Kapitel 14
Am Montagmorgen stand Grace abwartend am Eingang und hoffte, dass Logan heute kommen würde und sie ihn hier noch vor Unterrichtsbeginn abfangen konnte. Immer wieder scannte sie mit ihrem Blick die Menschen ab, welche langsam und unmotiviert auf das große Gebäude zuliefen, doch konnte sie Logan nirgends sehen.
„Wieso stehst du hier wie bestellt und nicht abgeholt?“
Grace sah überrascht auf. Sie hatte kurz auf ihr Handy gesehen und eine Nachricht an Marje geschrieben, die sie darüber informiert hatte, dass sie krank geworden war und heute zuhause bleiben würde. Deshalb hatte sie gar nicht mitbekommen, wie Matt zu ihr gekommen war.
„Ich warte auf jemanden.“ antwortete sie und sah wieder über den Schulhof.
„Also wurdest du tatsächlich bestellt und noch nicht abgeholt.“ Matt nickte verstehend und musste dann grinsen, als Grace zu lachen anfing.
„Wenn du es so nennen willst, dann ja.“
Einen Moment lang schwiegen sich beide einfach nur an. Keiner wusste so wirklich was er sagen sollte. Es fühlte sich für Beide unangenehm an, nebeneinander zu stehen und sich nicht zu unterhalten, aber keiner wusste, was er sagen sollte.
„Hat Lewis irgendwas raus gefunden? Muss ich mir Sorgen um meine friedliche Zukunft machen?“ fragte Matt dann und lehnte sich gegen die Mauer vom Fahrradunterstand. Es war derselbe Ort wie auch der, an dem sich erst vor wenigen Wochen Vance und Matt wieder getroffen hatten.
„Er weiß es, aber Papa war nicht wirklich sauer. Also denke ich nicht, dass du dir jetzt Sorgen machen musst.“
Matt, der überrascht aufgesehen hatte als Grace gestanden hatte, dass ihr Vater wusste, dass Matt einige Male bei ihnen war, atmete erleichtert wieder aus und sah dann in Richtung der Schüler, die aus dem Schulbus kamen.
„Ich durfte am Wochenende Marje und Liz zu mir einladen.“ warf Grace in den Raum und Matt sah sie überrascht an. Zuerst dachte sie, es wäre wegen der merkwürdigen Information die sie ihm damit übermittelte. Aber dann sah sie, dass er doch an dasselbe dachte wie sie.
„Trotz Maddi? Lief alles gut?“
Grace nickte. „Momentan sind auch meine große Schwester und ihr Ehemann zu Besuch. Er ist ein Mensch, also haben Mama und Papa sich schon davon überzeugen können, dass Maddi sich besser im Griff hat, als sie eigentlich dachten.“
„Florence, richtig?“
Grace sah Matt irritiert an und er lachte auf.
„Tut mir leid, ich meine deine Schwester. Florence, richtig? Leibliche Tochter von Richard und Olivia Vratnys.“
Grace presste die Lippen aufeinander und nickte dann leicht während ihr Blick starr auf den Boden ging. „Ich wusste gar nicht, dass du das weißt.“
„Was meinst du? Dass ihr nicht die leiblichen Kinder von Lewis und Olivia seid ist doch wohl klar, schon alleine da ich deinen großen Bruder kannte, bevor er Lewis kannte. Oder redest du davon, dass Olivia mit Richard Vratnys verheiratet war? Ihr Name sagt jedem in unserer Welt was.“
Grace sah Matt an und bemerkte, dass dieser sie auch schon ansah.
„Die Geschichte von dem Bauernmädchen, welches von einem Reinblüter entführt und verwandelt wurde, um sein Kind zu bekommen. Jeder kennt diese Geschichte.“
Grace schluckte. Sie versteckte sich gerne in einer hübschen, unschuldigen und rosa-roten Welt, in der es kein Leid und keinen Horror gab. Eine Welt, in der all das mit dem sie aufgewachsen normal war und in ihrem Keller keine Leichen lagen. Wortwörtlich. Eine Welt, wo die Menschen ihre Familie nicht verjagten würden, oder Schlimmeres, wenn sie hinter ihr Geheimnis kommen würden.
Aber so war die Welt nicht. Grace lebte in einem Horrorfilm mit übernatürlichen Wesen. Ihre Eltern waren, auch wenn sie es nicht so nannten, Mörder, ihr Bruder verwandelte sich regelmäßig in ein blutrünstiges Monster und ihre kleine Schwester konnte nicht zwischen Mensch und Abendessen unterscheiden. Alle Grausamkeiten welche andere in Filmen sahen und erleichtert waren, dass es nur Fiktion war, galten bei ihr zuhause als Standard.
