Kapitel 7

Die Worte von Vance hatten etwas in Grace losgetreten. Eine Lawine an Gefühlen, die nun, wo sie alleine in ihrem Zimmer saß, über ihr einbrach. Sie lag schon eine ganze Zeit in Gedanken versunken auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Es beschäftigte sie zwar, was damals zwischen ihrem Vater und Matthiew vorgefallen war, aber in erster Linie war es dann doch eher das, was Vance danach gesagt hatte. Sie hatte Matt gegenüber eine ähnliche Einstellung wie Vance und war sich sicher, dass er sich geändert hatte. Doch so lange wie ihr Vater schon lebte bedeutet ihm der Tod einer ihm wichtigen Person nicht dasselbe wie anderen. War sie selbst dann auch nur ein kurzer Abschnitt in seinem Leben? Würde er nach ihrem Tod auch nur kurz ein wenig trauern und dann einfach weitermachen wie bisher? Würde er überhaupt trauern? All diese Fragen schwirrten durch Grace Gedanken. Könnte das vielleicht sogar der Grund sein, wieso er so sehr dagegen war, sie zu verwandeln? Weil Maddi und Vance schon anstrengend genug waren...
Grace schüttelte sich, drehte sich auf den Bauch und griff nach ihrem Handy, welches unbeachtet auf dem Nachttisch lag. Sie musste sich unbedingt von diesen düsteren Gedanken ablenken. Vielleicht mit einem lustigen Video?
Sie entsperrte den Bildschirm mit einem kurzen Muster und machte dann große Augen, als sie die Anzahl ihrer ungelesenen Nachrichten sah. 53 Nachrichten aus 4 Chats.
In einer Gruppe, die sie zusammen mit Marje, Liz, Logan und Tyson hatte, waren mit Abstand die meisten Nachrichten. Doch Liz und Logan hatten ihr auch noch privat geschrieben. Genauso wie Vance, wobei ihr Bruder nur kurz auf die Nachricht geantwortet hatte, dass er sie nicht abholen brauchte. Liz fragte sie besorgt in vier Nachrichten, ob Grace gut nach Hause gekommen war und ob sie noch irgendwen gesehen hatte. Grace antwortete ihr kurz, dass sie zuhause war, log sie dann jedoch an, indem sie sagte, dass Matt und sie niemanden mehr gesehen hatten. Logan hatte gefragt, ob sie ihre Eltern schon gefragt hatte, ob sie ihm Nachhilfe geben könnte, was Grace dann verneinte, mit der Begründung, dass ihr Vater heute nicht gut drauf zu sein schien und sie ihn lieber später fragen würde. Und in der Gruppe wurde gerade sehr ausführlich eine Party geplant.
Grace überflog nur kurz die Nachrichten da es schon ziemlich viele waren, aber es wurden während sie las trotzdem immer mehr. Um also zu wissen was genau gerade Sache war, schrieb sie: > Ich komm nicht mit, könnt ihr mich mal auf den aktuellen Stand bringen? < da sich anscheinend auch das Ziel immer wieder änderte. Was zuerst Gemeinsames feiern gehen war, wurde schnell zum Bowling und mittlerweile überlegten sie, ob sie nicht einfach ins Kino wollen.
Logan antwortete ihr direkt und sorgte somit dafür, dass Grace auch endlich mitreden konnte.
Liz und Marje hatten die Planung, von was auch immer, mittlerweile komplett an sich gerissen. Selbst wenn sie es versucht hätte, würde Grace nichts zu dem Gespräch mehr beitragen können. Aber es war ziemlich witzig die beiden so unterschiedlichen Mädchen diskutieren zu sehen.
Als Grace wieder auf die Uhr sah, war es bereits Zeit für sie ins Bett zu gehen. Ihre Freunde hatten es echt geschafft sie abzulenken. Kurz legte sie ihr Handy beiseite, um ihrer Familie eine gute Nacht zu wünschen und sich umzuziehen.
Erst als sie beim Zähneputzen war fiel ihr dann etwas ein, was sich super eignete, um Zeit mit ihren Freunden zu verbringen.
Nächstes Wochenende würden ihre Eltern wegfahren, was für sie also Sturmfrei hieß.

