Kapitel 2

Grace saß zwischen zwei ziemlich netten Mädchen. Sie hatten direkt gefragt ob sie Grace in der Pause die Schule zeigen sollten, noch bevor die Lehrerin mit dem Unterricht starten konnte. Als diese dann Anfing irgendwelche Matheformeln an die Tafel zu malen, fing Marje, welche links von Grace saß, an, einen Zettel aus ihrem Collegeblock zu beschreiben.
> Mrs. Blyth ist unglaublich streng also sollten wir lieber nicht reden. Aber wir können ja schreiben ;) <
Grace grinste ihre Mitschülerin an und nickte dann. Sie mochte die beiden Mädchen. Marje schien sehr offen zu sein, ihre Freundin Liz war da etwas zurückhaltender. Oder hatte mehr Angst den Zorn ihrer Lehrerin auf sich zu ziehen.
Grace fing langsam an die Formeln abzuschreiben, darauf achtend, dass die Ärmel ihrer Strickjacke ihre Hände verdeckten. Nur die Fingerspitzen ihrer rechten Hand zeigten etwas raus, damit sie ihren Stift vernünftig halten konnte. Konzentriert schrieb sie die Aufgaben ab und merkte somit gar nicht die Blicke von Marje und Liz, welche wohl dachten, dass ihr kalt war.
Grace bekam mit, wie jemand das Fenster, welches auf Kipp gestanden hatte, schloss, nachdem die beiden Mädchen dieses Stumm mit ihren Blicken durch die Klasse kommuniziert hatten. Etwas verwirrt sah sie auf und sah, dass Liz ihr einen Zettel geschrieben hatte.
> Wenn dir kalt ist musst du doch was sagen. :( <
Grace lächelte dankbar, auch wenn ihr gar nicht kalt gewesen war. Sie wollte Liz nicht sagen, dass diese sie missverstanden hatte, da sie sonst noch fragen würde, was den wirklich das Problem war.
Ohne weitere Zwischenfälle überstanden die Mädchen dann ihre erste Unterrichtsstunde und gehörten nach dem Klingeln der Pausenglocke mit zu den Ersten, die das Klassenzimmer verließen.
„Erste Stunde Blyth, Check." stöhnte Liz und malte einen Haken in die Luft.
„Komm mit, wir starten unsere Rundtour in der Cafeteria." Marje führte Grace an den anderen Klassenräumen vorbei, aus welchen die Schüler raus strömten. Grace war kein Fan von der Schule, die Lehrer schienen alle unglaublich streng zu sein. Sie hatte überhaupt keine Lust mehr, auch nur eine Minute länger noch hier sitzen zu müssen. In Gedanken zählte sie schon die Tage bis zu den Ferien ab. Sie würde sich die nächsten zwei Jahre wohl nur über ihre Mitschüler freuen.
Bisher kannte sie zwar kaum einen, aber Marje und Liz schienen beide wirklich nett zu sein. Und überhaupt nicht so oberflächlich wie die Schüler an ihrer letzten Schule.
„Hey, können wir uns anschließen?" Liz drehte sich um und grinste die beiden Typen an, welche auf sie zukamen. „Tyson, Logan! Ihr müsst Mädels auch mal ihren Freiraum lassen." antwortete sie klagend und verschränkte die Arme vor der Brust während sie mit einem noch breiteren Grinsen, wenn das überhaupt möglich war, zu Tyson schaute, der sich tief verbeugte.
„Verzeiht bitte vielmals, My Lady. Ich habe nur euren wundervollen Anblick vermisst." sprach er mit geschwollener Sprache und kam dann ruckartig wieder hoch. Er griff nach Liz' Hand und zog sie zu einem Kuss heran. Die Beiden schienen zusammen zu sein, setzte Grace das Bild zusammen und wandte sich von dem sich küssenden Pärchen ab. Es war ihr zwar nicht direkt unangenehm, wenn sich zwei Menschen küssen, aber sie kannte Liz gerade erst seit einer Stunde und Tyson offiziell noch gar nicht. Da wollte sie den Beiden ihren Freiraum lassen.
„Hallo, Jungs! Das ist echt unhöflich von euch." sprach Marje und deutete auf Grace. Tyson blickte an seiner Freundin vorbei und lächelte Grace an.