Nur weil Grace versuchte es zu verdrängen hieß es nicht, dass all das nicht real war. Sie fing an zu zittern, sich selber nicht sicher, ob es vor Kälte war, oder-
„Hey, Grace.“ Matt stieß sie leicht an und so tief in Gedanken wie Grace war, stolperte sie direkt und konnte sich nur knapp halten, bevor sie gefallen wäre.
„Tut mir Leid, warst du in Gedanken?“
Grace nickte nur und lachte dann, um ihre düsteren Gedanken verschwinden zu lassen.
Als sie nun wieder aufsah und erneut nach Logan Ausschau hielt, konnte sie ihn tatsächlich zwischen einigen anderen Schülern sehen. Er sah sich die ganze Zeit nervös um, so als würde er Angst haben, jederzeit überfallen zu werden.
„Ich muss los!“ rief sie Matt zu, war aber währenddessen schon auf dem Weg zu Logan. Er sah sie schon auf sich zu laufen und schien wirklich erleichtert zu sein.
„Grace! Geht es dir gut? Hat dich-“
„Logan, wir haben nicht mehr viel Zeit bis zur ersten Stunde. Lass uns rein gehen.“ Sie griff nach seinem Arm und zog ihn sanft aber bestimmend hinter sich her zum Eingang. Sie war komplett durchgefroren und wollte unbedingt nach drinnen, um sich dort in Ruhe mit ihm unterhalten zu können.
In der Aula blieben sie dann stehen und setzten sich auf eine Bank vor dem Treppenhaus.
„Wir haben uns alle Sorgen gemacht. Du hast auf keine unserer Nachrichten reagiert. Wie geht es dir jetzt?“ fragte Grace besorgt und sah zu Logan. Dieser nickte leicht und sah auf den Boden.
„Mir geht es ganz okay. Ich hätte euch gerne geschrieben wie es mir geht, aber ich kann mein Handy nicht mehr finden.“
„Hier ist es.“ Matt war hinter ihnen aufgetaucht und hatte das Handy von Logan aus seiner Tasche gezogen. Grace sah ihn überrascht an, doch als ihr Blick dann auf Logan fiel sah sie, wie er verkrampft und zitternd da saß. Er sah noch immer auf den Boden und schien sich auch nicht zu trauen, seinen Blick zu heben. Auch griff er nicht nach seinem Handy, welches Matt nach einem Moment des Wartens einfach in seinen Schoß fallen ließ.
„Keine Sorge, ich geh‘ wieder.“
Grace griff schnell nach seinem Ärmel und zog ihn so wieder zu sich ran. Mit hilfesuchendem Blick sah sie ihn an und deutete dann auf Logan. Sie hoffte einfach nur, dass Matt verstand, dass sie ihm helfen musste, aber nicht genau wusste wie. Ja, Matt war vielleicht als Trigger nicht unbedingt die beste Idee, aber sonst hatte sie hier niemanden.
Einen Moment lang diskutierten die Beiden mit ihren Blicken, dann jedoch seufzte Matt und ließ sich neben Grace nieder. Man konnte Logan ansehen, dass er überhaupt nicht in der Nähe von Matt sein wollte und dessen Blick so gut es ging mied. Doch auch Matt schien nur ungern in der Nähe von Logan zu sein.
„W-Wollen wir nicht irgendwo anders hingehen?“ fragte Logan an Grace gewandt und machte Anstalten aufzustehen, doch nur ein kurzer Blick von Matt genügte, dass er sich still wieder setzte und auf den Boden starrte.
„Ich denke, wir sollten dir etwas erklären. Dienstag konnten wir dir das nicht erzählen und weil Grace nicht dabei war, weißt du auch nicht, dass sie in dem Ganzen mit drin steckt.“ fing Matt an und fuhr sich mit einem Seufzen durch die Haare. Er wusste nicht wirklich, wie er das ganze jetzt formulieren sollte. In so einer Situation hatte er sich noch nie befunden. Ansonsten ließ er die Menschen einfach immer zurück. Zu sehen wie fertig Logan mit den Nerven zu sein schien erschreckte ihn da ziemlich. Aber auch Grace hatte er noch etwas Wichtiges zu sagen.
„Ich habe es Dienstag übrigens ein wenig, sagen wir verhauen.“ erzählte er ihr. „Eigentlich sollte er sich an nichts erinnern, aber du hast sicher schon gemerkt, dass das nicht der Fall ist. Er weiß was passiert ist, er weiß nur nicht, dass es gleich bei dir passiert ist. Wahrscheinlich denkt er, dass es nach eurem Lerndate war.“
Da die Situation etwas zu ernst war, um Matt zu korrigieren und zu sagen, dass es definitiv kein Date war, schwieg Grace einfach nur und nickte. Genau das hatte sie sich auch schon gedacht. Vance meinte auch, dass Logan sich nicht erinnern könnte, aber er war am Samstag bei ihr gewesen. Da wirkte es nicht so, als wüsste er von nichts.
