Formieren
Sie kamen nach einer gefühlten Ewigkeit an ihrem Versteck an.
Der Van hatte noch ein paar Löcher dazubekommen.
Fiora wurde von Elisa sofort behandelt. Shay ging in einen Nebenraum, um ein bisschen Essen zu kochen. Amilia und Drake liessen sich auf einem kaputten Sofa nieder. Drake musste erst mal verarbeiten, was da grade passiert war.
Er hatte einen Menschen getötet! Einfach so! Das Schwert hatte sie einfach ohne Anstrengung aufgespiesst.
Doch irgendwie fühlte er sich relativ ruhig. Ihm war das nicht so schwergefallen wie vermutet.
Amilia war sehr still. Noch stiller als sonst. Wenn das überhaupt möglich war.
Drake drehte sich zu ihr um.
"Ist alles okay bei dir?"
Amilia zuckte zusammen.
"J-Ja."
"Sicher?"
"Ja."
Drake hob eine Augenbraue.
"Tatsächlich?"
Amilia atmete tief durch.
"Menschen sind gestorben."
"Ja, aber machst du das nicht auch schon länger durch?"
Amilia schaute ihm in die Augen.
"Es ist trotzdem jemand gestorben. Ich bin halt sehr sensibel, o-ok?"
Drake drehte sich wieder nach vorne.
"Sorry, du hast recht. Ich würde auch gerne diese Sache mit so wenig Toten wie möglich über die Bühne bringen."
Amilia lächelte.
"Das wäre schön."
Drake lehnte sich zurück.
"Hast du eine Ahnung, was wir als nächstes tun werden?"
Amilia schüttelte den Kopf.
Drake fragte nicht weiter nach. Er wollte sich erst mal ein bisschen ausruhen, bevor sie weitere Pläne schmieden.
Schliesslich kamen Fiora und Elisa aus dem Nebenzimmer wieder heraus. Fiora's Gesicht war dicht mit Verbänden bedeckt und auch an ihrem Arm und Bauch waren Verbände. Aber sie bewegte sich relativ sicher auf den Beinen.
Sie warteten noch kurz auf Shay, der nach einer Weile mit ein paar Suppenschüsseln angelaufen kam.
Doch Drake merkte, dass den Meisten der Appetit vergangen war.
"Also..."
Drake streckte sich.
"Habt ihr ne Idee, wie es weitergehen soll?"
Bevor irgendjemand etwas darauf erwidern konnte, klingelte Fiora's Handy. Hoffentlich ein guter Anruf.
Fiora schaute nach, wer da anrief und blinzelte.
"Es ist Simon."
Fiora stellte ihr Handy auf den Tisch und nahm ab, wobei sie auf Lautsprecher stellte.
"Simon? geht es dir gut?"
Stille.
Fiora biss sich auf die Lippe.
"Simon? Bist du da?"
Eine fremde Stimme antwortete.
"Ich bin zwar nicht Simon, aber ich persönlich würde sagen, dass seine Situation nicht gerade... gut ist."
Es folgte ein höhnisches Lachen.
Drake runzelte die Stirn.
"Wer bist du?"
"Ach, stimmt, ihr habt ja nen Neuen bei euch. Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin der äusserst charmante Alexander, Stellvertretender Anführer von Resurrection und treuer Untergebener von Meister Richmont. Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen."
"Mich nicht."
Alexander fing an, sich sarkastisch totzulachen.
"Du bist ja ne Spassbombe! Naja, jedenfalls habe ich euren Lieblingsmechaniker in meiner Gewalt und wenn ihr ihn zufälligerweise zurückhaben wollt, habe ich einen Deal für euch: Ihr übergibt uns das Schwert und ich lasse euren ach so geliebten Muskelprotz frei. Na, was sagt ihr?"
Niemand sagte etwas.
Drake sah das Lächeln von Alexander sogar durch das Handy durch.
"Also, wenn es um meinen besten Freund ginge, würde ich es vermutlich nicht machen. Aber ihr seid doch so heldenhafte Leute, da könnt ihr ihn nicht einfach in Stich lassen, oder?"
Er konnte die Unsicherheit fast riechen, die von allen auskam.
"Na, was sagt ihr? Wenn ihr zu lange überlegt, dann..."
In diesem Augenblick schlug Fiora auf den Tisch und brüllte in das Mikrofon hinein:
"Ich hoffe, dass du elendig verreckst, dreckiger Bastard!"
