. Wir müssen die Zeit nutzen bis Mama und Papa wiederkommen.“ rief er lachend runter.
Maddi trat an das Geländer und sah zu ihrer Schwester nach unten. „Ich mag Matthiew. Er ist lustig.“
Grace freute sich, dass Maddi sich mit dem besten Freund ihres Bruders verstand. Sie konnte sich denken, wie einsam das Leben für sie sein musste, wenn sie nicht raus und Freunde sehen konnte. Sie hatte außer ihrer Familie niemanden. Dass jetzt immer jemand zu Besuch kam, jemand, mit dem sie sich auch gut unterhalten konnte, ohne dass irgendwer aufpassen musste, war sicher eine große Sache für sie.
Grace ging in die Küche, um Getränke zu holen und stellte diese ins Wohnzimmer. Ihre Schulsachen hatte sie schon dort liegen, jetzt fehlte nur noch Logan. Erneut sah Grace auf die Uhr. Logan war für gewöhnlich immer pünktlich, wieso verspätete er sich jetzt auf einmal?
Als es dann klingelte sprang Grace direkt auf um Logan rein zu lassen.
„Du bist spät, ich hab mir schon Sorgen- Oh.“ Sie ließ Matt enttäuscht rein, welcher über ihre Reaktion nur lachte und seine graue Bomberjacke dann in die Garderobe hing.
„Bist du enttäuscht mich zu sehen?“ fragte er traurig, grinste sie dabei aber widersprüchlich an.
Grace sah aus dem Fenster, ob sie Logan irgendwo sehen konnte und antwortete ihm dann, dass sie nur auf jemanden warten würde.
„Wenn dieser Jemand Logan sein sollte, der sitzt mit seinen Eltern im Auto etwas weiter vorne in der Straße. Sie scheinen sich zu streiten.“ Grace nickte verstehend. Dann schien Logan von seinen Eltern aufgehalten worden zu sein.
„Maddi wartet oben. Sie hat ihr Lieblingspuzzle schon ausgepackt.“ informierte Grace ihn grinsend und Matt seufzte.
„Sie ist ja wirklich niedlich, “ fing er an und lehnte sich dann leicht zu Grace, damit Maddi ihn auf keinen Fall hören konnte, „aber sie braucht unbedingt Freunde. Sie nimmt einen ziemlich ein.“
„Aber sie ist süß.“
„Sie ist das niedlichste Kind das ich kenne! Und deswegen kann ich auch nie nein sagen, wenn sie mich wieder zu ihren Teepartys einlädt.“
Grace fing an zu lachen und Matt stieg mit ein. Anschließend ging er nach oben um Maddi nicht noch länger warten zu lassen und Grace konnte kurz darauf das freudige Rufen von Maddi hören.
Einen Moment lang stand Grace unschlüssig im Flur, setzte sich dann jedoch wieder ins Wohnzimmer und wartete weiter auf Logan. Er war ja schon fast da.
Als er aber zehn Minuten später noch immer nicht angekommen war, beschloss Grace ihm eine Nachricht zu schreiben. Vielleicht stritt er sich ja wirklich gerade mit seinen Eltern. Möglicherweise konnte er den Streit beenden und raus kommen, wenn er seinen Eltern sagte, dass er los müsse.
Grace wollte gerade ihre Nachricht abschicken, als es erneut an der Tür klingelte. Sie legte ihr Handy beiseite, ließ die Nachricht noch unabgeschickt und ging dann an die Tür.
„Es tut mir wirklich unglaublich Leid, dass ich zu spät bin.“ entschuldigte Logan sich direkt, bevor er sie mit einer Umarmung begrüßte und dann der Einladung ins Haus folgte. Zusammen setzten sich die Mitschüler in das Wohnzimmer, wo Logan seine Schulsachen raus holte und Grace ihm etwas zu Trinken anbot.