„Ms. Lycras, Mr. Wood? Was machen Sie denn schon hier?“ fragte Mr. Harris die Beiden, während er über den Flur ging, auf dem Weg zu seiner ersten Stunde.
Verwirrt sah Grace ihn an. „Wir haben gleich Unterricht. Wir wollten uns nur noch ein wenig vor dem Unterricht unterhalten.“ Umschrieb sie die Situation, in welcher ihr Geschichtslehrer sie erwischt hatte.
„Aber Ihre erste Stunde fällt aus. Haben Sie etwa nicht auf den Vertretungsplan gesehen? Mrs. Blyth hat sich krankgemeldet und wir haben keine Vertretung.“
„Oh.“ Grace sah zu Logan, welcher zwar leichte Reaktionen zeigte, aber wohl durch Matt zu eingeschüchtert war, um tatsächlich etwas zu realisieren. „Vielen Dank, wir hätten das wohl gar nicht mehr gesehen.“
Mr. Harris schüttelte den Kopf und sah dann zu Matt. „Mr. Wilson, sie sollten sich langsam auf den Weg machen. Heute ist die letzte Stunde vor der Klassenarbeit.“
„Verzeihen Sie bitte, aber das hier kann noch etwas dauern. Es geht um-“ Matt sah zu Logan „wichtige Angelegenheiten bezüglich der Schüler.“ Er lächelte seinen Lehrer lieb an.
Widerwillig beschloss Mr. Harris ihm die Erlaubnis zu erteilen seinem Unterricht fern zu bleiben, so lange es nötig war, um seinen Pflichten als Schulsprecher gerecht zu werden und ging dann in Richtung der Klassenzimmer.
„Wir sollten ungestört sein. Also reden wir jetzt Klartext.“ Matt lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust.
„An was erinnerst du dich noch? An mich und ein paar andere, richtig? Einen Jungen, ungefähr in meinem Alter, und ein kleines Mädchen.“
Logan nickte leicht und traute sich nun auch endlich Matt anzusehen.
„Und du weißt, dass keiner von uns ein Mensch ist.“ sprach Matt weiter, die Stimme gesenkt, um kein Risiko einzugehen, dass irgendwer ihn hören konnte. Logan nickte erneut und sah dann zu Grace. In seiner Erinnerung kam sie nicht vor. Seiner Meinung nach wusste sie von all dem nichts.
„Kannst du mir sagen, was wir den sind? Erinnerst du dich?“
Logan's Mund war trocken während er mit kratziger Stimme sprach. „Du bist ein Vampir und das Mädchen ist ein Ghul. Aber ich erinnere mich nicht, was der Junge ist.“
Matt sah zu Grace. Sie wusste was er wollte. Es war nun ihre Aufgabe Logan zu erzählen was ihr Bruder war. So sollte sie ihm auch direkt zeigen, dass auch sie in all dem mit drin steckte, wenn auch als Mensch.
„Vance ist ein Werwolf, und mein Bruder.“ sprach Grace und Logan sah, mit Blick voller Unglauben, ruckartig zu ihr.
„Die Ghula ist Grace' Schwester. Ihre ganze Familie besteht aus übernatürlichen Wesen.“ fing Matt an zu erklären und Logan sah ihn noch immer ängstlich, aber nun zusätzlich auch ungläubig an.
Zusammen erklärten Grace und Matt ihm dann alles. Sie fingen ganz vorne an, dass Matt ein Reinblüter war und was das bedeutete, Grace erzählte von dem Unfall mit ihrer Schwester und wie sie so ihre Finger verloren hatte und weshalb ihre Familie so oft umziehen musste.
Sie gaben ihm deutlich zu verstehen, dass er keine Angst haben musste und keiner ihm etwas tun würde. Logan musste versprechen, dass er niemandem jemals etwas sagen würde, wobei Matt ihn aber auch direkt erinnerte, dass er das sowieso nicht konnte. Die Gedankenmanipulation würde ihm für den Rest seines Lebens verbieten über die Existenz von übernatürlichen Wesen zu reden. Zumindest wenn die andere Person nicht selber von deren Existenz wusste oder übernatürlich war.
