60. Zigarrenrauch und Technikhöhle
Ich öffnete die Augen und blickte in den Sternenhimmel. Winzige, in den Augen schmerzende Lichtpunkte. Weiß, rot, blau, grün. Sie blinkten. An. Aus. An. Aus. Vorsichtig drehte ich den Kopf zur Seite, doch nicht vorsichtig genug. Ein höllischer Schmerz schoss mir durch den Schädel. Ich versuchte, ihn zur anderen Seite zu drehen, doch das half auch nichts. Die Luft um mich herum war stickig, sie roch nach Abluft, Motoröl und süßlichem Zigarrenrauch.
Ich brauchte einen Moment, bis ich merkte, dass ich nicht auf Moos, zwischen Gras und Heidelbeerbüschen, sondern auf einem Kissen, einer Matratze, einem Bett lag. Das da über mir waren keine Sterne, keine weit entfernten Galaxien, es waren Lämpchen auf Schaltpulten, auf Bildschirmen und mir unbekannten Gerätschaften.
Ich befand mich auch nicht mehr im Wald, sondern in einem Raum mit Boden, Wänden und einer Decke. Der Zigarrenqualm stieg mir jetzt direkt in die Nase. Meine Augen tränten. Ich musste husten.
Wo war ich? Wie war ich hierher gelangt? Wo war Amanda? Behutsam richtete ich meinen Oberkörper auf, stützte mich auf die Ellenbogen und starrte in die Dunkelheit, die sich vor meinen Augen ausbreitete. Ich bin entführt worden, schoss es mir durch den Kopf. Von Außerirdischen und dies ist ihr Raumschiff. Sie werden mich untersuchen, scannen, vielleicht aufschneiden. Meine geliebte Erde, ich werde sie nie wiedersehen!
Ich kniff die Augen zusammen, um in der Finsternis etwas zu erkennen. Da, ein Aufglühen im Nichts, heller werdend, ich erkannte eine Nase, Wangen, eine Mundpartie. Die Aliens waren weiblich und sie rauchten Zigarren.
„Du hast mir meinen Einsatz versaut, Wanderer!"
Diese Stimme, ich kannte sie! Sie klang dunkel, rau, kratzig.
„Ein halbes Jahr Planung für die Tonne! Wer oder was bist du, dass du dir eine solche Frechheit erlaubst? Bist du einfach nur blöd oder führst du irgendwas im Schilde?"
Erneutes Aufglühen der Zigarre. Wieder musste ich husten Ich bellte wie ein Hund. Mein Kopf dröhnte. Zum Glück gewöhnten sich meine Augen allmählich an die Dunkelheit und ich erkannte, dass am anderen Ende des Raumes kein Alien, sondern eine Frau saß und mich eindringlich musterte. Sie schien groß zu sein, massig. Auf ihrem Schoß hockte ein Tier. Amanda! Eine kräftige Hand mit kurzen Fingern und protzigen Siegelringen kraulte ihr das Nackenfell.
Ich wollte aufspringen, mich auf die fremde Gestalt stürzen, ihr meine Katze entreißen, doch bereits der Versuch, vom Bett zu steigen, den Fuß auf den Boden zusetzen, scheiterte kläglich. Die Kopfschmerzen trommelten wie Donnerschläge in meinem Hirn, ein nie gekannter Schwindel ergriff mich und zwang mich zurück aufs Bett.
„Ich wiederhole mich nicht gern, junger Mann! Was willst du hier? Wer hat dich geschickt?"
Erneut glühte die Zigarre auf, stärker als zuvor, und ich erkannte weitere Details des Gesichts. Zahnlücke, kurze, helle Haare, kräftige, aber dennoch hübsche Gesichtszüge. Das war doch, das konnte nicht sein! Das Leben war nicht fair. So war das nicht gedacht gewesen! Ich sollte sie finden und nicht sie mich. Ich war der Verfolger, ich! Nicht sie!
Lisbeth Schlesinger grinste. Nicht unfreundlich, aber sehr siegesgewiss.
„Dein Schmusekätzchen gefällt mir! So weiches Fell, so lieb, so zutraulich. Wie ist heißt sie denn, die Hübsche?"
Ich schluckte schwer.
„Sage ich nicht!"
Lisbeth vollführte eine abwehrende Handbewegung.
„Dann nenne ich dich, nun, wie kann ich dich nennen? Wischmob! Du heißt ab jetzt Wischmob!"
Sie warf mir einen herausfordernden Blick zu. Ich kochte innerlich vor Wut.
„Wer also bist du? Ein harmloser Wanderer oder ein intriganter Schleichmichel? Sag schon, sag schon, lass dir nicht so viel Zeit, sonst muss ich Wischmob leider ein wenig gröber anfassen!"
Das war sie also, live und in Farbe. Lisbeth Schlesinger. Psychologin und Physikerin. Selbsternannte Geisterjägerin. Auf dem Foto, das ihre Schwester Doro mir gegeben hatte, wirkte sie liebreizender. Für welche Rolle sollte ich mich entscheiden? Für die des unbedarften Naturfreundes, der nachts auf der Mönchshöhe umherwandelte und Glühwürmchen zählte oder sollte ich in die Offensive gehen, klipp und klar sagen, was ich hier wollte, suchte, beabsichtigte zu tun? Ich konnte Lisbeths Reaktion schlecht abschätzen, dazu kannte ich sie zu wenig. Würde sie mich laufen lassen, mich bis zu meinem Lebensende in ihrem Wohnmobil einsperren oder mich ihrem Freund, dem Waldgeist, zum Fraß vorwerfen?