„Was war der Grund, dass du so lange gebraucht hast? Matt ist auch wieder hier, als er hierher gefahren ist, meinte er, dass du mit deinen Eltern im Auto diskutiert hast. Habt ihr euch gestritten?“
Logan verneinte und seufzte. „Naja, also irgendwie. Meine Eltern sind etwas eigen, außerdem denken sie, dass wir keine Freunde sind sondern, naja... zusammen.“ Er lief direkt rot an und sah auf seine Hände was Grace irgendwie zu gleichermaßen niedlich wie auch lustig fand.
„Echt? Was erzählt du deinen Eltern denn, dass die so was denken?“ fragte Grace amüsiert, was Logan noch unangenehmer zu sein schien.
„Nichts! Ich kenn dich halt nur noch nicht so lange, aber wir machen viel zusammen. Anstelle ihnen nur von Liz, Tyson und Marje zu erzählen, ist da auf einmal noch ein Name. Alles andere blenden meine Eltern aus.“
„Genau das hätte ich jetzt auch gesagt.“ Grace lachte und Logan verdrehte gespielt genervt die Augen, bevor er dann in das Lachen mit einstieg.
Die Beiden lernten ein wenig, ganz entspannt und ohne viel Druck, aber man sah, dass es half. Ziemlich schnell konnte Logan die Grunddaten wiedergeben und verknüpfen, was wann geschehen ist.
Gerade beschlossen die Beiden, eine kurze Pause einzulegen, um etwas zu trinken und das Gehirn zu entspannen, als Matt mit schnellen Schritten die Treppe nach unten kam.
„Grace, wir haben ein Problem.“ Sein Blick war ernst, also ging Grace zu ihm, anstelle von ihrem Platz aus zu fragen, was denn los sei. Wahrscheinlich war es etwas, das Matt nicht sagen konnte wenn Logan mit im Raum war.
„Maddi hat Hunger. Und sie riecht Logan.“ Grace bekam direkt Panik und drehte sich zu Logan, der sie fragend ansah. Doch er hatte anscheinend nichts gehört.
„Was machen wir jetzt? Logan muss weg. Es ist zu gefährlich hier. Wo ist Maddi jetzt? Warum-“
„Hey, chill.“ Matt griff nach ihren Schultern und sah ihr tief in die Augen. „Vance meinte, dass ihr im Keller einen kleinen Vorrat an du-weißt-schon habt. Zeig mir wo, Vance passt so lange auf Maddi auf.“ Grace nickte und ging zum Keller, dessen Tür sie nervös öffnete. Während Matt schon die Treppe nach unten ging, drehte Grace sich noch einmal kurz zu Logan und sagte ihm, dass sie kurz etwas aus dem Keller holen musste.
Direkt lief sie runter und quetschte sich dann an Matt vorbei, welcher unschlüssig am Treppenende stand. Grace öffnete die erste Tür und trat in einen Raum, der ein wenig einem Weinkeller glich. Die eine Wand war von oben bis unten von Weinflaschen verdeckt, auch wenn dort natürlich kein Wein drin gelagert wurde. Die andere Seite war voller Regale, die Plastikboxen mit Fleisch hielten.
„Wie viel braucht ihr?“ fragte Grace und griff nach einer Box, welche sie Matt fragend hinhielt.
Matt begutachtete den Inhalt und nahm diese dann auch mit, da er es als genug ansah. Sein Blick fiel erneut auf die ganzen Flaschen und Grace fing laut an zu lachen.
„Du bist wie ein Kind vor einem Korb mit Süßigkeiten.“
Matt schmunzelte und schüttelte dann dem Kopf. „Ich hab ewig nichts mehr getrunken. Es riecht sehr verlockend hier drin.“ verteidigte er sich und Grace zeigte auf die Flaschen.
„Nimm doch eine mit. Mama wird das nicht stören.“ Matt verneinte direkt. Er konnte sich doch nicht einfach hier bedienen wie in einer Bar.
Da sie es zu eilig hatten nach oben zu kommen, diskutierten sie auch nicht mehr viel und brachten die Box nach oben. Da Matt vorging merkte er nicht, dass Grace eine Flasche aus dem Regal genommen hatte und mit nach oben brachte.
