4. Die Scheck, der Mieterschreck
Die Katze hatte sich auf meinem gelben Ohrensessel zusammengerollt und schlief den Schlaf der Gerechten. Was war ich doch für ein herzensguter Mensch, dachte ich, dass ich einer wildfremden Katze Asyl gewährte. Wie sie da so lag, überkam mich völlig unerwartet ein wohliges Gefühl von Selbstliebe und Zuneigung zu diesem Tierchen. Plötzlich wusste ich wie ich sie nennen wollte.
Amanda.
Die Liebreizende.
Frau Scheck hatte Angst vor ihr gehabt. Das fand ich interessant. Unter Umständen konnte ich mir das irgendwann einmal zunutze machen. Vielleicht hielt ich mir die Alte mit Amanda auf Abstand.
Es gab in dieser Gegend einen Haufen umherstreunender Katzen. Ich hatte nie ein Auge für sie gehabt. Bis auf Schecks Kater. Der hatte gern vor die Haustür oder auf den Fußabtreter geschissen. Mehr als einmal hatte ich ihm klammheimlich in den Fellhintern getreten.
Amanda jedoch war etwas Besonderes. Ich mochte sie, und sie durfte in jedem Fall bei mir bleiben. Futter, Wasser und ein Katzenklo auf Lebenszeit waren ihr sicher. Zudem ein offenes Fenster, wenn sie es in meiner Miefbude nicht mehr aushalten sollte. Ich hielt das alles für eine gute Strategie, auf diesem Wege zumindest ein wenig Struktur in mein Leben zu bringen und nebenbei die Übernahme von Verantwortung zu trainieren.
Ich hörte Maras Stimme in meinem Kopf. Manchmal sprach sie zu mir, einfach so, und erinnerte mich an Dinge, die ich tun sollte. Wie die Sache mit der Struktur und der Verantwortung.
Katzen hatte ich immer als kühl, als Raubtiere voll berechnender Emotionen empfunden. Wenn sie überhaupt Gefühle besaßen. Amanda war anders. Sie sah mich an, schien mich wahrzunehmen, schien zu wissen wer ich war. Von welchem mir bekannten Menschen konnte ich das schon behaupten?
Ich nahm die manipulierten Hundebilder, schnitt sie zurecht und montierte sie ins Seitenlayout. Dann schob ich die Seiten zu einem handlichen Stapel zusammen und trug ihn zum Küchentisch. Amanda sprang aus dem Sessel und lief mir nach. Ich füllte ihren Wassernapf auf und schmiss eine Handvoll Trockenfutter in die kleine Blechschüssel. Amanda sprang auf das Fensterbrett, zwischen die zwei Blumentöpfe mit Küchenkräutern, und rollte sich dort erneut zusammen.
Bevor ich mich an die Arbeit machte, füllte ich den Wasserkessel auf und stellte ihn auf den Herd. In der Kaffeedose befand sich noch exakt die richtige Menge Mehl für eine Kanne. Die Nacht würde lang werden, und ich konnte es mir nicht leisten vorzeitig schlapp zu machen.
Draußen war es stockdunkel geworden. Ich blickte zum Fenster hinüber und sah mein müdes Gesicht in der Scheibe. Statt an die Korrekturen dachte ich an den morgigen Tag. Dachte an all die Dinge, die ich zu tun haben würde.
Da war zunächst Hieronymus. Er wollte mit Sicherheit wissen wo ich die zwei Tage gesteckt hatte. Ich hoffte inständig, dass das Gespräch glimpflich verlief. Ich brauchte den Job. Da ging es mir ganz wie Mara.
An den Farbkopierern Nummer vier und fünf mussten die Toner gewechselt werden. Schwarzweißkopierer eins zog das A4-Papier nicht sauber ein. Gestern hätte der Techniker dagewesen sein sollen. Ein Berg von Bestellungen musste aufgegeben werden. Zwar hatte Rebecca, unsere Praktikantin, versprochen sich um alles zu kümmern während Hieronymus nicht im Laden war. Trotzdem hatte sie während meiner Abwesenheit das komplette Band meines Anrufbeantworters vollgequatscht. Nach den ersten Sätzen hatte ich das Gerät einfach abgeschaltet.
Um zehn Uhr fing Amanda an zu miauen. Ich öffnete das Fenster und ließ sie raus.
Stolz blickte ich auf den Papierstapel mit den Zeitungsseiten. Die Hälfte hatte ich schon gelesen und nur einige wenige Fehler entdeckt. Somit würde ich nur vereinzelte Sätze neu tippen müssen. Hoffentlich blieb das so!
Gegen zehn vor elf tauchte Amandas Kopf wieder vor dem Fenster auf, und ich ließ sie herein. Schnurstracks lief sie zu ihrem Futternapf und begann gierig zu fressen. Ich goss mir noch einen Kaffee ein und setzte mich erneut an die Arbeit.