„Sorry." lachte er und stellte sich kurz vor. „Logan hat eben auf dem kurzen Weg schon von dir erzählt. Ich bin Tyson aus der Parallelklasse und Freund von dieser Ziege hier. Freut mich."
Liz beschwerte sich zwar darüber, wie Tyson sie nannte, aber da es nicht ernst gemeint war nahm niemand sie für voll. Nun gingen alle Blicke zu Logan, welcher noch kein Wort gesagt hatte, seit sie hier zusammen standen. Er lächelte leicht und stellte sich dann ebenfalls vor. „Ich bin Logan. Wir sind in einer Klasse, aber wahrscheinlich hast du mich nicht gesehen. Ich sitze hinten am Fenster. Ich war derjenige, der es vorhin für dich geschlossen hat."
Grace nickte verstehend und lächelte. „Freut mich euch kennenzulernen."
In ihrer nun schon fünfköpfigen Gruppe machten sie sich dann zusammen auf in die Cafeteria, um dort endlich mit ihrer Rundtour zu starten.

„Grace, erzähl ein wenig über dich. Wo kommst du her? Wieso bist du hier her gezogen? Was sind deine Hobbys? Hast du einen Freund?" Marje sah ihre neue Mitschülerin ernst an und Grace lachte. Sie saßen in ihrer Fünfergruppe, schien so als würden sich diese Mitschüler zu Grace neuen Freunden entwickeln, in der Cafeteria auf einer Bank und aßen ihr Mittagessen. Sie hatten zwei Stunden mit Mrs. Blyth hinter sich, eine Kunststunde mit einem Lehrer, der definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte und Musik bei einem echten Perfektionisten. Grace wurde immer gesagt, dass ihre Stimme wirklich gut klang, aber für ihn war sie nicht mal annähernd gut genug. Niemand war das. Seine Erwartungen an Schüler war unrealistisch hoch.
„Ähm... Wo soll ich anfangen? Ich habe zuvor in San Francisco gelebt, aber wir sind schon unglaublich oft umgezogen. Ursprünglich komme ich aus Schottland, aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Edinburgh."
„Echt? Wo hast du denn schon alles gelebt?" fragte Tyson überrascht. Er schien nicht wirklich geglaubt zu haben, dass Grace hier in Kanada offiziell als Ausländerin galt.
„Oh-" Grace musste einen Moment überlegen. Seit Maddi in ihrer Familie war, also seit sie selber zehn Jahre alt war, zogen sie in regelmäßigen Abständen um.
„Zuerst sind wir nach Paris." fing sie an und bekam die gleichen Reaktionen wie jedes Mal wenn sie erzählte, dass sie in der Stadt der Liebe gelebt hatte. „Dann sind wir nach Sankt Petersburg, und danach nach New Orleans. Als letztes haben wir dann in San Francisco gelebt."
„Cool." staunte Marje und sah aus dem Fenster in den mit Wolken behangenen Himmel. „Kannst du deine Eltern fragen, ob sie mich adoptieren wollen?" Sie lachte und Grace, welche sie zuerst überrascht ansah, fing auch an zu lachen, als sie verstanden hatte, dass Marje nur einen Scherz gemacht hatte. Dass außer ihrer großen Schwester tatsächlich alle Kinder ihrer Eltern adoptiert waren, war ein wirklich gruseliger Zufall.
„Nächste Frage. Wieso seit ihr hier her gezogen?" Grace musste sich gar keine große Lüge ausdenken, schon so oft hatte sie die Wahrheit verschwiegen, und allen immer die gleichen Lügen aufgetischt. Sie konnte es ohne mit der Wimper zu zucken.
„Meine Eltern können nicht lange an einem Ort bleiben. Sie sind echte Freigeister und langweilen sich unglaublich schnell. Wir haben schon an all diesen Orten gelebt, weil meine Eltern gehört haben, dass es da schön sein soll. Sie wollten sich davon selber ein Bild machen."
Die Wahrheit sah ganz anders aus. Niemand schien so sehr unter den ständigen Umzügen zu leiden wie ihre Eltern. Gerade ihre Mutter, die unglaublich viele Erinnerungen in Schottland hatte, fand die ganzen Umzüge schrecklich. Aber sie mussten es tun.