„Habt eine schöne Zeit!“ riefen die drei Geschwister wenige Tage später ihren Eltern hinterher, während diese in den weißen BMW i8 stiegen und sich auf den Weg zu ihrer jährlichen Date-Woche machten. Olivia und Lewis würden eine ganze Woche lang in dem wundervollen, 3.600 Kilometer entfernten Las Vegas verbringen. Weit genug weg, dass sie niemals mitbekommen würden, wenn Grace ein paar Freunde einladen würde. Lewis verband viel mit dieser Stadt, das wusste Grace schon. Aber nach all dem, was ihr Bruder ihr erzählt hatte, verstand sie es jetzt noch etwas besser. Damals in Las Vegas hatte Lewis Vance bei sich aufgenommen und wie Grace von Erzählungen ihrer Eltern wusste, hatten sich auch ihre Eltern, beide alleinerziehend, kurz nachdem Vance in das Leben ihres Vaters trat, kennengelernt.
Kaum war der Wagen abgefahren und Grace schnell die Tür geschlossen hatte, um die eisige Kälte nicht weiter rein zu lassen, hatte sie sich auch schon mit bettelndem Blick an ihren Bruder gewandt.
„Vance, darf ich heute ein paar Freunde einladen?“ fragte sie und schob für einen Hundeblick die Unterlippe vor. Sie wollte ihn schon immer wieder in den letzten Tagen fragen, aber ihre Eltern schienen überall zu sein und Grace hatte richtig Muffe davor ihre Eltern wütend zu machen.
Ihr Bruder sah sie streng an. „Kaum geben Mama und Papa mir die Verantwortung, willst du deine Menschenfreunde hier her einladen? Weißt du überhaupt wie gefährlich das ist?“
„Bitte~ Ich sag auch Mama und Papa nichts. Und du wirst uns gar nicht bemerken. Wir sind nur in meinem Zimmer.“
„Ach und was macht ihr? Halloween vor zwei Jahren wiederholen?“ fragte er und fing an zu lachen, als Grace schnaubte, dann aber mit in das Lachen einstieg.
„Du bist doof.“
Vance grinste sie verstohlen an und beugte sich dann zu ihr runter. „Ihr geht oben in dein Zimmer und wir gehen runter in den Keller. Keiner wird erfahren, dass der andere Besuch hat.“
Grace sah überrascht zu ihrem Bruder. Hatte er eben wir gesagt?
„Wer ist wir?“ fragte sie, war sich der Antwort aber schon bewusst, bevor Vance es gesagt hatte.
„Matt, wer sonst.“ beantwortete sie auch direkt ihre eigene Frage und Vance grinste noch breiter.
„Wenn du nichts sagst, sag ich auch nichts.“ bot er an und Grace nickte.
Während sie dann nach oben lief um ihren Freunden zu schreiben, dass ihr kleiner Sit-In stattfinden könnte, rief sie dann noch zu ihrem Bruder: „Du passt auf Maddi auf.“
Schnell schloss sie oben die Tür zu ihrem Zimmer und ignorierte die Proteste aus dem Flur. Vance regte sich unnötig auf. Grace konnte nicht auf ihre Schwester aufpassen. Fünf Menschen waren ungefähr vier zu viel für ihre Schwester. Sie würde schon nervös werden wenn sie nur bemerkte, dass hier Menschen waren. Unter der Aufsicht ihres großen Bruders war sie definitiv besser aufgehoben.
Schnell schrieb Grace ihren Freunden und bekam auch direkt eine Antwort von Tyson. Er würde direkt los fahren und die Anderen von zuhause abholen. In 20 Minuten wären sie da.
Schnell räumte Grace ein wenig auf, informierte ihren Bruder, wann ihre Freunde denn da sein würden und prüfte, ob im Kühlschrank noch irgendwas lag, was ihre Freunde nicht unbedingt sehen sollten. Irgendwelche menschlichen Körperteile oder ähnliches. Kam leider alles schon mal vor.
Auch wenn sie nichts sah, bereitete sie die Snacks dennoch vorsichtshalber schon vor und brachte diese in ihr Zimmer, bevor sie sich dann umzog. Sie wollte etwas Gemütliches für einen langen Abend anziehen, aber auch nicht so aussehen, als hätte sie ihre Klamotten aus einem Müllsack selber genäht.

