5. Erste Hilfe, Hintergedanken
Frau Scheck klopfte erneut. Dieses Mal sehr viel kräftiger. Es klang ganz so als benutzte sie die Faust. Woher nahm diese Frau nur eine solche Wut? Das Wummern ihrer Hiebe und das Vibrieren der massiven Tür ließen nichts Gutes ahnen.
Was aber konnte eigentlich noch passieren?
Und Schließlich hatte ich mich heute, nach all dem Mist, den ich in den letzten Monaten verzapft hatte, ins Café Sösedamm getraut. Ich fand, dass es gar nicht schlecht gelaufen war. Es hätte schlimmer kommen können.
Mara hatte mich freundlich rausgeschmissen, und ich hatte es in ihren Augen gesehen: eigentlich tat ihr die ganze Aktion fürchterlich Leid. Sie hatte mich eben doch irgendwie gern.
Ach, Mara!
Was konnte mir die alte Scheck also noch anhaben?
Ich schob das Türschloss zurück und zog die Tür einen Spalt weit auf. Als wäre der Hausflur das Weltall und meine Wohnung die sauerstoffspendende Rettung, kam mir Frau Scheck aus dem dunklen Hausflur entgegen gesprungen, und quetschte ihr Gesicht, das sehr ängstlich aussah, in den Türspalt.
Erschrocken sprang ich ein Stück zurück und zog die Tür dabei eine Handbreit weiter auf. Klirrend spannte sich die Schlosskette. „Bitte lassen sie mich rein! Bitte! Rein!"
Amanda hatte sich zwischen meinen Beinen verkeilt. Sie schien mindestens genau so verstört zu sein wie ich.
„Rein! Bitte!"
Mit Freude hätte ich mir angeschaut wie die Scheck sich in ihrer Panik (wovor auch immer sie sich fürchtete) durch den schmalen Spalt drückte, der gerade breit genug für einen Katzenhintern war. Ich dachte an einen Klumpen Pastateig, der mit Kraft durch eine Nudelmaschine gepresst wird.
Leichenblass war die Scheck. Sie wimmerte wie ein kleines Kind, das seine Eltern im Kaufhaus verloren hat. Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass ich einmal Mitleid mit dieser unfreundlichen Alten haben könnte.
Schließlich löste ich die Kette und ließ Frau Scheck herein. So kräftig hatte sie sich in den Türspalt gedrückt, dass sie mir beinahe vor die Füße gestürzt wäre. Ich konnte sie gerade noch auffangen und an der Kittelschürze greifen, die fettig war und nach kalter Zigarette und Bratensoße roch.
Langsam richtete Frau Scheck sich auf. Normalerweise trug sie das Haar zu einem strengen Dutt gebunden. Jetzt war es zerzaust und hing ihr ins Gesicht. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie zitterte am ganzen Körper. Was war los mit ihr?
Ich sagte kein Wort, sondern schob sie ins Wohnzimmer, wo sie sich in einen der Sessel fallen ließ.
Dann lief ich zurück zur Wohnungstür , drückte sie ins Schloss, drehte den Schlüssel bis zum Anschlag herum, und legte die Kette wieder vor. Man konnte schließlich nie wissen!
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, lag Amanda auf Frau Schecks Schoß. Eine Hand der Alten ruhte schneeweiß, wie eine große blasse Spinne auf dem schwarzen Rückenfell der Katze. In der anderen Hand hielt sie kraftlos einen Stapel kleinformatiger Papiere.
Waren das etwa Fotos? Hatte die Scheck mir tatsächlich Fotos geklaut, nur um sie mir jetzt reumütig zurück zu bringen? Da passte doch was nicht!
Was führte sie im Schilde?
Frau Scheck hob den Kopf. Ihre Augen waren blutunterlaufen.
„Sie kennen sich doch aus ...! Sie können mir, können mir bestimmt helfen!"
Ihre Stimme zitterte, war heiser und wie ohne Luft. Ich rechnete schon damit, dass sie mir jeden Moment zusammenklappte. Nein, in einem solch erbärmlichen Zustand hatte ich sie noch nie gesehen.