Anderenfalls würde es schließlich früher oder später auffallen, dass Maddi nicht alterte. Genauso wie der Rest ihrer Familie. Gerade neben Grace, als einzige Sterbliche in ihrer Familie, fiel das extrem auf, wenn sonst keiner in ihrer Familie jemals älter wurde.

„Wir sehen uns morgen. Kommt gut nach Hause." rief Grace ihren neuen Freunden hinterher, während diese in den Schulbus stiegen. Grace sollte wie immer von Vance abgeholt werden, jedoch würde dieser sich etwas verspäten. Er hatte ihr eine Nachricht geschrieben.
Grace lehnte sich gegen die kalte Mauer, die den grauen Klotz namens Schule einkreiste und sah auf ihr Handy. Sie hatte eine Nachricht von ihrem Vater, sie solle aufpassen und lieb zu Vance sein, da dieser immer gereizter wurde. Und sie sollten auf dem Weg nach Hause noch ein paar Sachen besorgen. Hinterher sendete er eine Adresse, welche Grace sich ein paar Mal durchlas, bevor sie dann das Handy weg steckte.
Mittlerweile waren nicht mehr viele Schüler auf dem Schulhof. Die meisten waren schon auf dem Weg nach Hause, hatten noch Unterricht oder standen in kleinen Gruppen da und redeten über belanglose Dinge.
Als ein knallroter Porsche 991 Turbo vor ihr zum Stehen kam war ihr klar, dass Vance mit seinem neuen Baby angeben wollte. Sie stieg ein und legte ihre Hände auf die Tasche in ihrem Schoß. Den ganzen Tag hatte sie ihre Hände versucht versteckt zu halten, demnach sah man nun deutlich die Abdrücke des Stoffes, auf ihren Handrücken. Vance sah es, tat aber so als hätte er es nicht gesehen und sah stattdessen raus auf den Schulhof.
„Und, war es so schlimm wie erwartet?" fragte er und kniff die Augen leicht zusammen, als er eine Person aus dem Gebäude treten sah, welche ihm verdächtig bekannt vorkam.
„Nein und das weißt du auch. Ich mach mir aber immer Sorgen, dass meine neuen Mitschüler mich nicht mögen könnten. Das weißt du auch." antwortete Grace. „Sag mal, wo siehst du die ganze Zeit hin?" Sie drehte den Kopf ebenfalls in Richtung Schule und sah die Person an, welche Vance anstarrte.
„Kennst du den?" fragte ihr Bruder mit tiefer, fast schon knurrender Stimme.
„Hm, ich glaube er heißt Matthiew Wilson oder so. Wieso fragst-"
Vance öffnete die Tür und stieg aus. Er achtete nicht auf den Straßenverkehr, weshalb er fast von einem Truck erwischt wurde. Der Fahrer hupte und schmiss Vance wahrscheinlich auch einige Beleidigung an den Kopf, während er dann weiterfuhr.
Grace, welche die erneute Stimmungsschwankung ihres Bruders nur zu deutlich gemerkt hatte, wurde panisch, dass es gleich eklig werden könnte und stieg schnell aus während Vance, den der Truck überhaupt nicht interessiert hatte, mit schnellen Schritten auf Matthiew zuging. Dieser hatte durch das Hupen des Trucks in seine Richtung gesehen und sah Vance nun mit einem irritierten Blick auf sich zukommen.
Grace nahm ihr Handy und machte sich schon bereit ihren Vater anzurufen, während sie Vance hinterher rief und rannte.
„Hey, warte!" Auf dem Weg zu ihrem Bruder wich sie einer Gruppe von Schülern aus, die gerade auf dem Weg zu ihren Autos auf dem Parkplatz waren und Vance verwirrt ansahen. Matthiew sah zu ihr und dann wieder zu Vance, der mit großen Schritten näher kam. Dann wurden seine Augen groß, als Vance ihn am Kragen packte und gegen die Wand zum Überstand für die Fahrräder drückte.
„Dich kenn ich doch!" knurrte Vance und beäugte Matthiew genauer. Er schien überrascht, aber nicht ängstlich zu sein. „Du bist doch dieser Vollpfosten aus Las Vegas." Vance sah tief in Matthiews Augen.