Sie entschied sich letztendlich für ein schulterfreies Langarmshirt in rosé und eine lockere Stoffhose in hellblau mit dünnen, weißen Streifen, welche sich senkrecht vom Bund bis zum Hosensaum zogen. Kaum hatte sie das Oberteil in die Hose gesteckt, klingelte es auch schon an der Tür und noch nie war Grace so schnell nach unten gerannt.
Sie öffnete die Tür und sah mit strahlendem Lächeln in die ebenfalls strahlenden Gesichter ihrer Freunde. Es war seit über zwei Jahren das erste Mal, dass Grace Freunde zu sich einladen durfte. Wobei das mit dem 'dürfen' mal so dahin gestellt sei.
„Kommt rein.“ bat sie ihren Freunden an und ließ sie vorbei in das warme Haus treten.
Ihre Eltern hatten sich bei der Einrichtung damals nicht wirklich auf einen Stil einigen können. Der Flur, so wie die Küche und die Badezimmer hier unten und oben, waren ziemlich modern und in schwarz-weiß gehalten, jedoch trotz dessen sehr düster. Das erste Wohnzimmer gleich neben der Tür, war komplett schwarz-rot und in einem alten Tudorstil gehalten. Das zweite Wohnzimmer oben, wo auch die Schlafzimmer von Maddi und Grace, sowie ein Gästezimmer waren, war da schon etwas heller eingerichtet, aber vom Stil her auch eher noch älter.
Es musste sehr gewöhnungsbedürftig aussehen, aber irgendwie gefiel es Grace so wie es war. Es erinnerte sie an jedes Haus in jeder Stadt, in der sie bisher gelebt hatten. Von überall hatten sie sich etwas mitgenommen und es hier nun in die Einrichtung mit einfließen lassen.
„Wow! Euer Haus ist ja riesig!“ rief Liz erstaunt aus und Marje zuckte mit den Schultern.
„Überrascht dich das bei der Auswahl an Autos, die uns täglich vor der Schule präsentiert werden?“ meinte sie und lachte.
Sie zogen ihre Schuhe und Jacken aus und Grace wollte ihnen gerade eine kurze Rundführung geben, als es erneut klingelte. Zuerst war sie etwas irritiert, aber dann erinnerte sie sich, dass Vance ja auch jemanden erwartete. Also öffnete sie die Tür und ließ Matt auch direkt rein. Er sah Grace Freunde genauso überrascht an, wie diese ihn. Keiner von ihnen hätte gedacht, den anderen hier zu treffen.
Außer Grace kannte hier jeder nur den netten, vernünftigen Matthiew, den Schulsprecher. Aber so wie jetzt gerade, hatte ihn noch niemand gesehen. Anstelle eines schlichten Pullovers und einer dunklen Hose, mit glatt gekämmten Haaren und einem freundlichen Lächeln für jeden, wirkte er jetzt fast schon wie jemanden, bei dessen Anblick man lieber die Straßenseite wechselte. Schwarze Hose und ein wirklich sehr enges, deutlich den Körper eines starken und muskulösen Vampirs zeigendes, T-Shirt unter einer dunklen Lederjacke. Seine Haare waren verwuschelt und wirkten schon leicht lockig. Irgendwie fand Grace das ziemlich attraktiv, was sie so aber niemals zugeben würde. Matt war immer noch ein Freund von ihrem Bruder, dass wäre merkwürdig.
Doch noch während ihr Kopf all die Komplimente durcheinander schrie, brach wie eine riesige Welle die Erzählung von Vance über sie ein.
Matt war ein Mörder. Ja, viele übernatürliche Wesen hatten schon Menschen oder auch ihresgleichen umgebracht, Maddis bloße Existenz war ein Beispiel dafür, dass selbst ihre Eltern nicht vor so was zurückschrecken würden. Aber wenn ihre Eltern jemanden umbrachten dann nur, wenn diese Person schon lange schwer krank war, oder so schreckliche Sachen getan hatte, dass sie es nicht anders verdient hatte. Außerdem hatten sie keine andere Wahl und taten es nur sehr selten.
Matt hatte nur getötet weil er es in dem Moment wollte. Und aus Hass.
„Hallo? Jemand da?“ fragte Matthiew, wedelte mit seiner Hand vor Grace Gesicht und lachte, als sie irritiert aufsah.
