40. Sahne-Hasch-Krokant-Sporttasche
Die Frau mit dem Blumenkleid hatte es gut gemeint, ihre Empörung war authentisch gewesen. Faszinierend! Ich bezweifelte, dass sie bei dem Kackpudelbesitzer irgendetwas erreichte, konnte mir sogar vorstellen, dass der Kerl ihr eine langte oder es seinem Hund erlaubte, dem Baby einmal ordentlich durch das rosa Gesicht zu lecken. In dieser Stadt war alles möglich, das hatte ich inzwischen gelernt.
Ich versuchte mich an die Worte der Frau zu erinnern. Ihr kleiner Teufel hat da hingeschissen, hatte sie gesagt. Bei dem Wort „Teufel" machte es klick in meinem Kopf. Hieronymus Mutter hatte als Mädchen Teufel geheißen, weshalb ihr Sohn früher ständig diesen dummen Spruch gemacht hatte: „Ich bin ein halber Teufel!" War damals schon nicht lustig gewesen. Die Zahl des Teufels war die 666, die eines halben Teufels demnach die 333. War das die Lösung? Wenn ja, dann war ich ein verdammter Fuchs!
Ich sprang auf, verfehlte nur um Haaresbreite den Pudelhaufen und lief zurück ins Postgebäude. Vor dem Saal mit den Schließfächern verlangsamte ich meinen Sprint, um nicht unnötig aufzufallen.
Schließfach Nummer 333. Der Schlüssel passte exakt und ließ sich mühelos drehen, als hätte ich ihn in Olivenöl gebadet. Die Verriegelung löste sich und die Tür schwang auf. So schnell war ich am Ziel? Nicht nur ein erfolgreicher Geisterbezwinger war ich, nein, ich war ein Genie, ein Glückskind, ein Talismanträger, ein Fuchs allererster Güte! Ich hob ab, ich fing an zu spinnen, was hatte Enrico mir vorhin in die Waffel gelöffelt? War das Stracciatella gewesen, oder etwa eine Kostprobe seiner neuesten Unter-dem Ladentisch-Kreation Sahne-Hasch-Krokant? War ich wieder einmal sein Versuchskaninchen?
Hieronymus hatte etwas mit sehr viel Kraft in das Schließfach gedrückt, nur mit Mühe konnte ich es heraus ziehen. Was war das? Eine Trainingsjacke? Ein Stück Zeltplane?
Es war eine Sporttasche. Dunkelblau mit weißen Streifen, prall gefüllt und schwer. Hastig klappte ich das Schließfach wieder zu, verschloss es und machte mich aus dem Staub. Ich bekam Kopfschmerzen, die Orientierung fiel mir schwer, bunte Bläschen tanzten vor meinen Augen. Ich hoffte inständig, dass mich die Polizisten im Copyshop beim Rausgehen nicht bemerkt hatten und keiner in den parkenden Dienstfahrzeugen gesessen hatte. Während ich den Marktplatz überquerte, sah ich mich hektisch um, ständig darauf gefasst, dass mir jemand väterlich die Hand auf die Schulter legte und sagte: Na, junger Mann, dann kommen se mal mit! Ich versuchte mich zu beeilen, doch je größer meine Schritte wurden, desto langsamer kam ich voran. Das bunte Flimmern war jetzt überall, türmte sich vor mir auf wie Badewannenschaum, höher und höher. Die kleine Frau mit der Zahnlücke, sah die mich nicht komisch an? Und der Junge mit dem Skateboard, schielte der nicht auf meine Tasche? Der führte doch was im Schilde!
Nur weiter, immer weiter. Ich dachte, wenn sie dich kriegen wollen, dann hätten sie es längst getan. So viel Bammel wegen einer abgegriffenen Sporttasche. Lächerlich. Lächerlich, sagte ich mir immer wieder, während ich den Torbogen erreichte, die dunkle Passage durchquerte, auf den Innenhof lief und die Treppe zu meiner Wohnung hinauf stürmte.
Amanda war noch nicht wieder da. Das Wohnzimmerfenster stand noch immer für sie offen. Wohin mit der Tasche? Ich stellte sie zunächst in die Badewanne hinter den Duschvorhang, doch das erschien mir plötzlich zu riskant. Im Küchenschrank war noch Platz, unten beim Sonntagsgeschirr meiner verstorbenen Oma. Ich trug die Tasche in die Küche und stellte sie auf den Tisch. Dann setzte ich mich auf einen der Stühle, denn der Schwindel machte es mir unmöglich stehen zu bleiben, und starrte die Sporttasche an, das ribbelige Kunststoffgewebe, das abgeschabte Firmenlogo, den Reißverschluss, von dem sich die Farbe löste: Eine echte Verbrechertasche.
Bisher hatte ich nicht gewagt hinein zusehen, und obwohl ich irgendwie geahnt hatte, was ich finden würde, haute es mich doch von den Socken.
Wieviel Geld war das? 100.000, 200.000, 500.000 Mark? Fein gebündelte Hundert- und Fünfhundertmarkscheine quollen mir entgegen, fielen mir in den Schoß und auf den Boden. Ich hätte jetzt gern ein Foto von mir, dem Geld, dem Küchentisch und der hereinkommenden Amanda geschossen. Zur Erinnerung an diesen Tag, diesen Tag des absoluten Wahnsinns.
Ich kroch unter den Tisch und begann die heruntergefallenen Scheine einzusammeln. Am liebsten wäre ich hier auf dem Boden geblieben, hätte mich hingelegt, Arme und Beine ausgestreckt und ein Nickerchen gemacht. Zum Glück hatte ich Amanda, die leise miaute, mir die Hand leckte und mich zum Aufstehen animierte. Das Geld. Das Geld. Es konnte nicht hier bleiben, schon gar nicht auf meinem Küchentisch.
Eilig begann ich, die Bündel wieder in die Tasche zu stopfen. Einer Eingebung folgend hielt ich einige der Scheine gegen das Licht, doch vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. Mein Zustand war nicht der beste, in meinem Kopf tobte eine Zirkusvorstellung. War das, was ich sah, überhaupt real? Sebastian Münzer zwinkerte mir vom Hundertmarkschein zu, auf der Rückseite schlug der Adler mit den Schwingen, doch änderte das nichts an der Tatsache, dass ich hier vor einem riesigen Haufen Falschgeld saß. Oh, Hieronymus, was hast du bloß für einen gottverdammten Mist verzapft!
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