„Sie müssen mich verwechseln. Ich weiß nicht wovon Sie sprechen." antwortete Matthiew irritiert, wirkte aber überhaupt nicht ängstlich, was Grace eigentlich erwartet hätte. Sie erreichte derweil die beiden Jungs und zog ihren Bruder mit sanfter Gewalt von dem Fremden. „Vance! Das ist unser Schulsprecher!"
Matthiews Augen wurden groß, als er die Worte von Grace hörte und er zog sein Oberteil wieder gerade. „Nein." Auf seinem Gesicht erschien auf einmal ein breites Grinsen. „Ich erinnere mich." Matthiew trat auf Vance zu, sein Blick auf einmal wieder genauso grimmig, wie der von Vance. Grace sah ihn verwirrt an, machte sich aber mehr Sorgen, dass ihr Bruder dem Schulsprecher gleich den Kopf abreißen würde. Und das wortwörtlich.
„1946, Flamingo Hotel."
Grace verstand gar nichts mehr, während sie zwischen den Typen hin und her sah, welche beide so aussahen, als würden sie den jeweils anderen gleich anspringen.
„Du meintest, du würdest dich melden, du Arschloch!" Matthiew trat Vance gegen das Bein, dieser verzog nicht einmal das Gesicht, bevor er dann dem Anderen grinsend um den Hals fiel.
Grace wollte nicht glauben was sie da hörte, während sie sah, wie die Beiden sich wie zwei gute Freunde umarmten. Sie schienen sich zu kennen. 1946? Aber so alt konnte Matthiew doch gar nicht sein. Außer-
„Was tust du hier? Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen." sprach Matthiew und löste die Umarmung wieder.
„Ich bin mit meiner Familie hier her gezogen." antwortete der Bruder von Grace und legte einen Arm um sie. Immer noch irritiert sah Grace zwischen den Beiden hin und her.
„Familie? Deine 'Schwester', oder wer?" fragte Matthiew und betonte das Wort Schwester besonders, während er kur Grace beäugte.
„Ich weiß was du denkst. Aber ja."
„Du bist also echt ein Familienhund geworden." lachte Matthiew und schüttelte den Kopf.
Grace sah mit großen Augen zu Vance. Er hasste es für gewöhnlich wenn man ihn als Hund beleidigte. Und besonders jetzt, wo er nochmal extra gereizt war, musste man aufpassen was man sagte. Doch ihr Bruder grinste nur und zuckte dann die Schultern.
„Stop! Ich brauche hier mal eine kleine Erklärung." unterbrach Grace dann das Gespräch der beiden Jungs. Sie schienen sich wirklich gut zu kennen. Aber Grace kannte alle Freunde von Vance, wenn sie also nichts von der Freundschaft zwischen Matthiew und ihrem Bruder wusste, dann musste der Kontakt abgebrochen sein, bevor Grace in die Familie gekommen war. Und das konnte nur bedeuten, dass Matthiew nicht alterte. Also, dass er auch kein Mensch war.
Vance lachte und deutete dann auf Matthiew. „Matt ist ein alter Freund von mir. Wir haben uns kennengelernt noch bevor ich von Papa aufgenommen wurde. Er hat mir eine Menge darüber beigebracht, wie ich mich unauffällig unter Menschen bewegen kann."
Grace nickte verstehen und wandte sich dann selber an Matthiew. „Also bist du kein Mensch?"
Matthiew schien von der Frage etwas überrascht, nickte dann aber und lächelte sie charmant an. „Bin ich nicht, aber es wäre super wenn das unser kleines Geheimnis bleiben könnte. Ich hab einen Ruf zu verlieren."
„Bist du so wie mein Bruder?" fragte Grace weiter. Sie war neugierig. Bisher sollte sie sich immer von allen übernatürlichen Wesen fern halten, die nicht zu ihrer direkten Familie gehörten. Matt war der Erste, den sie kennenlernte.
„Nein, bin ich nicht." antwortete Matthiew ihr und sah kurz zu Vance. Er wusste nicht wie viel das Mädchen wusste. Er wollte jetzt nichts Falsches sagen. Doch Vance nickte nur leicht und formte mit seinem Mund das Wort 'Mutter'.
„Ich bin ein Vampir." antwortete er dann so als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Doch in Wahrheit war er unglaublich nervös, einen Menschen in sein Geheimnis einzuweihen. Er hatte seit über 30 Jahren keinem Menschen mehr von sich erzählt.

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