Alle waren überrascht, selbst Alexander.
"Ich interpretiere das als ein... nein?"
Fiora wurde noch lauter.
"Wenn wir dir das Schwert geben, sterben wir doch ohnehin!"
Stille, dann:
"Gutes Argument."
Drake bekam leichte Angst, als Fiora einen vernichtenden Blick auf das Handy warf.
"Ich werde dir eigenständig den Kopf abreissen!"
Drake hörte, wie Alexander näher an das Mikrofon ging.
"Versuch es doch... Wenn du kannst."
Dann legte er auf.
Fiora legte sich auf den Rücken und atmete tief ein und aus.
Shay schlug seinen Kopf deprimiert auf den Tisch.
Amilia hatte angsterfüllte Augen.
Elisa rührte sich nicht.
Drake seufzte.
"Das hat die Stimmung ein bisschen gedämpft."
Schliesslich Drake setzte sich auf.
"Jedenfalls nützt es niemandem, einfach nur Trübsal zu blasen. Ich habe eine simple Idee: Wir gehen jetzt Simon befreien und dann hauen wir den Bösewichten auf die Nase, ok?"
Elisa rührte sich immer noch nicht.
"Sie... haben eine stärkere Kampfkraft. Wir können da nicht einfach reinspazieren."
Drake überlegte.
"Könnten wir uns nicht zu einer Übergabe verabreden?"
Fiora zuckte zusammen.
"Du willst ihnen das Schwert geben?!?"
"Nein! Das wäre naiv und dumm.""
Shay runzelte die Stirn.
"Warum willst du dann eine Übergabe organisieren?"
Drake erklärte.
"Wir werden den bösen Jungs erstmal erzählen, dass wir uns an einem bestimmten Punkt treffen. Weiss einer von euch übrigens, wo Simon jetzt gerade stecken könnte?"
Fiora zuckte mit dem Achseln. Drake merkte, wie sie versuchte, ihre Wut zu unterdrücken.
"Alexander fühlt sich absolut sicher, darum wird er vermutlich mit Simon dort sein, wo er immer ist: Im Hauptquartier von Resurrection."
Drake nickte.
"Okay. Nachdem wir einen Punkt mit ihnen abgemacht haben, werden wir sie auf dem Weg abfangen und Simon wohlbehalten... in unseren Besitz bringen. Sie werden es nicht erwarten. Es gibt zwar die Möglichkeit, dass ein "Boss" dabei ist, aber dieses Risiko müssen wir leider eingehen."
Shay setzte sich auf.
"Der Plan klingt wirklich gut, muss ich zugeben, weil er so simpel ist, dass sie es nicht erwarten würden, aber was passiert, wenn ihre Kampfkraft dann doch zu gross ist? Oder was passiert, wenn wir zu lange brauchen? Dann können wir uns nicht einfach umdrehen und zurückziehen. Es ist nämlich relativ schwierig, sich von einem "Boss" zurückzuziehen."
Drake zuckte mit den Schultern.
"Mein Plan oder einen anderen Plan. Ich bin offen für Vorschläge."
Als niemand etwas sagte, setzte Drake sich auf.
"Gut, somit ist das wohl entschieden."
Er setzte sich langsam auf und streckte sich.
"Macht euch bereit, wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir brechen bald auf und holen Simon zurück!"
Bevor Drake in den Nebenraum ging um sich umzuziehen, drehte er sich noch einmal um.
"Shay, kannst du vielleicht Ramsey erreichen? Ich hätte eine Bitte an ihn..."
Als Drake gerade seine Schuhe band, kam Amilia in das Zimmer.
"Sorry, wenn ich störe."
"Ich binde mir die Schuhe. Wie kannst du mich dann stören? Mit deiner blossen Anwesenheit oder was?"
Amilia stotterte.
"A-Also, s-so meinte ich das n-nicht..."
Drake lachte in sich hinein.
"Ist okay, ich mache mich nur ein bisschen über dich lustig."
Amilia sass wieder da und sagte nichts.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
"Amilia, sag mal..."
Amilia drehte den Kopf.
"Ja?"
"Könntest du mir erzählen, wie das alles angefangen hat? Also, warum ihr gegen diesen Richmont und Resurrection kämpft."
Amilia sagte zuerst nichts und Drake dachte schon, dass sie ihn nicht gehört hatte, doch dann machte sie den Mund auf.