„Ähm- Ja! Hi. Komm rein.“ brachte sie zustande und trat einen Schritt zur Seite, auch wenn Matt schon lange drin stand.
„Sorry, ich war einen Moment in anderen Welten.“ entschuldigte sie sich und Matt lachte.
„Kein Problem. Wo ist Vance?“
„Hier!“ Alle drehten sich zu der Person, welche gesprochen hatte. Vance stand auf dem Flur, neben der Tür, die in den Keller führte. An der Hand hielt er Maddi.
Maddi?!
Schockiert und leicht ängstlich sah Grace zu ihren Bruder und versuchte ihn mit ihrem Blick auszufragen. Immer wieder ging ihr Blick zu Maddi, um zu sehen, wie sie auf die ganzen Menschen reagieren würde, welche sich gerade hier im Flur versammelt hatte. Wieso hatte Vance Maddi mit hoch gebracht? Er wusste doch wie gefährlich das war!
Matt schien sofort zu erkennen, wer das kleine Mädchen neben seinem Freund war und reagierte sofort. Er drückte sich an den Anderen vorbei und trat dann zu Vance.
„Du bist also ein Kellerkind?“ fragte er lachend, bevor er Vance dann mit leichtem Druck in Richtung der Treppe drückte und Maddi nicht aus den Augen ließ, während er ihnen nach unten folgte.
Grace atmete erleichtert aus und begann dann mit beruhigten Nerven die Haustour.
Diese endete wenig später vor ihrem Zimmer, dessen große Flügeltür sie spektakulär öffnete und die Reaktionen ihrer Freunde abwartete.
Wie jedes andere Zimmer hier im Haus, war auch ihr Schlafzimmer ziemlich groß. Ihr Bett stand ihnen gegenüber an der Wand. Am Fußende stand eine Kommode in welcher Grace lauter Sachen aufbewahrte, die sie nicht loslassen konnte oder die ihr viel bedeuteten. Die ganzen Schultaschen, welche ihre Eltern ihr zu jeder neuen Schule geschenkt hatten, alte Freundebücher von den Leuten, die mal ihre mit Abstand besten Freunde waren und so weiter.
Auf dieser Ecke des Zimmers standen auch ihr Schreibtisch, sowie ein großes Bücherregal, auch wenn Grace die meisten Bücher davon nur von Stadt zu Stadt schleppte, ohne sie jemals gelesen zu haben. Auf der anderen Seite des Zimmers, vor einer großen Glasfront die zum Garten zeigte, hatte Grace sich dann eine Sitzecke eingerichtet. Einen kleinen Zweisitzer, einen Sessel, sowie zwei kleine Hocker die sowohl als Tisch, als auch als Sitzgelegenheiten genutzt werden konnten, hatte sie dort gemütlich gegenüber vom Fernseher drapiert. Marje nahm direkt den Sessel in Besitz, während sich Liz und Tyson gemeinsam auf den Zweisitzer setzten. Logan entschied sich für einen der Hocker und Grace lehnte sich lieber gegen den anderen freien Hocker. Der Teppich war unglaublich weich, also machte sie es sich dort gemütlich. Außerdem war sie so direkt an den Snacks dran.
„Euer Haus ist der Wahnsinn!“ staunte Tyson und sah raus in den großen Garten. Grace hielt ihn nicht für sonderlich spektakulär. Es gab nichts Besonderes zu sehen, da bis auf ein paar Blumenbeete und einer hübschen Bank unter einem großen Baum nicht viel den Garten zierte. Er war ordentlich und wenn man sich auskannte fand man viele seltene Pflanzen. Ihre Eltern legten viel Arbeit darein, dass ihr Garten ordentlich und schick aussah, aber nicht zu überwachsen wirkte.
Wie sie es schafften, dass ihr Garten so aussah, als würden sie schon Jahre lang daran arbeiten, obwohl hier letztes Jahr noch nicht einmal ein Haus stand war eins der Geheimnisse von Personen mit grünen Daumen.
Grace wollte sich gerade für die Komplimente zum Haus bedanken, als Marje ihr ins Wort fiel und das Thema wechselte. Es war willkürlich, so wie die anderen Themen später auch. Aber dennoch machten die Gespräche Grace zu dem glücklichsten Menschen auf der Welt. Die Gespräche mit ihren Freunden gaben ihr das Gefühl ein ganz normaler Mensch zu sein.

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