Schadenfreude
Drake war ein Musterschüler, das wusste jeder. Er war fast in jedem Fach Klassenbester und war auch allgemein eine extrem schlaue Person. Körperlich war er aber auch beeindruckend: Breite Schultern, kräftig und für sein Alter, Er war gerade 16 geworden, war er, mit 1.80, relativ gross und hatte glasklare blaue Augen, die er von seinem Vater geerbt hatte.
Das Einzige, bei dem man etwas Negatives sagen könnte, waren seine Weiss-gefärbten Haare. Aber das hatte seine Mutter gemacht, als er noch klein war, also konnte er nichts dafür. Ihm selber gefiel seine Frisur.
Er war in einem Kendo-Club und ging fast jeden zweiten Tag ins Training. Er hatte viel Zeit für sein Hobby, was daran lag, dass er keine Freunde hatte. Jetzt fragt man sich sicher, warum er keine Freunde hatte. Das hatte sogar einen relativ komplexen Grund:
An dem Tag, an dem die Schule angefangen hatte, konnte er nicht in die Schule, weil er an einem Wettkampf im Ausland teilnahm, nämlich an der Kendo-Europa-Meisterschaft in Deutschland, und als er dann Wochen später in die Schule kam, waren alle Cliquen in der Schule schon gebildet und er war als Einziger übrig.
Vermutlich schreckten seine Haare auch ab.
Ihm war das aber egal, weil er mit seinen Klassenkameraden relativ gut zurecht kam. Naja, bis zu jenem Tag jedenfalls.
Er sass wie immer an seinem Pult und las ein Buch. Es hiess "Monsterjagd für Anfänger" und war ein ziemlich bescheuertes Buch, in dem es um "mystische Kreaturen" geht und wie man sie einfängt. Auf der Seite, die er gerade las, stand etwas von sogennanten "Wiedergängern". Natürlich wusste er, dass es solche Monster nicht gibt, aber Drake war jemand, der auch dumme Bücher lesen konnte, indem er sich einfach über das Buch totlachte. In seiner Schultasche waren noch die zwei Fortsetzungen "Monsterjagd für Anfänger ist wahrscheinlich nicht zu empfehlen" und "Im Ernst, Kumpel, hör auf, Monster zu jagen". Die Autoren, lediglich ihre Inizialen D.B. und G.C. waren auf den Büchern, waren kreativ bei den Titeln, das musste Drake zugeben. Er musste sich unbedingt das nächste Buch kaufen. Wie es wohl heissen wird?
Jedenfalls war die zweitletzte Stunde zuende gegangen und in der nächsten Stunde mussten alle einen Vortrag über ein selbstausgesuchtes Thema machen. Er hatte Japan genommen.
Er hatte sich gut darauf vorbereitet und nicht nur den Wikipedia-Eintrag kopiert, obwohl das dem Lehrer vermutlich nicht aufgefallen wäre. Auch wenn er ihnen Respekt entgegenbrachte, waren sie nicht gerade qualifiziert für den Job, ausser, es heisst, für den Job qualifiziert zu sein, wenn man finster reinblicken konnte. Dann waren sie mehr als qualifiziert.
Plötzlich tippte ihm jemand auf die Schulter.
"Ja?" sagte er, ohne den Kopf zu heben.
"Drake, könntest du mir... naja, ein Gefallen tun?"
Drake hob den Kopf und sah James, der ganz verunsichert dastand und anscheinend leicht in panik war. Irgendwie belustigend.
Drake ahnte schon, was er wollte. "Hast du vergessen, dass wir heute unseren Vortrag halten müssen?" James setzte sein unschuldiges Gesicht auf. "Nur leicht."
"Hm", machte Drake, "Pech gehabt."
"Komm schon Drake, ich brauch einen Notfallplan."
"Tut mir leid, aber ich habe keinen blassen Schimmer, wie du dich aus der Sache rausreden könntest." James war kurz vor einer Panikattacke. "Bitte, irgendwas!" "Ich hab nicht auf alles eine Antwort", sagte Drake, fügte aber noch mit gespielter Arroganz hinzu, "Nur auf sehr vieles." James schnitt eine beleidigte Grimasse.
Gerade als Drake ihn noch mehr nerven wollte, klingelte die Schulglocke.
"Viel Glück", sagte Drake mit einem leicht schadenfreudigen Unterton.
James liess die Schultern hängen und schlurfte zurück zu seinem Platz.
Fast tat er Drake leid, aber nur fast.
Der Lehrer, ein 42-jähriger, der anscheinend nicht extrem motiviert war, kam ins Klassenzimmer, begrüsste alle, einschliesslich Drake, und verkündete die Reihenfolge derer, die ihren Vortrag halten mussten. An zweiter Stelle stand der Name von James. Drake konnte seine Unsicherheit fast schmecken.
Nachdem James vor der ganzen Klasse erklären musste, wie, angeblich, sein Hamster seine kompletten Notizen gegessen hatte, was die dümmste Ausrede war, die Drake je gehört hatte, vorallem, da James nicht mal einen Hamster hatte, fingen seine restlichen Klassenkameraden an, ihre Vorträge über Schlangen, New York, Ausserirdische etc. zu machen. Kreative Themen, so viel war sicher.