"Wir waren alle Waisenkinder, Also Ich, Elisa, Fiora und Shay. Wir alle waren im selben Waisenhaus untergebracht. Es war ein gutes Waisenhaus. Naja, bis schliesslich der Vater von Elisa plötzlich wieder auftauchte:
Dr. Richmont.
Er war ein extrem reicher Mann und konnte nicht mitansehen, in welchen Zuständen seine Tochter leben musste. Für Elisa waren diese Lebensumstände okay. Er wollte das natürlich nicht.
Er konnte jedoch Elisa nicht adoptieren, weil Elisa nicht weg wollte. Es war nicht deshalb, dass ihr Vater fies war. Wenn ich mich recht erinnere, war er früher noch ganz okay. Sie liebte das Waisenhaus einfach zu sehr. Hier lebten alle ihre Freunde, also wir, und natürlich konnte sie das Waisenhaus besser als Zuhause identifizieren als irgendeine wildfremde Villa. Das respektierte ihr Vater.
Doch er beschäftigte sich immer weiter mit Magie. Man merkte, dass seine körperliche Fassung nicht mehr die Beste war. Doch ein anderer Teil nahm plötzlich auch schaden: Seine psychische Verfassung.
Nicht nur der "Verlust" von Elisa, sondern auch der frühe Verlust seiner Frau, die in einen Anschlag involviert wurde und starb und die Magie, die ihn so faszinierte, dass er tagelang nicht aus seinem Labor ging, zogen ihn immer weiter in den Wahnsinn hinunter.
Schliesslich wurde sein Verstand gebrochen und seine Geduld nahm ein Ende.
Er rief eines Tages das Waisenhaus an und wollte Elisa endlich da rausholen, doch weil Elisa sich immer noch weigerte, drohte er mit Konsequenzen. Ich stand während des Telefonats in der Nähe und konnte alles mithören. Die Verwalterin des Waisenhauses hat nach der Drohung das Telefon einfach aufgelegt. Ein Fehler, wie sich später herausstellte, denn das gab Dr. Richmont den Rest.
Er griff zu äussersten Mitteln, um Elisa aus dem Waisenhaus zu holen. Er holte seinen Schüler, Alexander, und zwei Freunde von Alexander, Luisa und Patrick, und stürmte mit ihnen völlig geisteskrank das Waisenhaus. Sie schlachteten fast alle nieder.
Kinder, Aufpasser, Besucher, ohne Ausnahme wurden fast alle getötet.
Die einzigen, die überlebten, siehst du hier. Er hat Elisa verschont, als sie gesagt hatte, dass sie ihn hasste und sie ihn nie wiedersehen möchte. Er ist erstarrt und einfach gegangen.
Ihren engsten Freundeskreis, also uns, hat er auch verschont. Daraus konnte man schliessen, dass doch noch etwas Menschliches in ihm drin war.
Trotzdem, er war vollkommen verrückt geworden und wusste nicht, was er überhaupt tat. Es hätte mich ehrlich gesagt nicht überrascht, wenn Elisa von ihrem eigenen Vater umgebracht worden wäre. Ihr Vater wäre zu allem bereit gewesen, um sie zu... "beschützen".
Wir konnten jedoch nicht ansehen, wie er sich verändert hatte, darum versuchen wir bis heute, ihn aufzuhalten und seinen kranken Experimenten und Plänen ein Ende zu setzen. Den Rest kennst du schon."
Drake schaute sie mit grossen
Augen an.
Amilia rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
"H-Hör auf, mich anzustarren."
Drake schaute sie immer noch an.
"T-Tut mir leid, aber durch deine Schweigsamkeit und so hätte ich niemals gedacht, dass du so gut etwas erzählen konntest. Ich habe gedacht, dass du zu nichts nützlich bist ausser still sein."
Amilia drehte sich ruckartig um.
"W-Was?!?"
Ihr Gesicht war rot angelaufen.
Drake grinste. Ihre Schüchternheit drängte ihn einfach dazu, sie manchmal ein bisschen aufzuziehen.
Er lehnte sich gelassen zurück.
"Ach, nichts."
Sie sassen dann noch eine Weile da. Es war still, aber es war eine gute Stille, eine angenehme Stille. Die Geschichte hatte ihm noch mehr von den anderen gezeigt und gleichzeitig konnte er ein richtiges Gespräch mit Amilia führen. Das fühlte sich gut an. Aber er musste sich jetzt bereit machen. Denn das, was folgte, sollte nicht einfach werden.
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