Anstatt sich irgendwo hinzulegen, lief Amanda mir aufgeregt um die Füße. Sie wirkte aufgekratzt. Ich erkannte sie kaum wieder. Sie lief in den Flur hinaus, von dort ins Wohnzimmer, wieder in die Küche, wieder in den Flur, wo sie sich an der rauen Oberfläche meiner Wohnungstür rieb. Rechte Seite, linke Seite, rechte Seite, linke Seite, und wieder zurück. Danach das Ganze von vorn.
Ich zeigte ihr einen Vogel und beugte mich wieder über die Papiere. Drei Absätze waren hinzugekommen, in denen ich die Groß- und Kleinschreibung missachtet hatte. Ärgerlich. Es war schon nach elf und völlig undenkbar, dass ich mich jetzt noch an die Schreibmaschine setzte und dabei riskierte, binnen dreißig Sekunden die alte Scheck vor der Tür stehen zu haben.
Ich blickte hinüber ins Wohnzimmer, wo die Adler auf meinem Schreibtisch stand. Die Texte mussten heute noch getippt werden. Verdammt, sie mussten! Morgen Früh wollte ich den ganzen Kram fertig haben! Gab es eigentlich einen Schalldämpfer für Schreibmaschinen?
Ich ging in den Flur, um nach Amanda zu sehen, als es plötzlich heftig an der Tür klopfte. Genügte etwa schon der Gedanke an das Schreibmaschinengeklapper, um die Schenk auf den Plan zu rufen? Amandas weißes Köpfchen leuchtete im Dunkeln. Ihre Augen funkelten erwartungsvoll.
Heute war mir nicht mehr nach Besuch, und ich entschied mich dafür einfach wieder zurück in die Küche zu gehen. Kurz darauf wieder ein Klopfen. Dieses Mal kräftiger. Amanda wurde wieder unruhig. Sie kam ein Stück auf mich zugelaufen, um gleich darauf zurück zur Wohnungstür zu trippeln. Genervt legte ich den Stift zur Seite, ging erneut in den Flur und schaltete das Licht an.
Beim Blick durch den Türspalt sah ich zunächst nichts. Dann kam Frau Schecks zerknittertes Gesicht ins Bild. Das konnte doch nicht wahr sein! Was wollte sie? Kam sie vielleicht wegen ihrer Glimmstängel?
Im Wohnzimmer läutete das Telefon.
Einen kurzen Moment wusste ich nicht für welches Übel ich mich entscheiden sollte. Sollte ich den Hörer abnehmen und dem nächtlichen Anrufer lauschen, oder sollte ich Frau Scheck die Tür öffnen?
Amanda lief ins Wohnzimmer. Ich nahm das als ein Zeichen, während Frau Scheck weiter an der Tür hämmerte.
Am Apparat war Beauty, meine Mutter. Erst im vergangenen Monat hatte sie sich diesen Namen zugelegt. Ihr Künstlername, wie sie sagte.
Alles gut. Sie war erwachsen, konnte tun und lassen was sie für richtig hielt. Mein Problem bestand nur darin, dass ich immer zuerst dachte, ein Schönheitssalon riefe an.
Ihr Geburtsname war Heidrun, was so schlecht nicht war. Mit ein wenig Fantasie hätte man daraus etwas machen können. Heidy zum Beispiel, oder Druny.
„Komm doch mal wieder zum Essen vorbei! Der Horst ist dann auch da. Ihr habt euch ja noch gar nicht richtig kennengelernt!"
Horst war, wenn ich richtig mitgezählt hatte, nach dem Verschwinden meines Vaters ihr dreizehnter Partner. Das war rekordverdächtig. An keinem dieser Typen hatte ich auch nur das geringste Interesse gehabt. Gefühlte eintausend Mal hatte ich ihr das erklärt. Sie verstand es einfach nicht.
Ich weiß nicht welche verborgenen Eigenschaften all diese Typen besaßen, die meine Mutter offenbar wie magisch anzogen. Alle waren sie kleiner als sie gewesen, trugen gern Anzug und gescheiteltes Haar. Vermutlich hatten sie Geld.
Ganz anders als mein Vater. Er hatte das Haar immer gern lang getragen, sich leger gekleidet und nicht übermäßig viel Geld nach Hause gebracht.
„Mama, tut mir Leid, ich habe zu tun!"
Ein Schniefen am Ende des Hörers. Gespielte Traurigkeit. Wir ich das hasste!
„Na gut, mein Schatz! Du lässt von dir hören?"
Ich versprach es, wusste jedoch, dass sie mit ihrem Horst ganz gut allein zurecht kam.
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