Sein eigener ging ohne besondere Vorkommnisse vorbei. Selbst die, die bei den anderen Vorträgen gelangweilt waren, haben mehr oder weniger zugehört.
Er war sehr auf den letzten Vortrag gespannt. Nicht, weil er vielversprechend war, sondern weil er von einem Typen kam, der wahrscheinlich noch weniger Arbeit reingesteckt hatte als James, und das musste man erst schaffen. Aber von Samuel konnte man nicht wirklich viel erwarten. Er wusste wirklich nicht, wie der Typ in seine Klasse gekommen ist.
Als Samuel vor die Klasse trat, war Drake schon ein bisschen überrascht, als er tatsächlich etwas in der Hand hielt, auch wenn er nicht erkennen konnte, was es war. Es war irgendwas längliches, billig eingehüllt in Geschenkpapier. "Liebe Klasse, ich weiss, dass die Meisten von euch keine Lust mehr auf einen Vortrag haben, aber dieser Vortrag wird etwas Phänomenales. Und nein, es wird kein Vortrag über Insekten, Albert Einstein oder Japan." Drake hörte zwei synchrone genervte Seufzer, Drake selber machte sich nicht die Mühe.
"Dieser Vortrag ist etwas ganz Besonderes und jetzt, ohne weit auszuschweifen, präsentiere ich euch dieses Wunderstück!" Er zog das Geschenkpapier von dem länglichen Ding und selbst Drake riss die Augen auf, als er Samuel mit einem echten Schwert dastehen sah.
Wie konnte er unbemerkt ein Schwert in die Schule schmuggeln? Dann erinnerte er sich wieder an die Lehrer an seiner Schule. Das erklärts.
Er kannte sich sehr gut mit Schwertern und anderen Waffen aus und das lag nicht nur daran, dass er im Kendo-Club war, sondern weil sein Vater ebenso wie seine Mutter ehemalige Kampfsportler waren. Sie hatten mit Kampfsportarten angefangen, weil sie anscheinend einmal von einem Dieb ausgeraubt wurden und sie sich durch das Erlernen solcher Sportarten sicherer fühlten. Kurz gesagt: Sie waren leicht hysterisch.
Aber trotzdem liebte er seine Eltern natürlich über alles.
Sie haben ihm alles beigebracht, was sie wussten, was sehr gut war, weil er früher gemobbt und als Streber beleidigt wurde und die anderen Kinder ihn oft zusammengeschlagen hatten. Nachdem seine Eltern ihm ein paar Techniken beigebracht hatten, musste er erst einen Tag später ins Rektorat, weil er drei Mitschüler zum Weinen gebracht hatte und bei einem hatte die Nase sogar angefangen zu bluten. Er war dort erst 9 Jahre alt.
Selbst als seine Eltern ihn ausgeschimpft hatten, hat er aus ihren Stimmen leichte Bewunderung entnommen. Seitdem hatte es niemand geschafft, ihn überhaupt irgendwie zum Bluten zu bringen.
Der Lehrer sprang sofort von seinem Stuhl und hätte fast den ganzen Tisch mitgerissen. "Samuel, ich habe doch ganz ausdrücklich gesagt, dass bei Vorträgen gefährliche Sachen verboten sind!"
Ach, kommen sie schon", jammerte Samuel, "ich werde schon niemanden umbringen und selbst wenn, dann muss der Hausmeister sauber machen und nicht sie."
Drake sah, wie der Kopf des Lehrers so rot wie eine Tomate wurde vor Wut. "Samuel", sagte der Lehrer mit einer Stimme, die angsteinflössend klingen sollte, es aber nicht war, "Leg das Schwert weg!"
Der Lehrer griff nach dem Schwert, aber Samuel zog es schnell weg.
Dann wurde plötzlich an der Tür geklopft.
Der Lehrer fixierte Samuel mit einem Blick, stand dann auf und ging zur Tür. Als er öffnete, standen da 2 Männer in Uniformen. Drake verstand nicht, was sie sagten, und aus der Mimik der beiden Männer konnte er auch nichts lesen. Er sah auf der Brust der Männer eine Art Symbol, doch er konnte nicht erkennen, was es darstellte.
"Hey!"
Plötzlich wurde der Lehrer beiseite geschoben und sie kamen ins Klassenzimmer. Sie sahen sich um fixierten dann Samuel. "Du da", sagte der Rechte, "Was hast du da in der Hand?"
Samuel blickte ihm trotzend in die Augen.
Der Linke meldete sich zu Wort. Seine Stimme klang sanfter.
"Keine Sorge. Wir wollen nur etwas abholen. Ist das da zufällig das Schwert deines..."
Samuel stiess einen Kampfschrei aus und schlug dem Linken die Schwertscheide auf den Kopf. Er wankte zurück, konnte sich aber noch auf den Beinen halten. Samuel hielt die Schwertscheide immer noch kampfbereit.
"So, jetzt bin ich dran", sagte der Linke und griff in seine Tasche.
Drake dachte, dass er jetzt irgendeinen Knüppel hervorholen würde, doch er täuschte sich.
Der Typ drückte 2-mal ab. Beide Kugeln trafen Samuel in die Brust. Er hielt inne, röchelte und wankte.
Er war tot, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Dann war es plötzlich sehr still im Klassenzimmer.
Sehr still.
Bis schliesslich die beiden Typen anfingen zu lachen.
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