Ganz gleich wie es am Ende lief, ich wollte Amanda zurückhaben. Und weshalb sollte ich Lisbeth eigentlich nicht erzählen, dass ihre Schwester sich um sie sorgte, sie daher von mir suchen ließ. Jeder Mensch, auch eine Lisbeth Schlesinger, freute sich doch, wenn andere an ihn dachten und sich um seine Unversehrtheit sorgten. Also Lupo, raus mit der Wahrheit, du hast nichts zu verlieren! Außerdem musst du hier so schnell wie möglich verschwinden. Mara, Lyff und dieser Junge hocken noch immer in Lauensteins Transporter!
Ich wollte mir nicht ausmalen, was passierte, sollten die Lauenstein-Brüder sie entdecken. Mara, meine geliebte Mara, die verrückte Lyff, Enkelin der Hausmeisterin, der Junge, in die Mönchshöhlen gezerrt und im schwarzen Wasser versenkt. Nein, das durfte ich nicht zulassen! Wittiche, liebe Mara, müssen zusammenhalten, auch wenn es das Letzte ist, was sie tun.
Ich war gerade dabei mit meinem Geständnis zu beginnen, als eine kleine Lampe aufleuchtete und den Raum in ein dämmeriges Licht tauchte. Lisbeth hatte eine Gaslaterne entzündet und schraubte sich zurück auf ihren Sessel, als ich es sah. In ihrem hinteren Hosenbund steckte eine Pistole.
Mein Plan änderte sich von einem Moment auf den nächsten. Kein Geständnis, keine Erklärung, kein Wort über meinen Auftrag, keine Silbe zu Doro Schlesinger. Stattdessen: Klappe halten und einen anderen Ausweg suchen.
Wenn ich hier rauskam und es schaffte, fünfzig oder sechzig Meter in den nächtlichen Wald hineinzukrabbeln, dann konnte ich mich in irgendeinem Gebüsch verstecken und so lange dort ausharren, bis Lisbeth keinen Bock mehr hatte, nach mir zu suchen.
Und welch ein Glück, eine geeignete Situation ergab sich postwendend! Lisbeth drehte sich zu ihrem Schreibtisch herum und schüttete sich Tee oder Kaffee aus einer Thermoskanne ein, hob den Becher an den Mund, pustete laut vernehmlich, und das alles mit dem Rücken zu mir.
Rechts in der Wand entdeckte ich eine Tür. Ich ließ mich zur Seite fallen, streckte den Arm aus, griff mit aller Kraft nach dem metallischen Knauf und wollte ihn gerade herunterdrücken, als mir ein infernalischer Schmerz in den Arm schoss. Ich schrie auf. Der Türgriff stand unter Strom. Anfassen und Flucht unmöglich! Ich schielte zu Lisbeth hinüber, die sich wieder zu mir herumgedreht hatte.
„Was bist du doch für ein armseliges Würstchen! Tante Lisbeth schenkt sich einen Schluck Kaffee ein und du willst dich aus dem Staub machen. Glaubst du denn wirklich, dass ich dich einfach so laufen lasse und geduldig zusehe, wie du mich verpetzt, mich auffliegen lässt?"
Lisbeths Stimme klang immer kratziger. Kein gutes Zeichen. Oberste Vorsicht war geboten. Weshalb hatte mir Doro nichts von der Gefährlichkeit und den psychopathischen Zügen ihrer Schwester erzählt? Ich hätte mich besser vorbereitet, zudem kam mir die versprochene Entlohnung plötzlich äußerst mickrig vor. Ich verdiente eine Erschwerniszulage. 1000 oder 2000 Mark extra. Mindestens.
Ich musste hier raus, und zwar schnell. Ich sah mich um. Allerlei technisches Zeug, Monitore, blinkende Knöpfe und erleuchtete Schaltflächen, Regale voller Bücher und Zeitschriften, ein weiterer Schreibtisch voller Pläne und Landkarten.
Einer der Monitore zeigte ein verwaschenes, von horizontalen Streifen durchzogenes Schwarzweißbild eines Waldes. Stämme, Äste, im Wind sich wiegende Zweige, eine Felsformation, doch die hellen und dunklen Bereiche waren vertauscht. Das war das Bild einer Nachtsichtkamera und es zeigte die Mönchshöhe, genauer, einen kleinen Ausschnitt von ihr! Lisbeth musste die Kamera außen zur Überwachung der Umgebung installiert haben.
Plötzlich wurde mir klar, wo ich mich befand. Das sparsame Bett, auf dem ich lag, der längliche Raum, die kleinen, bullaugenartigen Fenster, die schmale Tür. Der Wagen, den ich für den Transporter der Lauenstein-Brüder gehalten hatte, war in Wirklichkeit Lisbeths Wohnmobil! Wenn die Lauensteins nicht zur Mönchshöhe gefahren waren, wohin in Gottes Namen dann?
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