Es war ein langes, anstrengendes Gespräch. Aber es half, so dass man am Ende sah, dass es Logan schon viel besser ging. Über die Zeit, die sie zu dritt da saßen öffnete er sich langsam ihnen gegenüber und als es dann zur Pause klingelte hatte Grace das Gefühl, dass Logan jetzt besser mit Matt klar kam als zuvor, wo dieser ihm nur als Schulsprecher bekannt war.
Glücklich endlich nach Hause zu dürfen sprang Grace nach dem Unterricht von ihrem Platz auf und packte ihre Sachen zusammen. Sie wusste nicht, wie die anderen es schafften, aber immer waren ihre Freunde schon fertig damit ihre Sachen einzupacken und trugen sogar schon ihre Jacken, als Grace gerade einmal die Tasche zu machte. Selbst heute, wo sie es so eilig hatte nach draußen und zu ihrem Bruder zu kommen.
„Wie schafft ihr das immer? Ich war noch nie diejenige, die mal auf einen von euch warten durfte.“ klagte Grace als sie zu ihren Freuden trat und diese zu Lachen anfingen.
„Wir haben einfach nicht so viel Kram auf unserem Platz liegen. Uns reicht ein Stift, wir brauchen keine ganze Sammlung auf dem Tisch ausgebreitet.“
Grace streckte Liz und Logan die Zunge raus, doch ihre Freunde lachten nur und gingen dann voran in Richtung Ausgang, wo sie Tyson schon warten sahen.
„Und wir sollen dich echt nicht mitnehmen? Wir fahren sowieso in die Richtung.“ bat Tyson Logan erneut an ihn nach Hause zu fahren, als sie auf dem großen Parkplatz ankamen, doch wie auch schon in der Pause lehnte Logan auch dieses Mal ab.
„Ich muss doch noch in die Bücherei. Das kann nicht noch länger warten.“
Die Vier verabschiedeten sich voneinander und Grace ging, in Begleitung von Logan, in Richtung der Bushaltestellen, wo Vance jeden Moment ankommen sollte.
Grace stellte sich an die Straße, während Logan zum Bus ging. Während er darauf wartete, endlich einsteigen zu können, sah er zu Grace.
Nie hätte er es für möglich gehalten, dass seine Eltern mit all ihren verrückten Geschichten Recht hatten. Dass übernatürliche Wesen unter den Menschen lebten hätte er niemals gedacht, aber dass es auch Menschen wie Grace gab, die in Frieden mit ihnen zusammenlebten, klang für ihn wie ein Scherz.
Seine Eltern wussten auch von all dem, aber sie riskierten ihr eigenes Leben, um diese Monster zu bekämpfen. Das war doch viel logischer. Wieso sollte jemand freiwillig mit Monstern zusammenleben wollen? Und doch wusste Logan nicht, ob seine Sicht auf das Ganze die richtige war. Grace kannte es nicht anders. Wäre er so wie sie aufgewachsen, würde er dann jetzt auch denken, dass man in Frieden zusammenleben könnte?
Während er Grace dabei beobachtete, wie sie einen Schritt von der Straße weg trat, um den vorbeifahrenden Autos nicht das Gefühl zu geben, sie wäre lebensmüde, sah er aus dem Augenwinkel, wie Matt in ihre Richtung ging. In der Hand hielt er einen Zettel, auf welchem irgendwas geschrieben stand. Wollte er es Grace geben?
Das laute Quietschen von Reifen ließ ihn, sowie alle anderen in die Richtung sehen, aus der es kam. Direkt vor Grace war ein großer Van mit getönten Scheiben stehengeblieben. Er konnte noch sehen wie Grace überrascht und erschrocken auf die sich öffnende Tür blickte, bevor dann auf einmal ein Arm aus dem Wagen kam und nach ihr griff.
Unter dem Blick aller ihrer Mitschüler schrie Grace auf, während sie von einer maskierten Person mit eisernem Griff in den Wagen gezogen wurde. Die Tür wurde so schnell geschlossen und der Wagen war ebenso schnell wieder weg, wie er gekommen war, so dass niemand die Chance hatte zu reagieren. Mitten am Tag, unter den Augen aller ihrer Mitschüler, wurde Grace entführt. Und trotz dass es jeder es gesehen hatte, konnte niemand sagen, was genau passiert war. Niemand hatte ein Gesicht gesehen und niemand konnte den Wagen identifizieren oder erinnerte sich an ein Nummernschild.
***
Es tut mir soooooo Leid!!!
Ich weiß... Eigentlich hätte das Kapitel schon gestern kommen sollen... aber ich war den ganzen Tag mit den Gedanken bei anderen Sachen und dann habe ich das irgendwie vergessen.
Naja... Hoffentlich gefällt euch das Kapitel trotzdem. Über Kommentare freuen wir uns sehr! :)
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