Ihr dürrer Arm streckte mir die Fotos entgegen. Ich nahm sie ihr aus der Hand.
Es handelte sich um fünf der zwanzig oder dreißig Bilder, die ich vor einigen Jahren (war es 1978 oder 1979?) gemeinsam mit Mara inszeniert hatte. Viel Dunkelheit, ein Diaprojektor und ein verlassenes Hotel bei Goslar, fertig waren die Geistererscheinungen. Einhundertfünfzig Mark hatte uns die Veröffentlichung in einer Parapsychologie-Zeitung aus Stuttgart damals eingebracht. Das war nicht übel gewesen.
Ich kannte mich aus? Womit?
Ich konnte helfen? Wie?
Was zum Teufel wollte Frau Scheck von mir?
Ärgerlich funkelte ich sie quer durchs Wohnzimmer an. Erstens hatte sie meine Fotos gemopst, und zweitens hatte sie meine geliebte Amanda auf ihrem Soßenschoß. Ich war kurz davor sie wieder vor die Tür zu setzen, doch irgendetwas hielt mich davon ab.
War es mein großes Herz, der furchteinflößende Zustand dieser alten Frau, oder waren es vielleicht Amandas große, aufmerksame Augen, die sie so konzentriert auf mich heftete? Was war mit dem schwarzen Fell um ihre Augen herum passiert? War es schon immer so ausgreifend gewesen? Ich war verwirrt.
Schweren Herzens entschloss ich mich, der Scheck für fünf Minuten Asyl zu gewähren. Dann Abmarsch!
Benötigte sie jedoch ernsthaft meine Hilfe, bei was auch immer, dann änderte das die Verhältnisse grundlegend. Eins zu Null stünde es dann für mich. Ich hätte was bei ihr gut und die ewige Gängelei eventuell ein Ende.
„Mögen sie ein Glas Wasser?"
Zu mehr Freundlichkeit konnte ich mich gerade nicht durchringen. Keinen Kaffee, keinen Wein und erst recht kein Bier für die Scheck!
Frau Scheck nickte schwach. Also ging ich in die Küche und holte ihr ein Glas Leitungswasser, das sie mir spontan aus der Hand zog und mit gierigen Schlucken leerte. Ich ließ mich wieder in meinen Sessel plumpsen und beobachtete wie sie sich die Wasserperlen von der Oberlippe wischte. Amanda hatte sich die ganze Zeit über nicht von der Stelle gerührt.
„Danke für die Bilder!"
Ich schmiss ihr die Schachtel HB auf den Schoß und verfehlte die Katze dabei nur um Haaresbreite. Blick auf die Uhr.
„Um was genau geht's denn, Frau Scheck?"
Sie räusperte sich, als stünde ihr noch immer etwas Wasser in der Speiseröhre.
„Ich habe ihre Fotos gesehen ... Sie machen diese Aufnahmen. Sie kennen sich aus mit solchen Erscheinungen ...!"
Die Geisterbilder. Sie schien tatsächlich zu glauben, dass sie echt waren. Weshalb interessierte sie der ganze Kram so sehr?
So sehr, dass sie nicht davor zurückgeschreckt war, einen Stapel Bilder mitgehen zu lassen.
Was wollte sie hören? Was sollte ich ihr sagen?
Bestimmt nicht, dass ich ein elendiger Betrüger war, der arme Monster-Nerds verarschte, und ihnen dafür auch noch Geld abnahm.
Was, wenn ich auf ihr Gestammel einging? Wenn ich für sie wirklich derjenige war, der sich auskannte, der der Experte war, der ihr den Geisterjäger machte? Was sich daraus alles machen ließ.
Ich war von mir selbst überzuckert.
Meine Stirn entspannte sich. Ich spürte wie die Zornesfalten verschwanden. Die Böse-Buben-Rolle war passé, ich streifte mir die Spezialisten-Rolle über.
Übereinander geschlagene Beine, aneinander gelegte Fingerspitzen, Augenblinzeln. Ich gab mir wirklich Mühe, ich verdammtes, verlogenes Arschloch.
„Wie genau kann ich ihnen behilflich sein, Frau Scheck?"
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