Schon als sie den Keller verließen und wieder auf dem Flur standen, konnten sie Maddi weinen und schreien hören. Schnell liefen sie an Logan vorbei und nach oben, wo sich Grace Geschwister befanden. Vance hielt seine kleine Schwester mit eisernem Griff fest während diese zappelte und weinte, weil er sie loslassen sollte.
„Lass mich los! Du bist doof! Ich will nach unten!“
Matt half Vance, Maddi festzuhalten, während Grace die Box öffnete und auf den Tisch stellte. Die Flasche stellte sie auf die andere Seite des Tisches, weit genug weg, dass sie nicht umkippen konnte, aber dennoch erreichbar war.
„Ich geh wieder nach unten. Wenn was ist, müsst ihr nur rufen.“
„Danke Schwesterchen, aber wir kommen schon klar.“ sagte Vance, hatte aber gar nicht die Zeit sich zu ihr zu drehen, zu beschäftigt war er mit Maddi.
Grace ging weg und während sie hörte, wie ihre Schwester langsam zu schreien aufhörte, wurde ihr erst bewusst, wie die Situation eben eigentlich auch hätte ausgehen können. Logan wusste gar nicht, dass er eben in richtiger Lebensgefahr gesteckt hatte.
„Tut mir Leid. Meine Schwester hat ein paar Probleme gemacht.“ entschuldigte sie sich, doch Logan schüttelte nur den Kopf. „Hat sie irgendwie Aggressionsprobleme oder so? Du meintest doch, dass sie etwas speziell ist, aber am Wochenende hat sie noch einen ganz normalen Eindruck gemacht. Etwas schüchtern vielleicht, aber mehr auch nicht.“
„Naja...“ Grace überlegte. Sie wusste nicht wirklich, was sie dazu sagen sollte. Konnte sie das jetzt einfach so bezeichnen? Es wäre definitiv schwerer, sich irgendwas anderes auszudenken. „Ja, so in etwa.“ antwortete sie dann und Logan nickte.
„Muss schwer sein, aber sie ist doch trotzdem eine Liebe, oder?“
Grace nickte direkt. „Maddi ist unglaublich niedlich. Sie hätte echt ein besseres Schicksal verdient. Aber wir versuchen natürlich alles, um ihr eine tolle Familie zu sein.“
Logan lächelte und sah in Richtung Treppe, als das Weinen komplett nachließ.
„Was machen deine Eltern eigentlich beruflich? Ich glaube mich zu erinnern, dass du erzählt hast, sie würde Privatunterricht bekommen.“
„Ja, Mama und Papa kümmern sich selber um ihre Bildung. Papa ist komplett, sagen wir, Hausmann. Mama arbeitet selbstständig als Winzerin, also ist sie auch viel hier für Maddi.“ Das war schon wieder einer dieser vielen Lügen, die Grace so leicht von der Hand gingen. Ihre Mutter war keine Winzerin, der 'Wein' im Keller würde zwar den Anschein erwecken, aber das war ja auch nicht mal Wein. Das war alles Blut.
„Echt, cool. Ich wünschte meine Eltern hätten so normale Jobs.“
Grace wurde neugierig und wollte gerade nachfragen, was Logan denn damit meinte und was seine Eltern machen würden, als Vance Grace Namen durch das Haus rief. Sofort sprang sie auf und lief zu ihm nach oben. Wenn er Hilfe mit Maddi benötigte, musste sie sich beeilen.
„Was ist los?“ fragte sie, während sie das zweite Wohnzimmer betrat. Maddi saß zwischen Vance und Matt und aß ihr Fleisch, während die beiden Jungs sie genauestens im Blick behielten.
Vance drehte sich zu Grace und deutete auf Maddi. „Unser kleiner Sonnenschein hier fühlt sich schon viel besser.“ Maddi sah mit einem breiten Lächeln zu ihrer Schwester auf, den Mund blutverschmiert. „Und sie hat eine Frage an uns.“ legte Vance die Vorlage, auf welche Maddi nur noch ihre Frage stellen musste.
Sie sah zu ihrer Schwester und dann zu ihrem Bruder, während sie das Fleisch schluckte. „Darf ich den Freund von Grace kennenlernen?“
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